bwp@ Spezial PH-AT1 - November 2020

Österreichs Berufsbildung im Fokus der Diversität – Berufspädagogische For­schung an Pädagogischen Hochschulen

Status quo, Herausforderungen und Implikationen

Hrsg.: Karin Heinrichs, Sabine Albert, Johanna Christa, Norbert Jäger & Ramona Uhl

Editorial

Beitrag von Karin Heinrichs, Sabine Albert, Johanna Christa, Norbert Jäger & Ramona Uhl

Editorial zur ersten bwp@ Spezialausgabe PH-AT:
Österreichs Berufsbildung im Fokus der Diversität – Berufspädagogische Forschung an Pädagogischen Hochschulen – Status quo, Herausforderungen und Implikationen

Die Berufsbildung in Österreich, Deutschland und der Schweiz – der D-A-CH-Region – hat ihre gemeinsame Wurzel in der Struktur dualer Ausbildungsgänge. Das System berufsbildender Schulen, der dualen Ausbildung, Strukturen betrieblicher Aus- und Weiterbildung und auch die Ausbildung der Berufspädagog*innen dagegen unterscheiden sich bei genauerem Hinsehen deutlich. So erfolgt die Ausbildung dieser Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen in Österreich in zumeist berufsbegleitenden Studiengängen an den Pädagogischen Hochschulen, das Studium der Wirtschaftspädagogik dagegen ist an den Universitäten angesiedelt. Dies spiegelt u. a. eine unterschiedliche Entstehungsgeschichte der Berufs- und der Wirtschaftspädagogik wider (vgl. Zabeck 2009, 528f.). Jenseits der Weiterentwicklung und Akademisierung der deutschsprachigen wissenschaftlichen Teildisziplin der Berufs- und Wirtschaftspädagogik im 20. Jahrhundert ist die Berufspädagogik in Österreich auch derzeit vorwiegend in der Aufgabe der Lehrer*innenbildung verhaftet. Die zugehörige Forschung dagegen wurde lange nicht systematisch vorangetrieben. In den letzten Jahren aber wurden die berufspädagogischen Studiengänge in die Strukturen der Pädagogischen Hochschulen integriert. In der Folge wurde anvisiert, die Berufsbildungsforschung an eben diesen Institutionen zu stärken. Allerdings befindet sich die (berufspädagogische) Forschung an den Pädagogischen Hochschulen in Österreich mit Blick auf Strukturen und Ressourcen in einem durchaus durch Chancen, aber auch Limitationen bestimmten Entwicklungsprozess.

Hervorzuheben sind die in der Berufspädagogik geschaffenen PHn-übergreifenden wissenschaftlichen Arbeitseinheiten, die den Austausch und die Kooperation von Akteur*innen der Berufsbildungsforschung in Österreich vorantreiben sollen. Die Arbeitseinheit 5 beschäftigt sich mit Lehren und Lernen in der Berufsbildung unter dem Aspekt von Diversität. Dieses Thema ist auch in Österreich von großer Relevanz. Mehr als 69% aller Schüler*innen der Sekundarstufe II in Österreich besuchen eine Schule mit beruflicher Ausrichtung (EU: 48 Prozent; vgl. Dornmayr/Novak 2019, 3). Die hohe Qualität des berufsbildenden Schulwesens und eine gute Phase der Berufseinmündung leisten einen wichtigen Beitrag zur niedrigen Jugendarbeitslosigkeit in Österreich (7,9 Prozent; vgl. Dornmayr/Novak 2019, 125). Darüber hinaus wurde mit der sozialpartnerschaftlich unterstützten Ausbildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr ein Programm geschaffen, um die berufliche Integration der Jugendlichen zu fördern (vgl. Steiner/Pessl/Karaszek 2015, 7). Besonders erfolgversprechend erweist sich eine duale Berufsausbildung, die, wie die hervorragenden Leistungen von Absolvent*innen der letzten Jahrzehnte bei nationalen Wettbewerben und bei den Euro- und Worldskills indizieren, in Österreich von guter Qualität ist. Trotz dieser Erfolge beruflicher Bildung unterliegen insbesondere die duale Berufsausbildung und die mittleren beruflichen Schulen einem eher schlechten Ruf. Begründet wird dies damit, dass diese Bildungsgänge verstärkt Schüler*innengruppen aufnehmen, die ein erhöhtes Risiko aufweisen, mangelnde schulische Leistungen zu erbringen. Es scheint als würden die Potenziale dieser Bildungsgänge in der Gesellschaft, von Lernenden und Eltern, weniger wahrgenommen.

Um zu beurteilen wie die Chancen und Herausforderungen von Schüler*innen im Übergang Schule – Beruf und auch in ihrer weiteren Berufsbiographie sind, wie die langfristig und stabile Integration in den Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Teilhabe von Jugendlichen unterstützt, Begabungen gefördert und (struktureller) Benachteiligung entgegengewirkt werden kann (vgl. Niederer/Jäger 2019), bedarf es systematisch erhobener und ausgewerteter Daten zu Bildungsverläufen Lernender und Absolvent*innen berufsbildender Schulen in Österreich, z. B. über zu Ursachen und Gefahren von Dropouts im Verlauf der (Berufs-)Bildung oder der Verteilung vermeintlicher Risikofaktoren oder Qualität der Lehr-Lern-Prozesse in beruflichen Bildungsgängen. Im Nationalen Bildungsbericht werden zwar auch empirische Analysen zur Berufsbildung aufgenommen (vgl. z. B. Steiner/Pessl/Bruneforth 2016), allerdings eher sporadisch und zu wechselnden Themen. Die Datenlage in Österreich wird zudem von einer Vielfalt z. T. interessensgruppengebundenen Institutionen (wie z. B. ibw, Wirtschafts- oder Arbeiterkammer) generiert. Zwar stellt das ibw seit 2000 jährliche Berichte zur Lehrlingsausbildung zusammen und hat diese i.S. systematischer Datensammlung weiterentwickelt. Eine Herausforderung aber liegt weiterhin u. a. in der Zusammenführung von Datenquellen unterschiedlicher Perspektiven. Zudem sind die Berichte des ibw auf Datensammlungen beschränkt, Analysen und Informationen zu Hintergründen und Ursachen l (Dornmayr/Novak 2019, 1).

Ein Blick in die Berufsbildungspraxis in Österreich zeigt gleichzeitig eine Vielfalt österreichweiter und regionaler Angebote zur individuellen Unterstützung von Jugendlichen im Übergang Schule – Beruf und während einer Berufsausbildung. So schafft das Programm „Ausbildung bis 18“ Rahmenbedingungen für Maßnahmen der individuellen Förderung und Teilhabe an (Berufs-)Bildung. Die Berufsausbildung nach § 8b Abs. 1 und 2 Berufsausbildungsgesetz in Österreich bietet bei Bedarf die Optionen zu einer verlängerten Ausbildung oder einem Abschluss mit Teilqualifizierung. Die Befundlage aus Evaluations- und Entwicklungsprojekten oder gar quasi-experimentellen Interventionsstudien zu Bildungsangeboten und Fördermaßnahmen der Berufsbildung dagegen bietet noch viel Raum für aktuelle und zukünftige Forschung und könnte davon profitieren, würde an Konzepte und Erkenntnisse der deutschsprachigen und internationalen berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung angeknüpft.

Es lässt sich zusammenfassen: Die Berufsbildungsforschung in Österreich, insbesondere an den Pädagogischen Hochschulen, ist „im Aufbruch“. Dies wurde auch auf dem Symposium zu „Diversität in der Berufsbildung“ im Frühjahr 2019 an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich, das von der wissenschaftlichen Arbeitseinheit 5 organisiert wurde, sichtbar. Es wurden Forschungsprojekte zur Berufsbildung an den Pädagogischen Hochschulen vorgestellt, insbesondere Interventionsstudien sowie Evaluations- und Entwicklungsprojekte. Zudem zeigten Beiträge von Berufsbildungsforscher*innen aus der Schweiz und Deutschland die bereits vorhandene Anbindung an die (deutschsprachige) Scientific Community der Berufs- und Wirtschaftspädagogik.

Die Beiträge des vorliegenden Bandes wurden aufgrund eines Calls im Nachgang des genannten Symposiums eingereicht. Es finden sich theoretisch und empirisch fundierte Analysen als Impulse zu Strukturen und Bedingungen der Berufsbildung, der Ausbildung von Berufspädagog*innen und der Berufsbildungsforschung in Österreich. Ebenso breit gestreut sind die methodischen Zugänge und leitenden Forschungsfragen der Beiträge: von theoretisch-diskursiven Beiträgen über eine Curriculumanalyse, eine quantitative internationale Vergleichsstudie, qualitative Analysen bis zu Vorstellungen von entwickelten bzw. implementierten Diagnosetools und pädagogischen Konzepten der (inklusiven) Berufs- und Hochschulbildung. In Teil eins finden sich grundlegende Beiträge zum Status quo und Bedarf der Bildungslandschaft sowie der Berufsbildungsforschung, die die Lage in Österreich jeweils aus kritischer Distanz bzw. internationaler Perspektive reflektieren. Teil zwei versammelt Beiträge zu Diversität in der Berufsbildung, insbesondere zur Förderung im Spannungsfeld Begabungs- und Begabtenförderung und Benachteiligung, von individueller Förderung und Unterrichtsgestaltung. Teil drei fokussiert auf den Themenbereich der Berufsfindung und -vorbereitung.

Wir danken an dieser Stelle herzlich allen Autor*innen für ihre Ausführungen und ihre Bereitschaft, zur Berufsbildungsforschung in Österreich beizutragen, sich kritisch mit Bedingungen, Perspektiven und Konzepten auseinanderzusetzen, den Status quo zu kennzeichnen, Chancen aufzuzeigen und Defizite zu benennen. Wir würden uns sehr freuen, wären Autor*innen und Leser*innen dieses Bandes nicht mit der Publikation oder Rezipieren der Beiträge zufrieden, sondern würde die angeregte Diskussion fortgesetzt.

Literatur

Dornmayr, H./Novak, S. (2019): Lehrlingsausbildung im Überblick 2019 – Strukturdaten, Trends und Perspektiven. In: ibw-Forschungsbericht 200. Wien.

Niederer, E./Jäger, N. (Hrsg.) (2019): Bildungsbenachteiligung. Positionen, Kontexte, Perspektiven. Innsbruck.

Steiner, M./Pessl, G./Bruneforth, M. (2016): Früher Bildungsabbruch – Neue Erkenntnisse zu Ausmaß und Ursachen. In: Bruneforth, M. et al. (Hrsg.): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015. Band 2: Fokussierte Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen. Graz, 175-213.

Steiner, M./Pessl, G./Karaszek, J. (Hrsg.) (2015): Ausbildung bis 18. Grundlagenanalyse zum Bedarf von Angebot für die Zielgruppe. Wien.

Zabeck, J. (2009): Geschichte der Berufserziehung und ihrer Theorie. Paderborn.

Zitieren des Beitrags

Heinrichs, K./Albert, S./Christa, J./Jäger, N./Uhl, R. (2020): Editorial zur ersten bwp@ Spezialausgabe PH-AT: Österreichs Berufsbildung im Fokus der Diversität – Berufspädagogische Forschung an Pädagogischen Hochschulen – Status quo, Herausforderungen und Implikationen, hrsg. v. Heinrichs, K./Albert, S./Christa, J./Jäger, N./Uhl, R., 1-4. Online: https://www.bwpat.de/spezial-ph-at1/editorial_bwpat-ph-at1.pdf (18.11.2020).