bwp@ Spezial 10 - November 2015

Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich

Hrsg.: Ulrike Weyland, Marisa Kaufhold, Annette Nauerth & Elke Rosowski

Editorial Spezial 10

Beitrag von Ulrike Weyland, Marisa Kaufhold, Elke Rosowski & Annette Nauerth

Editorial zum Spezial 10:

1 Kontextualisierung: Hintergrund und Anliegen der Fachtagung zu den Gesundheitsberufen

Dieser Spezialband steht im Zusammenhang mit einer Anfang 2014 durchgeführten Tagung zur Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich am Hochschulstandort Bielefeld. Diese Fachtagung widmete sich speziell den Gesundheitsberufen, denn diese nehmen in der beruflichen Bildung angesichts ihrer gesellschaftlichen Funktion, was die Prävention und den Erhalt von Gesundheit betrifft, eine bedeutsame Rolle ein. Auch unter ökonomischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten haben diese einen zentralen Stellenwert, was durch Indikatoren wie Beschäftigen- und Umsatzzahlen im Gesundheitswesen verdeutlicht wird. So weist die gegenwärtige Anzahl mehr als fünf Millionen Beschäftigte aus, während der Umsatz, so Hurrelmann, sich auf ca. 300 Mrd. Euro belaufe (vgl. Hurrelmann 2015, 13). Insofern sei „das Gesundheitswesen (…) der größte Wirtschaftszweig und damit auch der dominierende Infrastruktursektor in Deutschland“ (ebd.). Den Gesundheitsberufen kann daher „eine hohe gesellschaftliche und arbeitsmarktpolitische Bedeutung“ (ebd.) attestiert werden. Angesichts dieser Vorbemerkungen lag es nahe, eine Fachtagung zu den Gesundheitsberufen durchzuführen, die hier allerdings spezifisch unter dem Blickwinkel der Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der Berufsbildungsforschung ausgerichtet wurde (s. hierzu weiter unten).

Die Bedeutung der Gesundheitsberufe spiegelt sich ebenso im bildungspolitischen und wissenschaftlichen Diskurs wider. Erinnert sei hier exemplarisch an die Publikation des Wissenschaftsrates aus dem Jahr 2012 zu den sog. „Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen“ sowie an die Denkschrift der Robert Bosch Stiftung aus dem Jahr 2013 mit dem Titel „Gesundheitsberufe neu denken, Gesundheitsberufe neu regeln; Grundsätze und Perspektiven“. Mit letztgenannter Denkschrift wird der Diskurs zu den Gesundheitsberufen und zur Gesundheitsversorgung, aufbauend auf den Vorläuferschriften aus den Jahren 1989, 1992, 2000 und 2011, zielgerichtet fortgeführt. Hinsichtlich der Aktualisierung der Diskussion um die Gesundheitsberufe und deren Bildung heißt es einführend:

„Inzwischen verlangen fortgeschrittene gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die Auswirkungen des demographischen Wandels und das neue Krankheitsspektrum nach einer grundsätzlicheren Umgestaltung des Gesundheitswesens und seiner Berufsgruppen. Der tiefgreifende Wandel macht auch vor den bestehenden Profilen und Rollen der Gesundheitsberufe nicht halt und legt eine Überarbeitung der bisher den jeweiligen Gesundheitsberufen zugeschriebenen Kompetenzen nahe“ (Robert Bosch-Stiftung 2013, 2).

Auch im aktualisierten Basiscurriculum der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik aus dem Jahr 2014 wird die Bedeutung der Gesundheitsberufe hervorgehoben, welche seinerzeit in der Fassung von 2003 noch nicht explizit als solche akzentuiert wurden. Ebenso zeichnet sich in der Berufsbildungsforschung ein zunehmendes Interesse an den Gesundheitsberufen ab. Im Vergleich zu den kaufmännisch-verwaltenden und den gewerblich-technischen Berufen ist die Berufsbildungsforschung in den Gesundheitsberufen und ihres Bildungspersonals, u. a. wegen ihrer beruflichen und akademischen Sonderwege (vgl. zu den Pflegeberufen Bischoff-Wanner/Reiber 2008; Weyland/Reiber 2013; vgl. zu den Gesundheitsberufen Weyland/Bonse-Rohmann 2013), allerdings noch deutlich unterrepräsentiert (vgl. auch in Darmann-Finck 2010).

Vor dem Hintergrund dieser einführenden Anmerkungen zur Bedeutung der Gesundheitsberufe im Bildungs- und Beschäftigungssystem und der Weiterentwicklung der Berufsbildungsforschung in diesem Bereich sollte, wie bereits erwähnt, auch am eigenen Hochschulstandort dieser Diskurs in Form einer wissenschaftlichen Tagung fortgeführt werden. So war es den Vertreterinnen und Vertretern des Instituts für Bildungs- und Versorgungsforschung im Gesundheitsbereich (InBVG) der Fachhochschule Bielefeld[1] ein bedeutsames Anliegen, den Diskurs zu den Gesundheitsberufen im Rahmen einer Fachtagung zur Berufsbildungsforschung aufzunehmen und weiterzuführen.

Das InBVG ist ein an der Fachhochschule Bielefeld angesiedeltes Institut, in dem Forscherinnen und Forscher verschiedener Arbeitsschwerpunkte im interdisziplinären Verbund Fragestellungen im Bereich der Bildungs- und Versorgungsforschung bearbeiten. Eingebunden sind Vertreterinnen und Vertreter aus der Pflegewissenschaft, den Gesundheitswissenschaften, Therapiewissenschaften, der Medizin und der Berufspädagogik. Eine besondere Aufgabe wird dabei in der Thematisierung und Erforschung aktueller Forschungsfragen sowie in der Entwicklung anwendungsorientierter und innovativer Konzepte bzw. Ansätze gesehen. Dies ist verbunden mit der Zielsetzung, zur zukunftsgerechten Ausgestaltung und Entwicklung der Tätigkeits- und Handlungsfelder im Gesundheitsbereich beizutragen, wobei auf den unmittelbaren Dialog und Austausch mit anderen Forschungseinrichtungen und Praxispartnern ein besonderes Augenmerk gerichtet wird.

Die Tagung wurde nach langer Vorbereitungs- und Konzeptionierungsphase im Januar 2014 mit großer Resonanz durchgeführt und trug den Titel „Wege und Perspektiven der Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich – Denkanstöße für Pflege und Therapie“. Sie richtete sich an Vertreterinnen und Vertreter bzw. Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft, Berufsbildungspraxis und Bildungspolitik, welche sich mit Fragen der beruflichen Bildung in den Gesundheitsberufen befassen bzw. sich im beruflichen Alltag mit diesen auseinandersetzen. Dabei wurden verschiedene Gegenstandsbereiche der Berufsbildungsforschung aufgenommen, u. a. die Arbeitsmarkt- und Qualifikationsforschung, die Professionalisierungsforschung, die Kompetenzforschung sowie die Curriculumforschung.

Die Fachtagung begann mit einer standortbezogenen Einführung in Form zweier einleitender Vorträge zur Berufsbildungsforschung, die sowohl allgemeine Aspekte zur Forschung in der beruflichen Bildung als auch spezifische Perspektiven zu den Gesundheitsberufen integrierte. Zunächst referierte Uwe Fasshauer in der ersten Keynote (Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd) zum Thema „Stand und Perspektiven der Berufsbildungsforschung“. Hierauf aufbauend folgte die zweite und zugleich auch in diesem Spezialband publizierte Keynote der eintägigen Fachtagung, welche Ingrid Darmann-Finck (Universität Bremen) unter dem Blickwinkel „Berufsbildungsforschung in den Gesundheitsberufen – auf dem Weg zu einer Agenda“ referierte. Entlang der gesetzten Essentials der Keynote folgte eine moderierte Podiumsdiskussion im Spiegel ausgewiesener Experten, in der Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Berufsbildungspraxis und Berufsbildungspolitik miteinander diskutierten. Dabei wurden nochmals die besonderen Herausforderungen in der beruflichen Bildung der Gesundheitsberufe mit Blick auf kontextbezogene und strukturelle Rahmenbedingungen sowie personenbezogene Voraussetzungen und situative aufgabenbezogene Anforderungen deutlich. Die damit einhergehenden Implikationen für die Berufsbildungsforschung wurden ebenfalls thematisiert, was sich in der Forderung nach einer systematisch angelegten und zugleich interdisziplinär sowie interprofessionell ausgerichteten Berufsbildungsforschung erwies. Anschließend wurden in zweistündigen parallel laufenden Foren zentrale Forschungs- und Handlungsfelder zu den Gesundheitsberufen aufgegriffen und diskutiert. Dabei bezog sich das thematische Spektrum auf folgende Kontexte:

  • Ausbildung in den Gesundheitsberufen– aktuelle Ansätze
  • Qualifizierung und Professionalisierung des Bildungspersonals in den Gesundheitsberufen
  • Möglichkeiten der Kompetenzorientierung und -erfassung in den Gesundheitsberufen
  • Bildungsanforderungen aus der beruflichen Praxis
  • Der Deutsche Qualifikationsrahmen: Auswirkungen auf die Gesundheitsberufe.

Den Abschluss der Fachtagung bildete ein Vortrag von Beat Sottas (Careum Stiftung Zürich) mit dem Titel „Perspektiven der Berufsbildungsforschung in einer intersektoralen Gesundheitsbildungspolitik“. Auch hier zeigte sich die Vielgestaltigkeit und zugleich Komplexität, was die zukünftigen Herausforderungen an die Berufsbildungsforschung betrifft. Dieser Beitrag ist in diesem Spezialband dokumentiert.

Ein Großteil der referierten Beiträge wurde in diesem Sammelband publiziert, welche im nächsten Kapitel hinsichtlich des zentralen Vorhabens kurz vorgestellt werden. Hinzu kommen drei weitere Beiträge, deren Verfasserinnen allerdings auf der Tagung selbst nicht vortragen konnten. Da es sich aber um relevante Themen im Bereich der Berufsbildungsforschung zu den Gesundheitsberufen handelt, wurden die Autorinnen zur Publikation aufgefordert. Das Editorial schließt mit einer kurzen Rückschau und einem Ausblick zur Weiterführung der Berufsbildungsforschung in den Gesundheitsberufen.

2 Thematische Akzentsetzung der Beiträge

Wie bereits zuvor erwähnt, rahmte die Keynote von Ingrid Darmann-Finck einen wesentlichen Einführungsteil der Tagung, in der, aufbauend auf einzelnen Ausführungen der ersten Keynote[2] von Uwe Fasshauer Besonderheiten der Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich skizziert wurden. In ihrem, in diesem Spezialband verschriftlichten Beitrag „Berufsbildungsforschung in den Gesundheitsfachberufen – auf dem Weg zu einer Agenda“ geht sie zunächst auf die Besonderheiten der beruflichen Bildung in den Gesundheitsberufen ein. In dem hier verschriftlichten Beitrag nimmt sie vor allem die Gesundheitsfachberufe in den Blick. Im Besonderen fokussiert sie dabei auf die Pflegeberufe als Teil der Gesundheitsfachberufe[3]. In ihrem Beitrag betont sie die besondere Bedeutung der Berufsbildungsforschung in dem Gesundheitsbereich und akzentuiert zugleich die Notwendigkeit eines eigenständigen Zugangs zur Berufsbildungsforschung in dieser Domäne. Die spezifischen Zugänge verdeutlicht sie in Anlehnung an eine Einteilung von Sloane (2006) entlang der Kategorien Institutionen der Berufsbildungsforschung, Gegenstände und Methoden. Für die Pflegeberufe stellt sie abschließend fest, dass „die Berufsbildungsforschung in den Gesundheitsfachberufen noch wenig institutionalisiert ist, aus dem breiten Spektrum der Gegenstände schwerpunktmäßig die Themen Arbeitsmarktforschung, Berufsbildungssystem und berufliches Lehren und Lernen untersucht werden und neben der Modellversuchsforschung – sofern eigenständige empirische Arbeiten vorliegen – kleine Studien mit überwiegend deskriptivem Studiendesign vorherrschen“ (Darmann-Finck 2015, Abstract in diesem Band). In ihrem Fazit formuliert sie einige Schlussfolgerungen im Sinne einer weitreichenden Forschungsagenda, welche nochmals die zukünftigen Herausforderungen zur Weiterentwicklung der Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich markieren.

Die nun folgenden Beiträge nehmen thematische Schwerpunkte zur Berufsbildungsforschung in den Gesundheitsberufen auf, wobei – wie bereits zuvor erwähnt – nicht zu allen zuvor dargelegten Foren auch verschriftlichte Beiträge eingereicht wurden. So befasst sich Karin Reiber (Hochschule Esslingen) in ihrem Beitrag mit der „Evaluation von Studienprogrammen auf der Basis von Verbleibstudien – dargestellt an Befunden zum Berufseinstieg in die Pflegepädagogik“. Auf der Grundlage eines Drittmittelprojektes mit dem Titel „Die Zukunftsfähigkeit der Pflegepädagogik in Baden-Württemberg“ konnten alle Pflegepädagoginnen und -pädagogen in Form einer sogenannten Verbleibstudie nach ihrem beruflichen Verbleib befragt werden. In ihrem Beitrag hebt sie die Bedeutung solcher Studien im Sinne einer zielführenden Studiengangentwicklung heraus, indem zugleich Zusammenhänge zwischen Studienvoraussetzungen, Studienbedingungen und berufsbiographischen Entwicklungen berücksichtigt werden können. Damit ergeben sich auch für die Frage nach der Ausgestaltung des Professionalisierungskontextes angehender Pflegepädagogen weiterführende Forschungsansätze.

Mit dem Richtungswechsel zum betrieblichen Bildungspersonal setzt sich nachfolgend Maria Zöller (Bundesinstitut für Berufsbildung)in ihrem hier publizierten Beitrag mit der Thematik „Bedingungsfaktoren betrieblichen Bildungspersonals in den Gesundheitsberufen – Ausbildungen in dualen Gesundheitsberufen und Gesundheitsfachberufen im Vergleich“ auseinander. Ausgehend von den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen dieser Berufe und einem quantitativen Vergleich der Ausbildungszahlen stellt sie im Vergleich dieser Berufe die Mindestanforderungen an das betriebliche Bildungspersonal heraus. Auf Basis der vorgenommenen Analysen kommt sie in ihrem Beitrag zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Bedingungsfaktoren für betriebliches Bildungspersonal in den Gesundheitsberufen von einer heterogenen Struktur gesprochen werden müsse. Die Heterogenität spiegele sich u. a. in Hinblick auf Aspekte wie Modernisierung und Weiterentwicklung in den Ausbildungen wider. In ihrem Ausblick fordert sie weiterführende Forschungsarbeiten zu den Gesundheitsberufen und deren betrieblichem Bildungspersonal, u. a. unter dem Blickwinkel der Aspekte Praxisanleitung, Lernortkooperation und Gestaltung des Lehr-/Lernprozesses.

Ebenso mit der Frage nach der Qualifizierung, aber auch Professionalisierung betrieblichen Bildungspersonals befassen sich Marisa Kaufhold (Fachhochschule Bielefeld) und Ulrike Weyland (Westfälische Wilhelms-Universität Münster). In ihrem Beitrag „Betriebliches Bildungspersonal im Humandienstleistungsbereich – Herausforderungen und Ansätze zur Qualifizierung und Professionalisierung“ zeigen sie, ausgehend von der besonderen Problemlage im Humandienstleistungsbereich, die Notwendigkeit einer differenzierten Auseinandersetzung unter Nachzeichnung allgemeiner und spezifischer Herausforderungen an betriebliches Bildungspersonal auf. Dabei gehen sie von der These aus, dass betriebliches Bildungspersonal wesentlichen Einfluss auf die Prozesse und die Qualität der Aus-, Fort- und Weiterbildung hat. In ihren Ausführungen rekurrieren sie zugleich auf den seit den 1980er Jahren intensiver beginnenden sowie auf den aktuellen berufs- und wirtschaftspädagogischen Diskurs zur Qualifizierung und Professionalisierung betrieblichen Bildungspersonals. Dabei sprechen sie von einer zeitlichen Überdauerung der Thematik. In Hinblick auf das betriebliche Bildungspersonal im Humandienstleistungsbereich werden die besonderen Herausforderungen für die Berufsbildungsforschung nachgezeichnet und exemplarisch an dem laufenden Forschungsprojekt HumanTec ein Qualifizierungs- und Professionalisierungsvorhaben für diese Klientel verdeutlicht. Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und zukünftigen Arbeitsmarkterfordernisse wird in diesem Projekt zudem auf interdisziplinäre Bezüge rekurriert.

Ein weiterer Schwerpunkt der hier im Spezialband dargelegten Beiträge richtet sich auf den Gegenstandsbereich Kompetenzforschung. Dabei sind gleich vier Beiträge aufgeführt, die sich mit dieser Thematik unter verschiedenen Perspektiven befassen. So setzen sich die Autoren Simon et al. in ihrem Beitrag mit der Thematik „Theoretische Anforderungen an die Kompetenzmodellierung unter Berücksichtigung domänenspezifischer Besonderheiten in der Pflege älteren Menschen“ auseinander. Anknüpfend an die BMBF ASCOT-Initiative rekurrieren sie auf das in dieser Förderlinie der empirischen Berufsbildungsforschung eingebundene BMBF-Projekt TEMA, welches sich mit der Kompetenzmodellierung und -messung in der Domäne der Pflege älterer Menschen befasst. Ausgehend von den Besonderheiten des fokussierten Berufsbildes richten sie ihr Augenmerk in diesem Beitrag insbesondere auf das methodische Vorgehen zur Kompetenzmodellierung und die Beschreibung des heuristischen Kompetenzmodells zur Abbildung berufsfachlicher Kompetenz. Unter dem Blickwinkel der Berufsbildungsforschung stellen sie in Abgrenzung zu anderen Berufsfeldern zugleich die spezifischen beruflichen situativen Anforderungen heraus und die Besonderheit, dass Sozialkompetenz als Bestandteil von Fachkompetenz gesehen werden könne. Im Ausblick des Beitrages wird u. a. die Bedeutung dieses Forschungsbeitrages für die berufliche Bildung unterstrichen.

Ebenso auf den Bereich Kompetenzmodellierung und -messung fokussiert, bearbeiten die Autoren Dietzen et al. die bisher kaum erforschte Thematik „Soziale Kompetenz Medizinischer Fachangestellter: Was genau ist das und wie kann man sie messen?" Ausgehend vom Forschungsstand beschreiben sie das ebenso in der sogenannten BMBF ASCOT-Initiative geförderte Projekt CoSMed und gehen dabei u. a. auf die methodische Umsetzung, die vorgenommene empirische Analyse der ausgewählten beruflichen Domäne sowie auf zentrale Ergebnisse zum explizierten Domänenmodell in Bezug auf sozial-kommunikative Kompetenzen von Medizinischen Fachangestellten ein. Daran anknüpfend verdeutlichen sie die Messung dieser Kompetenzen anhand eines computergestützten situativen Testinstruments. Im Ausblick stellen sie den besonderen Nutzen für die weitere Forschung sowie für die Berufsbildungspraxis heraus.

Nadin Dütthorn nähert sich in ihrem Beitrag zu „Pflegespezifische Kompetenzen im europäischen Bildungsraum – eine empirische Studie zur Inhomogenität des Bildungsbegriffs“ dem begrifflichen Konstrukt in Form einer fachspezifisch-problemorientierten und qualitativ empirisch differenzierten Herangehensweise zu pflegespezifischen Kompetenzen im europäischen Bildungsraum (Schottland, Schweiz und Deutschland). Dabei handelt es sich um eine vergleichende Studie, in der das den befragten Lehrenden und Lernenden innewohnende Verständnis bzw. deren Deutungen hinsichtlich pflegespezifischer Kompetenzen analysiert wurden. Im Ergebnis zeigen sich deutliche Unterschiede, was „drei landesspezifisch unterschiedliche Konzepte zum Verständnis pflegespezifischer Kompetenz“ markiert (Dütthorn 2015, Abstract in diesem Band). Hieraus ergeben sich Forschungsfragen, was die „Angemessenheit des Konstrukts Kompetenz zur Charakterisierung pflegespezifischer Professionsanforderungen in einem einheitlichen europäischen Qualifikationsrahmen“ (ebd.) betrifft.

Einen weiteren Beitrag zur Thematik Kompetenzorientierung leistet Thomas Evers (Hochschule für Gesundheit in Bochum) mit seinen Ausführungen zu „Die besondere Ungewissheit im Handeln – bildungstheoretisch und empirisch fundierte Kompetenzerfassung am Beispiel gerontopsychiatrischer Pflegepraxis“. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Defizite im Zuge der Entwicklung pflegeberuflicher Curricula und dem Hinweis auf eine fehlende bildungstheoretische Fundierung beschreibt er ein mögliches Vorgehen für eine sowohl bildungstheoretisch als auch empirisch fundierte Konstruktion pflegeberuflicher Curricula. Ausgehend von der empirisch fundierten Analyse sogenannter Schlüsselprobleme im Arbeitsfeld der gerontopsychiatrischen Pflege entwickelt er im Ergebnis eine „Theorie der besonderen Ungewissheit im Handeln“. Im Ausblick seines Beitrags stellt er hinsichtlich dieses Vorgehens die qualitativen Perspektiven zukünftiger Curriculumentwicklung heraus.

Mit Herausforderungen an die Curriculumforschung und Curriculumentwicklung befasst sich schließlich auch Anja Walter (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg). In ihrem Beitrag mit dem Titel Der phänomenologische Zugang zu authentischen Handlungssituationen – ein Beitrag zur empirischen Fundierung von Curriculumentwicklungen“ stellt sie mit Bezugnahme auf schulnahe Curriculumentwicklung eine phänomenologische Arbeitsweise vor. Mittels der Arbeit an authentischen beruflichen und lebensweltlichen Handlungssituationen, u. a. im Bereich der Pflegeberufe,erfolgt eine empirische Fundierung der zu entwickelnden Curricula. Im Abschluss zeigt sie nochmals die Bedeutung dieses Vorgehens für die Curriculumforschung auf, reflektiert aber auch die Grenzen und zugleich Herausforderungen dieses Ansatzes. Darüber hinaus verweist sie auf weiterführende Forschungsperspektiven im Kontext der Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich.

Thomas Freiling (Forschungsinstitut Betriebliche Bildung, Nürnberg) setzt sich in seinem Beitrag mit der Thematik “Bewältigung demografiebedingter Herausforderungen in Pflegeberufen – Lösungsansätze und Praxisbeispiele“ auseinander. Ausgehend von Analysen zur Fachkräftesituation stellt er die prekäre Situation hinsichtlich der Sicherstellung der Pflegeversorgung heraus. Mit dem Ziel, einen Beitrag zur Bewältigung demografiebedingter Herausforderungen in den Pflegeberufen zu leisten, werden einzelne Lösungsansätze zur Entwicklung einrichtungsbezogener Konzepte skizziert. Diese stehen im Zusammenhang mit einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt im Kontext anwendungsorientierter Berufsbildungsforschung. Er plädiert für eine stärkere forschungs- und entwicklungsbezogene Ausrichtung und hebt zum Schluss seines Beitrags nochmal fragend hervor, „wie die Ausbildung (Ausbildungsinhalte und -formate) in den Pflegeberufen und auch die Weiterbildung gestaltet werden können, um auf die veränderten Anforderungen reagieren zu können“ (Freiling 2015, Abstract in diesem Band).

Den Abschluss des Spezialbandes bildet der Beitrag von Beat Sottas (Careum Stiftung, Zürich) zu „Perspektiven der Berufsbildungsforschung in einer intersektoralen Gesundheitspolitik“. Ausgehend von historischen Entwicklungslinien stellt er die Debatte um das „richtige Profil der Gesundheitsfachleute“ (Sottas 2015, Abstract in diesem Band) heraus. Im Vergleich der Reformbewegungen der letzten 100 Jahre zeichnet er die Herausforderungen und notwendigen Veränderungen in der Bildungsdebatte im Gesundheitsbereich nach. Dabei sei der sogenannte academic drift nur ein Aspekt von vielen. Eine Blickrichtung, die über die Professions- und Sektorengrenzen hinausgeht, sei angesichts der Veränderungen in diesem Bereich notwendig. Eine Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich müsse genau hier ansetzen und eine thematische und berufliche Engführung vermeiden. Letztlich müsse diese „das Delta zwischen Selbstdefinition, Bedarf und Innovationsdynamik angehen – vorzugsweise zusammen mit einer erweiterten Versorgungsforschung“ (ebd.).

Basierend auf vorausgegangene Ausführungen wird mit dem nachfolgenden Kapitel der Schluss dieses Editorials eingeleitet, in dem eine kurze Rückschau und ein Ausblick skizziert werden.

3 Rückschau und Ausblick

Mit dieser Fachtagung sollte ein gezielter Beitrag hinsichtlich der Weiterentwicklung des Diskurses zur Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich bzw. zu den Gesundheitsberufen geleistet werden, wenngleich in den Ausführungen der Rekurs auf die zahlenmäßig starke Gruppe der Pflegeberufe dominierte.

Im Rekurs auf den einführenden und überblicksartigen Beitrag von Ingrid Darmann-Finck zur Berufsbildungsforschung ist hinsichtlich der von ihr – in Anlehnung an Sloane (2006) – verwendeten und analysierten Kategorien (Institutionen, Gegenstände und Methoden) zunächst zu konstatieren, dass die Berufsbildungsforschung in diesem Bereich einer deutlichen forschungsbezogenen Weiterentwicklung bedarf. Hierzu führt sie entlang der Rubrizierung obiger Kategorien verschiedene Aspekte auf, die sie in einer Agenda zusammenführt. Dabei wird der Autorin beigepflichtet, dass es erheblichen Nachholbedarf zu einzelnen Gegenstandsbereichen dieser spezifischen Forschung zur Berufsbildung gibt, wie z. B. zur Professionalisierung des Bildungspersonals, zur empirischen Unterrichtsforschung sowie zur vergleichenden Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich sowie zum betrieblichen Lernen. Dennoch zeigen die Forschungsbemühungen der letzten Jahre, dass doch positive Entwicklungen zu verzeichnen sind und deutliche Akzente gesetzt wurden, welche die gesehene Notwendigkeit der Forschung in diesem Bereich markieren.

In diesem Spezialband konnte, so die Ansicht der Herausgeberinnen, nun ein weiterer Beitrag zu dieser Akzentsetzung bzw. zur Fortführung des Diskurses zur Berufsbildungsforschung gesetzt werden. Denn die dargelegten Beiträge verdeutlichen, dass z. B. mit Bezugnahme auf die Qualifikations- und Kompetenzforschung sowie Curriculumforschung in der beruflichen Bildung nicht nur an aktuelle Entwicklungen und Diskurse der Berufsbildungsforschung angeknüpft wird, sondern auch interdisziplinäre Zugänge berücksichtigt werden. Gleichwohl gibt es gerade im Bereich der Institutionenforschung, der Professionalisierungs- und Sozialisationsforschung sowie der empirischen Unterrichtsforschung deutlichen Nachholbedarf. Hier muss die zukünftige Bildungsforschung in den Gesundheitsberufen verschiedene Gegenstände der Berufsbildungsforschung aufnehmen und Forschungsansätze ausbauen. Angesichts der bisherigen Dominanz der Berufsbildungsforschung im Pflegebereich sollte die Forschung zu anderen Gesundheitsberufen intensiviert werden. In Teilen gibt es hier deutlich stärkeren Nachholbedarf. Dabei sind sowohl interdisziplinäre als auch interprofessionelle Besonderheiten zu berücksichtigen, aber auch wissenschaftstheoretische und methodologische sowie methodische Bezüge zu klären. Ebenso ist zu diskutieren, wo und wie sich die Berufsbildungsforschung im Kontext der Disziplinen und Bezugswissenschaften in den Gesundheitsberufen verortet und wie sich ihr Verhältnis zur Berufsbildungsforschung im Allgemeinen in der beruflichen Bildung gestaltet.

Im Rekurs auf den abschließenden Beitrag von Beat Sottas wurden nochmals der mit der Berufsbildungsforschung in diesem Bereich verbundene Anspruch, aber auch die besonderen und langfristig gut zu planenden Forschungszugänge im Kontext mehrperspektivisch angelegter und sicherlich auch widersprüchlicher bzw. flankierender Diskurse deutlich. Hier bleibt abzuwarten, ob die Gesundheitsberufe auch die an sie gestellten Ansprüche langfristig erfüllen können. Festzuhalten bleibt ebenso, dass die Zielperspektiven Gesundheitsförderung und Prävention sowie Gewährleistung der Gesundheitsversorgung sicherlich als wesentliche und auch gesellschaftlich bewertende Bezugspunkte von Forschungsanstrengungen gesehen werden. Die subjektorientierte Perspektive in der beruflichen Bildung der Gesundheitsberufe sollte aber nicht außer Acht gelassen werden, vielmehr sogar angesichts der mit beruflicher Bildung verbundenen Zielkategorien gerade hier eine besondere Rolle spielen.

 

Literatur

Bischoff-Wanner, C./Reiber, K. (2008): Lehrerbildung in der Pflege. Standortbestimmung, Perspektiven und Empfehlungen vor dem Hintergrund der Studienreformen. Weinheim, München.

Darmann-Finck, I. (2010): Pflegedidaktisch relevante empirische Forschung: Stand und Notwendigkeiten. In: Pflegewissenschaft, 12, H. 11, 604-612.

Hurrelmann, K. (2015): Vorwort. In: Pundt, J./Kälbe, K. (Hrsg.): Gesundheitsberufe und gesundheitsberufliche Bildungskonzepte. 1. Aufl. Bremen, 13-14.

Robert Bosch-Stiftung (2013): Gesundheitsberufe neu denken, Gesundheitsberufe neu regeln. Grundsätze und Perspektiven – Eine Denkschrift der Robert Bosch Stiftung. Stuttgart.

Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (2014): Basiscurriculum für das universitäre Studienfach Berufs- und Wirtschaftspädagogik im Rahmen berufs- und wirtschaftspädagogischer Studiengänge. Schwäbisch-Gmünd.

Weyland, U./Reiber, K. (2013): Lehrer/-innen-Bildung für die berufliche Fachrichtung Pflege in hochschuldidaktischer Perspektive. In: Faßhauer, U./Fürstenau, B./Wuttke, E. (Hrsg.): Jahrbuch der berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung 2013 (Schriftenreihe der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). Berlin & Toronto, 189-202.

Weyland, U./Bonse-Rohmann, M. (2013):Übergänge in den Gesundheitsfachberufen und deren Lehrerbildung ermöglichen – Potentiale erkennen und fördern. In: Bals, T. et al. (Hrsg.): Übergänge in der Berufsbildung nachhaltig gestalten: Potentiale erkennen – Chancen nutzen. (Tagungsband zu den 16. Hochschultagen Berufliche Bildung 2011 in Osnabrück). Paderborn, 100-105.

Wissenschaftsrat (2012): Empfehlungen zu den hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen. Berlin (Drucksache 2411-12).

 


[1]     Alle Autorinnen sind bzw. waren Mitglieder des InBVG. Ulrike Weyland war von Oktober 2010 bis März 2015 Professorin an der Fachhochschule Bielefeld und Mitglied des InBVG. Zum April 2015 wechselte sie auf Grund eines Rufes an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster und übernahm dort die Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Berufspädagogik.

[2]     Diese wurde nicht publiziert, ist aber als Präsentation auf der Homepage des InBVG abrufbar (www.fh-bielefeld.de/inbvg).

[3]     Damit sind all diejenigen Berufe gemeint, die nicht im Regelungsbereich des Berufsbildungsgesetzes liegen, sondern in Form sogenannter Berufszulassungsgesetze geregelt werden.

Zitieren des Beitrags

Weyland, U./Kaufhold, M./Nauerth, A./Rosowski, E. (2015):Editorial zu Spezial 10: Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich – auf dem Weg zu einer Agenda.In: bwp@ Spezial 10 – Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbe­reich, hrsg. v. Weyland, U./Kaufhold, M./Nauerth, A./Rosowski, E., 1-10. Online: http://www.bwpat.de/spezial10/editorial_bwpat-spezial10-2015.pdf  (19.11.2015).