bwp@ 26 - Juni 2014

Berufliche Bildung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Hrsg.: Tade Tramm, Martin Fischer & Nicole Naeve-Stoß

Editorial bwp@26: Berufliche Bildung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Beitrag von Tade Tramm, Martin Fischer & Nicole Naeve-Stoß

EDITORIAL zur Ausgabe 26:
Berufliche Bildung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Dass die Lernenden im Mittelpunkt pädagogischen Denkens und Handelns stehen oder doch zumindest stehen sollten, ist wahlweise eine Konstitutionskonstante der Disziplin oder ein Stück pädagogischer Folklore. Natürlich ist alles pädagogische Bemühen auf das Subjekt gerichtet, auf die Förderung seiner Autonomie, Mündigkeit und Kompetenz, auf die Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf die Begleitung und Unterstützung seiner Sozialisation und seiner Qualifizierung. Und es scheint weitestgehend Konsens darüber zu bestehen, dass für das Erklären, Verstehen und Gestalten pädagogischer Pro­zesse die Verarbeitungsprozesse auf der Subjektseite von entscheidender Bedeutung sind.

Dennoch muss konstatiert werden, dass die Lernendenperspektive bislang weder in der pädagogischen Praxis noch in der empirischen Erforschung dieser Praxis hinreichend berücksichtigt wird. Es dominiert weithin eine Sicht, wonach noch immer versucht wird, in der Tradition des Produkt-Prozess-Paradigmas, um nicht zu sagen: des „Lehr-Lern-Kurzschlusses“, Lerneffekte unmittelbar aus Aspekten des Lehrens und der Lernumwelt abzuleiten. Zwar bemüht sich die Unterrichtsforschung seit Jahrzehnten hierbei differenzierte Variablen auf der Lernerseite sowie intervenierende bzw. moderierende Variablen auf der Prozessseite zu berücksichtigen. All diese Bemühungen können aber auch als immer elaboriertere Versuche verstanden werden, Prozesse auf der Subjektseite durch zunehmend komplexere Kombinationen unabhängiger und intervenierender Variablen zu substituieren. Dem entspricht auf der Seite didaktischer Praxis die Ratlosigkeit vieler Lehrerinnen und Lehrer angesichts der Aufforderung, geplanten oder realisierten Unterricht nicht nur als Folge von Lehraktionen zu beschreiben, sondern als Sequenz von (intendierten oder realisierten) Lernhandlungen und Erkenntnisschritten auf Seiten der Schülerinnen und Schüler.

Diese Vernachlässigung der Subjektsicht in pädagogischer Praxis und Forschung steht in einem eklatanten Widerspruch zu Modellvorstellungen des Handelns und des Lernens, die durchgängig die Bedeutung gerade dieser internen motivationalen, volitionalen und kognitiven Prozesse betonen. Die unbefriedigende Berücksichtigung dieser Faktoren hat sicher auch etwas damit zu tun, dass es sich bei den Deutungs- und Verarbeitungsprozessen der Lernenden um nicht direkt wahrnehmbare, nur interpretativ zu erschließende Prozesse handelt, die zudem hochgradig individuell ausgeprägt sein dürften.

Vor diesem Hintergrund ist diese Ausgabe der bwp@ dem Fragenkomplex gewidmet, wie die Modellierung, Erfassung sowie die zielgerichtete Anregung und Berücksichtigung subjektiver Prozesse im Kontext beruflicher Lehr-Lern-Situationen erfolgen kann. Wir haben die eingegangenen Beiträge zu vier Gruppen zusammengefasst.

Teil A: Subjektorientierung als theoretisch-paradigmatische und methodologische Herausforderung in der Berufsbildungsforschung

Unter dieser Überschrift finden sich Beiträge, die sich grundlegend mit der Frage einer angemessenen theoretischen Modellierung und methodischen Erfassung der subjektiven Seite von Lernprozessen auseinandersetzen.

PETER FAULSTICH und ROSA BRACKER thematisieren in ihrem Forschungsbeitrag „Perspektiven der lernenden Subjekte und eine angemessene empirische Lernforschung“ die Frage der adäquaten empirischen Fundierung einer „kritisch-pragmatistischen“ bzw. „kontextualen Lerntheorie“ im Kontext beruflicher oder berufsbezogener Bildungsprozesse jenseits der Begrenztheiten verhaltenswissenschaftlicher oder phänomenologischer Zugänge. Es geht ihnen darum, „Lernen sowohl mit zeitlichem (Biographizität) als auch mit gesellschaftlich-lebensweltlichem Bezug (Kontextualität) empirisch zu konkretisieren“ und durch diese Rekonstruktion zu begreifen. Sie berichten über Ansatz und Ergebnisse ihres DFG-Projekts „Biographizität und Kontextualität des Lernens“, in dem es um die Identifikation von Lernperspektiven und Lernmustern im Lernhandeln geht. Methodisch steht dabei die Absicht im Vordergrund, die eigenen Erfahrungen der Lernenden mit Lernen und die Reflexion dieses Lernens zum Gegenstand der Forschung zu machen. Diese wird in Form „forschender Lernwerkstätten“ mit sehr heterogenen Teilnehmergruppen organisiert, in deren Mittelpunkt wiederum Schreibwerkstätten zu Lerngeschichten stehen. Im Ergebnis identifizieren die Autoren acht Begründungsmuster, mit denen sich unterschiedliche Konfigurationen biographischer Erfahrungen, gesellschaftlicher Kontextualisierungen und Identitätsstiftungen als Zugänge zum Begreifen von Lernen und Lernwiderständen ausmachen lassen.

Die „Ermittlung relevanter berufssprachlicher Kompetenzen aus der Subjektperspektive über Critical Incidents“ steht im Zentrum des Forschungsbeitrages von ANDREA RADSPIELER. Unter Relevanzaspekten verknüpft sie die zunehmend verbreitete Einsicht in die Bedeutsamkeit der sprachlichen Bewältigung und Gestaltung beruflicher Anforderungen mit der Argumentation für eine subjektbezogene Analyse berufssprachlicher Anforderungen und Kompetenzen. Grundlage dafür ist eine Diskussion der derzeit gängigen sprachwissenschaftlichen und berufsbildungswissenschaftlichen Methoden zur Erfassung berufssprachlicher Kompetenzanforderungen und vorhandener Kompetenzen, die sie durchgängig auf der operativen Ebene von einer Außenperspektive geprägt sieht. Dagegen stellt die Verfasserin das Programm einer Analyse berufssprachlicher Kompetenzen aus der Perspektive der Lernenden über die Erhebung von „Critical Incidents“, die „über situations- und personenbezogene Beschreibungen von positiven und negativen Erfahrungen einen introspektiven Einblick in Wahrnehmung, Deutung und subjektive Prozesse“ in beruflichen Kontexten geben könnte. Aus der systematischen Erfassung und Beschreibung kommunikativer beruflicher „Schlüsselerlebnisse“ sollten für die Berufsbildung relevante Sprachkompetenzen abgeleitet werden, die auch als Grundlage für die Bestimmung zukunftsorientierter Anforderungen dienen könnten.

Teil B:  Berufliche Lehr-Lern-Prozesse aus der Lernendenperspektive

In den Beiträgen dieser Kategorie geht es mit Blick auf schulische oder betriebliche Lehr-Lern-Prozesse um Ansätze, diese aus der subjektiven Perspektive der Lernenden und /oder der Lehrenden zu erfassen, zu beschreiben oder auch zu konstruieren.

HELMUT ITTNER und ANNIKKA ZURWEHME gehen in ihrem Beitrag exemplarisch der Frage nach der Wirkung von Qualitätsmanagementsystemen auf schulisches Lernen aus einer explizit und elaboriert subjektwissenschaftlichen Perspektive im Sinne Holzkamps nach. Damit setzen sie, im Gegensatz zu vergleichbaren amerikanischen Studien, bei der Situationswahrnehmung und -deutung sowie dem Lernhandeln der Schülerinnen und Schüler an und fokussieren nicht individuelle Lerneffekte, sondern Prozessqualitäten des Lernens und den möglichen Einfluss von QM-Maßnahmen darauf. Im Zentrum der qualitativen empirischen Analyse steht die Betrachtung von Diskrepanzerfahrungen, in denen ein Potenzial als Ausgangspunkt für Lernprozesse gesehen wird, die als kommunikative Verständigungsprozesse über solche diskrepanten Situationen anzulegen wären. Zur Identifikation relevanter schulischer Diskrepanzbereiche wurden an beruflichen Schulen in Bremen mehrperspektivische qualitative Fallstudien durchgeführt und ausgewertet. Daraus extrahierte Spannungsfelder werden in dem Beitrag als Verständigungsanlässe eines neuen Qualitätsmanagements vorgestellt und auf ihr innovatives Potenzial zur Überwindung einer überwiegend defensiven Lernhaltung geprüft.

Im Forschungsbeitrag „Situative Unterrichtswahrnehmung Lernender im kaufmännischen Bereich – Ein Blick ins Klassenzimmer“ von DOREEN HOLTSCH, EVA HÖPFER, ANDREA REICHMUTH und FRANZ EBERLE wird eine explorative empirische Studie des Schweizer Leading House „Lehr-Lernprozesse im kaufmännischen Bereich“ (LINCA) am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich vorgestellt, in der, bezogen auf wirtschaftskundlichen Unterricht, die Wahrnehmung von Unterrichtsmerkmalen durch die Schüler sowie deren Auswirkung auf das situative Interesse und das Niveau kognitiver Aktivierung anhand einer Fragebogenerhebung untersucht werden. Das besondere Interesse gilt dabei der individuellen Nutzung der Unterrichtsangebote, modelliert als Einfluss ausgewählter Oberflächenmerkmale des Unterrichts auf dessen Tiefenstruktur. Im Anschluss an eine Sichtung der Literaturlage werden Design und Ergebnisse der Pilotstudie vorgestellt und diskutiert. Im Ergebnis scheint auch diese quantitativ angelegte Studie die Einschätzung zu bestätigen, „dass Unterrichtsmerkmale trotz sehr ähnlicher Oberflächenstruktur und gleicher Unterrichtsthemen je nach individueller Wahrnehmung durch die Lernenden ihr situatives Interesse und ihre kognitive Aktivität unterschiedlich beeinflussen können“.

SABRINA BERG untersucht in ihrem Forschungsbeitrag „Zur Relevanz von Sozialisationshintergrund und sozialer Herkunft für den Wirtschaftsunterricht Vorstellungen von Handelslehrern über die Perspektive der lernenden Subjekte“. Gegenstand dieser Arbeit ist mithin der didaktische Subjektbezug auf Seiten der Lehrenden. Anhand von sechs episodischen Interviews mit Handelslehrern geht die Autorin der Frage nach, inwieweit diese den herkunfts- und sozialisationsbedingten Hintergrund ihrer Schüler, deren reale und ideelle Lebenswirklichkeit wahrnehmen und ihrem wirtschaftsdidaktischen Handeln unterlegen. Theoretische Grundlage sind dabei der soziale Konstruktivismus (Berger und Luckmann) sowie die Kulturtheorie Bourdieus, insbesondere dessen Konzepte des Habitus und des sozialen Raumes. Sie arbeitet inhaltsanalytisch heraus, dass die Lehrkräfte kaum detaillierte Vorstellungen von der Lebenswelt ihrer Schüler haben und diese, so sie denn rudimentär vorhanden sind, nicht überprüfen. Daher bleibe der Versuch der Lehrkräfte, im Wirtschaftskundeunterricht an die Lebenswirklichkeit und Vorstellungswelt ihrer Schüler anzuknüpfen, weitgehend spekulativ und von sozialen Stereotypen geprägt.

ANJA GEBHARDT, YOLANDA MARTINEZ ZAUGG und CHRISTOPH METZGER thematisieren in ihrem Forschungsbeitrag „Motivationale, emotionale und selbstwirksamkeitsbezogene Dispositionen von Auszubildenden und deren Wahrnehmung der Lernumgebung und Lernbegleitung im betrieblichen Teil der beruflichen Grundbildung“ in der Schweiz. Der Beitrag untersucht auf Basis einer Fragebogenerhebung mit 746 Azubis in der Deutschschweiz sowie zwei Fokusgruppengesprächen mit Akteuren der betrieblichen Ausbildung einerseits die Frage, welche personalen Faktoren (Selbstwirksamkeit, Motivation, Emotionen) das Lernhandeln von Auszubildenden prägen und andererseits den Fragenkomplex, wie kontextuelle Faktoren der betrieblichen Ausbildung (Lernumgebung, Lernbegleitung) von den Auszubildenden wahrgenommen werden. Die Ergebnisse belegen, dass „Selbstwirksamkeitsüberzeugungen das Lernen und Arbeiten der Auszubildenden in mittlerem bis recht gutem Maße determinieren“. Außerdem sei „das Lern- und Arbeitshandeln in mittlerem bis gutem Ausmaß von selbstbestimmten Motivationsvarianten sowie introjizierter Motivation und weniger von Amotivation und externaler Motivation geprägt“. Angst und Langeweile spielten eine untergeordnete Rolle, wohingegen positive Emotionen gerade am Lernort Arbeitsplatz gut ausgeprägt seien. Auch Lernumgebung und Lernbegleitung werden von den Auszubildenden am Lernort Arbeitsplatz positiver als in der überbetrieblichen Ausbildung wahrgenommen, insgesamt seien insbesondere die Artikulation und Reflexion von Lernprozessen durch die Azubis ausbaufähig.

Teil C:  Zwischen Hoffen und Scheitern: Berufliche Bildung im Kontext individueller Lebensperspektiven

In diesem Teil der Ausgabe finden sich Beiträge, die das Erleben beruflicher Bildungsprozesse aus der Perspektive von Jugendlichen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellen und ausgehend davon deren Sichtweisen und Wahrnehmungen sehr anschaulich darstellen.

MARCUS ECKELT und GUIDO SCHMIDT rekonstruieren in ihrem Forschungsbeitrag „Wie wird man prekäre*r Lohnarbeiter*in? Verändertes Selbstverständnis Jugendlicher in beruflichen Bildungsangeboten“ individuelle Bildungsbiographien von Jugendlichen und fokussieren dabei vor allem auf deren Erwartungen bezüglich ihres beruflichen Werdegangs sowie deren Erleben des Übergangs von der Schulzeit in die Arbeitswelt. Die Autoren werden mit ihrem Beitrag dem Anspruch gerecht, „diejenigen zu Wort kommen zu lassen, denen in der Gesellschaft wenig Gehör geschenkt wird“ und sie begründen dies nachvollziehbar damit, dass es allein die Jugendlichen sind, die „ über ihr Erleben der sozialen Realität in beruflicher Orientierung bzw. Ausbildung berichten“ können. Die Rekonstruktionen erfolgen auf der Basis von narrativen Interviews, die in dem Beitrag einerseits anhand von Interviewausschnitten sehr eingängig illustriert und andererseits in den Stand der Forschung zu prekärer Lohnarbeit eingebettet werden. Damit nehmen die Autoren vor allem Bezug auf die Überlegungen von Pierre Bourdieu zur Notwendigkeit der Kombination subjektiver Sichtweisen und der korrespondierenden Analyse objektiver Gegebenheiten. In diesem Sinne verorten ECKELT und SCHMIDT die Ergebnisse ihrer Fallanalysen vor dem Hintergrund sozial-struktureller Analysen des Ausbildungsgeschehens und der Veränderung von Arbeitsverhältnissen, insbesondere mit Blick auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

SEBASTIAN KLAUS nimmt in seinem Forschungsbeitrag eine spezifische Situation in der beruflichen Ausbildung – die der vorzeitigen Vertragsauflösung – als Ausgangspunkt für die Fragestellung, welche Auswirkungen sich daraus für die weitere Berufslaufbahn der Betroffenen ergeben. Er gelangt am Ende seines Beitrags „Das Scheitern des beruflichen Bildungsprozesses aus der Perspektive der Betroffenen. Ergebnisse einer biographieanalytischen Studie über die vorzeitige Vertragslösung“zu der Einschätzung, dass eine vorzeitige Vertragslösung sehr viel mehr darstelle als allein „eine Störung der Berufslaufbahn. Durch den kulturinhärenten Stellenwert des Berufs für die Selbstdarstellung und das Identitätskonstrukt hat sie Einfluss auf die gesamte Biographie.“ Demzufolge markiere eine „vorzeitige Vertragslösung zwar einen unvollendeten und auch gescheiterten Bildungsprozess, doch eröffnet sie den betroffenen Personen ebenso einen (ungewollten) Erfahrungshorizont, der ungeahnte Handlungspotentiale und Identitätsentwicklungen bereitstellt.“ Die Grundlage der Rekonstruktionen und der Modellierung des Entwicklungsprozesses der Betroffenen bilden narrative Interviews, die der Autor mit 30 Personen geführt hat, die aus unterschiedlichen Gründen eine vorzeitige Vertragsauflösung erfahren haben. Auf dieser Basis entwickelt er ein Prozessmodell, über das der Entwicklungsprozess der Betroffenen in fünf Phasen gegliedert wird. Im Zuge der Konkretisierung der jeweiligen Phasen arbeitet SEBASTIAN KLAUS wesentliche Merkmale einzelner Phasen heraus und identifiziert anhand der qualitativen Daten „Schlüsselsituationen im Prozess der (beruflichen) Sozialisation, die die Qualifikation und Kompetenzentwicklung fördern bzw. hemmen“.

Teil D:  Bildungsbiographie zwischen Arbeit, Beruf, Weiterbildung und Studium

Im Teil D der Ausgabe 26 haben wir Beiträge zusammengefasst, die Jugendliche und Erwachsene in unterschiedlichen Qualifizierungskontexten und –phasen in den Blick nehmen.

ANNE SCHREIBER thematisiert in ihrem Forschungsbeitrag „Bildungsbiographische Gestaltungsprozesse von Studierenden mit beruflicher Qualifikation“ und rückt damit eine Gruppe von Studierenden in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung, die in letzter Zeit verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. In dem Beitrag werden Ergebnisse einer Untersuchung zum Übergangs- und Studienprozess beruflich Qualifizierter vorgestellt, die aus einer Fragebogenerhebung von insgesamt 154 Studierenden resultieren. Im Zentrum stehen Fragen nach Motiven für die Aufnahme eines Studiums sowie nach besonderen Schwierigkeiten beim Übergang vom Beruf ins Studium und in der Studieneingangsphase. Bezüglich der Motive zeige sich, dass „die Entscheidung, ein Studium aufzunehmen, hauptsächlich aus einem persönlichen Interesse der Individuen heraus resultiert, z. B. um die eigenen Ziele zu verwirklichen oder die Persönlichkeit weiter zu entwickeln.“ Zudem werde deutlich, dass Studierende mit beruflicher Qualifikation gegenüber anderen Studierenden „ein höheres persönliches Interesse an wissenschaftlicher/akademischer Weiterbildung sowie am Studienfach und einen größeren Wunsch nach der Verbindung von beruflicher Praxiserfahrung und Studium haben“. Unter hochschuldidaktischen Gesichtspunkten und mit Blick auf die Gestaltung von Beratungsangeboten interessieren vor allem die Schwierigkeiten, die beruflich Qualifizierte vor und während des Studiums zu bewältigen haben, die sich vor allem in der spezifischen Berufs- und Lebenssituation von traditionellen Studierenden unterscheiden würden. Demzufolge sollten Beratungssetting entwickelt werden, die die individuelle bildungsbiographische Situation beruflicher qualifizierter Studierender berücksichtigten.

Auch in dem Beitrag von CHRISTIAN DITTMANN, MAREN KREUTZ und RITA MEYER wird der Fokus auf die spezifische Klientel von beruflich erfahrenen Studierenden gelegt. Die AutorInnen diskutieren unter Bezugnahme auf Ulrich Beck „Gefilterte Fahrstuhleffekte?! Herausforderungen des berufsbegleitenden Studiums in der Perspektive berufserfahrener Lernender“. Den Ausgangspunkt des Diskussionsbeitrags bildet die These, dass die intendierte höhere Bildungsbeteiligung durch die Öffnung der Hochschule für beruflich Qualifizierte „deshalb nicht (eintritt), weil (...) der Umstieg vom System der Berufsbildung in das Hochschulsystem sich nicht an den Interessen, Motivationen und beruflichen Erfahrungen der Zielgruppen, also der potenziell Studierenden orientiert.“ Vor dem Hintergrund interessiert die AutorInnen, welche Bedingungen vorhanden sein müssten, damit tatsächlich eine erhöhte Bildungsgerechtigkeit erreicht werden kann. Auf der Grundlage einer umfassenden Literaturanalyse kommen DITTMANN, KREUTZ und MEYER zu dem Schluss, dass die Angebote des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte nur in sehr geringem Ausmaß angenommen werden. Als Begründung dafür werden u. a. strukturelle Rahmenbedingungen der Hochschulen angegeben, deren Bewältigung den Individuen überlassen wird, denn „strukturelle Maßnahmen zur Unterstützung und Begleitung derjenigen, die tatsächlich ein Studium nach einer längeren Phase der Berufstätigkeit aufnehmen, finden sich nur vereinzelt“. Und selbst wenn solche Angebote vorhanden seien, dominiere ein Denken, dass defizitorientiert von spezifischen Förder- und Unterstützungsbedarfen dieser Gruppe ausgehe und nicht daran ansetze, deren spezifische Interessen, Potenziale und Erfahrungen für die Gestaltung von Studienangeboten aufzugreifen.

MARTIN FISCHER, KERSTIN HUBER, EVA MANN und PETER RÖBEN geben in ihrem Beitrag einen Einblick in das Projekt „AiKo – Anerkennung informell erworbener Kompetenzen in der Metall- und Elektroindustrie“, in dem ein internetbasiertes Instrument entwickelt wird, mit dem informell erworbene Kompetenzen sichtbar und damit nachweisbar gemacht werden können. Die AutorInnen thematisieren „Informelles Lernen und dessen Anerkennung aus der Lernendenperspektive – Ergebnisse eines Projekts zur Anerkennung informell erworbener Kompetenzen in Baden-Württemberg“. Sie gehen der Frage nach, welche Bedeutung dieses für die Subjekte in ihrem Erwerbsleben hatte und welche Rolle der Sachverhalt der Nicht-Anerkennung informell erworbener Kompetenzen für sie spielt. Die Grundlage ihrer Berichte und Reflexionen bilden 32 Interviews mit Beschäftigten aus Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg sowie mit Arbeitssuchenden, die zu ihren Lernerfahrungen in unterschiedlichen Stationen ihres Arbeitslebens befragt wurden. Eine Spezifizierung der Fragestellung erfolgt nach einer kritischen Auseinandersetzung mit den Konstrukten des formalen, non-formalen und informellen Lernens: „Welche Lernabsichten, Lernformen, Lernergebnisse (entwickeln) Individuen unter formalisierten wie auch unter nicht-formalisierten Lernbedingungen?“ Nach der Darstellung ihrer Ergebnisse plädieren die AutorInnen dafür, dass eine Anerkennung informell erworbener Kompetenzen auf drei Ebenen stattfinden müsse: Erstens gehe es um deren Sichtbarmachung für das Individuum selbst, „damit Selbstreflexivität und Selbstbewusstsein bei den Betroffenen gefördert wird. In einem zweiten Schritt geht es um Sichtbarmachung für andere, (... und) in einem dritten Schritt geht es dann um rechtliche Anerkennung im engeren Sinne, mit deren Hilfe informell erworbene Kompetenzen z. B. für Berufsabschlüsse angerechnet werden können.“

In dem Forschungsbeitrag „Weiterbildungsbeteiligung und individuelle Nutzenerwartungen“ von MARCEL WALTER und NORMANN MÜLLER werden individuelle Nutzenerwartungen an berufliche Weiterbildung auf Basis der Rational Choice-Theorie untersucht. Zentral für diese Perspektive ist die Annahme, dass die Nutzenerwartungen der Subjekte im Entscheidungsprozess über künftige Weiterbildungsteilnahmen einen hohen Stellenwert einnehmen. Die Autoren präsentieren Ergebnisse einer Studie, in deren Rahmen 1.600 zufällig ausgewählte erwerbstätige Personen in Deutschland mittels computergestützter Telefoninterviews befragt wurden. Die Ergebnisse geben einen Einblick in Weiterbildungsbedürfnisse und -erwartungen aus Sicht potenziell Betroffener. Anhand dieser Perspektive arbeiten sie heraus, dass „individuelle Nutzenerwartungen im Entscheidungsprozess über zukünftige Weiterbildungsteilnahme einen hohen Stellenwert ein(nehmen), indem sie die Entscheidung für oder wider Weiterbildung wesentlich mitbestimmen.“ Die Autoren stellen dar, dass für die Weiterbildungsbereitschaft der befragten Subjekte erwartete Einkommenszuwächse weniger eine Rolle spielen als beispielsweise Kontakte, Anerkennung und Freude am Lernen.

Zum Schluss noch ein herzlicher Dank

Wir möchten uns sehr herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für die interessanten Beiträge für die Ausgabe 26 von bwp@ bedanken.

Ein besonderer Dank gilt auch diesmal unserem tollen Team der Redaktion und unserem Websupport, also Andrea ZOYKE, Franz GRAMLINGER und Sigrid GRAMLINGER-MOSER. Ohne ihre exzellente Arbeit hätten wir es nicht geschafft, Ausgabe 26 in dieser Form und in dieser Zeit online zu veröffentlichen. Darüber hinaus danken wir auch Stephanie WILDE für die Übersetzung der Abstracts ins Englische.

Tade Tramm, Martin Fischer und Nicole Naeve-Stoß

im Juli 2014

Zitieren des Beitrags

Tramm, T./Fischer, M./Naeve-Stoß, N. (2014): EDITORIAL zur Ausgabe 26: Berufliche Bildung aus der Perspektive des lernenden Subjekts. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 26, 1-8. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe26/editorial_26.pdf (12-07-2014).