bwp@ 33 - Dezember 2017

Entwicklungsbezogene (Praxis-)Forschung

Hrsg.: Tade Tramm, H.-Hugo Kremer & Gabi Reinmann

"Wer bin ich?" – Rollenambiguität und Selbstverständnis von Forscher/innen in einer gestaltungsorientierten Berufsbildungsforschung als Praxisforschung

Beitrag von Bettina Dimai, Regine Mathies & Heike Welte
bwp@-Format: Forschungsbeiträge
Schlüsselwörter: Praxisforschung, Rollenambiguität, Nähe-Distanz, Macht-Verantwortlichkeit, Reflexion, Reflexionsinstrumente

Forschung im Kontext der Berufsbildungspraxis bedeutet für berufs- und wirtschaftspädagogische Forscher/innen mit differierenden Anforderungen unterschiedlicher Systeme konfrontiert zu sein. Unabhängig von konkreten methodologischen Ausrichtungen ergibt sich daraus für die Betroffenen eine Rollenvielfalt, die mit unterschiedlichen Selbstverständnissen, Spannungsfeldern und Ambiguitäten im Spektrum der Forschungsrollen von Vermittler/in wissenschaftlicher Tatsachen, Evaluator/in, Berater/in, Advokat/in für eine bestimmte, priorisierte Position (vgl. z. B. Moser 2008, 60) verbunden sind. Ziel dieses Beitrages ist es, anhand einer kritisch-reflexiven Analyse mögliche 'Gütekriterien' und darauf aufbauend 'Instrumente' für die Gestaltung dieser Ambiguität aufzuzeigen und zu diskutieren. Dafür werden im ersten Teil anhand von zwei konkreten Forschungsprojekten mögliche Spannungsfelder für beteiligte Forscher/innen aufgezeigt und diskutiert. Ein Beispiel beschäftigt sich mit einer selbstkritischen, rollenreflektierenden Innenansicht der beteiligten Wissenschaftlerin bei der Erforschung von ausbildungsbezogenen Betriebspraktika, bei dem Wissenschaftler/innen und Schüler/innen kollaborativ forschten. Das andere Beispiel bezieht sich auf eine wissenschaftliche Begleitstudie zur Einführung neuer Berufsschullehrer/innenausbildungen, die sowohl Wissenschafts- als auch Ausbildungsverantwortliche als Forscher/innen involviert, und stellt die Perspektive der Praktikerin in den Mittelpunkt. Abschließend wird systematisch begleitende Reflexion als zentrales Qualitätsmerkmal erläutert, um dann auf zwei iterative Instrumente – interne Logbooks und diskursive Feedbackinstanzen – einzugehen, die die Emergenz und das kontroverse Involviert-Sein der Forschenden sichtbar machen können.

"Who am I?" – Role Ambiguity and Self-Concept of Researchers in Design-Oriented Vocational Training Research as a Practical Research

English Abstract

Research within the context of vocational training practice means that researchers in vocational and economic education are confronted with varying requirements of different systems. Irrespective of specific methodological orientations, this results in a variety of roles for the persons concerned that is linked to varying self-concepts, fields of tension and ambiguities within the spectrum of research roles of a conveyor of scientific facts, evaluator, adviser or advocate of a specific prioritised position (see, for example, Moser 2008, 60). Employing a critical and reflective analysis, this paper aims to identify and discuss potential "quality criteria" and, based upon that, "instruments" to shape this ambiguity. For this purpose, potential fields of tension for researchers involved are outlined and discussed in the first part, based on two specific research projects. One example addresses the self-critical, role-conscious internal perspective of an academic concerned with research of training-related industrial placements during which academics and students collaborated in their research. The other example refers to an academic accompanying study for the introduction of new training for vocational school teachers which involves academics and trainers as researchers and focuses on the perspective of practitioners. In conclusion, accompanying systematic reflection as the central quality feature will be discussed, in order to focus on two iterative instruments – internal logbooks and discursive feedback instances – that render the emergence and the controversial involvement of researchers visible.

1 Problemstellung

Für Berufsbildungsforschung als Feld von Innovationen und Interesse an sozial verantwortlicher Entwicklung ist die Involvierung des praktischen Kontextes von zentraler Bedeutung. Berufsbildungsforschung stellt sich sowohl der Entwicklung von wissenschaftlichem Wissen als auch der Relevanz und Anwendbarkeit der Forschungsbemühungen in der Praxis. Forschung im Kontext der Berufsbildungspraxis bedeutet für berufs- und wirtschaftspädagogische Forscher/innen mit differierenden Anforderungen unterschiedlicher Systeme –Wissenschaftssystem und praktisches Anwendungsfeld – konfrontiert zu sein.

In der Literatur finden sich unterschiedlichste Forschungsansätze und -zugänge (vgl. z. B. Rauner 2006; Unger 2014, 13ff.; Kemmis/McTaggart 2005, 559ff.). Praxisforschung als eine in den Sozialwissenschaften, besonders der Erziehungswissenschaft, sehr bedeutsame Form der Handlungsforschung stellt einen Ansatz zur möglichen Kooperation zwischen professionell praktizierenden und wissenschaftlich forschenden Personen dar (vgl. Prengel/Friebertshäuser/Langer 2010, 34; Unger 2014, 22; Graff 2003, 732). Durch das aktive Einbeziehen von unterschiedlichen Akteur/innen, Forschungsmethoden, Forschungssettings wird die Perspektivität und Standortgebundenheit von Forschung und Erkenntnis berücksichtigt und vielfältiger (vgl. Prengel/Friebertshäuser/Langer 2010, 27ff.; Bergold/Thomas 2012, 39ff.; Breuer 2003).

Durch diese Verknüpfung ergeben sich unterschiedlichste Herausforderungen, auf die in der Gestaltung des Forschungsprozesses eingegangen werden sollte. Da die Person des Forschers/der Forscherin eines der entscheidenden "Forschungsinstrumente" (Graff 2003, 735) in diesem Verständnis ist, steht sie im Mittelpunkt dieses Beitrags. Forschende sind nicht nur mit unterschiedlichen Kontextanforderungen, sondern im Forschungsprozess mit verschiedenen Dilemmata konfrontiert, die sich aus der Involvierung der eigenen Person sowie dem Forschungsteam ergeben.

Zielsetzung dieses Beitrags ist es, anhand von zwei selbstreflexiv dargestellten Beispielen ausgewählte Spannungsfelder für Praxisforscher/innen aufzuzeigen, um daraus Reflexionsinstrumente zur Qualitätssicherung von Forschung abzuleiten. Dafür wird im ersten Teil kurz dargestellt, was wir unter Praxisforschung als möglichen Forschungsansatz in der Berufsbildung verstehen. Im Mittelpunkt stehen dann die Darstellung der zwei Projektbeispiele und ihre inhaltsanalytische Interpretation anhand der Dimensionen Nähe-Distanz sowie Macht-Verantwortlichkeit. Im letzten Teil plädieren wir für einen begleitenden Reflexionsansatz, um diese Spannungsfelder bearbeitbar sowie aktiv gestaltbar zu machen.

2 Gestaltungsorientierte Berufsbildungsforschung als Praxisforschung

2.1 Was ist Praxisforschung?

Praxisforschung ist "… the study of practice in organizational settings as a source of new understanding and improved practice" (Kemmis/McTaggart 2005, 561). Sie stellt die Kooperation von professionell tätigen Praktiker/innen und Wissenschaftler/innen in den Mittelpunkt (vgl. Unger 2014, 22f.) und ist durch ein hohes Maß an Kontextualität und Flexibilität gekennzeichnet (vgl. Bergold/Thomas 2012, 2). Zentrale Merkmale solcher Ansätze sind (vgl. Unger 2014, 22ff.; Reason 2006, 188ff., Altrichter/Lobenwein/Welte 2003, 646ff.):

  • Praktiker/innen formulieren ein Anliegen, das sie als bedeutsam für ihre Berufstätigkeit empfinden, die interessierende Fragestellung kommt aus dem praktischen Kontext. Die Generierung von Wissen und die Anwendbarkeit dieses Wissens in der untersuchten Praxis sind dann zwei voneinander nicht getrennte Prozesse (vgl. Borg et al. 2012, 1f.). Die gemeinsame Zielsetzung ist die Veränderung der sozialen Realität basierend auf dem tiefen, fundierten Einblick in die Alltagspraktiken und damit die Verbindung von theoretischem und praktischem Wissen (vgl. Bergold/Thomas 2012, 6; Denis/Lehoux 2011, 364).
  • Die Kooperation von Wissenschaft und Praxis wird in der Forschungszusammenarbeit zwischen den Akteur/innen deutlich (vgl. z. B. Marvasti 2014, 356). Praktiker/innen sind nicht nur beforschte 'Objekte', sondern beteiligen sich als Ko-Forscher/innen aktiv an der Forschung (vgl. z. B. Bergold/Thomas 2012, 8). Die Beziehung zwischen Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen ist durch eine offene, gleichberechtigte Zusammenarbeit gekennzeichnet.
  • Die 'Erzeugung von (fundiertem) Wissen' ist für Praxisforschung nicht nebensächlich, sondern wesentlicher Teil für Praxisentwicklung. Um Wissen zu generieren, wird durch die Involvierung von Praktiker/innen eine breitere und offenere Perspektive auf Alltagspraktiken angestrebt. Praktiker/innen verfügen über das notwendige Wissen der Binnenrealität ihres Feldes und können dadurch spezifische Expertisen/Erfahrungen einbringen, Perspektiven einnehmen, Probleme identifizieren, die von außen so nicht oder nur marginal wahrgenommen werden (vgl. Graff 2003, 732). Darüber wird ein Beitrag zur Wissenskonstruktion und zur Konstruktion sozialer Realität geleistet. Reflexive Subjektivität statt neutrale Objektivität bilden ein wesentliches Merkmal für die Wissensentwicklung (vgl. Bergold/Thomas 2012, 39).

2.2 Stärken und Schwächen von Praxisforschung

Eines der größten Potenziale von Praxisforschung (vgl. Unger 2014, 94f.; Borg et al. 2012, 26f.; McCartan/Schubotz/Murphy 2012, 5) besteht im leichteren Zugang zu Lebens- und Erfahrungswelten, die ansonsten vielleicht nur schwierig erreicht werden können. In Verbindung mit Forschungsaktivitäten ist durch ein aus 'erster Hand' kommendes Kontextverständnis eine vertiefte, differenzierte Wissensentwicklung zu komplexen, sozialen Phänomenen möglich.

Eine zweite Stärke liegt in praktisch relevanter, innovativer Wissens- und Entwicklungsarbeit. "Die Forschung hat über die Grenzen des Wissenschaftssystem hinaus Relevanz, indem sie eine sozial-gesellschaftliche Praxiswirkung entfaltet" (Unger 2014, 94). Da die Wahrnehmungs- und Handlungskategorien der Betroffenen ernst genommen bzw. berücksichtigt werden, ist Forschung für die im Praxisfeld Betroffenen anschlussfähig. Sie haben i.d.R. eine hohe Bereitschaft und Motivation die Forschungsergebnisse – unmittelbar – umzusetzen.

Eine weitere Stärke besteht im Anstoßen von persönlichen und kognitiven Entwicklungsprozessen (vgl. Bergold/Thomas 2012, 43ff.).

Generelle Herausforderungen dieses Forschungsansatzes liegen in einer Wissensgenerierung, die über den Einzelfall hinausgeht (vgl. u. a. Breuer 2003; Flyvbjerg 2011), einer gleichberechtigten Gestaltung der Zusammenarbeit und im Einsatz eines adäquaten, dem Praxisfeld und seiner Betroffenen entsprechenden Forschungsdesigns (vgl. u. a. Unger 2014, 95; Altrichter/Lobenwein/Welte 2003, 652f.). Neben den auch für Praxisforschung geltenden 'üblichen' Qualitätskriterien im Design und in der Durchführung des Forschungsvorhabens, wie wissenschaftlich korrekte Anwendung von Methoden der Datenerhebung, -analyse oder -interpretation, ergeben sich durch die Involvierung der Praxisvertreter/innen besondere Risiken (vgl. u. a. Bergold/Thomas 2012, 77ff.; Altrichter/Lobenwein/Welte 2003, 649ff.):

Es besteht die Gefahr, dass involvierte Praktiker/innen aufgrund ihrer persönlichen Betroffenheit nicht die notwendige Distanz aufbringen können. Der Vorwurf lautet dann, dass Forschungsanliegen 'nur' zur Bestätigung eigener Annahmen und Interessen dienen könnten und weniger zum Hinterfragen von Vorgefundenem. Weiters kann der enge Kontakt der Forschenden zur Identifikation mit spezifischen, im Feld 'üblichen' Deutungsmustern oder zur Loyalität mit bestimmten Gruppen führen. Dies kann auch bei anderen Forschungsrichtungen auftreten (vgl. Prengel/Friebertshäuser/Langer 2010, 28; Flyvbjerg 2011, 309f.), gerade bei Praxisforschung ist das Schaffen von subjektiver Distanz aber besonders wichtig.

Die beteiligten Forscher/innen erleben in ihren jeweiligen Bezugssystemen unterschiedliche Anforderungen und Sachzwänge (vgl. Unger 2014, 96f.). Praktiker/innen haben einen professionellen Auftrag zu erfüllen, Wissenschaftler/innen erhoffen sich Publikationen, für die sie wissenschaftliche Anerkennung erhalten. Eine konstruktive Kommunikations- und Konfliktkultur ist damit wesentliches Qualitätsmerkmal, um das Thematisieren und die Auseinandersetzung mit diesen unterschiedlichen Anforderungen zu ermöglichen.

Praktiker/innen verfügen meist über weniger Forschungskompetenzen und -erfahrungen sowie weniger (Zeit-)Ressourcen für kritisches Hinterfragen und stehen evt. unter Handlungsdruck. Das kann Auswirkungen auf die Validität von Ergebnissen haben. Dem kann durch die Ergänzung der fehlenden Kompetenzen und ein entsprechendes Forschungsdesign entgegengewirkt werden. Die Validität von Ergebnissen kann wie bei traditionell-empirischer Forschung durch einen 'zweiten Forschungsprozess' gefördert werden (z. B. Triangulation, Feedback professioneller Communities), um mögliche Inkonsistenzen zu entdecken und zu bearbeiten (vgl. Cho/Trent 2006).

2.3 Die Forschenden

Die Zusammenarbeit von Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen kann sehr unterschiedlich gestaltet werden. Der forschende Anteil der Praktiker/innen reicht von peripherer Mitgliedschaft über aktive Mitarbeit bis hin zur vollständigen Partizipation (vgl. Marvasti 2014, 356; Unger 2014, 23+35ff.; Denis/Lehoux 2011, 366f.): Praktiker/innen sind dann bspw. 'nur' als Resonanzgruppe (etwa bei der Interpretation der Ergebnisse) und Wissenschaftler/innen als Hauptforscher/innen vorgesehen, oder sie bilden eine gemeinsame und gleichberechtigte kooperative Zusammenarbeit, oder Praktiker/innen sind die im Forschungsprozess bestimmenden und hauptsächlich agierenden Personen, die von Wissenschaftler/innen unterstützt und beraten werden.

Idealerweise ist die Beziehung zwischen den Forschenden durch Neugierde und Interesse an unterschiedlichen, gleich bedeutsamen Perspektiven, die Bereitschaft, voneinander zu lernen und neue, ungewohnte Aufgaben zu übernehmen, gekennzeichnet (vgl. Bergold/Thomas 2012, 12ff.; Borg et al. 2012, 15f.; Denis/Lehoux 2011, 365). Eine besondere Herausforderung liegt im Aufbau einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, die durch einen 'sicheren Raum' charakterisiert ist, in dem sich die Beteiligten ohne unmittelbare Konsequenzen austauschen und ihre spezifischen Kompetenzen einbringen können. Notwendig ist eine Kommunikations- und Konfliktkultur, die es ermöglicht, Kompetenzdefizite anzusprechen, unterschiedliche Erwartungen der verschiedenen Kontexte zu thematisieren und wechselnde Anforderungen im Forschungsprozess zu bearbeiten (vgl. McCartan/Schubotz/Murphy 2012, 26ff.; Reason 2006, 193).

Die beteiligten Forscher/innen übernehmen unterschiedliche Rollen – bewusst oder unbewusst (vgl. Moser 2008, 59f.). Das kann die von Lehrenden sein, die zentrale Informationen über Forschungsmethoden vermitteln, Advokat/innen, die für bestimmte priorisierte Positionen oder Gruppen im Feld eintreten, Berater/innen, die bei der Dateninterpretation unterstützen, Evaluator/innen, die Ergebnisse bewerten, Agent/innen, die Empfehlungen und Handlungskonsequenzen vermitteln u.v.m. Diese Rollen können zwischen Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen wechseln und hängen neben dem konkreten Forschungsdesign von den einzelnen Persönlichkeiten, dem Team und den organisationskulturellen Settings ab.

3 Selbstreflexion zweier Berufsbildungsforschungsprojekte

Die folgenden zwei Forschungsprojekte sind durch gemeinsames Forschen von Praktiker/innen und Wissenschaftler/innen gekennzeichnet. Während das erste Beispiel – eine wissenschaftliche Begleit- und Evaluationsstudie zur Einführung neuer Berufsschullehrer/innenausbildungen an einer Pädagogischen Hochschule (PH) – aus Sicht der ausbildungsverantwortlichen Praktikerin als aktiv Forschende und Teil des Forschungsteams beschrieben wird, stehen im zweiten, bereits abgeschlossenen Projekt – eine Erforschung ausbildungsbezogener Betriebspraktika durch Schüler/innen – die Erfahrungen der Wissenschaftlerin im Mittelpunkt, die aktiv forschend das Projekt mitgeleitet hat und ein starkes Interesse an der gestaltungsorientierten Umsetzung der Ergebnisse in den betroffenen Schulen hatte.

Die Darstellung der folgenden zwei Forschungsprojekte beruht auf einer rückblickenden Selbstreflexion mit Schwerpunkt auf ausgewählte, in unterschiedlicher Art und Intensität erlebten Spannungsfeldern der Praktikerin bzw. der Wissenschaftlerin in ihrer Rolle als Forschende.

3.1 Eine begleitende Evaluation der Einführung neuer Berufsschullehrer/innenausbildungen

Kontextualität

Im Rahmen der Implementierung neuer Studienprogramme für die Berufsbildung an PHen (vgl. Mathies/Welte 2015) wurde eine begleitende formative Evaluationsstudie initiiert, die die Perspektiven der an der Ausbildung beteiligten Akteur/innen (Lehrende, Studiengangsleitungen, Studierende, betriebliche und schulische Ausbildungsverantwortliche) in den Fokus stellt, um ihre Erfahrungen im Zuge der laufenden Umsetzung der Programme systematisch berücksichtigen zu können und bei der Weiterentwicklung der Curricula zu beachten. Die für die Ausbildung zuständigen Studiengangsleitungen sind aktiv in die Evaluationsstudie einbezogen. Das Leitungsteam des Projektes bilden eine Wissenschaftlerin und eine professionelle Praktikerin, basierend auf einer bereits bestehenden Forschungskooperation zwischen den Bereichen Wirtschaftspädagogik (Universität) und Berufspädagogik (PH) (vgl. innvet.tsn.at).

Die eigene Betroffenheit

Die Projektleitung an der PH obliegt mir als Leiterin des Instituts für Berufspädagogik. In dieser Funktion bin ich verantwortlich für alle berufspädagogischen Ausbildungsangebote und komme daher nicht nur aus dem Forschungsfeld, sondern habe dieses auch wesentlich beeinflusst. Mein Erkenntnisinteresse als Forscherin in diesem Projekt fokussiert auf Phänomene, an deren Gestaltung ich intensiv beteiligt war und bin. Diese Forschungsposition führt unweigerlich zu Rollenüberschneidungen, ist mit Emotionen verbunden und macht die Notwendigkeit (selbst-)reflexiver Methoden deutlich. "Mit unreflektierter Identifikation wird man wenig Neues über das Forschungsfeld erfahren. Methoden der Selbstreflexion thematisieren Identifikation, d.h. sie schaffen Distanz zur eigenen Betroffenheit im Forschungsprozeß" (Graff 2003, 736).

Im Folgenden werden beispielhaft solche selbstreflexiven Momente skizziert, die die Rollenambiguität als Forscherin, professionelle Praktikerin und Institutsleiterin deutlich machen sollen.

Das Forschungsanliegen

Das Forschungsanliegen entwickelte sich aus der Erstellung der Curricula und den dabei vorherrschenden Rahmenbedingungen eines enormen Zeitdrucks und unzureichender quantitativer und qualitativer Personalressourcen. Im Bewusstsein dieser 'Unzulänglichkeiten' erwuchs der Wunsch nach einer begleitenden Evaluierung der Studienimplementierung, die interne und externe Perspektiven berücksichtigt, um die Sichtweise der Betroffenen zu erfahren und Feedback zur 'eigenen' Fachlichkeit als Entwicklerin von Curricula zu erhalten.

Das Vorhaben wird vom gesamten betroffenen Team (Studiengangsleitungen, Lehrende) und dem Rektorat der PH sehr geschätzt und unterstützt, was ein hohes Maß an Vertrauen und Akzeptanz in mich als Forscherin attestiert und den Rechtfertigungsdruck auf mich als Institutsleiterin minimiert. Gleichzeitig ist allen die Notwendigkeit einer externen wissenschaftlichen Expertise bewusst.

Als Insiderin kenne ich die realen Bedingungen, kann daher einen umfassenden Feldzugang sicherstellen und fördernde bzw. limitierende Bedingungen für die Durchführung antizipieren. Ein reflexiver Blick verdeutlicht aber, dass ich mich bereits zu Beginn zur Ergebnisoffenheit 'ermahnen' muss. Mich überrascht die hohe Motivation und positive Einstellung der Studiengangsleitungen für das Projekt, obwohl damit Zusatzaufwand (zum 'Alltagsgeschäft') verbunden ist. Das macht mir meine prägenden Erfahrungen und Emotionen aus den Jahren der Curriculumsentwicklung als Führungskraft bewusst: Ich hatte nicht die 'Macht', dringend erforderliche Zeit- und Personalressourcen zur Verfügung zu stellen, war aber gleichzeitig für ein zeitgerechtes und qualitätsvolles Arbeitsergebnis verantwortlich. In meiner Verantwortung als Institutsleiterin gilt daher für dieses Evaluierungsprojekt besonders, dass sich die Ziele mit den Arbeitsbedingungen der Betroffenen zeit-ökonomisch gut vereinbaren lassen.

Die erste Phase des Projekts

Der erste Workshop zur kooperativen Entwicklung relevanter Evaluationsbereiche wird von der wissenschaftlichen Expertin geleitet. Es gelingt mir zwar gut, mich hier nicht als Forscherin, sondern als Vertreterin der PH und Mitglied dieser Gruppe einzufinden. Trotzdem fällt es mir schwer, mich ausschließlich auf die Erhebung relevanter Bereiche einzulassen und nicht bereits '(aus)zuwerten'. Ich habe Bedenken auf verschiedensten Ebenen: inhaltlich, ob die diskutierten Bereiche aussagekräftige Antworten ermöglichen; personell, ob die relevanten Personen bereit sein werden, sich auf die Fragen einzulassen; organisatorisch, ob tatsächlich alle relevanten Stakeholder Berücksichtigung finden. Das blockiert mich und macht mich unkonzentriert. Die Diskussion darüber im Forschungsteam hilft mir zu vergegenwärtigen, dass diese Fragen zwar wichtig sind, aber erst im Laufe des Forschungsprozesses 'beantwortet' werden können.

Darüber hinaus werde ich auch von meiner Verantwortung als Institutsleiterin und Entwicklerin der Curricula beeinflusst: Ich wünsche mir, dass unsere Arbeit, die uns viel abverlangt hat, auch mit entsprechenden Ergebnissen honoriert wird. Mir wird bewusst, dass meine 'Ungewissheits-Toleranz' sehr gering ist und meine Ergebnisoffenheit beeinflusst.

Der erste Gang ins Feld

Nach der inhaltlichen Festlegung von Forschungsfragen werden Studierende der Wirtschaftspädagogik, die durch diese Involvierung ihre Forschungskompetenzen entwickeln sollen, mit der ersten Datenerhebung, -analyse und -interpretation beauftragt. Als Projektleiterin kommt mir dabei die Aufgabe zu, Lehrende für Interviews vorzuschlagen.

Bei Durchsicht der in Frage kommenden Personen spüre ich inneren Widerstand gegenüber einer Selektion, weil ich in meiner Funktion zu jedem/jeder Einzelnen aufgrund langjähriger Erfahrungen ein Bild im Kopf habe, das mich beeinflusst. Es führt dazu, dass ich bestimmte Personen nicht in Betracht ziehe, weil ich weiß, dass sie den neuen Studienprogrammen von Beginn an skeptisch gegenüberstanden. Es ist für mich erleichternd, diese 'Selektionsaufgabe' an die wissenschaftlichen Expert/innen abzugeben. Allerdings lässt sich das nur bedingt realisieren. Das Wissen über die Verfügbarkeiten der Personen und der Wunsch, eine gewisse Breite zu repräsentieren, macht ein Mitwirken der Praxisverantwortlichen erforderlich. Das übernehmen die Studiengangsleitungen für mich.

Bei der Präsentation der Ergebnisse dieser ersten Erhebung vor dem erweiterten Projektteam sowie Betroffenen der PH zeigen bereits die ersten Diskussionsbeiträge der PH-Vertreter/innen, wie schwierig es ist, präsentierte Daten und Interpretationen wertfrei zur Kenntnis zu nehmen. Das Vermeiden einer 'Verteidigungs- und Erklärungsposition', also nicht gleich zu bewerten, zu interpretieren und Begründungen vorwegzunehmen, die wenig angenehme Ergebnisse auf die Unkenntnis des Praxisfeldes durch die 'Wissenschaftler/innen' (Studierenden) zurückführen, ist nicht ganz leicht. Ein Reflexionsgespräch mit der wissenschaftlichen Projektleiterin macht uns das bewusst.

Inwiefern ich als forschende Projektleiterin und gleichzeitig Institutsleiterin auf die sozio-demografischen Daten der Interviews Zugriff nehmen 'darf', wird im Team noch diskutiert werden müssen. Den Lehrenden wurde Anonymität zugesichert. Für mich wäre aber eine Identifizierung sehr leicht möglich. Ich muss mich also damit auseinandersetzen, ob dieses 'Wissen' (unbewusst) Einfluss auf die zukünftige Zusammenarbeit mit diesen Lehrenden haben könnte, aber auch unsere Ergebnisinterpretation – konstruktiv oder manipulativ – beeinflussen könnte.

3.2 Eine Erforschung erfahrungsergänzender Betriebspraktika - PEARL

Kontextualität

Das Projekt PEARL– Praktikant/innen erforschen ihr Arbeiten und Lernen – weist als Besonderheit des Fördergebers Sparkling Science der Praxispartnerin Schule eine aktive Forschungsrolle zu: 59 Schüler/innen zweier berufsbildenden höheren Schulen in Österreich untersuchen autoethnographisch ihr Pflichtpraktikum und dokumentieren mit unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Methoden Lernmomente im Praktikum. Projektziel ist es, Facetten des Lernraums Praktikum zu erschließen und daraus didaktische Empfehlungen abzuleiten. Ein vierköpfiges wirtschaftspädagogisches Forschungsteam (Universität), das den Projektantrag initiierte, ist Ansprechpartner für die beteiligten Lehrkräfte, unterstützt die Schüler/innen in der Erforschung ihrer Praktika und erarbeitet basierend auf dem Datenmaterial eine konnektivitätsorientierte Praktikumsdidaktik (vgl. www.uibk.ac.at/projects/pearl/).

Die eigene Betroffenheit

Sparkling Science folgt einer unkonventionellen Grundidee der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung, indem Wissenschaftler/innen Seite an Seite mit Jugendlichen an aktuellen Forschungsfragen arbeiten. Dieser einer partizipativen Aktionsforschung nahe Ansatz (vgl. Moser 2008, 37) fasziniert mich. Das Oszillieren zwischen Nähe und Distanz zum Feld und Thema ist für mich eine selbstreflexive Herausforderung, der ich mich im Forschungsprozess immer wieder stelle. Auch ist dieser Ansatz passend zu meiner methodologisch poststrukturalistischen Brille, gefärbt durch die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) (Latour 2007). ANT verwendet das Wort Konstruktion im metaphorischen Sinn einer Baustelle, deren Werden im Mittelpunkt steht, indem man nicht das Endprodukt betrachtet, sondern einen Blick hinter die Kulissen wirft und die Emergenz eines Phänomens verfolgt. "Nichts ist innen, was nicht von außen gekommen ist. ... Natürlich hängt die Bedeutung dieses kniffeligen Satzes vollkommen davon ab, was man unter dem kleinen, unschuldigen Wort >außen< versteht" (Latour 2007, 268).

Folgende beispielhaften Momente im Forschungsprozess lassen sich für mich in einer selbstreflexiven Distanz als oft unhinterfragte Grenzziehungen identifizieren und sollen meine Rollenambiguität als wissenschaftsnahe Praxisforscherin deutlich machen.

Das Forschungsanliegen und die erste Phase des Projekts

Die Schüler/innen führen in Kooperation mit uns Wissenschaftler/innen das Forschungsprojekt durch und werden so zu Subjekten ihres Lern- und Forschungsprozesses. Obwohl der partizipative, kollaborative Ansatz in der Planung der einzelnen Forschungsphasen unsere Entscheidungen und unser Handeln als wissenschaftliches Projektteam leitete, empfand ich in unterschiedlichen Phasen die heimliche Dominanz der Institution Universität und der beteiligten Wissenschaftler/innen.

Am Beginn des Forschungsprozesses war für mich als Teil des universitären Forschungsteams eine unterschiedliche Nähe der beteiligten Akteure/Akteurinnen zum Forschungsthema spürbar. Die Idee zum Forschungsantrag entstand durch unsere theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Thema Praktika und arbeitsplatznahes Lernen. Die involvierten Kooperationsschulen wurden aufgrund ihrer langen Tradition mit curricular verankerten Pflichtpraktika von uns angefragt und ausgewählt. Die Schulleitung bekundete zwar das Interesse an einer aktiven Zusammenarbeit, ich war mir jedoch nicht sicher, ob dieses Interesse auch bei den betroffenen Lehrpersonen und Schüler/innen bestand. Die  Schulen hatten selbst keinen expliziten Forschungsfokus auf die Bearbeitung des Themas. Es war für mich nicht einfach, bei den Projektpartner/innen – Lehrer/innen und Schüler/innen – das Commitment zum Thema zu wecken und den Funken der Forschungsneugierde zu entfachen. Ich hatte manchmal das Gefühl, als Überzeugerin, Motivatorin, Verkäuferin oder Belehrende für die Projektidee und den Projektablauf tätig werden zu müssen. Deshalb haben wir in den Workshops mit den Schüler/innen und Lehrkräften diskursive Elemente und interaktive Übungen eingebaut, um ihre Realitäten und Wahrnehmungen zum Thema zu erfassen.

Vor der Datenerhebung durch die Schüler/innen diskutierten wir ausführlich, wie viel Struktur, Leitung und Interventionen sie als Juniorforscher/innen brauchen. Aufgrund unserer wissenschaftlichen Expertise hatten wir eine klare Vorstellung über die Datenerhebung, -analyse und -interpretation. Zuerst wollten wir die Schüler/innen mit einem stark strukturierenden Erkundungsauftrag ins Feld schicken, entschieden uns aber dann im Sinne von Sparkling Science für einen offeneren, autoethnographischen Zugang. Dies bedeutete für uns, Vertrauen in die Forschungsfähigkeiten und -interessen der Schüler/innen zu setzen, ihnen eine größtmögliche Freiheit in ihrem Feldzugang zu ermöglichen, indem sie im Sinne einer wissenschaftspropädeutischen Ausbildung (vgl. Messner 2014, 63; Huber 2009, 54) bzw. des Ansatzes eines forschenden Lernens (vgl. Aepkers 2002, 73f.) eigenverantwortlich Methoden, Instrumente und Schwerpunkte ihrer Praxisforschung auswählen konnten. Dieses Loslassen der inhaltlichen und strukturellen Leitung fiel mir nicht leicht, immer wieder hörte ich meine innere, strenge Forschungsstimme: "Machen die Schüler/innen korrekte Feldnotizen? Machen sie regelmäßig Aufzeichnungen in ihrem Logbook? Eigentlich müsste ich dabei sein, damit es gut wird …". Meine Zweifel und Unsicherheiten verschwanden als ich das vielfältige und vielschichtige Datenmaterial der Schüler/innen sah – es war eine  Bestätigung für die Forschungsfreiheit der Praktiker/innen.

Die Feldforschung und gemeinsame Auswertung der Daten

Je intensiver wir uns als Wissenschaftler/innen mit Konzepten zu Praktika beschäftigten, desto schwieriger war es, die theoretische Sensibilität, Offenheit und Flexibilität in der Annäherung an den Forschungsgegenstand zu behalten (vgl. Strauss/Corbin 1996, 25ff.). Öfters meldete sich meine voreingenommene Stimme: "Sehen und erfassen sie in der autoethnographischen Feldforschung alle relevanten Merkmale?" Auch hier zeigte sich dann für mich recht schnell, dass die theoretische Distanz der Schüler/innen wichtig und gut war. Sie dokumentierten im positiven Sinne naiv für sie wahrnehmbare Lernsituationen ohne konkrete Modelle oder Erklärungsmuster im Hinterkopf zu haben. Die Praktikant/innen erfüllten damit das Kriterium Unvoreingenommenheit besser als ich.

Zusätzlich zur Datenerhebung der Schüler/innen führten wir nach dem Praktikum qualitative Einzelinterviews mit ihnen, um ihre gesammelten Daten kommunikativ zu validieren und das Datenmaterial abzusichern. Die Idee der Interviews basierte auch auf unseren kritischen Überlegungen: "Was wenn die erhobenen Daten nichts hergeben? Wir waren ja nicht dabei, kann das genug sein?". Implizit steckte in diesem Vorgehen auch unsere Be-Wertung der Juniorforscher/innen als nicht ganz vollwertige, nicht so wissenschaftlich und methodisch umfassend ausgebildete Forscher/innen. Im Nachhinein zeigte sich aber auch hier für mich sehr deutlich, dass meine Zweifel unbegründet waren. Die Kombination von autoethnographischer Feldforschung und qualitativen Interviews war sinnvoll. Die Schüler/innen berichteten, dass sie durch das Interview nochmals eine Wertschätzung von uns für ihre Forschungsaktivitäten erhielten. Und wir Wissenschaftler/innen generierten durch die Interviews weitere Daten.

Die Datenanalyse erfolgte zentral durch uns: Aufgrund der großen Datenmenge entschieden wir uns, die Auswertung selbst durchzuführen. Für mich stellte sich allerdings auch die Frage, ob die 'Menge' für uns nicht nur ein Vorwand war, um andere Gründe zu verschleiern. Für eine wissenschaftliche Analyse braucht es wissenschaftlichen Weitblick, objektives, methodisch korrektes Agieren und Distanziertheit, um die Daten auszuwerten. Verfügen die Schüler/innen darüber? Wir diskutierten intensiv darüber, ob die Schüler/innen überhaupt noch Zeit und Interesse für diesen langwierigen und schwierigen Prozess der qualitativen Datenanalyse haben könnten und entschieden, den Schüler/innen erste Auswertungen zurückzuspiegeln und ihre Zustimmung oder Ablehnung einzuholen. Aber nicht mehr.

4 Ausgewählte Spannungsfelder der Praxisforscherinnen

Die inhaltsanalytische Auswertung dieser Erfahrungsberichte basiert auf zwei zentralen Kategoriedimensionen: Nähe-Distanz und Macht-Verantwortlichkeit, die im Folgenden auch als Interpretationskategorien zur Diskussion der Spannungsfelder für Praxisforscher/innen dienen.

4.1 Nähe und Distanz

Die Konflikthaftigkeit der Involvierung der Forschenden kommt in ihren unterschiedlichen Positionen im Praxisfeld zum Ausdruck: Nähe und Distanz. Ist der/die Forscher/in selbst im Untersuchungsfeld beruflich tätig und verfügt über ein hohes Gestaltungs- bzw. Einflusspotenzial, drückt das Nähe oder eine 'Insider-Position' aus. Dies wird im Evaluationsprojekt deutlich. Kommt jemand von außen und hat keinen (unmittelbaren) Bezug zum Feld, handelt es sich um eine Distanz- oder 'Outsider-Position'. Diese Position ist durch eine stärkere Verankerung im Wissenschaftssystem gekennzeichnet und zeichnet sich über mehr Gestaltungs- und Einflusspotenzial auf die wissenschaftlichen Aspekte des Forschungsvorhabens aus (vgl. Bishop 2005, 111f.; Graff 2003, 733). Dies zeigt sich bei PEARL.

Das Forschungsanliegen

Vertrauen und Akzeptanz des Forschungsteams, der Beforschten und Vorgesetzten in einen Projekterfolg basieren wesentlich darauf, dass Forscher/innen als Insider/innen die realen Bedingungen kennen und durch Kontextwissen bzw. Erfahrungen gleicher sozio-kultureller Bedingungen sensibler und verantwortungsvoller gegenüber den Betroffenen auftreten können. So können Praxisforscher/innen die 'richtigen' Fragen stellen und Nicht-Verbales besser erkennen und damit ein authentisches Verstehen der untersuchten Kultur sicherstellen (vgl. Bishop 2005, 111). Allerdings besteht die Gefahr, dass der eigene Blick eingeschränkt wird und ein Zurückziehen auf das Sichere und Bekannte erfolgt, wodurch die Ergebnisoffenheit beeinflusst wird (vgl. Graff 2003, 733f.). Für Praktiker/innen als Forscher/innen steht damit zweifellos das 'Ringen' um Distanz im Vordergrund.

Was im Evaluationsprojekt aufgrund der Feldkenntnisse der Praxisforscherin bei der Konkretisierung des Forschungsanliegens und Ausgestaltung des methodischen Designs zunächst manches erleichtert, wird bereits beim ersten Workshop als Hemmnis evident. Die Tendenz zu eigenen Annahmen und Erwartungen bzw. denen des Feldes zeigt sich in den dargelegten Bedenken besonders deutlich. Vorstellungen und Emotionsmuster prägen Denk- und Herangehensweisen: Auf Basis der Vorerfahrungen im Feld werden Situationen antizipiert, die ein befreites 'Eintauchen' in die Forschungsprozesse blockieren. Diese Blockaden zeigen sich auch im Selektionsprozess von Interviewpartner/innen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Nähe zum Feld (zu den Beforschten) nicht nur aus organisatorischen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen hilfreich und notwendig ist.

Bei PEARL wurde das Forschungsinteresse von außen an das Feld herangetragen. Die Wissenschaftler/innen spürten die Akzeptanz der Praktiker/innen zum Thema, gleichzeitig aber auch deren Unsicherheit und ein gewisses Unbehagen bezüglich der Relevanz der konkreten Forschungsfrage für die eigene Organisation Schule. Dementsprechend wurde anfangs Zeit verwendet, um mit Hilfe von offenen, wertschätzenden Aushandlungs- und Feedbackgesprächen ein gemeinsames Interesse und somit Nähe der Praxisvertreter/innen zum Thema und der Wissenschaftler/innen zu den jungen Forscher/innen aufzubauen.

Der Forschungsprozess

Im Evaluationsprojekt zeigt sich die Bedeutung der Distanz der wissenschaftlichen Expertin, um das Infrage stellen von inneren Bildern, Identifikationen u.ä. zu ermöglichen (vgl. Graff 2003, 733ff.). Sie kommt von außen, hat keinen (unmittelbaren) Bezug zum Feld und ist deshalb in der Lage, die reflexive Distanz in der ersten Forschungsphase immer wieder einzufordern. Neben dieser beratenden Rolle vermittelt sie aber auch wissenschaftliche Methoden und unterstützt bei deren Anwendung, um fundierte Erkenntnisse zu erreichen. Die involvierten Praktiker/innen fordern diesen Input ein und stellen durch ihre Nähe zum Feld die Adäquatheit sicher. Die Gefahr, der sozialen Realität nicht gerecht zu werden, ist durch die bereits länger bestehende, vertrauensvolle Forschungszusammenarbeit recht gering.

Bei PEARL war es aufgrund einer verantwortungsvollen Beziehungskultur möglich, unterschiedliche Nähe-Distanz-Positionen hinsichtlich Thema, Feld, eigenes Lernen und Wissenschaftlichkeit produktiv zu nutzen. Durch dieses kollaborative Forschungsklima investierte die Kooperationspartnerin Schule mehr zeitliche und personale Ressourcen, um die Praxisforschung in dieser Form zu ermöglichen, als erwartet. Das Forschungsteam als wissenschaftliche Instanz legte viel Zuversicht und Freiheit in die Forschungskompetenzen und -ausführungen der jungen Praktiker/innen. Diese 'bedankten' sich für den Vertrauensvorschuss mit einem starken Commitment zu PEARL, einem tiefen Interesse an Wissenschaftlichkeit und großem Engagement im Forschungsprozess.

4.2 Macht und Verantwortlichkeit

Weitere Ambiguitäten sind in der Frage nach Gestaltungsmacht und Verantwortlichkeit erkennbar. Im Mittelpunkt steht einmal die Frage nach der Definitionsmacht von Wirklichkeit und (objektivem) Wissen (vgl. Cosgrove/McHugh 2010, 74) und zum anderen die Verantwortungsübernahme gegenüber dem beforschten Feld sowie der jeweiligen professionellen Community. Eine gemeinsame Aushandlung und transparente Gestaltung der Macht- und Entscheidungsstrukturen sowie die Wahrnehmung von Verantwortung bezieht sich auf alle Phasen des Forschungsvorhabens (vgl. Bergold/Thomas 2012, 52ff.; Bishop 2005, 112+131; Kemmis/McTaggart 2005, 580ff.).

Initiierung und Nutzen

Praxisforschung stellt immer einen Eingriff in soziale Situationen dar, Forschungsinstrumente bewirken 'etwas' im Feld – Betroffene setzen Handlungen, die sie ansonsten nicht gesetzt hätten. Deshalb muss Praxisforschung mit den (berufspädagogischen) Zielen der untersuchten Praxissituation verträglich sein und sich mit den beruflichen Arbeitsbedingungen zeit-ökonomisch und ressourcenorientiert vereinbaren lassen (vgl. u. a. Altrichter/Lobenwein/Welte 2003, 652). Ein Nutzen für das Feld ist nur durch wertschätzende und verantwortungsvolle Zusammenarbeit mit den Betroffenen und nicht gegen sie möglich (vgl. Winter 1989, 34ff.).

Unterschiedliche Logiken und Kulturen der Systeme Wissenschaft und Praxis führen dazu, dass für alle Forschenden ein gewisser Rechtfertigungsdruck gegenüber der eigenen Institution besteht, damit die Ergebnisse gehört, geschätzt und akzeptiert werden. Das ist Wissenschaftlichkeit und Publizierbarkeit für die einen und Nützlichkeit und (möglichst rasche) Umsetzbarkeit für die anderen (vgl. Moser 2008, 14).

Bei PEARL steht die von außen (Sparkling-Science-Format) vorgegebene Projektrahmung im Vordergrund. Deshalb liegen die Verantwortlichkeiten zu Projektdesign und -ergebnissen großteils beim Wissenschaftsteam. Auch der Nutzen des Forschungsprojektes ist mehr dem Wissenschaftssystem zuzuordnen: Generierung einer konnektivitätsorientierten Praktikumsdidaktik, deren wissenschaftliche Anerkennung und transferorientierte Verbreitung in unterschiedlichen praktischen Handlungsfeldern.

Im Evaluationsprojekt erwächst die Problemstellung aus dem Praxisfeld und die (Forschungs-)Umsetzung liegt in der Verantwortung der projektleitenden Praxisforscherin und ihrem Team bzw. ihren Vorgesetzten. Das Vertrauen der Vorgesetzten und der Betroffenen in die Institutsleiterin als Praxisforscherin ist für ihr 'machtvolles' Agieren im Sinne der Projektintention wesentlich. Der Nutzen des Projekts in Form der Weiterentwicklung der Studien ist zentral dem konkreten Praxissystem geschuldet.

Repräsentation und Legitimität

Im Spannungsfeld von Macht und Verantwortung stellt sich die reflexive Frage nach 'Sein und Sollen' entlang des Forschungsprozesses. Davon auszugehen, dass vom Vorliegen einer Theorie her behauptet werden kann, dass dies auch in der Praxis so sein soll (und umgekehrt), ist unzulänglich. Vielmehr müssen "... die Sicht- und Handlungsweisen der untersuchten [und untersuchenden, Anm. Autorinnen] Subjekte im Alltag die Chance haben, in die entstehende Theorie einzufließen und das theoretische Vorwissen bzw. die Untersuchungshypothesen zu irritieren" (Steinke 2000, 219). Dadurch gelangt man zu einer auf Einzelfällen basierenden, standortspezifischen Beschreibung berufspädagogischer Phänomene.

Damit sich Praxisforschung für beide Systeme gewinnbringend und nachhaltig entwickelt, ist es wichtig, dass das Projektanliegen nicht nur vom unmittelbaren Projektteam getragen wird, sondern dass auch die Akteur/innen im Feld vom Mehrwert des Forschungsanliegens überzeugt sind, sich mit ihren Interessen vertreten fühlen. Dies zeigt sich in beiden Projekten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, in der hohen Motivation der beteiligten Akteur/innen.

Der Projektbeginn und die erste Projektphase wurden im Evaluationsprojekt durch die wissenschaftliche Expertin begleitet. Ein partnerschaftlicher, die jeweils andere Perspektive wertschätzender Aushandlungsprozess zwischen den Wissenschaftler/innen und den Praktiker/innen kennzeichnet dieses Projekt, wodurch ein einseitiges Machtgefälle sowohl hinsichtlich Repräsentation (z. B. Vereinfachung der Praxis) wie auch Legitimität (z. B. autoritäre Vorgaben der Wissenschaft) bisher vermieden werden konnte.

Etwas anders zeigte es sich bei PEARL, wo sich die 'bevormundende' Stimme der Wissenschaft und die an einer wissenschaftlichen Praxis orientierten Wissenschaftler/innen im Forschungsprozess immer wieder laut zu Wort meldeten. Die forschungsteaminternen Diskussionen über den Grad der Strukturierung des Feldzugangs stehen für die implizite Dominanzvorstellung der Wissenschaft über die Praxis. Auch das Hinterfragen und Be-Werten des vielfältigen Datenkorpus generiert durch die Praktiker/innen war im ersten Schritt eine machtvolle Wissenschaftsintervention, entfaltete sich aber im Nachhinein auch als wertschätzend gegenüber den Praktiker/innen und ihrer Forschungsarbeit im Feld.

Verantwortlichkeiten

Die Forschungskooperation zwischen Wissenschaft und Praxis bedeutet keine Verschmelzung der zwei Systeme, denn sie sind unterschiedlichen Diskursen, Normen und Interessen verpflichtet. In der bewussten Gestaltung der Verantwortlichkeiten kommen die sozio-kulturellen Selbstverständlichkeiten des jeweiligen Kontexts zum Ausdruck: Während Wissenschaft dadurch geprägt ist, dass es in der relativen Freiheit und flexiblen Gestaltung der Wissenschaftler/innen liegt was, wie, wie lange, in welcher Tiefe und in welchem Rahmen erforscht und bearbeitet wird, sind die forschenden Praktiker/innen stärker durch die Bedingungen und (Macht-)Strukturen des zu erforschenden Feldes und einer größeren Verantwortung gegenüber der zu untersuchenden Gruppe gebunden (vgl. Altrichter/Lobenwein/Welte 2003, 652).

In den Fallbeispielen zeigt sich, dass sowohl für die Forscherin aus der Praxis als auch der Wissenschaft durch ihre Funktionen, Rollen und Aufgaben in der organisationalen Hierarchie vielfältige Verantwortlichkeiten entstehen:

Als Institutsleiterin an der PH wirkt nicht nur die Verantwortung gegenüber den Vorgesetzten (z. B. Informationsfluss, Datenzugang und -interpretation, Verbreitung der Erkenntnisse), sondern auch gegenüber den Betroffenen (z. B. Anonymisierung). Im spezifischen Fall wird aufgrund der Leitungsfunktion ohne 'Ressourcenpouvoir' diese Verantwortung als besonders belastend empfunden, was in dem dringenden Anliegen, das Evaluationsprojekt für die Betroffenen zeit-ökonomisch in deren Arbeitsalltag zu integrieren, deutlich wird.

Die unterschiedlichen Verpflichtungen gegenüber der wissenschaftlichen Community und der Kooperationspartnerin Schule erschweren teilweise das verantwortungsvolle Agieren des PEARL-Wissenschaftsteams. Vor allem zur Sicherstellung valider Ergebnisse und damit der wissenschaftlichen Verwertbarkeit der Ergebnisse, aber auch aufgrund der zeitlichen Ressourcen der Praktiker/innen involvierte das Forschungsteam die Schüler/innen nur in Form einer kommunikativen Validierung.

5 Reflexion als zentrales Qualitätskriterium gestaltungsorientierter Berufsbildungsforschung als Praxisforschung

5.1 (Selbst-)Reflexion

Die anhand der Projekterfahrungen diskutieren Spannungsfelder legen als "Lösung" einen systematischen, strukturierten Reflexionsansatz bei der Gestaltung von Forschungsprozessen als zentralen Qualitätsindikator nahe (vgl. z. B. Bergold/Thomas 2012, 52ff.; Denis/Lehoux 2011, 368ff.; Russell/Kelly 2002, 7ff.). Eine begleitende Reflexion ermöglicht es den beteiligten Forscher/innen, 'reflexive Achtsamkeit' gegenüber Nähe-Distanz-Positionen und darin enthaltene theoretische Grundannahmen sowie gegenüber Machtstrukturen und damit verbundenen Interaktionspraktiken aufzubauen. Durch einen systematisch gestalteten Reflexionsansatz werden das jeweilige Forschungsvorhaben und dessen Durchführung nicht nur den Gütekriterien qualitativer Sozialforschung gerecht (vgl. z. B. Lamnek 2005), sondern akzentuieren auch die mit Praxisforschung verbundenen Qualitätskriterien Transparenz, Stimmigkeit, Adäquatheit und Anschlussfähigkeit (vgl. z. B. Moser 2008, 16ff.).

Reflexive Praxis als wichtiges Element qualitativer Forschungspraxis (vgl. Flick/Kardoff/Steinke 2005, 23) und Gütekriterium professionellen Handelns ist die konstante, kritisch-reflexive, ethisch-moralisch schlüssige Verknüpfung von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem und führt zu einem vertieften Verständnis aktuellen Handelns (vgl. Bräuer 2014, 11; Bolton 2010, 46), zur Sensibilität über multiple Wege des Verstehens (vgl. Alvesson 2003, 25) und zum Bewusstsein eines professionellen Selbst- und Fremdverstehens. Das 'Nachdenken' über personale und biografische Annahmen und Dispositionen der Forschenden, über Forschungssituationen als 'Bewegungen' im Feld und zwischen sozialen Systemen sowie über den Forschungsprozess bestimmt durch soziale Beziehungen und organisationskulturelle Strukturen (vgl. u. a. Alvesson 2003, 31; Borg et al. 2012, 33) erweitert den Horizont, lässt selbstkritisch auf unhinterfragte Forschungspraktiken schauen und innovative, realistische Weg der Wissensgenerierung finden. "Die Funktion einer (selbst-)reflexiven Praxis besteht vor allem darin, die sozialwissenschaftliche Analyse zu bereichern und die Validität der Ergebnisse zu erhöhen" (Unger 2014, 88).

Felder der Reflexivität – und damit auch deren bewusste Gestaltbarkeit – entlang des Forschungsprozesses sind vor allem die eigene Forschungspersönlichkeit, das Forschungsteam, das organisationale (Forschungs-)Setting (vgl. Unger 2014, 88; Bergold/Thomas 2012, 52ff.). In der englischsprachigen Auseinandersetzung mit qualitativer, reflexionsorientierter Sozialforschung finden sich zahlreiche konkrete Anwendungsbeispiele zum Einbeziehen von Reflexion, wie etwa bezogen auf die Person des Forschers/der Forscherin bei Breuer (2003, 33ff.), die Balance zwischen wissenschaftlicher und praktischer Relevanz bei Denis/Lehoux (2011, 368ff.), die Insider-Outsider-Position bei Bishop (2011, 111ff,) oder Teamforschung bei Russell/Kelly (2002, 17ff.).

5.2 Kollaborative und individuelle Reflexionsinstrumente

Reflexive Praxis kann unterschiedlich gestaltet sein und sowohl individuell als auch kollektiv implementiert werden. Das Logbook stellt ein qualitätssicherndes Instrument der individuellen Selbstreflexion dar, während sich diskursive Feedbackverfahren auf eine kollektive Form beziehen.

Logbook

Wissenschaftliche Tagebücher sind traditionelle Instrumente, um den Forschungsprozess (selbst-)reflexiv zu begleiten. Virtuelle Logbücher stellen neue, flexible Formen, die eine chronologisch und inhaltlich einfach zu strukturierende Begleitung ermöglichen, dar. Eine Verschriftlichung von Vorwissen, der unterschiedlichen Nähe-Distanz-Positionen, der machtvollen Entscheidungen u.ä. hilft, gewonnene Erkenntnisse transparent und anschlussfähig zu machen. Je nach individueller Zielsetzung und Forschungsschwerpunkt sind die dokumentarische (Beobachtungen, Situationsbeschreibungen), analytische (vorläufige Hypothesen, Interpretationen), emotionale (Gefühle, Werte), diagnostische (die eigene Rolle) oder entwicklungsorientierte (Weiterentwicklung) Funktion unterschiedlich stark ausgeprägt (vgl. Dimai/Welte 2007, 51f.). Um dem gewahr zu werden, plädiert Latour (2007, 232ff.) dafür, über alle (wissenschaftlichen) Schritte Buch zu führen, wobei er unterschiedliche Schwerpunkte herausfiltert: Der Bereich der Untersuchung dokumentiert detailgenau, chronologisch und kontinuierlich den mit Unsicherheiten behafteten Forschungsprozess und die Aktivitäten der beteiligten Akteur/innen. Das freie Schreiben hält alle Ideen, Metaphern, Visionen, Eindrücke und Gedanken fest, wodurch die Gefahr von Verallgemeinerungen und Meta-Erklärungen verringert wird. Zusätzlich erhält man ein Mosaik an unterschiedlichen Blickwinkeln, die man für die Datenanalyse/-interpretation oder weitere Forschungen nutzen kann. Gegen Ende des Forschungsvorhabens werden die Auswirkungen der Praxisforschung auf die beteiligten Akteur/innen und Systeme festgehalten.

Diskursive Feedbackverfahren

Der kritisch-konstruktive, reflexiv-kommunikative Austausch in den relevanten 'communities of practice' sichert in allen Phasen der Praxisforschung ein anschlussfähiges, viables Vorgehen (vgl. u. a. Lave/Wenger 1991). Während des gesamten Forschungsablaufs sind 'critical friends' (wie Kolleg/innen, Expert/innen, Betroffene) eine empathische und konstruktiv kritische Stütze (vgl. Altrichter/Posch 1994, 72). 'Member check' ist ein Beispiel für ein diskursives Verfahren zur kommunikativen Validierung der Forschungsdaten (vgl. Birt et al. 2016, 1803f.), der dann sinnvoll ist, wenn eine intensive Kollaboration zwischen den Akteur/innen angedacht ist. Zudem kann er systematisch als Teil des Forschungsprozesses eingesetzt werden. Member Check dient der Rückkoppelung der datenbasierten Konzepte, Hypothesen und Interpretationen an die Akteur/innen aus dem Feld. Dies ist (forschungspolitisch und -ethisch) relevant, um die 'Richtigkeit' und Adäquatheit der Dateninterpretation zu beurteilen, die Betroffenen mit den Forschungsresultaten zu konfrontieren und Auseinandersetzungen anzuregen. Ein möglicher Fokus kann auch die Frage nach Verzerrungen, Verdrängungen und Abwehr aufgrund von Insider-Outsider-Position einerseits und der 'dominanten Wahrheitsposition' der Wissenschaft oder der Praxis andererseits sein (vgl. Moser 2008, 51; Steinke 2005, 16).

6 Schlussgedanken

Praxisforschung bietet die Möglichkeit, über die Involvierung unterschiedlicher Akteur/innen Wissen über komplexe Einzelfälle zu erhalten. Notwendig ist, diese Kooperation zwischen professionell praktizierenden und wissenschaftlich forschenden Personen zu gestalten und sich den Herausforderungen, die diese Art von Forschungsansatz ausmacht, bewusst zu sein. Wie die zwei Projektbeispiele aus unterschiedlicher Perspektive zeigen, sind die Forschenden selbst entscheidende 'Einflussgrößen', die deshalb im Fokus begleitender Qualitätsinstrumente stehen sollen.

Es gibt keine ideale Form der Kooperation von Praxisforschenden, um damit verbundene Risiken zu verhindern, sondern diese gilt es je nach Kontext und Anliegen zu gestalten. Wichtig ist der Aufbau einer vertrauensvollen Forschungskultur, die das Balancieren zwischen Nähe-Distanz und Macht-Verantwortlichkeit im Prozess artikulierbar macht. Um diese Bewegung konstruktiv zu nutzen, sehen wir einen den gesamten Forschungsprozess begleitenden Reflexionsansatz als eine Möglichkeit an. Reflexion unterstützt dann auch die zentrale Zielsetzung von Forschung, nämlich das Erzielen von bedeutsamen, innovativen und vielleicht ja auch aufregenden Ergebnissen, die von Relevanz für die jeweiligen Kontexte sind.

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Zitieren des Beitrags

Dimai, B./Mathies, R./Welte, H. (2017): "Wer bin ich?" – Rollenambiguität und Selbstverständnis von Forscher/innen in einer gestaltungsorientierten Berufsbildungsforschung als Praxisforschung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 33, 1-20. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe33/dimai_mathies_welte_bwpat33.pdf  (14-12-2017).