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bwp@ Spezial 20 - November 2023
Die Förderung von transversalen Kompetenzen in der Berufsbildung
Hrsg.:
&Editorial: Die Förderung von transversalen Kompetenzen in der Berufsbildung
Editorial zu bwp@ Spezial 20:
Die Förderung von transversalen Kompetenzen in der Berufsbildung
1 Transversale Kompetenzen in der Berufsbildung – Implementierung und Anwendung an verschiedenen Lernorten
Die Arbeits- und Lebenswelt von Berufslernenden und Arbeitnehmenden erfahren derzeit einen beispiellosen Wandel – nie haben sich die Tätigkeitsprofile von Arbeitsplätzen und die Lebensbedingungen der Menschen so rasant verändert wie zurzeit. Dieser transformative Wandel von Arbeits- und Lebenswelt, der durch technologische Innovationen angetrieben wird, wird u. a. auf Faktoren wie demografischen Wandel, Globalisierung und Vernetzung zurückgeführt (Helmold 2023). Berufslernende und Arbeitnehmende stehen daher zunehmend unter Druck sich Kompetenzen anzueignen, um die damit einhergehenden Herausforderungen beruflich, aber auch privat, adäquat lösen zu können. Solche Kompetenzen sind beispielsweise Empathie, Selbstständigkeit, Problemlösen, Kommunikation, Zusammenarbeit, Kreativität, Flexibilität etc. (EU 2019, ILO 2021, OECD 2005, 2018), welche u.a. auch als transversale Kompetenzen, überfachliche Kompetenzen, Schlüsselkompetenzen, 21st Century Skills, Life Skills und Soft Skills bezeichnet werden. Im deutschsprachigen Bildungsraum ist diese Art des Kompetenzbegriffes in der Fachliteratur nicht allgemeingültig definiert. Allerdings weisen Beschreibungen und Definitionen Gemeinsamkeiten auf (vgl. Scharnhorst 2021). Dabei handelt es sich um Kompetenzen, die „quer zu Fachbereichen und Kontexten liegen“ (Scharnhorst/ Kaiser 2018, 9), d. h. in konkreten Handlungssituationen und/oder -kontexten erworben werden und auf andere Situationen und/oder Kontexte übertragbar sind. Transversale Kompetenzen können sowohl informell in privaten und beruflichen Situationen und/oder Kontexten als auch formell durch Aus- und Weiterbildung im Bildungssystem erlangt werden.
In der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist die Diskussion um transversale Kompetenzen nicht neu. Bereits in den 1970 Jahren wurde im Rahmen der damaligen Bildungsexpansion von Mertens der Begriff der Schlüsselqualifikationen vorgestellt. Gemeint waren damit Kenntnisse und Fertigkeiten, die keinen direkten beruflichen Praxisbezug hatten, sondern der Erschließung von sich schnell ändernden Spezialwissens dienten (Mertens 1974). In der Berufsbildung sind Bezüge zu den überfachlichen Kompetenzen bereits seit längerem direkt oder indirekt in den Lehrplänen der beruflichen Ausbildungen zu finden. Dort werden sie zumindest in der Schweiz häufig in Kompetenzkategorien der Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz, kurz MSS-Kompetenzen, zugerechnet (SBFI 2018). Bisher ist jedoch noch weitgehend unerforscht, wie diese Kompetenzkategorien an verschiedenen Lernorten in der beruflichen Aus- und Weiterbildungspraxis im Berufsbildungssystem vermittelt werden.
Das von der Kammer PH der swissuniversities finanziell geförderte Leading House „Berufsfelddidaktik“, welches aus einer Kooperation der fünf Schweizer Hochschulen – Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung, den Pädagogischen Hochschulen Luzern, Zürich, St. Gallen und der Universität Zürich besteht, hat sich in seiner Vertiefungsphase (2. bis 4. Jahr der Projektlaufzeit) mit der Erforschung von transversalen Kompetenzen an verschiedenen Lernorten der Berufsbildung sowie in unterschiedlichen Berufsfeldern befasst. Der Begriff Berufsfelddidaktik bezieht sich dabei auf die einzelnen Didaktiken von verschiedenen Berufen, die einem Berufsfeld zugeordnet werden, wobei sich die Berufe innerhalb eines Berufsfeldes z. T. deutlich voneinander unterscheiden (Zihlmann 2002). Während sich in einigen Berufsfeldern, z. B. Gesundheit sowie Wirtschaft, Verwaltung und Tourismus, bereits Fachdidaktiken etablieren konnten, gibt es für die meisten Berufsfelder noch keine eigenen Didaktiken. Zudem sind auch die transversalen Kompetenzen in der Berufsbildung bisher wenig erforscht.
In unserer Spezialausgabe der bwp@ geht es um die theorie-, empiriebasierte und anwendungsbezogene Auseinandersetzung mit der Thematik der transversalen Kompetenzen in formellen Aus- und Weiterbildungssettings rund um die Berufsbildung. Hierbei beschäftigen sich die verschiedenen Beiträge mit der Untersuchung von transversalen Kompetenzen in speziellen Berufsfeldern, z. B. Gesundheit, Wirtschaft, Verwaltung und Tourismus, Gastgewerbe und Hotellerie sowie Informatik und den folgenden Lernkontexten:
- im betrieblichen Kontext,
- im Kontext der Berufsschule,
- im Kontext weiterer Lernorte der beruflichen Aus- und Weiterbildung.
Die Beiträge dieser Spezialausgabe stammen mehrheitlich von Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Leading House „Berufsfelddidaktik“ und werden durch Beiträge von deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern komplettiert.
2 Beiträge zu transversalen Kompetenzen in der Berufsbildung
Friederike Krause beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit dem Stellenwert von Humor als transversale Kompetenz für Pflegefachkräfte. Obgleich Humor bisher nicht explizit als transversale Kompetenz definiert wurde, so argumentiert die Autorin, sei diese Fähigkeit essentiell im Gesundheitswesen, angesichts der geltenden Rahmenbedingungen sowie institutionalisierter Missstände, für die Gestaltung von Beziehungen mit Kolleg*innen und Patient*innen. Darüber hinaus wird diskutiert, inwiefern Humor das Potenzial enthält, individuelle Reflexions- und Distanzierungsprozesse zu flankieren. Der umfangreiche Literaturreview zur Bedeutung von Humor offeriert fundierte Erkenntnisse und die Möglichkeit zu anknüpfender Forschung im Kontext der Berufsbildung.
Jessica Paeβens und Esther Winther beschreiben in ihrem Beitrag die Effekte der Kollaborationskompetenzförderung auf Basis der Daten von 279 Industriekaufleuten in drei Interventionsgruppen und einer Kontrollgruppe. Die Befunde zeigen, dass Kollaboration und berufliche Kompetenz von kaufmännischen Auszubildenden durch gezielte Fördermaßnahmen gesteigert werden kann. Kollaboration ist als transversale Kompetenz nicht inhaltlich losgelöst zu vermitteln, sondern in einer konkreten Handlungssituation zu verankern. Dies ist darin begründet, dass Kollaborationskompetenz als transversale Kompetenz variabel an fachliche Inhalte gebunden werden kann und damit den beruflichen Kompetenzerwerb erweitert.
Lona Widmer und Antje Barabasch beschäftigen sich mit Kreativität und der Förderung dieser transversalen Kompetenz. Der Beitrag stellt ein neu entwickeltes allgemeindidaktisches Modell einer kreativitätsfördernden Lernsequenz vor. Das Modell wurde theoretisch hergeleitet und setzt sich aus Annahmen des psychologischen Konstruktivismus, des erfahrungsbasierten und forschenden Lernens sowie der bekannten Konzeptualisierung des Kreativitätsprozesse nach Graham Wallas zusammen. Das Modell bezieht sich auf alle Berufsfelder und ist nicht auf Kreativberufe beschränkt, da künftige Arbeitsmarktanforderungen mehr kreatives Denken und Handeln erfordern.
Lena Freidorfer und Katrin Kraus konzentrieren sich auf die Kompetenzen Kritisches Denken und Problemlösen. Sie offerieren eine konkrete Perspektive auf betriebliche Bildungspraxis in zwei Dienstleistungsberufen (Hotellerie und Informatik). Zum einen wird dabei untersucht, inwiefern Kritisches Denken (KD) und Problemlösen (PL) in den curricularen Grundlagen der Ausbildung in diesen Berufen bereits verankert sind und zum anderen, mit welchem Verständnis von KD und PL betriebliche Berufsbildende ihre Tätigkeit ausüben.
Sabine Seufert und Lukas Spirgi gehen der Frage nach, inwieweit Programmieren als transversale Kompetenz für die Berufsbildung gefördert werden sollte. Das Konzept des Computational Thinking (CT) gilt als eine Kernkompetenz des 21. Jahrhunderts und zielt darauf ab, den Menschen in die Lage zu versetzen, Methoden der Informatik für die Lösung von Problemen in einer Vielzahl an Domänen zu lösen. Neben der Aufarbeitung der bildungspolitischen Diskussion werden verschiedene Ansätze zum Programmieren, mit denen Berufslernende in Berührung kommen, genauer erörtert. Sogenannte «Prompting-Skills» (im Sinne von Low-Coding) werden künftig bedeutungsvoller, um die Zusammenarbeit mit generativen KI-Systemen gestalten zu können.
Daniel Pittich, Andreas Gromer und Raphael Sing stellen fest, dass überfachliche Kompetenzen zwar in der Präambel der (bundesdeutschen) Rahmenlehrpläne (KMK 2020, 5) explizit adressiert, darüber hinaus jedoch nicht weiter konkretisiert werden. Sie schlussfolgern, dass sich aus unterrichtspraktischer Perspektive entsprechende Bedarfe an konkreten Ansätzen und Konzepten für einen schlüssigen Erwerb überfachlicher Kompetenzen ableiten lassen. Ausgehend von theoretisch-konzeptionellen Bilanzierungen und Abgleichen mit Analysen der Ordnungsmittel identifizieren die Autoren Kompetenzbereiche und kompetenzorientierte Lernziele.
Anna Hofstetter, Silke Fischer, Melanie Elderton und Annette Tettenborn schreiben über die Ergebnisse einer Mixed-Method-Studie über die Aneignung und den Aufbau von überfachlichen Kompetenzen in verschiedenen schulischen und betrieblichen Lernsettings im Berufsfeld Gesundheit im Kontext einer höheren Fachschule aus Sicht der beteiligten Akteure. Der Artikel gibt erste Einblicke in das handlungskompetenzorientierte Lernen und die Vermittlung von überfachlichen Kompetenzen im Kontext der höheren Fachschule im Gesundheitsbereich, die zur Weiterentwicklung des Unterrichts, zur kritischen Diskussion des Begriffs der überfachlichen Kompetenzen und zur Reflektion des Prinzips der Handlungskompetenzorientierung anregen sollen.
Nicole Ackermann und Simone Heinecke widmen sich den Handlungskompetenzen im neuen Lehrplan für die kaufmännischen Berufsschulen mittels qualitativer Inhaltsanalyse. Es werden berufsbildende und allgemeinbildende Lerngegenstände identifiziert und diese entlang einer inhaltsbezogenen (domänenspezifisch und domänenübergreifend) und prozessbezogenen (kognitiv und nicht-kognitiv) Dimension systematisiert. Die Ergebnisse geben Orientierung über die didaktische Komposition des Lehrplans und der curricularen Handlungskompetenzen.
Markus Maurer und Karin Hauser untersuchen die Ausbildung und Beurteilung von überfachlichen Kompetenzen in der Berufsbildung der Schweiz anhand der überbetrieblichen Ausbildung in fünf Berufen. Auf Grundlage einer Analyse von Lehrplandokumenten sowie einer Auswertung von leitfadengestützten Interviews wird dabei insbesondere dargestellt, wie die Ausbildung und Beurteilung überfachlicher Kompetenzen in der überbetrieblichen Ausbildung reglementiert ist und wie diese Reglementierungen umgesetzt werden.
Dietrich Wagner, Samuel Krattenmacher und Susan Rosen präsentieren ein Messinstrument, mit welchem die Erfassung von beruflicher Handlungskompetenz in der beruflichen Grundbildung möglich ist. Dieses Messinstrument baut auf dem Kompetenz-Reflexions-Inventar auf, welches für berufstätige Personen entwickelt wurde. Mithilfe des Messinstruments lassen sich vier verschiedenen Kompetenzbereiche erfassen: Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz. Der Artikel zeigt auf wie das Instrument validiert wurde.
Dank
Wir möchten uns sehr herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für die interessanten Beiträge bedanken. Zudem geht unser Dank auch an die zahlreichen Reviewerinnen und Reviewer, die die Beiträge in einem mehrstufigen double-blind Reviewprozess begutachtet haben.
Antje Barabasch und Silke Fischer
(Herausgeberinnen des bwp@ Spezial 20)
Literatur
European Union (2019): Key competencies for lifelong learning. Luxemburg.
Helmold, M. (2023): New Work als neues Arbeitskonzept. In: Helmold, M. et al. (Hrsg.): New work, neues Arbeiten virtuell und in Präsenz. Wiesbaden, 1-16. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41289-0_1.
International Labour Organization (ILO) (2021): Global framework on core skills for life and work in the 21st century. Genf: ILO.
Mertens, D. (1974): Schlüsselqualifikationen. Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 7, 36-43.
OECD (2005): Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen. Zusammenfassung. Paris.
OECD (2018): The future of education and skills. Education 2030. Paris.
Scharnhorst, U./Kaiser, H. (2018): Transversale Kompetenzen für eine ungewisse digitale Zukunft? In: Schweri, J./Trede, I./Dauner, I. (Hrsg.): Digitalisierung und Berufsbildung. Herausforderungen und Wege in die Zukunft. OBS EHB Trendbericht 3. Zollikofen, 9-12.
Scharnhorst, U. (2021): Transversale Kompetenzen – notwendig, erwünscht und schwierig zu erreichen. In: BWP, 1, 18-23.
Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) (2018): Transversale Kompetenzen. Bericht im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI im Rahmen des Projekts «Berufsbildung 2030 – Vision und Strategische Leitlinien». Bern.
Zihlmann, R. (2002): Das Berufsfelder-System. Rüti (ZH).
Zitieren des Beitrags
Barabasch, A./Fischer, S. (2023): Editorial zu bwp@ Spezial 20: Die Förderung von transversalen Kompetenzen in der Berufsbildung In: bwp@ Spezial 20: Die Förderung von transversalen Kompetenzen in der Berufsbildung, hrsg. v. Barabasch, A./Fischer, S., 1-5. Online: https://www.bwpat.de/spezial20/editorial_spezial20.pdf (19.11.2023).