Titel:
Übergänge in der Beruflichen Rehabilitation - Probleme und Chancen
Beitrag von Michael BREITSAMETER (Katholische Jugendfürsorge der Diözese Augsburg e. V. / Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke Berlin)
Lohnt sich Berufliche Rehabilitation auch unter betriebs- und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten? Die Berufsbildungswerke in Deutschland haben sich bewusst diese Frage gestellt und das Institut der deutschen Wirtschaft beauftragt, eine Untersuchung darüber anzufertigen. Im Mittelpunkt des Vortrags werden die Ergebnisse dieser Studie stehen. Beleuchtet werden soll zudem neben dem makosystemischen Blick auf die Rentabilität der Berufliche Rehabilitation im Rahmen des Bildungswirtschafts-/ und Gesellschaftssystems auch die Frage, wie sich die Zugänge von jungen Menschen mit Behinderungen zum Ausbildungssystem an der ersten Schwelle Schule Beruf gestalten und – auch aufgrund wirtschaftlicher Strategie – verändern. Es stellt sich im Rahmen der Untersuchung auch die Frage der zweiten Schwelle, des Übergangs von der Ausbildung in den Beruf.
Es ist heute nicht einfach, einen geeigneten betrieblichen Ausbildungsplatz zu finden. Die Anforderungen an Auszubildende sind in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Jedes Jahr benötigt deshalb über ein Drittel der Jugendlichen eines Jahrgangs Unterstützung beim Übergang in eine Ausbildung und Beschäftigung. Oft sind dies Jugendliche mit konkreten Benachteiligungen. Fehlende Schulabschlüsse, mangelnde Ausbildungsreife, Defizite im sozialen Verhalten, Migrationshintergrund, das Vorliegen einer Behinderung oder gesundheitliche Beeinträchtigungen können den Einstieg ins Berufsleben erschweren. Wenn solche Benachteiligungen zusammen auftreten, haben die Jugendlichen kaum eine Chance auf einen der begehrten Ausbildungsplätze.
Für viele dieser Jugendlichen ist die berufliche Rehabilitation in Berufsbildungswerken unverzichtbar. Die Berufsbildungswerke bieten Jugendlichen, die wegen ihrer Behinderung oder funktionalen Beeinträchtigung auf interdisziplinäre, psychologische, pädagogische oder soziale Hilfen angewiesen sind, eine qualifizierte Berufsausbildung an.
Jedes Jahr beginnen etwa 5.000 Jugendliche eine Ausbildung im Berufsbildungswerk.
Knapp 13 Prozent von ihnen haben keinen Schulabschluss, weitere 26 Prozent bringen einen Förderschulabschluss mit.
Die Erstausbildung eines jungen Menschen am Berufsbildungswerk kostet die Gesellschaft viel Geld. In Zeiten knapper Haushaltsmittel stellt sich die berechtigte Frage, ob dieses Geld gut angelegt ist. Eine direkte Aufrechnung von Kosten und Nutzen ist jedoch nicht möglich. Sie scheitert daran, dass sich das Ziel der beruflichen Rehabilitation, die Teilhabe behinderter Menschen, kaum in Euro berechnen lässt.
Was sich jedoch ermitteln lässt sind die Erfolge der beruflichen Rehabilitation bei der Teilhabe am Arbeitsmarkt. Eine solche Quantifizierung ist in der Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln „Kosten und Nutzen der beruflichen Rehabilitation junger Menschen mit Behinderungen oder funktionalen Beeinträchtigungen – eine gesamtwirtschaftliche Analyse“ vorgenommen worden.
In der Studie wurden Anfang des Jahres 2010 über 1.500 ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer der beruflichen Erstausbildung an Berufsbildungswerken über ihre vergangene und aktuelle Erwerbssituation und ihr Einkommen befragt.
Die Befragung der Personen, die eine berufliche Erstausbildung an den Berufsbildungswerken in den Jahren 1995 bis 2008 abgeschlossen hatten, führte zu folgenden zentralen Ergebnissen:
Zum Befragungszeitpunkt waren 68 Prozent der Absolventinnen und Absolventen der Berufsbildungswerke erwerbstätig.
Die Teilhabe am Erwerbsleben steigt bei älteren Jahrgängen an. Je länger der Abschluss der Berufsausbildung zurückliegt, desto höher ist die Erwerbsbeteiligung.
In der Gruppe der Absolventinnen und Absolventen, die das Berufsbildungswerk vor zehn bis 15 Jahren verlassen haben, ist sie mit 70 Prozent am höchsten.
Während die Erwerbstätigenquote der befragten Absolventinnen und Absolventen einer Ausbildung am Berufsbildungswerk aktuell 68 Prozent beträgt, arbeiten Personen mit ähnlichen Benachteiligungen ohne eine abgeschlossene Ausbildung deutlich seltener: Von den jungen Menschen mit Behinderungen, die keine Berufsausbildung absolvieren konnten, ist nur jeder Zweite in den Arbeitsmarkt integriert.
Die meisten Absolventinnen und Absolventen müssen in ihrem weiteren Berufsleben nicht mehr vom Staat gefördert werden. Sie verdienen aus eigener Kraft durchschnittlich 1.612 Euro brutto im Monat. Personen, die ähnliche Benachteiligungen aufweisen wie die Absolventinnen und Absolventen, aber keine Berufsausbildung abgeschlossen haben, müssen hingegen oft vom Staat unterstützt werden, um am Erwerbsleben teilhaben zu können. Viele von ihnen gehen ihrer Arbeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen nach. Wenn sie einen Job bekommen, der nicht vom Staat gefördert wird, dann verdienen sie lediglich 1.283 Euro brutto im Monat. Dies zeigen die Daten der Befragung der Abbrecher der beruflichen Rehabilitation.
Absolventinnen und Absolventen der beruflichen Erstausbildung verdienen etwa 330 Euro mehr im Monat als Personen mit ähnlichen Beeinträchtigungen, die keine berufliche Erstausbildung am Berufsbildungswerk abgeschlossen haben.
Mit zunehmender Berufserfahrung verdienen Absolventinnen und Absolventen mehr, mit jedem zusätzlichen Berufsjahr steigt ihr monatliches Einkommen im Schnitt um 40 Euro an.
Die Ausbildung im Berufsbildungswerk hat den Befragten auch nach ihrer eigenen subjektiven Einschätzung im späteren Leben zumeist geholfen. 83 Prozent gaben an, dass die Ausbildung ein großer Vorteil war.
Um die ganzheitliche Betreuung, Begleitung und Qualifizierung bis zum Berufseintritt der jungen Menschen leisten zu können, ist eine ausreichende Finanzierung erforderlich. Rechnet man alle Kosten einer beruflichen Rehabilitation zusammen, so ergibt sich ein Betrag in Höhe von rund 120.000 Euro je Absolvent/-in. Hierin enthalten sind alle Kosten, die zur beruflichen Rehabilitation eines Jugendlichen anfallen – einschließlich Aufwendungen für die Berufsschule, den Lernort Wohnen und das Ausbildungsgeld.
Damit ist die berufliche Rehabilitation teurer als alternative Formen der beruflichen Förderung. Der Unterschied liegt bei etwa 50.000 bis 60.000 Euro. Der Grund für diese spezifische Zusatzinvestition in die Ausbildung behinderter Jugendlicher im Berufsbildungswerk ist, dass eine ganzheitliche Förderung, Betreuung und Qualifizierung dieser spezifischen Zielgruppen notwendig ist. Zur ganzheitlichen Förderung besteht keine Alternative, die vergleichbare Ausbildungs- und Integrationserfolge erwarten ließe.
Da die Absolventinnen und Absolventen der beruflichen Rehabilitation häufiger einer Arbeit nachgehen und mehr verdienen, lohnt sich die Zusatzinvestition in ihre Ausbildung. Sie ist sogar sehr ertragreich:
Die Rendite der beruflichen Rehabilitation beträgt 11,7 Prozent.
Bei der Berechnung der Rendite wird angenommen, dass der hohe Anteil in Erwerbstätigkeit von 68 Prozent bis ins Alter von 60 Jahren stabil bleibt. Die Rendite hängt also von der <st1:personname w:st="on">Anna</st1:personname>hme zum weiteren Verlauf der Erwerbstätigkeit ab. Die ersten 15 Jahre nach Verlassen des Berufsbildungswerks steigt die Erwerbstätigenquote der Absolventinnen und Absolventen in der Tendenz an. Es ist aber zu vermuten, dass sie in höherem Alter wieder zurückgeht. Daher ist es sehr wichtig, dass sich die berufliche Rehabilitation bereits frühzeitig rechnet:
Die Investition in die berufliche Rehabilitation hat sich gesamtwirtschaftlich bereits zehn Jahre nach Abschluss der Ausbildung am Berufsbildungswerk ausgezahlt.
Die berufliche Rehabilitation an den Berufsbildungswerken leistet einen wichtigen Beitrag zur Integration von Jugendlichen mit Behinderungen oder funktionalen Beeinträchtigungen in Ausbildung und Erwerbstätigkeit. Sie verbessert nicht nur die Teilhabe der Menschen mit Behinderungen, sondern sie rechnet sich auch als Investition in die zukünftige Wertschöpfung dieser Menschen.
NEUMANN, M./ LENSKE, W./ WERNER, D./ HEKMANN, B. (2010): Kosten und Nutzen der beruflichen Rehabilitation junger Menschen mit Behinderungen oder funktionaler Beeinträchtigungen – eine gesamtwirtschaftliche Analyse. Köln.
BREITSAMETER, M. (2011): Rentiert sich Berufliche Rehabilitation von jungen Menschen – erste Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Analyse der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke in Zusammenarbeit mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 05, hrsg. v. STEIN, R./ STACH, M., 1-4. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft05/breitsameter_ft05-ht2011.pdf (26-09-2011).