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bwp@ Spezial PH-AT1 - November 2020
Österreichs Berufsbildung im Fokus der Diversität – Berufspädagogische Forschung an Pädagogischen Hochschulen
Status quo, Herausforderungen und Implikationen
Hrsg.:
, , , &Planung, Umsetzung und Evaluierung individualisierter und differenzierter Förderangebote in der beruflichen Bildung auf Basis von Kompetenzprofilen
Große Heterogenität unter den Auszubildenden ist in der Berufsbildung in Österreich die Praxis. Neben vielen Vorteilen birgt das duale Berufsausbildungssystem in Österreich jedoch auch Hindernisse in Bezug auf eine strukturierte Planung und Umsetzung von differenzierten und individualisierten Fördermaßnahmen, die dieser Heterogenität entsprechend Rechnung tragen. Vor allem die Vernetzung der verschiedenen in die Berufsbildung involvierten Stakeholder und die Zusammenführung von deren Eindrücken betreffend fachlicher und überfachlicher Kompetenzen der Auszubildenden gestaltet sich oftmals schwierig. Am Jüdischen Beruflichen Bildungszentrum (JBBZ) wurden so genannte Kompetenzprofile entwickelt, die genau diesen Wissensspalt schließen. Durch eine Zusammenführung der Eindrücke aller Stakeholder inklusive der Auszubildenden selbst, werden individualisierte und differenzierte Fördermaßnahmen systematisch und strukturiert geplant, umgesetzt und evaluiert. So ist es möglich, in heterogenen Ausbildungsgruppen Begabungen gezielt zu fördern und Bildungsbarrieren systematisch zu verringern.
Planning, implementation and evaluation of differentiated support measures in vocational education based on competency profiles
In the setting of professional education in Austria, considerable heterogeneity among the apprentices can be perceived. Among many advantages, Austria’s dual vocational education system also has some considerable impediments concerning the structured planning and implementation of individual and differentiated support measures that meet the needs of each individual. Especially two aspects prove to be difficult: networking among stakeholders who are involved in the apprentices’ education as well as matching their impressions and knowledge concerning the apprentices’ professional and non-specialty-specific, generic competencies. At the Jewish Vocational Training Centre (JBBZ) competency profiles were designed to close this knowledge gap. By bringing together the impressions and assessments of all stakeholders including the apprentices’ point of view, individualized and differentiated support measures can be planned, put into practice and evaluated systematically. This allows targeted support of each individual within a heterogeneous training group. Barriers to education can be reduced systematically and talents can be promoted purposefully.
1 Einleitung
Die Berufsausbildung von Jugendlichen in Österreich ist durch eine große Heterogenität der Auszubildenden gekennzeichnet. Neben Unterschieden in den Bildungsbiographien zeigen sich auch individuell verschiedene kognitive Fähigkeiten, Lernvoraussetzungen sowie Persönlichkeitsvariablen der Auszubildenden. Beschreibungsversuche dieser Heterogenität im Bildungskontext gehen oftmals mit Begriffen wie Begabung, Underachievement oder Bildungsbarrieren einher. Eine diagnostische Erhebung von Begabungen und eine Identifizierung von Bildungsbarrieren ist jedoch in der Bildungspraxis oftmals nicht vollumfänglich möglich (z. B. sehr lange Wartezeiten für psychologische Testungen, fehlende Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten). Leichter umsetzbar ist die Beobachtung und Beschreibung von verschiedenen Variablen, um für die Planung, Umsetzung und Evaluierung von Förderkonzepten konkrete Schlüsse zu ziehen. In diesem Beitrag werden konzeptuelle Definitionen, die auf feste und ganz spezifische Kriterien verzichten und in einer eher weiten Fassung von diesen Begriffen sprechen, aus diesem Grund operationalen Definitionen, die ganz klare Werte (z. B. Intelligenzprozentränge und Schulleistungsprozentränge) festlegen, vorgezogen. Begabung kann konzeptuell demnach als das Potenzial von Personen zu außergewöhnlicher Leistung definiert werden (vgl. iPEGE 2009), wobei diese Definition auch auf nicht-intellektuelle bzw. nicht-schulische Bereiche, wie z. B. auf kreative und künstlerische Fähigkeiten, Musikalität, soziale Kompetenz, Motorik sowie praktische Fähigkeiten anzuwenden ist (vgl. Heller 2001; Subotnik/Olszewski-Kubilius/Worrell 2011). Underachiever sind Personen, die im Verhältnis zu ihren allgemeinen kognitiven Fähigkeiten geringere Leistungen als erwartet erbringen (vgl. White et al. 2018). Zu den individuellen Faktoren, die trotz hoher kognitiver Fähigkeiten Bildungsbarrieren verursachen können, zählen Probleme in Bezug auf Lernstrategien, mangelnde Zielorientierung und Motivation, ein eher negatives Selbstkonzept und geringe Resilienz (vgl. Obergriesser/Stoeger 2015; Castejón et al. 2016; Abu-Hamour/Al-Hmouz 2013; Reis/Colbert/Hébert 2005). Aber auch Risikofaktoren des familiären Umfeldes und die sozioökonomische Situation können den Bildungserfolg negativ beeinflussen (vgl. Häfner et al. 2001). Weiters ist es möglich, dass Barrieren und Benachteiligungen für einen nachhaltigen Bildungserfolg durch kognitive (z.B. Intelligenzminderung, Legasthenie und Dyskalkulie) und organismische Bedingungen (z.B. Behinderung) bedingt sind. In diesem Fall muss aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen auf operationale Definitionen und die Erhebung konkreter Werte und Diagnosen zurückgegriffen werden. Von Leistungsminderung im schulischen Kontext spricht man dann, wenn eine Behinderung gemäß ICD-10 (WHO 1992) vorliegt und die Auszubildenden aufgrund einer physischen oder psychischen Beeinträchtigung dem Unterricht nicht folgen können (vgl. auch § 8 des Schulpflichtgesetztes sowie § 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes). Als leistungsschwach werden in diesem Kontext Auszubildende bezeichnet, die ein Mindestmaß an Kompetenzen gemessen an einer vorab formulierten Leistungsskala nicht erreichen (vgl. PISA, 2018).
In diesem Beitrag werden die intrapersonalen Wirkungsmechanismen von Benachteiligungen/Anforderungen und Begabungen/Ressourcen in verschiedenen Bereichen als sich ständig in Veränderung befindliches und sich gegenseitig beeinflussendes System betrachtet. Diese Dynamik zu sehen ist wichtig, um den so genannten Halo-Effekt – also eine systematische Fehleinschätzung von Personen, indem von einem gewählten Merkmal auf andere Eigenschaften der betreffenden Person geschlossen wird (vgl. Dompiner/Pansu/Bressoux 2006) – zu vermeiden.
Dass dieser Heterogenität der Auszubildenden in der beruflichen Bildung Rechnung getragen werden muss, ist in Österreich in diversen Gesetzen verankert (vgl. 2.1.1). Dennoch gibt es organisatorische, strukturelle und inhaltliche Faktoren, die die Umsetzung dieser gesetzlich festgelegten Prozesse erschweren. Bedingt durch die Dualität der Berufsbildung in Österreich, im Rahmen derer fachtheoretische und fachpraktische Inhalte getrennt voneinander vermittelt werden, ist es oftmals schwierig, die Erkenntnisse und Beobachtungen aller Stakeholder sowie die Einschätzung der Auszubildenden selbst miteinander zu verknüpfen. Es ist nicht geregelt, in welcher Form bzw. in welchem zeitlichen Intervall ein bereichsübergreifender Austausch zwischen den Stakeholdern erfolgen soll, um den Bedürfnissen der Auszubildenden tatsächlich gerecht werden zu können. Ein gut geregelter Austausch und eine konsistente Planung und Durchführung von Fördermaßnahmen, an der alle involvierten Stakeholder mitwirken wäre aber unbedingt notwendig, um wirklich produktiv mit der vorhandenen Heterogenität umgehen zu können.
Am Jüdischen Beruflichen Bildungszentrum (JBBZ), ein Bildungsträger, der u.a. überbetriebliche Lehrausbildungen anbietet, wurde aus diesem Grund ein Konzept entwickelt, das Bedürfnisse und Notwendigkeiten strukturiert und unter Einbeziehung von Einschätzungen aller Stakeholder (Lehrlinge, Berufsschule, Bildungsträger) erhebt und zusammenführt, um daraus Fördermaßnahmen für fachliche und überfachliche Kompetenzen abzuleiten. Auch die Wirksamkeit der gesetzten Fördermaßnahmen wird in regelmäßigen Abständen evaluiert, um Adaptionen vornehmen zu können und so in sehr heterogenen Ausbildungsgruppen einerseits Begabungen zu fördern und andererseits Bildungsbarrieren abzubauen.
2 Bildungspolitische Grundlagen von Individualisierung und Differenzierung in der Berufsbildung in Österreich
Spätestens seit der Salamanca-Resolution 1994 (vgl. UNESCO 1994) sind das bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 verankerte Prinzip „Bildung für alle“ und die daraus resultierenden Forderungen zur Umsetzung dieses Paradigmas nicht mehr aus der nationalen und internationalen Bildungsdiskussion wegzudenken. In Österreich ist dieses Prinzip in diversen Gesetzen verankert und alle Stakeholder sind zur Umsetzung dieser Gesetze verpflichtet.
2.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen für Individualisierung und Differenzierung in der österreichischen Berufsausbildung
Das Berufsausbildungsgesetz (BAG, BGBl. Nr. 142/1969 in der aktuell gültigen Fassung) regelt die wesentlichsten Bestimmungen zur Ausbildung und Förderung von Lehrlingen in Österreich. So legt § 1a. Abs. 1 fest, dass alle Berufsausbildungen auf qualifizierte berufliche Tätigkeiten vorbereiten sollen, wobei besonderes Augenmerk auf die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Bildungswegen zu berücksichtigen ist (Abs. 2). Hier wird bereits angedeutet, dass Heterogenität in den Gruppen der Auszubildenden nicht nur zufällig vorkommt, sondern sogar bewusst gefördert werden soll. Strukturelle Berücksichtigung von besonderen Begabungen sowie auch Unterstützung bei Bildungsbarrieren die jeweilige Berufsausbildung betreffend finden in § 8a. des BAG Erwähnung. Gemäß § 8b. Abs. 1 kann zu Beginn oder im Lauf der Lehrzeit zur besseren Eingliederung von Personen mit persönlichen Vermittlungshindernissen die Dauer der Lehrzeit im Ausmaß von höchstens einem Jahr (bzw. in Ausnahmefällen und zwei Jahre) verlängert werden. Auch eine Teilqualifikation, im Rahmen derer nur bestimmte Teile des Lehrberufes erlernt werden, kann zur besseren Eingliederung von Personen mit persönlichen Vermittlungshindernissen angedacht werden (vgl. § 8b. Abs. 2). Ein Ausbildungsverhältnis nach § 8b. Abs. 1 und Abs. 2 ist immer durch die Berufsausbildungsassistenz zu begleiten und zu unterstützen, welche Probleme sozialpädagogischer, psychologischer und didaktischer Art mit VertreterInnen von Lehrbetrieben, selbstständigen Ausbildungseinrichtungen oder Berufsschulen gemeinsam bearbeiten soll. Für die Ausbildungen nach Abs. 1 und Abs. 2 kommen laut § 8b. Abs. 4 Personen in Betracht, die keinen bzw. einen negativen Pflichtschulabschluss haben, am Ende der Pflichtschule sonderpädagogischen Förderbedarf hatten und zumindest teilweise nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule unterrichtet wurden, Behinderte im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes sowie Personen, bei denen festgestellt wurde, dass der Abschluss eines Lehrvertrages gemäß § 1 BAG nicht möglich ist.
Was die fachtheoretische Ausbildung betrifft, so sind in den Curricula für alle Lehrberufe allgemeine Bildungsziele (Punkt B.), allgemeine didaktische Grundsätze (Punkt C.) und Unterrichtsprinzipien (Punkt D.) formuliert, die im Unterricht aller Fächer anzuwenden sind. In den allgemeinen Bildungszielen (Punkt B.) ist der Bildungsauftrag der Berufsschule geregelt. Gemäß § 46 des Schulorganisationsgesetzes (SchOG) dient diese zur Erweiterung der Allgemeinbildung sowie der Ergänzung und Förderung der betrieblichen bzw. berufspraktischen Ausbildung. Neben der Stärkung und Förderung der Handlungskompetenz im beruflichen und privaten Bereich sowie im gesellschaftlichen Leben liegt der Fokus auf einer Weiterentwicklung der Individualität sowie der Lerntechniken und Lernstrategien und auf der Orientierung zu einem eigenverantwortlichen, selbstständigen und lösungsorientierten Handeln. In den allgemeinen didaktischen Grundsätzen (Punkt C.) der Curricula ist ein für den Unterricht sehr wichtiger Punkt festgehalten, demzufolge alle Lehrpersonen im Unterricht jene Lehr- und Lernformen sowie Unterrichtsmittel einsetzen sollen, die die bestmögliche Entwicklung und Förderung der individuellen Begabungen ermöglichen. Weiters sind alle Lehrpersonen dazu angehalten, Lernfortschritte detailliert rückzumelden und auch die aktuelle Ausprägung von Stärken und Schwächen zu erfassen und darüber Auskunft zu geben. Auch die Unterrichtsprinzipien der Curricula (Punkt D.) sind nicht nur einem Unterrichtsgegenstand zuzuordnen, sondern auf die gesamte schulische Ausbildung anzuwenden. Ein wesentliches Unterrichtsprinzip ist die Entwicklung der sozialen Kompetenzen (u.a. soziale Verantwortung, Rollensicherheit) sowie der personalen Kompetenzen (z.B. Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein).
2.2 Realitäten in der Berufsbildung in Österreich
Trotz der guten legistischen Verankerung gibt es derzeit jedoch keine wirkliche Verbindlichkeit, was die Durchführung dieser Maßnahmen in der Berufsbildung betrifft. Weder gibt es eine Integration dieser Zielsetzung in das System der Leistungsfeststellung und -beurteilung noch muss in sonstiger Weise über deren Umsetzung Rechenschaft abgelegt werden.
Ob die Lehrbetriebe bzw. die Bildungsträger und die Berufsschulen tatsächlich die gesetzlich an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen vermögen, ist bereits angesichts der großen Anzahl an auszubildenden Lehrlingen fraglich. Aus der Lehrlingsstatistik für Wien aus dem Jahr 2019 (vgl. WKO 2019) geht in Bezug auf die im Jüdischen Beruflichen Bildungszentrum Wien (JBBZ) ausgebildeten Lehrberufe hervor, dass es in Wien beispielsweise 1.003 Lehrlinge im Beruf Bürokaufmann*frau gab. Betrachtet man die Situation österreichweit (vgl. AMS Berufslexikon 2019), so waren im Jahr 2019 insgesamt 4993 Personen als Lehrlinge in diesem Beruf beschäftigt. Im Lehrberuf IT-Systemtechnik waren in Wien im Jahr 2019 100 Lehrlinge beschäftigt. Bundesweit liegen hier die Gesamtzahlen bei 522 Lehrlingen in diesem Lehrberuf. Diese relativ geringe Zahl an Lehrlingen resultiert aus der im September 2018 vollzogenen Teilung des Lehrberufs IT-Technik in IT-Systemtechnik und IT-Betriebstechnik.
Alle Lehrlinge sind verpflichtet, eine Berufsschule zu besuchen. Der Unterricht in diesen ist auf verschiedene Art organisiert: Entweder erfolgt der Besuch der Berufsschule ganzjährig an mindestens einem vollen bzw. an zwei halben Schultagen pro Woche oder der Unterricht findet geblockt für mindestens acht Wochen durchgehend bzw. auf bestimmte Jahreszeiten geblockt (saisonmäßig) statt. Jede Berufsschule bildet in der Regel nicht nur Lehrlinge eines Lehrberufs aus, sondern auch Auszubildende anderer (verwandter) Sparten.
Es ist sehr schnell ersichtlich, dass bei der großen Anzahl an Lehrlingen und auch der Vielzahl an verschiedenen Lehrlingsgruppen, die von einer einzelnen Lehrperson in einem sehr engen Zeitfenster zu betreuen sind, sowie die zeitliche Organisation des Berufsschulunterrichts kaum den Forderungen nach einer qualitativ aussagekräftigen Dokumentation von Lernfortschritten und damit verbundenen Begabungen und Bildungsbarrieren sowie der engen Vernetzung aller Stakeholder in der dualen Ausbildung Rechnung getragen werden kann. Auch ist es fraglich, ob bei einem Berufsschultag pro Woche eine Förderung, wie sie in den Curricula verankert ist, strukturell überhaupt organisierbar ist. Aufgrund dieser Hürden, die die duale Ausbildung – neben sehr vielen Vorteilen, die diese auch mit sich bringt – in Österreich birgt, ist es umso wichtiger, dass auch die Lehrbetriebe bzw. Bildungsträger die auszubildenden Jugendlichen gemäß ihren Begabungen und Bildungsbarrieren besonders fördern.
2.3 Verortung des JBBZ in der österreichischen Berufsbildungslandschaft
Das JBBZ ist ein Bildungsträger, der 1998 als Bundesprojekt des AMS Österreich gegründet wurde, um jüdischen Menschen berufliche Qualifikation zu ermöglichen und diese so bei ihrer Gesamtintegration in Österreich zu unterstützen. Im JBBZ können Jugendliche und Erwachsene, die eine weiterführende Bildung bzw. eine zusätzliche Ausbildung benötigen, ihre Schulpflicht erfüllen, eine berufliche Ausbildung absolvieren sowie ihre beruflichen Chancen durch eine Höherqualifizierung verbessern.
Für Jugendliche bietet das JBBZ überbetriebliche Lehrausbildungen (ÜBA) in den Berufen Bürokaufmann*frau, E-Commerce-Kaufmann*frau und IT-Systemtechniker*in an. Alle Lehrausbildungen sind als ÜBA 1 organisiert. Das bedeutet, dass die Jugendlichen einen Ausbildungsvertrag mit dem JBBZ über die gesamte Lehrzeit haben.[1] Die fachpraktische Ausbildung findet überwiegend am JBBZ statt, verpflichtende Praktika in verschiedenen Betrieben sind während der gesamten Ausbildung zu absolvieren. Die fachtheoretische Ausbildung erfolgt in der Berufsschule.
Obwohl es eine sehr engmaschige Vernetzung zwischen dem JBBZ und den Berufsschulen sowie mit diversen Praktikumsbetrieben gibt, wurde im Lauf der Zeit immer mehr ersichtlich, dass es eine zusätzliche und gezieltere Unterstützung der Lehrlinge braucht, damit diese ihre Begabungen voll ausschöpfen bzw. ihre Bildungsbarrieren abbauen können. Die entwickelten Kompetenzprofile und die im Zusammenhang mit diesen konzipierten Förderangebote sind das Resultat dieser Erkenntnisse.
3 Planung, Umsetzung und Evaluierung von individuellen und differenzierten Förderkonzepten anhand von Kompetenzprofilen
Teil des Ausbildungskonzepts des JBBZ ist die strukturierte Erfassung von Kompetenzen im fachlichen und überfachlichen Bereich zu mehreren Zeitpunkten (vgl. Abbildung 3) und die darauf aufbauende Planung von curricularen und außercurricularen Lern- und Förderangeboten. So ist es möglich, die individuelle Entwicklung von jedem*r Auszubildenden transparent und reflektierbar zu machen, was wiederum die Ableitung von klein- und großschrittigen Entwicklungszielen sowie eine genaue und auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte Planung von Fördermaßnahmen im fachlichen und überfachlichen Kontext ermöglicht. Auch die Suche und Vermittlung von Praktika wird auf die persönlichen Stärken und Bedürfnisse abgestimmt. Eine konstante, sehr individuell abgestimmte Begleitung durch die Ausbildung schafft so in allen Bereichen möglichst optimale Entwicklungsbedingungen für Auszubildende.
3.1 Benachteiligung und Begabung als Anforderung und Ressourcen – Theoretische Grundlagen zur Planung und Durchführung von Förderangeboten in heterogenen Settings
Wie kann den beschriebenen teils paradoxen Problemlagen und Spannungsfeldern – die sich einerseits aus den gesetzlichen Rahmenbedingungen und andererseits aus den individuellen Bedingungen der Auszubildenden ergeben – bestmöglich begegnet werden? In seiner integrativen Ressourcentheorie schreibt Petzold (1997), dass Ressourcen dazu beitragen, „die Stabilisierung einer erschütterten Persönlichkeit, einer zerrütteten Familie, eines maroden sozialen Systems, einer desorganisierten Organisation zu ermöglichen, die Selbstregulationskräfte und Interaktionskompetenz des Systems mit der Umwelt zu restituieren und darüber hinaus – derartige Konsolidierungen überschreitende – Entwicklungen auf den Weg zu bringen und zu fördern“ (Petzold 1997). Dabei versteht Petzold unter Ressourcen „alle erdenklichen Mittel der Hilfe und Unterstützung, ja die Prozesse des ,Supports‘ selbst, mit denen Belastungen, Überforderungssituationen und Krisen bewältigt werden können: innere Ressourcen/Stützen wie physische Vitalität, emotionale Tragfähigkeit, Willensstärke, Intelligenz, geistige Werte, aber auch äußere Ressourcen/Stützen wie Freunde, soziale Netzwerke, Unterkunft, Geld“ (Petzold 1997). Im folgenden Teil werden die Zusammenhänge zwischen verfügbaren Ressourcen, möglichen Anforderungen und deren Zusammenwirken näher beleuchtet. Anschließend werden drei Förderprozesse vorgestellt, die das Erkennen von Begabungen und Belastungen bzw. Barrieren am JBBZ sicherstellen und abschließend Förder- und Interventionsmöglichkeiten dargelegt.
3.2 Das Job Demands-Resources (JD-R) Modell im Bildungskontext als Grundlage zur Erstellung von Kompetenzprofilen
Das Job Demands-Resources (JD-R) Modell (vgl. Bakker/Demerouti 2007; 2017; Bakker et al. 2003; Demerouti et al. 2000) vereint zwei große Forschungstraditionen in einem sich wechselseitig beeinflussenden System. Einerseits integriert es die motivationalen Aspekte der Job-Design Theorien (vgl. Hackman/Pearce/Wolfe 1978), andererseits berücksichtigt es die Annahmen und Wirkmechanismen von Stresstheorien (vgl. Lazarus/Folkman 1984). Im JD-R Modell werden Charakteristika einer Tätigkeit bzw. Arbeit in zwei Kategorien aufgeteilt: den Arbeitsanforderungen und den Arbeitsressourcen (vgl. Demerouti et al. 2001; Bakker/Demerouti 2014).
Zu den Anforderungen im JD-R Modell zählen all jene physischen (vgl. Organismusvariablen), psychischen (vgl. emotionale, kognitive und motivationale Variablen), sozialen (vgl. soziale Variablen) oder organisationalen Aspekte der Arbeit (vgl. Umgebungsvariablen), die eine anhaltende physische und/oder psychische Anstrengung erfordern und daher mit physiologischen und/oder psychologischen Kosten verbunden sind. Wenn also die Bewältigung von Anforderungen wie zum Beispiel einer Aufgabe anhaltend mit hoher Anstrengung verbunden ist, kann dies zu Erschöpfung und reduzierter Leistungsfähigkeit, bis hin zur De-Personalisierung führen. Ressourcen hingegen stellen diejenigen physischen, psychischen, sozialen und organisationalen Aspekte der Arbeit dar, die dabei helfen, (1) die Ziele einer Person zu erreichen, (2) die physiologischen oder psychologischen Kosten zu reduzieren, oder (3) das persönliche Wachstum und die persönliche Entwicklung zu fördern.
Die Wirkmechanismen werden im JD-R Modell anhand von zwei Prozessen beschrieben (vgl. Abbildung 2), die das psychische, sowie das physische Wohlbefinden einer Person beeinflussen (vgl. Hakanen et al. 2006). Der erste Prozess ist ein gesundheitsschädigender Prozess (Belastungsprozess), der die individuellen, physischen und psychischen Ressourcen einer Person „konsumiert”. Demnach beansprucht eine Tätigkeit Ressourcen einer Person, was über die Dauer hinweg von Stress und Erschöpfung bis hin zu einer starken gesundheitlichen Beeinträchtigung, wie Burn-out führen kann. Ist es einer Person allerdings möglich, den Arbeitsanforderungen mit ausreichend (persönlichen und Arbeits-) Ressourcen zu begegnen und diese auch wirkungsvoll einzusetzen, wird durch den zweiten Prozess, der motivierend wirkt, Energie bereitstellt und das Wohlbefinden der Person positiv beeinflusst (Motivierungsprozess). Dies geschieht ganz besonders dann, wenn der Einsatz von Ressourcen das Wachstum, das Lernen und die Entwicklung der eigenen Person fördert (Ryan/Deci 2000).
Eine wichtige Weiterentwicklung des J-DR Modells stellt die Erweiterung des Ressourcenbegriffs um persönliche Ressourcen dar. Jene Ressourcen sind im Gegensatz zu Aspekten des Job-Designs, welche die eher externen Rahmenbedingungen einer Tätigkeit darstellen und der Frage „wie” und unter welchen externen Bedingungen eine Tätigkeit ausgeführt wird, ontogenetisch zu verorten, wie z. B. Selbstwirksamkeit und Optimismus (Xanthopoulou et al. 2007). Demnach werden persönliche Ressourcen als Aspekte des Selbst verstanden, die im Allgemeinen mit Resilienz verbunden sind und sich auf das Empfinden einer Person beziehen, erfolgreich auf seine Umwelt einzuwirken bzw. diese zu kontrollieren. Schubert und Knecht (2015) schlagen in Anlehnung an die Arbeiten von Antonovsky und Franke (1997), sowie Becker (2006) eine umfassende Ressourcentaxonomie vor, die zwischen verschiedenen psychischen Ressourcen, wie kognitiven (z.B. intellektuelle Fähigkeiten, Wissen und Überzeugungen), emotionalen (z.B. emotionale Stabilität, emotionale Regulationsfähigkeit und Optimismus), sozialen Ressourcen (z.B. Kontakte und Beziehungen, soziale Einbettung, Zugehörigkeit und Unterstützung), sowie Handlungsressourcen und Bewältigungsstilen (Coping) unterscheidet. Studien zeigten, dass Anforderungen und Belastungen in der Ausbildung mit Erschöpfung und Beeinträchtigungen des Wohlbefindens verbunden sind, wohingegen persönliche- und Studienressourcen positiv mit Engagement und dem Wohlbefinden zusammenhängen (vgl. z. B. Mokgele/Rothmann 2014).
Betrachtet man folglich intrapersonale Wirkungsmechanismen von Benachteiligungen/Anforderungen und Begabungen/Ressourcen als sich gegenseitig ausschließende Pole, so wird deren dynamischer Komplexität, vor allem aber deren gegenseitiger Beeinflussung kaum Rechnung getragen. Eine solche Sicht- und Denkweise würde allzu leicht dazu verleiten, eine Person gänzlich in einer der beiden Kategorien zu verorten, was schlussendlich zu einer Stereotypisierung bis hin zur Stigmatisierung der betroffenen Person führen kann. Vorhandene Ressourcen werden nicht wahrgenommen, was folglich den Möglichkeitsraum für positive Veränderungen einschränkt. Wird hingegen der Blick für das komplexe, sich gegenseitig beeinflussende Zusammenspiel von Anforderungen und verfügbaren Ressourcen geschärft, wird deutlich, warum eine Ressourcen- und Kompetenzorientierung bei der Planung und Umsetzung von Bildungsangeboten von so zentraler Bedeutung ist – nämlich, eine Balance zwischen Anforderungen und Ressourcen zu schaffen.
3.3 Kompetenzorientierung in der beruflichen Bildung am JBBZ
Die beschriebenen Erkenntnisse aus den Studien im Kontext des JD-R Modells bieten zahlreiche Möglichkeiten, erlebte Belastung, Stress und Barrieren unter Auszubildenden durch die Stärkung von Ressourcen zu reduzieren und gleichzeitig das Engagement der Auszubildenden bei der Bildung ihrer fachlichen und überfachlichen Kompetenzen zu fördern. Anhand standardisierter Curricula können fachliche Kompetenzen vermittelt werden, welche schlussendlich im Rahmen der Lehrabschlussprüfung geprüft werden. Hingegen ist der Erwerb der überfachlichen Kompetenzen nicht klar geregelt, obwohl diese in fast jedem Anforderungsprofil von Stellenausschreibungen zu finden sind. Das AMS Qualifikationsbarometer und andere Berufsinformationsseiten im Internet bieten detaillierte Übersichten über (Lehr)Berufe und deren fachliche und überfachliche Kompetenzanforderungen. Auch Personalverantwortliche interessieren sich oftmals gerade für überfachliche Kompetenzen – v. a. dann, wenn die fachlichen Kompetenzen von Bewerber*innen vergleichbar sind (wie z. B. gleich nach Ablegen der Lehrabschlussprüfung).
Um fachliche und überfachliche Kompetenzen gezielt und dem individuellen Entwicklungsstand entsprechend zu fördern, wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts am JBBZ ein Fragebogen zur Erfassungen der überfachlichen Kompetenzen entwickelt, welcher das Selbstbild der Auszubildenden, sowie das Fremdbild durch Fachtrainer*innen vergleicht (vgl. 3.3.2 Förderprozess) um etwaige Förderpotentiale zu identifizieren und eine individuell abgestimmte Förderung abzuleiten. Auch Rückmeldungen der Praktikumsbetriebe werden gezielt eingeholt und berücksichtigt.
3.3.1 Aufnahmeprozess (1)
In Anlehnung an das JD-R Modell durchlaufen Kund*innen des JBBZ im Rahmen der Anmeldung und Aufnahme einen standardisierten Prozess, der in der Regel fünf Schritte umfasst, um die aktuellen (Lebens-)Bedingungen des/der Kund*in zu erfassen. (a) Informationsgespräch, (b) Fachgespräch, (c) Fachtestung, (d) Potenzialanalyse und (e) Beratungsgespräch.
- Im Rahmen des Informationsgesprächs erhalten Kund*innen alle relevanten Informationen rund um die Aus- und Weiterbildung im JBBZ. Hier werden von der Erhebung der Stammdaten, bis hin zur Antragstellung zur Deckung des Lebensunterhalts alle ausbildungsrelevanten Fragen und Möglichkeiten geklärt.
- Im Fachgespräch werden die fachlichen Inhalte und Rahmenbedingungen der Bildungsmaßnahme von einem*r Mitarbeiter*in des jeweiligen Fachbereichs in einem persönlichen Gespräch vorgestellt und mögliche Fragen geklärt.
- Durch spezifische Fachtestungen werden ausbildungsrelevante Basisfertigkeiten wie Lesen, Rechtschreibung, Textverständnis, oder das Beherrschen der Grundrechenarten erfasst, um mögliche fachliche Förderpotentiale möglichst früh zu identifizieren.
- Eine erste Potentialanalyse im Rahmen des Aufnahmeprozesses stellt ein Angebot dar, das Kund*innen freiwillig wählen können. Diese dient zur Klärung der Fragestellung, ob das JBBZ das geeignete Aus- und Weiterbildungsangebot im Hinblick auf Interessen, Begabungen und Potentiale einer Person bieten kann oder nicht. Neben dem standardisierten Interessenstest AIST-R (Allgemeiner Interessen-Struktur-Test mit Umwelt-Struktur-Test-Revision; vgl. Bergmann/Eder, 2005), wird mit dem BFSI (Big-Five Struktur Inventar; vgl. Arendasy 2009; Arendasy/Sommer/Feldhammer 2011) die Persönlichkeitsstruktur erfasst. Das BFSI erfasst die Big-Five-Dimensionen der Persönlichkeit (Emotionale Stabilität, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit; sowie deren einzelne Facetten) und ermöglicht so eine Einschätzung über zukünftige Verhaltenstendenzen, die im Ausbildungs- und späteren Arbeitskontext wichtig sind. Falls die Ergebnisse der spezifischen Fachtestungen Fragen aufwerfen, die mit der Intelligenzstruktur zusammenhängen, kann mittels des Tests IBF (Intelligenz-Basis-Funktionen) das Intelligenzniveau und die Intelligenzstruktur erfasst oder auf andere spezifische Leistungstests zurückgegriffen werden. Es sei ausdrücklich erwähnt, dass die Potenzialanalyse nur zur Beratung der Kund*innen im Hinblick auf die beschriebene Fragestellung dient und nicht mit einer klinisch-psychologische Testung zu verwechseln ist.
- Im Rahmen des psychologischen Beratungsgesprächs werden die durchgeführten Testungen im Detail besprochen. Ein besonderes Augenmerk liegt im Beratungsgespräch auch auf den Organismusvariablen mit dem Ziel der Klärung möglicher körperlicher Beeinträchtigungen und den Möglichkeiten, Ressourcen bestmöglich zu aktivieren und zu stärken (z. B. Abklärung geeigneter Hilfsmittel und/oder externe Kooperationen). Neben den Organismusvariablen werden auch soziale, emotionale und motivationalen Faktoren wie Ziele und Wünsche, Wertvorstellungen und Überzeugungen, sowie mögliche Problemlagen besprochen. Individuelle Erwartungen werden geklärt und persönliche Ziele formuliert.
3.3.2 Förderprozess (2)
Daraus abgeleitet ergeben sich zwei Ziele für den Förderprozess am JBBZ: Erstens sollen die Einstellungschancen der Kund*innen sowohl im Berufspraktikum, wie auch in der späteren Jobsuche nach der Ausbildung im Sinne des Schlüssel-Schloss-Prinzips verbessert werden. Es geht somit um eine bestmögliche Passung zwischen dem Anforderungsprofil einer Arbeitsstelle und dem Kompetenzprofil, sowie den Interessen des/der Bewerber*in. Zweitens, um eine bestmögliche Passung zu erreichen, müssen zuerst etwaige Förderpotentiale, mögliche Barrieren oder individuelle Problemlagen erkannt werden. Hierzu wird ein Profil der fachlichen (Noten), wie auch überfachlichen Kompetenzen der Kund*innen während ihrer Ausbildung am JBBZ erstellt. Auf Basis der im AMS Berufslexikon und Qualifikationsbarometer publizierten Beschreibungen der Anforderungen der Ausbildungsberufe Büromanagement und Informationstechnologie mit Schwerpunkt Systemtechnik, Experteninterviews mit Fachtrainer*innen aus den jeweiligen Ausbildungsbereichen und bereits publizierter Items (vgl. Glitsch 2015; Scherp 2010) wurden im Rahmen eines laufenden Forschungsprojekts am JBBZ rund 60 überfachliche Kompetenzen definiert und dazu Fragebogenitems zur Nutzung für Selbst- und Fremdeinschätzung entwickelt. Dabei beschreiben die verschiedenen Items typische Verhaltensweisen als Indikatoren überfachlicher Kompetenzen und fragen, wie sehr die Person der jeweiligen Aussage auf einer fünfstufigen Likert-Skala zustimmt. Im Zuge der Selbsteinschätzung wird auch die Ausprägung des Fähigkeitsselbstkonzepts in den abgefragten Bereichen erfasst. Diesem wird besondere Bedeutung zugemessen, da sowohl im Rahmen von im berufsbildenden Kontext durchgeführten Studien (vgl. z. B. Helm/Krumpholz/Heinrichs 2017) als auch in der Bildungspraxis klar ersichtlich wird, dass die Entwicklung eines angemessenen Fähigkeitsselbstkonzeptes ein erstrebenswertes Ziel von jeglichen Bildungsprozessen ist. Die einzelnen Items wurden inhaltlich acht Kompetenzbereichen zugeordnet. Eine faktorenanalystische Überprüfung der Konstrukte ist für Ende 2020 geplant.
- Personale Kompetenzen (z. B. Ich plane meine persönliche und berufliche Entwicklung.),
- Professionale Kompetenzen (z. B. Es ist mir wichtig, Aufträge pünktlich zu erfüllen.),
- Soziale Kompetenzen (z. B. Ich respektiere die Meinung und das Verhalten meines Gegenübers.),
- Kommunikative Kompetenzen (z. B. Ich kann mich klar und verständlich in Wort und Schrift ausdrücken.),
- Motorische Kompetenzen (z. B. Ich kann Arbeiten ausführen, die eine ruhige Hand und viel Geschick erfordern.),
- Kompetenzen im Umgang mit Zeit (z. B. Ich teile mir meinen Arbeitstag so ein, dass ich alle meine Arbeitsaufgaben zeitgerecht erledige.),
- Arbeitsorganisation (z. B. Ich arbeite selbstständig und bin organisiert.) und
- Anpassungsfähigkeit (z. B. Ich passe mich der gegebenen Unternehmenskultur an.)
Das Kompetenzprofil setzt sich aus dem Selbstbeurteilungsfragebogen für Kund*innen, dem Fremdbeurteilungsfragebogen der jeweiligen Gruppenleitung, sowie eines*r weiteren Fachtrainers*in, einer Kurzversion des Fragebogens für Praktikumsbetriebe, sowie den Noten der Modultests zur Messung der fachlichen Kompetenzen (nach Abschluss eines jeweiligen Ausbildungsmoduls) während der Ausbildung zusammen. Auch Berufsschulnoten werden berücksichtigt. Die mittels Onlinefragebögen erhobenen Daten werden in einem Netzdiagramm einander gegenübergestellt, da diese Differenzen im Selbst- bzw. Fremdbild direkt sichtbar machen. Schätzt sich beispielsweise eine Person in einem Bereich sehr niedrig ein (und verfügt somit über ein niedriges Fähigkeitsselbstkonzept in dem bewerteten Bereich), die beiden Trainer*innen bewerten diesen Bereich allerdings eher hoch, würde hier eine für den Auszubildenden verborgene Ressource liegen. Darüber hinaus werden basierend auf dem Selbst-Fremd-Vergleich und beim Unterschreiten eines Schwellenwerts Fördermöglichkeiten für jeden der acht Kompetenzbereiche automatisch aus einer hinterlegten Tabelle abgefragt und vorschlagen. Das Feedbackgespräch stellt den Kern des Kompetenzprofilansatzes am JBBZ dar. Zwischen der Gruppenleitung (sowie ggf. eines Mitgliedes des psychologischen Teams) und dem oder der Kunden*in werden mögliche Belastungen und Barrieren sowie vorhandene Ressourcen identifiziert, Entwicklungsziele geklärt und eine individuell abgestimmte, transparente und systematisierte Begleitung und Förderung vereinbart. Durch die Erhebung der Daten zu mehreren Zeitpunkten während der Ausbildung, wird auch die individuelle Entwicklung über die Zeit transparent und eine Evaluation der Förderung möglich. Am Ende einer Ausbildung erhalten Kund*innen des JBBZ ein Kompetenzportfolio, welches die persönlichen, berufsrelevanten Begabungen und Stärken für die Arbeitsplatzsuche und den Bewerbungsprozess sichtbar macht.
3.3.3 Interventionsprozess (3)
Stellen Fachtrainer*innen fest, dass sich die Leistungen eines*r Kund*in signifikant verschlechtern, eine oder mehrere komplexe Problemlagen vorliegen (vgl. Heinrichs/Reinke 2018, 229f.) oder die Anwesenheit sich in Richtung der vom JBBZ als kritisch definierten Schwelle von 80% der Soll-Arbeitszeit bewegt, wird ein Interventionsprozess des psychologischen Teams eingeleitet. Nach Informationssammlung und Dokumentation durch die oder den Fachtrainer*in, findet ein Explorations- bzw. Beratungsgespräch mit der bzw. dem Kund*in, einer bzw. einem Mitarbeiter*in des psychologischen Teams und ggf. der Gruppenleitung statt. Dabei werden Problemlagen im Detail geklärt, mögliche Interventionsstrategien besprochen und im Rahmen der Möglichkeiten durchgeführt. Auf Basis der gewonnenen Informationen können zudem externe Kooperationen oder auch eine weiterführende spezifische Diagnostik und Therapieanbahnung angeregt werden.
3.4 Bestehende Förderangebote am JBBZ
Um Begabungen bestmöglich zu fördern, Bildungsbarrieren abzubauen und Beanspruchungen zu reduzieren, stehen am JBBZ eine Vielzahl verschiedener Fördermöglichkeiten zur Verfügung, die eine Beeinflussung bzw. Variation interner und externer Bedingungen und Faktoren, mit dem Ziel intra- und interpersonale Ressourcen aufzubauen bzw. zu aktivieren, ermöglichen (vgl. Petzold 1997, 1ff.). Basierend auf den gewonnenen Informationen aus Aufnahme-, Förder- und Interventionsprozessen werden individuelle Förderpläne entwickelt und umgesetzt, die sowohl nichtpsychologische, wie auch pädagogisch-psychologische Ressourcen umfassen.
3.4.1 Nichtpsychologische Ressourcen
Eine Stabilisierung der Umgebungsvariablen ist die Basis für jegliche Beschäftigung mit einer Ausbildung (vgl. Bakker/Demerouti 2017). Deswegen unterstützt das JBBZ zunächst intensiv in diesem Bereich. Wird vom AMS der Besuch einer Ausbildungsmaßnahme am JBBZ zugestimmt, so erhält die Person für die Dauer der Maßnahme eine so genannte „Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhaltes“ (DLU). Die DLU stellt eine wichtige finanzielle Absicherung dar. Lehrlinge erhalten eine Lehrlingsentschädigung.
Die Berücksichtigung von Organismusvariablen, die eine Bildungsbarriere bedeuten könnten, sind ebenfalls ein wichtiger erster Schritt (vgl. Bakker et al. 2003). Durch eine Vielzahl an Kooperationen mit externen Stellen ist es möglich, bei der Organisation von Behelfen zu unterstützen bzw. auch die Ausbildungsräume im JBBZ mit Hilfsmitteln auszustatten, die die betroffene Person braucht. Durch eine engmaschige Kommunikation mit den zuständigen Berufsschulen ist bei Lehrlingen ebenfalls gewährleistet, dass eventuell notwendige Behelfe auch in der Berufsschule zur Verfügung gestellt werden können. Auch die Schulung und Sensibilisierung der Mitarbeiter*innen im Umgang mit physischen Beeinträchtigungen ist ein wichtiger Teil der Arbeit am JBBZ.
3.4.2 Pädagogisch-psychologische Ressourcen
In Anbetracht der Tatsache, dass Fachtrainer*innen in der Regel nicht über psychologisches Fachwissen und diagnostische Kompetenzen verfügen, werden die Aufnahme-, Förder- und Interventionsprozesse vom psychologischen Team des JBBZ begleitet bzw. durchgeführt, um so wesentliche Fachkompetenzen zu vernetzen. So können Kund*innen in komplexen sozialen-, emotionalen- und oder motivationalen Problemlagen gezielt gefördert werden, um Barrieren bestmöglich zu überwinden. Tabelle 1 veranschaulicht mögliche Fördermaßnahmen für fachliche und überfachliche Kompetenzen durch die verschiedenen Steakholder innerhalb der Ausbildung.
Tabelle 1: Fördermöglichkeiten am JBBZ
fachliche Kompetenzen |
überfachliche Kompetenzen |
|
Maßnahmen zur Förderung von Kompetenzen innerhalb des JBBZ |
||
individuell |
freie Lernstunden/selbstorganisiertes Lernen individueller Stundenplan Verlängerung der Lehrzeit Verkürzung der Lehrzeit Teilqualifizierung |
|
Peergroup |
Peertutorien |
Buddy-System Wahlfächer |
Fachtrainer*innen |
Fachtutorien Projektwochen |
Fokus im Fachunterricht |
psychologisches Team |
Workshops Beratung/Einzel- und Gruppencoaching |
|
Maßnahmen zur Förderung von Kompetenzen im Rahmen von Vernetzung mit Stakeholdern |
||
externe Institutionen |
u. a. Arbeitsassistenz/ Berufsausbildungsassistenz (z.B. benötigte Behelfe) |
u. a. Beratung/klinisch-psychologische Diagnostik/Psychotherapie |
Praktikumsbetrieb |
Umsetzung der fachlichen Kompetenzen in einem Betrieb |
verschiedene für den Beruf wichtige überfachliche Kompetenzen |
Berufsschule |
differenzierte Vermittlung der fachtheoretischen Inhalte |
Zur Förderung der fachlichen Kompetenzen werden auf der individuellen Ebene freie Lernstunden, in denen die Auszubildenden eigenständig an Themen arbeiten können und die Fachtrainer*innen für Fragen zur Verfügung stehen, angeboten. Studien konnten zeigen, dass gerade schwächere Auszubildende in selbstorganisierten Unterrichtsformen bessere Chancen der Partizipation vorfinden als im Rahmen von Frontalunterricht, wodurch sowohl begabte, als auch leistungsschwächere Auszubildende von diesem Setting in hohem Ausmaß profitieren (vgl. Sembill et al. 2007). Beim Vorliegen von Teilleistungsstörungen kann ein individuelles Lese- und Rechtschreibtraining sowie Rechentraining angeboten werden. Es ist möglich, spezielle Stundenpläne zu erstellen, bei denen z.B. bei Vorliegen einer Begabung in einem bestimmten Bereich für einige Stunden pro Woche in die nächsthöhere Gruppe gewechselt werden kann. Ggf. kann eine Verkürzung der Lehrzeit angedacht werden. Sind Inhalte für Auszubildende schwerer zu erfassen oder liegen Verzögerungen in der Entwicklung vor, ist es möglich, eine Verlängerung der Lehrzeit zu beantragen oder aber eine Teilqualifizierung in dem absolvierten Lehrberuf abzulegen (vgl. Kapitel 2.1.1).
Auf Gruppenebene werden die im Förderprozess vereinbarten überfachlichen Entwicklungsziele von den Trainer*innen im Fachunterricht besonders fokussiert. Zur Förderung kognitiver und sozialer Ressourcen, sowie fachlicher Kompetenzen werden Peer-Tutorien (z.B. Förderung in Mathematik, Deutsch, Englisch) angeboten. Peer-Tutorien können zur intrapersonalen Stärkung der vorhandenen Ressourcen dienen sowie ressourcenerweiternd geplant werden, indem eine fachliche Stärke mit persönlichen Kompetenzen kombiniert wird und folglich im interpersonalen Setting zum Einsatz kommt (vgl. Nörber 2013). Nicht nur die Selbstermächtigung von Personen steht im Vordergrund, sondern es ist zudem auch wichtig, besondere Begabungen zu nutzen, indem man die individuelle Begabung nicht nur für sich selbst nutzbar macht, sondern auch andere Personen in fachlichen sowie überfachlichen Bereichen unterstützt. Dieses Buddy-Prinzip ist ein Handlungsansatz, der verschiedene Präventionsprogramme und -ansätze vereint (vgl. Schubarth 2019). Zur Förderung kognitiver Ressourcen und fachlicher Kompetenzen werden neben Peer-Tutorien auch Fachtutorien mit Fachtrainer*innen (z.B. Förderung in Mathematik, Deutsch, Englisch u.a.) angeboten. Eine besondere Förderung von Begabungen im überfachlichen Kompetenzbereich wird durch die Wahlfächer Lernen mit Musik, Sportunterricht und dem Debattierclub, welche die Auszubildenden frei wählen können, erreicht. Im Rahmen von speziell organisierten Projektwochen zu verschiedenen Themenbereichen können die Auszubildenden auch an Themenbereichen arbeiten, die über die curricular vorgeschriebenen Fachkompetenzen hinausgehen.
Der Aufbau, die Stärkung und die Aktivierung emotionaler, motivationaler und sozialer Ressourcen und überfachlicher Kompetenzen ist vor allem Aufgabe der Auszubildenden gemeinsam mit dem psychologischen Team. Dies wird durch das Führen von Einzelgesprächen, Einzel- und Gruppencoachings, Workshops erreicht. Im Rahmen dieser Gespräche werden (komplexe) Problemlagen identifiziert und erörtert. Wichtige Ziele sind die Einwicklung von Perspektiven sowie die individuelle Zielplanung. Dies beinhaltet die Formulierung eines großen Zieles sowie von Teilzielen, deren Erreichung konstant begleitet und reflektiert wird. Individuelle Problemlagen wie z.B. Stressbewältigung, Ängste und das Selbstkonzept, aber auch Themen wie Zeitmanagement, Lernen lernen und Karriereplanung können so zielgerichtet bearbeitet werden. Dies sind für die Ausbildung wichtige Ressourcen (vgl. Schubert/Knecht 2015). Zeigt sich der Bedarf, dass eine umfassendere Unterstützung notwendig ist, als sie das psychologische Team des JBBZ bieten kann (z. B. Arbeitsassistenz oder spezielle Behelfe für den Arbeitsplatz), so wird von den psychologischen Mitarbeiter*innen auch Hilfe bei der Suche und der Kooperation mit passenden externen Institutionen angeboten.
Weitere relevante Punkte ist die Reflexion des Ausbildungsverlaufes sowie des zu absolvierenden Praktikums. Auf die positive Absolvierung des Praktikums wird ein großer Fokus gelegt, da hier der geschützte Rahmen des JBBZ verlassen werden muss, was für einige Auszubildende eine große Barriere darstellen kann. Ist das der Fall, so kommt es zu einer noch intensivieren Begleitung durch das Praktikum hindurch. Ähnliches gilt für die Berufsschule. Hier gibt es vor allem eine Vernetzung zur besseren Förderung der fachlichen Ressourcen.
Eine laufende Evaluation der gesetzten Förderinterventionen während der Ausbildung ermöglicht ein Tracking von Fortschritten sowie eine ständige Adaption der individuellen und differenzierten Förderung.
4 Fazit und Vorschau
Ziel der am JBBZ entwickelten Kompetenzprofile und der darauf aufbauenden Förder-, und Interventionsprozesse ist die strukturierte Erfassung von Begabungen und möglichen Bildungsbarrieren und die damit einhergehende systematische Planung, Umsetzung und Evaluierung von individualisierten und differenzierten Förderangeboten in der beruflichen Bildung. Dabei werden die Eindrücke aller in die Berufsbildung involvierten Stakeholder erfasst und eingearbeitet, um derzeit bestehende Wissens- und Informationsdefizite im Bereich der Erkenntniszusammenführung der verschiedenen Ausbildungsbereiche zu schließen. Dies soll eine auf die Bedürfnisse jedes*r Auszubildenden eingehende Förderung ermöglichen, um so der bestehenden Heterogenität in Ausbildungsgruppen entsprechend Rechnung zu tragen.
Die erste Evaluierung der beschriebenen Maßnahmen ist für Ende 2020 geplant. Eine weitere Systematisierung des Vernetzungs- und Förderungsprozesses in der Berufsbildung in Österreich ist eine unbedingt notwendige Maßnahme, um der bestehenden Heterogenität Rechnung tragen zu können und alle Auszubildenden dabei zu unterstützen, ihre Begabungen weiter auszubauen und etwaige Bildungsbarrieren zu verringern.
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[1] Bei der so genannten ÜBA 2 haben die Lehrlinge nur einen Vertrag über das erste Lehrjahr mit dem Bildungsträger. Ein Übertritt in eine betriebliche Lehre wird im Laufe des ersten Lehrjahres angestrebt.
Zitieren des Beitrags
Janker, R./Wärzner, A. (2020): Planung, Umsetzung und Evaluierung individualisierter und differenzierter Förderangebote in der beruflichen Bildung auf Basis von Kompetenzprofilen. In: bwp@ Spezial PH-AT1: Österreichs Berufsbildung im Fokus der Diversität – Berufspädagogische Forschung an Pädagogischen Hochschulen – Status quo, Herausforderungen und Implikationen, hrsg. v. Heinrichs, K./Albert, S./Christa, J./Jäger, N./Uhl, R., 1-20. Online: https://www.bwpat.de/spezial-ph-at1/janker_waerzner_bwpat-ph-at1.pdf (18.11.2020).