Titel:
Übergänge in der Beruflichen Rehabilitation - Probleme und Chancen
Beitrag von Lutz GALILÄER (Forschungsinstitut Betriebliche Bildung, f-bb)
Die durch veränderte Rahmenbedingungen und Funktionsmängel des dualen Systems angefachte Reformdiskussion bietet auch für den Bereich der beruflichen Rehabilitation zahlreiche Anknüpfungspunkte. An prominenter Stelle steht dabei die Forderung nach der Verwirklichung von Inklusion, da sich die Separierung von jungen Menschen mit Behinderung auch nach dem Ende der Schulzeit in den Phasen Berufsvorbereitung und Ausbildung fortsetzt. Der Übergang von der Schule in Ausbildung oder in Tätigkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt ist für Jugendliche mit Behinderung besonders schwierig. Da die Ausbildung überwiegend außerbetrieblich erfolgt, ergeben sich aber auch an der zweiten Schwelle hohe Hürden. Der Artikel stellt die aktuelle Situation am Übergang Schule-Beruf und bei der beruflichen Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderung dar. Daran schließen sich die Darstellung des aktuellen Entwicklungsprojekts „TrialNet – betriebsnahe, modulare Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderung“ sowie ein abschließendes Fazit an.
Das Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen durch die Schaffung möglichst normaler Lebensverhältnisse lässt sich ohne eine Integration in das Arbeits- und Berufsleben nur schwer erreichen. Wegen ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen brauchen Jugendliche mit Behinderung besondere Unterstützung und Förderung. Die Entwicklung der Angebots- und Nachfrageverhältnisse auf dem Ausbildungsstellenmarkt, der technologische Wandel und wirtschaftliche Konjunkturen haben aber auch die Rahmenbedingungen für die berufliche Ausbildung behinderter Jugendlicher in den letzten Jahren deutlich verändert. Die sinkende Aufnahmekraft des dualen Systems der Berufsausbildung für schwächere und sozial benachteiligte Schüler, der allgemeine Trend der Höherqualifizierung und die starke Expansion berufsvorbereitender Maßnahmen ohne systematische Verknüpfung mit der regulären Ausbildung erfordern neue Ansätze auch in der Berufsbildung mit behinderten Jugendlichen.
Es nicht einfach, zu überblicken und zu bestimmen, wer zum Personenkreises der „Jugendlichen mit Behinderungen“ zählt, denn die relevanten schul- und sozialrechtlichen Kategorisierungen definieren jeweils Personengruppen, die nicht identisch sind (FELKENDORFF 2007, 37 f.). Das Merkmal „Jugendliche mit Sonderpädagogischem Förderbedarf“ gibt es nur im Schulsystem. 2006 gab es rund 50.000 Absolventen von Förderschulen, von denen 77% die Schule ohne und 20% mit Hauptschulabschluss verlassen haben (KMK 2008). Hinzu kommen etwa 9.000 integrativ geförderte Abgänger aus allgemeinbildenden Schulen.
Sonderpädagogisch geförderte Jugendliche müssen keine „schwerbehinderten Menschen“, ihnen Gleichgestellte oder „von Behinderung bedrohte Menschen“ im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX sein (SGB IX § 2, Abs. 1-3). In Deutschland waren Ende 2010 ca. 7,1 Millionen als (schwer-)behinderte Menschen anerkannt, rund drei Viertel davon waren 55 Jahre und älter, gut 160.000 im Alter zwischen 15 und 25 Jahren (STATISTISCHES BUNDESAMT 2011).
Um allgemeine und besondere Leistungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben (SGB III § 97 ff.) zu beziehen, ist für Jugendliche die Feststellung und der Nachweis einer Behinderung (einschließlich ihres Grades) wiederum nicht erforderlich.[1] Von den rund 153.000 Rehabilitanden, die 2010 im Durchschnitt monatlich von der Bundesagentur im Bereich „Ersteingliederung“ in einem „Reha-Verfahren“ gefördert wurden, waren etwa 35.000 mit einem Grad der Behinderung über 30 (BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT 2010a). In den verschiedenen Maßnahmen zur Förderung der Ausbildung und in der Berufsvorbereitung befanden sich 2010 (bis September) im Durchschnitt rund 93.000 Teilnehmer pro Monat (BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT 2010b). Wenn von der Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderungen gesprochen wird, so sind in der Regel diese von der Bundesagentur mit allgemeinen und rehaspezifischen (Ausbildungs-)Leistungen geförderten Jugendlichen mit Reha-Status gemeint.
Der Übergang von der Schule in Ausbildung oder in Tätigkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt ist für Abgänger von Förderschulen besonders schwierig. Die Ursachen dafür liegen auf mehreren Ebenen:
Die Handlungsfelder Berufsorientierung und Übergangsmanagement stehen seit einigen Jahren im Fokus der Berufsbildungspolitik auf Bundes- und Landesebene. Eine gestiegene Jugendarbeitslosigkeit, das gewachsene Missverhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsstellenmarkt und dessen Folgen, z. B. die Expansion des Übergangssystems und die Altbewerberproblematik, waren die Auslöser dafür. Aber auch die Zunahme der außerbetrieblichen Ausbildung benachteiligter und behinderter Jugendlicher in den letzten Jahren (BIBB 2010a, 127 ff.), das Nebeneinander von freien Ausbildungsplätzen und unversorgten Bewerbern sowie die Aussicht auf den demographisch induzierten Rückgang der Schülerzahlen im allgemeinbildenden Schulsystem haben die Aufmerksamkeit von Bildungs- und Sozialpolitik verstärkt auf Berufsorientierung und Übergangsmanagement gelenkt.
Der Anspruch von Berufsorientierung geht heute über die Vermittlung berufskundlicher Information und die Ermöglichung praktischer Einblicke in Berufsfelder hinaus. Berufsorientierung zielt auf grundlegende Kompetenzen zur Lebensbewältigung und die Ausprägung eines realistischen Selbstbildes: „Berufsorientierung soll zur individuellen, zielgenauen Berufs- und Lebenswegplanung motivieren und befähigen. Die Einsicht in die Notwendigkeit lebensbegleitenden Lernens gehört ebenso dazu wie die Entwicklung von Selbsthilfestrategien, um gebotene Chancen wahrnehmen und nutzen zu können“ (BIBB 2005, 2).
Die Verwirklichung dieser Aufgabe stößt im Fall der Förderschulabgänger auf erhebliche Schwierigkeiten, die vor allem mit dem sozialstrukturellen Hintergrund der Schüler in Förderschulen[2] und den stigmatisierenden Wirkungen des Schulbesuchs zusammenhängen (ERNST 2002). Darüber hinaus wird der Förderschule, insbesondere mit dem Schwerpunkt Lernen, mangelnde Wirksamkeit attestiert, sowohl im kognitiven als auch im persönlichkeitsbildenden Bereich. Vor allem die Effektivität der ausgleichenden Förderung im Verhältnis zu einer integrativen Beschulung wird in Frage gestellt: „Die Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf machen bessere Lern- und Entwicklungsfortschritte, wenn sie an einer allgemeinen Schule lernen können. Werden sie hingegen in eigens für sie geschaffenen Förderschulen unterrichtet, entwickeln sich ihre Leistungen ungünstiger, je länger sie eine Förderschule besuchen“ (KLEMM 2009, 7; vgl. WOCKEN 2005).
Der Übergang von der Schule in die Berufsausbildung ist eine kritische Statuspassage. Wenn es gelingt, in eine betriebliche Ausbildung einzumünden, stellt der spätere Übergang in Beschäftigung eine deutlich geringere Hürde dar als bei außerbetrieblichen Formen der Ausbildung oder wenn gar kein Berufsabschluss erworben wurde (KREKEL/ ULRICH 2009). Jugendliche mit schlechten schulischen Bildungsvoraussetzungen, wozu die Mehrheit der Förderschulabsolventen zählt, bleiben hingegen dauerhaft ohne Berufsabschluss, wenn sie längere Zeit in verschiedenen teilqualifizierenden Bildungsgängen nacheinander verbringen, die Ausbildung abbrechen oder die Suche nach einem Ausbildungsplatz ganz aufgeben (GAUPP/ LEX/ REIßIG/ BRAUN 2008, 31 ff.).
„Statistisch belegte Aussagen über die … vielfältigen Möglichkeiten für behinderte Jugendliche, eine berufliche Ausbildung zu erhalten, sind nur eingeschränkt möglich“ (BUNDESREGIERUNG 2005, 25). Diese Aussage des „Berichts der Bundesregierung über die Situation behinderter und schwerbehinderter Frauen und Männer auf dem Ausbildungsstellenmarkt“ kann bis heute Gültigkeit beanspruchen. Die Zugangswege junger Menschen mit Behinderung in Ausbildung und Beruf sind sehr vielgestaltig und nicht immer transparent. Das liegt nicht zuletzt daran, dass an der sogenannten ersten Schwelle unterschiedliche Systeme (Schul-, Berufsbildungs-, Beschäftigungssystem, Arbeits- und Sozialverwaltung, Kammern, Innungen) aufeinander treffen, in denen auf der Grundlage unterschiedlicher gesetzlicher Grundlagen verschiedene Akteure auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene beteiligt sind.
Berufswahl und Berufsorientierung sind erwiesenermaßen wichtige Faktoren für den weiteren Berufsweg. Die aktuelle Initiative des BMBF „Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis Ausbildungsabschluss“ fasst das „Berufsorientierungsprogramm BOP“, den Einsatz von Berufseinstiegsbegleitern und Potenzialanalysen sowie das Ausbildungsstrukturprogramm „Jobstarter“ zusammen. Im Rahmen der „Initiative Inklusion“ wird das BMAS ab 2011 die Berufsorientierung für schwerbehinderte Schülerinnen und Schüler unterstützen.[3] Neben dieser neueren Initiative von Bund und Ländern existieren auf der Ebene von Kommunen und Ländern zahlreiche Projekte, um die Berufswahl von behinderten und benachteiligten Jugendlichen sowie den Übergang in Ausbildung zu optimieren. Zusammen mit den zahlreichen Maßnahmen der Berufsvorbereitung und Berufsgrundbildung wird in diesem Zusammenhang oft von einem „Maßnahmedschungel“ gesprochen, den die behinderten Jugendlichen nicht, aber auch deren Eltern kaum zu überblicken und zu durchschauen vermögen (GINNOLD 2008). Vor dem Hintergrund gestiegener Zugangszahlen im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen (ISB 2008) lag in den letzten Jahren ein besonderes Augenmerk auf den Abgängern des Förderschwerpunkts „geistige Entwicklung“ gelegt (siehe z. B. für Bayern GÖßL/ WIRSCHING 2011). Die Konkurrenz auf dem Ausbildungsstellenmarkt hat – wohl auch begünstigt durch enge Kooperationsbeziehungen der Förderschulen mit den Werkstätten – dazu geführt, dass die Mehrheit der Absolventen dieses Förderschwerpunkts gleichsam automatisch in einer Werkstatt für behinderte Menschen Aufnahme findet (ISB 2008, 7). Alternative Ansätze werden in der verstärkten Kooperation von Schulen mit Betrieben, systematischen Übergangsverfahren unter Einbeziehung aller Akteure (z. B. Berufswegekonferenzen) und neuen Formen der Eingliederung in den Arbeitsmarkt, wie etwa der „unterstützten Beschäftigung“ (SGB IX § 38a), gesehen.
Konzepte und Ideen für eine bessere Berufswahlvorbereitung und für die Gestaltung von individuellen Berufswegen behinderter Jugendlicher liegen mit den zahlreichen kommunalen und länderspezifischen Aktionen und Modellprojekten in großem Umfang vor. Somit gibt es auch praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet. Für strukturelle, nachhaltige Verbesserungen auf diesem Feld käme es darauf an, sie zusammenzuführen und in dauerhaften regionalen Übergangsmodellen zu verallgemeinern.
Nach dem „Bericht der Bundesregierung über die Lage von Menschen mit Behinderungen“ aus dem Jahr 2009 (BUNDESREGIERUNG 2009) ist die Ausbildungssituation behinderter Jugendlicher „gut“ (45). Von den ausbildungsreifen Jugendlichen begannen in den Ausbildungsjahren 2006/2007 und 2007/2008 rund jeweils zwei Drittel eine Ausbildung, ca. 30% ‚nahmen Alternativangebote wahr’ (vgl. ebd.).[4]
Drei Trends kennzeichnen die Ausbildung behinderter Jugendlicher seit einigen Jahren:
1. Die Förderung des mehrheitlich zuständigen Reha-Trägers (BA) fokussiert verstärkt auf betriebliche und wohnortnahe Formen der Rehabilitation.
Die von der Bundesagentur für Arbeit benannten Maximen der beruflichen Rehabilitation folgen dem anerkannten Grundsatz moderner Rehabilitationskonzepte – „So speziell wie nötig, so normal wie möglich“ – und basieren unter anderem auf den allgemeinen Prinzipien Normalisierung, Selbstbestimmung, Teilhabe sowie dem Vorrang von Prävention (BIERMANN 2008, 17). Diesen Maximen entsprechend favorisiert die Bundesagentur für Arbeit seit der Einführung des SGB III in ihrem Lernortekonzept allgemeine vor spezifischen Leistungen, ambulante vor stationären Maßnahmen und betriebliche Ausbildung vor solchen in besonderen Einrichtungen (FAßMANN 2003, 37 ff.). Als Kriterien der Auswahl von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben kommen „Art und Schwere der Behinderung“, „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“, „Erfolgsaussichten“ und „ortsnahe Leistungserbringung“ zur Anwendung (siehe auch SEYD 2004). Inzwischen wird auch der Berufsberatung und Berufsorientierung durch die Bundesagentur wieder verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet (HANSEN 2008).
2. Die Ausbildun g in sogenannten gesondert geregelten Berufen (nach §§ 66 BBiG, 42m HwO) hat zugenommen.
Nach dem Berufsbildungsgesetz sollen die zuständigen Stellen für behinderte Menschen, die nicht in einem anerkannten Ausbildungsberuf ausgebildet werden können, besondere Ausbildungsregelungen erarbeiten. Gut 1.000 von diesen Einzelregelungen gibt es derzeit bundesweit (VOLLMER/ FROHNENBERG 2008), 13% davon haben berufsübergreifenden Charakter. Der erste Schritt in Richtung einer seit längerem angestrebten Vereinheitlichung und Standardisierung (VOLLMER 2007) ist mit dem vom BIBB-Hauptausschuss Ende 2009 verabschiedeten „Rahmenregelungen für Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen gemäß § 66 BBiG / §42 HwO“ (BIBB 2010b) getan. Die Abschlüsse von Ausbildungen nach diesen gesetzlichen Bestimmungen enthalten nun die Bezeichnung „Fachpraktiker/-in für/im“.
Die Ausbildung in gesondert geregelten Berufen weist einen wachsenden Anteil auf. In Berufsbildungswerken bspw. haben diese Berufe inzwischen einen Anteil von rund 56% (SEYD/ SCHULZE 2009). Die Anpassung dieser Einrichtungen an eine schwieriger gewordene Klientel (BIERMANN 2008, 60) und die Vergabepraxis der Bundesagentur (FINK 2006, 109) werden als Gründe für diese Entwicklung genannt. Sie steht in der Kritik, denn Werkerberufe haben z. T. keinen guten Ruf (siehe ebd.) oder sind auf dem Arbeitsmarkt wenig bekannt, wozu in der Vergangenheit wohl auch die uneinheitlichen Bezeichnungen – „Helfer“ und „Werker“ in unterschiedlichsten Zusammensetzungen – beigetragen haben.
3. Mangelware „Lernort Betrieb“
In gewisser Weise gegenläufig zur Präferenz der Bundesagentur für Arbeit für betriebliche, wohnortnahe Teilhabeleistungen sinkt die Zahl der Jugendlichen, deren betriebliche Ausbildungen mit allgemeinen Leistungen gefördert werden, kontinuierlich. Wurden im Jahr 2002 ca. 9.000 Jugendliche überwiegend am Lernort Betrieb ausgebildet und gefördert (GINNOLD 2008, 92), so waren es 2008 nur noch 2.050 (BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT 2009). Die Forderung, den ‚Betrieb als beruflichen Lernort für Jugendliche mit Behinderungen zurück zu gewinnen’ (vgl. FAßMANN 2003, 26), gab es schon vor zehn Jahren, erfüllt wurde sie bisher nicht.
Die durch veränderte Rahmenbedingungen (Stichwort „Europa“) und Funktionsmängel des dualen Systems (Stichwort „Übergangssystem“) angefachte Reformdiskussion bietet auch für den Bereich der beruflichen Rehabilitation zahlreiche Anknüpfungspunkte. Im Vordergrund müssen dabei die individuelle Förderung von Jugendlichen mit Behinderungen und die Verknüpfung von betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsabschnitten stehen. Gegenwärtig und künftig spielen dabei unter anderem folgende Handlungsfelder eine Rolle:
Es gibt eine Reihe von Projekten, die vor diesem Hintergrund versuchen, die Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderung an neue Anforderungen anzupassen und betriebsnäher zu gestalten. Dazu gehören:
länderspezifische Programme/Projekte:
Im Folgenden wird über das Projekt TrialNet berichtet. Das bundesweit angelegte Projekt wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales seit 2009 gefördert (Laufzeit bis 2014) und vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) koordiniert und wissenschaftlich begleitet. Projektpartner sind die Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke (BAG BBW), Bildungswerke der Wirtschaft, verschiedene weitere Bildungsträger sowie – in beratender Funktion – die Universität Hamburg (weitere Informationen finden Sie unter www.trialnet.de).
Der Großteil der behinderten Jugendlichen wird außerbetrieblich ausgebildet. Dadurch verschärft sich die Problematik der zweiten Schwelle, also des Übergangs von der Ausbildung in Beschäftigung. Um die beruflichen Teilhabechancen behinderter Jugendlicher zu erhöhen, ist es also einerseits erforderlich, den Kreis der ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Betriebe zu vergrößern und die Ausbildung dort gezielt von außen zu unterstützen. Damit würden auch behinderte Jugendliche von den besseren Integrationsleistungen einer betrieblichen oder – bei stationären bzw. teilstationären Maßnahmen – zumindest stärker betrieblich ausgerichteten Ausbildung profitieren. Andererseits gilt es, den Einstieg in eine Berufsausbildung niedrigschwellig zu gestalten, Unterstützungsleistungen spezifischer auf den individuellen Bedarf des einzelnen Jugendlichen abzustellen und - je nach Entwicklung des Rehabilitanden – Übergänge zwischen verschiedenen Teilhabeleistungen und Ausbildungsformen reibungsloser als bisher zu ermöglichen. Auch von einer besseren Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit berufsvorbereitender Maßnahmen zur Berufsausbildung würden behinderte Jugendliche profitieren.
Vor diesem Hintergrund haben sich die am Projekt TrialNet beteiligten Akteure erstens zum Ziel gesetzt, Betriebe – vor allem kleinere - die nicht oder nicht mehr ausbilden, für die Ausbildung behinderter Jugendlicher zu gewinnen. Der „Anreiz“ für Betriebe soll vor allem darin bestehen, dass sie gezielt von Berufsbildungswerken oder Bildungsträgern Unterstützung erfahren. Es gilt, neue Zugänge zu Unternehmen zu finden und Unterstützungsleistungen zu professionalisieren. Auch Firmen, die mit der gesamten Ausbildung überfordert wären oder so spezialisiert sind, dass sie ohnehin nur einzelne Ausbildungsinhalte abdecken könnten, soll mit den Konzepten des Projekts der Einstieg in Ausbildung erleichtert werden.
Abb. 1: Projektkonzeption TrialNet
Zweitens werden im Projekt TrialNet kompetenzorientierte Ausbildungsbausteine als curriculare und organisatorische Strukturierungselemente der Ausbildung behinderter junger Menschen erprobt. Die Ausbildungsbausteine sind im Hinblick auf berufspraktische Handlungsfelder zu Teilqualifikationen zusammengefasst. Mit den Vorteilen modularer Strukturen wie Kleinschrittigkeit, Überschaubarkeit, Transparenz sowie mit Meilensteinen in Form von Kompetenzfeststellungen soll es den Jugendlichen mit Handicaps einfacher gemacht werden, eine vollständige Ausbildung zu absolvieren. Auch die Leistungsfähigkeit modularer Strukturen für die Abstimmung der Lernorte steht im Fokus des Projekts.
Die modularisierte Ausbildung, wie sie in TrialNet entwickelt und erprobt wird, soll sowohl den individuellen Bedürfnissen der behinderten Jugendlichen und den Erfordernissen einer erfolgversprechenden Integration in den Arbeitsmarkt als auch den Flexibilitätsgesichtspunkten der Leistungsträger und der potenziellen Ausbildungsbetriebe Rechnung tragen. Angestrebt wird vor diesem Hintergrund stets die Absolvierung einer vollständigen Ausbildung in regulären (§§ 4 BBiG, 25 HwO) oder gesondert geregelten Berufen (§§ 66 BBiG, 42m HwO).
Die potenziellen Vorteile einer modularen Ausbildungsstruktur bestehen zum einen darin, abgegrenzte Ausbildungsabschnitte bzw. -inhalte sowohl betrieblich als auch außerbetrieblich bzw. in verschiedenen Kombinationen dieser Lernorte flexibel organisieren zu können. Zum anderen lassen sich mit dieser Struktur Ausbildungsinhalte, individuelle Lernfortschritte und erworbene Kompetenzen transparent und übersichtlich darstellen. Bei der Schneidung von Ausbildungsbausteinen und deren Zusammenstellung zu Teilqualifikationen lag besonderes Augenmerk deshalb auf ihren Funktionen
a) als curriculare und zeitliche Strukturierungseinheiten der Ausbildung,
b) als Gestaltungsmittel von individuellen Ausbildungsverläufen und
c) als Voraussetzung für die Zertifizierung von Ausbildungsteilleistungen.
Die – aus mehreren Ausbildungsbausteinen bestehenden Teilqualifikationen (Ausbildungsmodule) bilden einen Teilbereich eines anerkannten Ausbildungsberufs ab; ihnen liegt also jeweils der Vollberuf zugrunde. Alle Ausbildungsbausteine zusammengenommen ergeben die Gesamtheit der in der Ausbildungsordnung beschriebenen Fertigkeiten und Kenntnisse. Grundlagen für die Gliederung und Gestaltung der Ausbildungsbausteine und Teilqualifikationen sind das Berufsbild und der Ausbildungsrahmenplan sowie Informationen über betriebliche Arbeitsbereiche bzw. -abläufe. Jede Teilqualifikation enthält unterschiedlich viele Ausbildungsbausteine, denen entsprechende Inhalte des Ausbildungsrahmenplans zugeordnet sind. Die Inhalte der Standard-Berufsbildpositionen (Berufsbildung, Arbeits- und Tarifrecht, Sicherheit und Gesundheitsschutz, Umweltschutz) sind der Vollständigkeit und Übersicht wegen als eigener Ausbildungsbaustein aufgeführt, werden aber über die gesamte Ausbildungszeit integrativ mit fachspezifischen Themen vermittelt. Die Ausbildungsbausteine und Teilqualifikationen orientieren sich am Berufsprinzip und der Ganzheitlichkeit der Berufsbilder. Die Ausbildung im Projekt TrialNet hat das Ziel, die Auszubildenden zu einer erfolgreichen Abschlussprüfung zu führen, in der Mitte der modularisierten Ausbildung steht also die Zwischenprüfung und am Ende die reguläre Kammerprüfung.
Das vorliegende Konzept einer modularen Ausbildung in TrialNet versucht, mehrere Zielperspektiven miteinander zu verschränken:
Inzwischen sind 19 Einrichtungen an TrialNet beteiligt, 9 Bildungsträger und 10 Berufsbildungswerke. Sie bilden derzeit (Frühjahr 2011) 115 Jugendliche in 13 Berufen aus. Die folgende Übersicht gibt die Berufe und die jeweiligen Bestandszahlen wieder.
Tabelle 1: Berufe und Bestandszahlen (Frühjahr 2011)
Die aktuellen Schwerpunkte der Arbeit von TrialNet liegen auf den Gebieten
Die Jugendlichen im Projekt wurden von Agenturen für Arbeit in die Teilhabeleistung „kooperative Ausbildung, Projekt TrialNet“ (nach § 102 Abs. 1 Nr. 1b SGB III) zugewiesen. Sie werden von einem Bildungsträger betreut und absolvieren die fachpraktische Ausbildung in einem Kooperationsbetrieb. Die beteiligten Berufsbildungswerke wählen aus den Ihnen zugewiesenen Jugendlichen Teilnehmerinnen aus, die für die im Projekt vorgesehenen Ausbildungsberufe geeignet sind und unter Umständen Praxisphasen außerhalb der Einrichtung bewältigen können. Eine Beschränkung auf bestimmte Behinderungsarten ist dabei nicht vorgesehen.
Abb. 2: Behinderungsarten in TrialNet
Die Erwartungen an das Potenzial von modularisierten Strukturen in der Ausbildung jugendlicher Rehabilitanden im Projekt TrialNet sind durchaus komplexer Natur. Es wird zu prüfen sein, ob Ausbildungsbausteine für die genannten und einige weitere Funktionen und Aufgaben in gleicher Weise geeignet sind. Die zentrale Fragestellung dieses Projekts ist: Wie lassen sich die in der Benachteiligtenförderung erwiesenen pädagogisch-didaktischen Vorteile modularer Ausbildungsstrukturen mit organisatorischen und curricularen Lösungen verknüpfen, die für den Bereich der beruflichen Rehabilitation wirksam sind und die die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben erhöhen? Auf dieser Basis kann dann die Frage nach der Relevanz der Erkenntnisse für andere Bereiche der Berufsausbildung gestellt werden.
Ob der prognostizierte Rückgang der Schülerzahlen in den nächsten Jahren auch benachteiligten und behinderten Jugendlichen wieder mehr Chancen auf eine reguläre Berufsausbildung verschafft, bleibt abzuwarten. Es scheint wohl eher Skepsis angebracht. Denn neben quantitativen Entwicklungen gibt es auch qualitative Aspekte, die das Ausbildungsplatzangebot in für diese Gruppe ungünstiger Weise bestimmen (PLICHT 2008). So schränken vor allem steigende Leistungsanforderungen in der Ausbildung und auch bei sogenannter „einfacher Arbeit“ die Berufswahlmöglichkeiten der Förderschulabgänger ein und stellen hohe Hürden an den Übergängen in Ausbildung und Beschäftigung dar. Insofern müssen auch strukturelle Veränderungen sowohl in der Schul- wie in der Berufsbildung in Betracht gezogen werden, um die Teilhabemöglichkeiten von Jugendlichen mit Behinderung im Sinne der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Dazu gehören die vermehrte integrative Beschulung von Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an allgemeinen Schulen, die Gestaltung niedrigschwelliger Einstiege in eine Berufsausbildung und die Vorbereitung von Betrieben auf künftig deutlich heterogenere Gruppen von Auszubildenden.
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[1] Jugendliche werden seit 2004 mit dem „Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen“ schwerbehinderten Menschen für die Dauer der Ausbildung gleichgestellt, um die Fördermöglichkeiten für die Jugendlichen und für Arbeitgeber auszuweiten.
[2] „Die Förderschule ist eine Schule der Armen, der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger“ (WOCKEN 2005, 65).
[3] Siehe: www.alle-inklusive.de/?p=5033
[4] Über die Anzahl der nicht ausbildungsreifen behinderten Jugendlichen werden im Behindertenbericht 2009 keine Angaben gemacht.
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