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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS02 - Berufsschule
Herausgeber: Josef Rützel & Arnulf Zöller


Titel:
Übergänge im Bildungssytem - Brüche oder Brücken? Die Rolle der Berufsschule im Prozess des Lebenslangen Lernens


Berufsbildende Schulen als Lernorte für das Leben in Übergängen und in regionalen Wissensmärkten

Beitrag von Stephan KÖSEL (TU DARMSTADT)

Abstract

Das Leben in Übergängen und in Marktmechanismen gehört aus vielfältigen Gründen zur Grunderfahrung unserer demokratisch-modernen, ausdifferenzierten und global vernetzten bundesrepublikanischen Gesellschaft. Und damit zur beruflichen Bildung. Dabei treten die Übergangsherausforderungen tendenziell häufiger auf, werden anspruchsvoller und müssen zunehmend individualisiert bewältigt werden. Berufsbildende Schulen als Institutionen des Bildungssystems generieren einerseits diese veränderten Anforderungen selbst mit und können gleichzeitig für den Aufbau der individuellen Bewältigungskompetenz durch ihre spezifische Stellung in einem regionalen Wissensmarkt einen wichtigen Beitrag leisten. Sie sind gewissermaßen Teil und Lösung des Problems in einem. Dies insbesondere deswegen, da berufsbildende Schulen auf eine pädagogisch-epistemologische Professionalität ihres Personals zurück greifen und in den regionalen Wissensmarkt als intermediäre Logik einbringen können.

1 Ausgangslage und Problemstellung: Dynamische Übergangsherausforderungen

Ein Leben in Übergängen assoziiert zunächst als Gegenmodell ein statisch-kalkulierbares klares Bild von allgemeinen Lern- und Entwicklungsanforderungen, die sich entweder lebensphasenbedingt (Kindheit- Jugend- Erwachsenenalter- Seniorenalter, vgl. ERIKSON 2003) oder entscheidungsbedingt vor dem Hintergrund mehr oder weniger enger Wahlfreiheiten (bezogen auf Berufswahl, Wohnortwahl, soziale Lebensform) ergeben und die unterschiedlich kompetent als Krisenerfahrung bzw. in sich stringent funktionalistisch (auf-) gelöst werden können. In der klassischen Konzeptualisierung VAN GENNEPS  (vgl. SCHOMBURG/ SCHOMBURG-SCHERF 2005) erfüllten dabei die Riten der Trennung von bestehender Situationen, die Schwellenriten des Übergangs und die Wiedereingliederungsriten in neue Situationen bzw. Kontexte sowohl identitätsstiftende, wie auch durch deren soziale Rahmung eine solidaritätsstiftende Funktion (vgl. NOHL  2009, 91).

Zur demokratisch-modernen Gesellschaft gehört indes die Grunderfahrung den im Rahmen der verfassungsmäßig festgelegten Grundwerte selbst definierten Entscheidungsraum reflexiv mit anderen, gesellschaftlichen (Eigen-)Dynamiken in Einklang bringen zu dürfen und zu müssen, allen voran mit marktwirtschaftlich bedingten Eigenlogiken und Restriktionen. Eine solch interaktionale Sichtweise (vgl. schon früh bei GLASER/ STRAUSS 1971) erfordert bei gleichzeitiger Entnormisierung von Statuspassagen die Berücksichtigung einer subjektivierenden Reflexivität und Dynamik. Reflexivität bedeutet in diesem Zusammenhang die Folgelastigkeit eigener (scheinbarer) Entscheidungsfreiheit mit den spezifischen Anforderungen der jeweiligen gesellschaftlichen Teilsysteme und bisherigen typischen  Entwicklungsaufgaben in Einklang zu bringen. So generieren die jeweils rein interessensgeleiteten Entscheidungen für die Traumberufe Friseurin (Arbeitsentgelt) oder Bäcker (Arbeitszeit) jeweils unterschiedliche „selbst verschuldete“ Problemlagen in spezifischen Gesellschaftsfeldern (Familienplanung, Freundeskreis).

Das Beispiel des dreigliedrigen Schulsystems veranschaulicht andererseits wie biographisch früh am Übergang in die weiterführenden Schulen eine andere Grunderfahrung gemacht werden kann bzw. muss. Die gesellschaftlich-institutionelle Selektion, Antizipation und Typisierung zukünftigen individuellen Lernverhaltens erfordert hohe adaptiv-systemische Kontextkompetenzen, um individuelle Freiheitspotentiale und damit individuelle Lern- und Übergangsprozesse zu ermöglichen bzw. als Nicht-Ereignis zu verpassen. Die Untersuchungen zu kindlichen Orientierungsrahmen (KRAMER/ HELSPER/ THIERSCH/ ZIEMS 2009) zeigen etwa welch ausgeprägte Sensibilität für gesellschaftliche Inklusions- und Exklusionsdynamiken schon Zehnjährige als Hauptschüler bzw. Gymnasiasten dokumentieren und inwiefern subjektive Gewichtungen und Relationierungen etwa zwischen sozial-atmosphärischen versus leistungsorientierten Habitusformen vorgenommen werden.

Jeweils neue, kritische bzw. konstruktive Lebensereignisse (FILLIPP 1999) sind daher weniger Ausdruck einer zufällig individualistisch-entfesselter Moderne, vielmehr einer Grunderfahrung eines voraussetzungsvolleren Verhältnisses zwischen Individuum und gesellschaftlichen Institutionen und organisationalen Normierungen. Zu dieser Grunderfahrung gehört auch die einer hohen internen Vernetztheit bzw. Komplexität und damit Folgelastigkeit der Akteursentscheidungen (vgl. VESTER 1983; WILLKE  1993). Diese führt je nach individuellen Freiheits- und Gestaltungsmöglichkeiten aufgrund intern-personaler und extern-sozialer Ressourcen (HERZOG/ NEUENSCHWANDER/  WANNACK 2006)  im Verhältnis zu den jeweiligen systemischen Kontextanforderungen zu einer zusätzlichen Gleichzeitigkeit von abgeschlossenen, neuen, fortbestehenden und potentiell (un-)möglichen Übergangssituationen und -kontexten.   

Diese zeitliche Dimension paralleler, unterschiedlicher Übergangsherausforderungen entfaltet sich selbstverständlich vor dem Hintergrund, ob und wie von der prinzipiellen Möglichkeit der sachlichen, zeitlichen und sozialen Neuentscheidbarkeit bisheriger biographischer, sachlicher bzw. sozialer Altentscheidungen Gebrauch gemacht werden kann und will. Eine zentrale Rolle in einer solchen Multioptionsgesellschaft (vgl. GROSS 1994) spielen dabei adaptiv-konstruktive versus aversiv-gleichgültige Chreoden als notwendige Lernwege und als Ausdruck biographischer Selbstorganisation und Selbstkonzeptarbeit (vgl. KÖSEL 2007).

Die Skizzierung gesellschaftstheoretischer und transitionstheoretischer Aspekte führt zu der These, dass die Übergangsherausforderungen im beruflichen Bereich aufgrund der beschriebenen Dynamiken anspruchsvoller geworden sind und in Folge dessen die berufsbildenden Schulen als Institutionen und Lernorte der beruflichen Bildung bisherigen Aufgaben erweitert bzw. neuen Aufgaben innovativ begegnen können.

2 Anspruchsvollere Übergangsanforderungen in der Berufsbildung

Die folgende Darstellung veränderter Übergangsanforderungen in der Berufsbildung könnte lebensphasisch von „hinten“ her mit den Auswirkungen des demographischen Wandels beginnen, um zu zeigen, dass sich sowohl organisationstheoretisch als auch aus individueller Sicht einer Persönlichkeitsentwicklung z.T. grundlegende Wandlungsprozesse betrieblicher Handlungsvollzüge und Beziehungen und damit anspruchsvollere Erwartungen feststellen lassen. Da für berufsbildende Schulen jedoch der Eintritt und nicht der veränderte, längere Verbleib in Betrieben einen wesentlichen Bezugspunkt ihrer pädagogisch-professionellen Arbeit darstellt, werden wir diese Skizzierung „von vorne“, aus Sicht des Eintritts in die betriebliche Ausbildung beginnen.

Der weiter oben angesprochenen schulischen Selektion, Typisierung und selbstreferentiellen Habitualisierung von Lernpotentialen durch das dreigliedrige Schulsystem lagen bis in die 1990er Jahre implizit auch spätere Zuordnungsmuster für die berufliche Erstausbildung zugrunde. Trotz der prinzipiellen Offenheit des betrieblichen Ausbildungsbereiches gegenüber Bildungszertifikaten bestand eine faktische Segmentation dergestalt, dass mit dem Realschulabschluss primär Zugangswege in kaufmännische und mittleren Verwaltungstätigkeiten in der privaten Wirtschaft, mit dem Hauptschulabschluss vor allem in gewerblich-technischen Berufe des Handwerks und der Industrie gekoppelt waren. Mit dem Bildungsbericht  2010 kann man hingegen von vier Bildungssegmenten der Berufe ausgehen, wobei die vormals nur marginal in den Ausbildungsbereich einmündenden Absolventen mit Hochschulzugangsberechtigung mittlerweile ein eigenständiges  Segment  („Abiturientenberufe“) abdecken. Auf den anderen drei Berufssegmenten herrscht ein Verdrängungswettbewerb der Bildungsabschlüsse, sodass für Hauptschulabsolventen der Zugang zu einigen Berufe gar nicht mehr bzw. selbst im untersten, vierten Segment nur in starker Konkurrenz zu mittleren Abschlüssen möglich ist (vgl. AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2010, 108ff).

Standen demnach früher den institutionell wesentlich mit bedingten Inklusions- und Exklusionsdynamiken der Bildungsabschlüsse wenigstens eher kalkulierbare Einmündungsbiographien und damit normierte Übergangsphasen gegenüber, äußert sich die Folgelastigkeit des dreigliedrigen Schulsystems auf individueller Ebene in einer anspruchsvolleren Gestaltungsarbeit, ob und wie es überhaupt zu einer beruflichen oder (weiteren) schulischen Übergangssituation kommt.  Die erste anspruchsvollere Übergangsherausforderung besteht demnach in der Synchronisation des Widerspruchs lebensphasisch zugeschriebener und faktisch möglichen Übergangsverhaltens zu leisten.

Wir werden später noch darauf zurückkommen inwiefern das Übergangssystem dabei in mehrfacher Hinsicht spezifisch systemische Kompetenzen voraussetzt. Aus der Perspektive der Biographieforschung sei hier dennoch schon angemerkt, dass die Untersuchungen zu den Wertorientierungen bei Jugendlichen (HURRELMANN/ ALBERT 2006) zeigen, dass zwar die Sicherheit vor Arbeitslosigkeit und der Wunsch nach einer eigenständigen Tätigkeit eine gemeinsame Werte- und Zielbasis bilden, die berufsbildenden Schulen jedoch für den Umgang mit den faktisch zunehmenden Unsicherheiten und Diskontinuitäten sehr unterschiedlich auf die vier modellierten Wertetypen von Jugendlichen eingehen können. 

Mag es z.B. zur Grunderfahrung der hoch adaptiven „selbstbewussten Machern“  mit  pragmatischen Durchsetzungsstrategien gehören, dass in einer Optionsgesellschaft eine Entscheidung zwangsläufig eine Nicht-Entscheidung nach sich zieht, die man vorab mit kalkulieren und –tragen muss (Traumberuf im Kleinbetrieb bedeutet kein Großbetrieb mit eigener Ausbildungsabteilung), werden die „Skeptiker und Unauffälligen“ eher eine Anleitung für eine solche Kompromiss- und Entscheidungsarbeit benötigen. Doch auch auf unterrichtlich-didaktischer Ebene wird es einen Unterschied machen, ob als Ausdruck eines „pragmatischen Idealisten“ in Gruppen- oder Teamarbeitsphasen neben einem ausgeprägten Leistungswillen auch auf kooperative Lernprozesse geachtet wird oder ob ein „robuster, aber materialistisch Enttäuschter“ als vierten Wertetyp eher pragmatisch aufgrund mangelnder Sinnhaftigkeit oder  Durchhaltevermögens ein oberflächliches Lernergebnis anstrebt und sich etwa „dem Sozialquatsch“ verweigert, d.h. sich leichter extern definierten Anforderungen widersetzt.

Solche übergeordnete Werteorientierungen sind gleichzeitig Ausdruck und Verstärker selbstreflexiver Identitätsprozesse, mit dem Ziel homöostatische Gleichgewichte bzw. Kohärenzerfahrungen zu ermöglichen.  Dabei ist es eine Sache, eine Biographie als „eine prozesshafte lebenslange (Wissen-)Aufschichtung von Erfahrungen und Lernprozessen“ (BOHNSACK/ MAROTZKI 1998, 137) zu entwickeln, eine andere sie als Gesamterzählung beizubehalten bzw. durch Wandlungsprozesse (SCHÜTZE 1981 bei BOHNSACK/ MAROTZKI ebd.) ggf. zu modellieren. Die zweite anspruchsvollere Übergangsherausforderung besteht demnach darin, die oben angesprochenen Widersprüche als aktiv gestaltbare Wandlungsprozesse anzunehmen bzw. deren Bedeutsamkeit für Kohärenzerfahrungen zu erkennen.

Aus organisations- und systemtheoretischer Sicht ergeben sich solche berufspädagogisch relevanten Wandlungspotentiale zunächst aus einem veränderten Verhältnis des Individuums zur Organisation, in der es als Mitglied tätig sein soll. Wenn durch zunehmende Vernetztheit von Produktionsabläufen und marktwirtschaftlichen Umweltrelationen sowohl die interne wie externe Komplexität gesteigert wird, entsteht vermehrt ein grundsätzliches betriebliches Organisationsproblem (vgl. KÖSEL 2005, 339).  Die zusätzlich entstehende Kontingenz kann nicht mehr ausreichend in klassisch-instrumenteller Operationsweise abgearbeitet werden, sondern bedarf einer systemisch-dynamischen Herangehensweise. „In der systemtheoretischen Sichtweise verlagert sich die Aufmerksamkeit von der Gestaltung idealer Strukturen zur Betrachtung dessen, was in Organisationen tatsächlich passiert und wie mit in Organisationen zwangsläufig auftretenden Widersprüchen umgegangen werden kann“ (SOUKUP 2001 bei KÖSEL, 344).

In Anlehnung an SOUKUP kann dies auf den drei Komplexitätsdimensionen des Wissens, des Managements als Prozesssteuerung und der Organisation als soziales System folgendermaßen veranschaulicht werden

Tabelle 1:   Gegenüberstellung von klassisch-instrumenteller und systemtheoretischer Sichtweise von Organisationsentwicklung und Wissensmanagement
( vgl. KÖSEL 2006, 344)

Klassisch-instrumentelle Sichtweise

 

Systemtheoretische

Sichtweise

Aufgabe

Leitdifferenz

Komplexitäts-Dimension

Leitdifferenz

Aufgabe

Bestand an Wissen vermehren

Haben

vs.

Nicht haben

Wissen

Bewahren

vs.

verändern

Kriterien für die Veränderung und Beibehaltung von Wissen

Zielgerichteter Einsatz von Ressourcen zur Planerfüllung

Steuern

vs.

Laissez-Faire

Management

Wirkung

vs.

Wirkungslosigkeit

Anschlussfähige Irritationen herbeiführen

Ordnung aktiv etablieren

Planung

vs.

Selbstorganisation

Organisation

System

vs.

Umwelt

Widersprüche im System bearbeitbar machen


Ein drittes anspruchsvolleres Übergangsproblem ergibt sich vor diesem Hintergrund zunächst in den sich wandelnden betrieblichen Mitarbeiterrollen. Die zunehmende Außenkomplexität kann nicht durch Vorab-Innenkomplexität, d.h. eine weitere Rollendifferenzierung abgebildet werden, sondern die zunehmend situativ nötige  Kontingenzbearbeitung muss durch den Einzelnen erfolgen. So entstehen neben den klassischen delegativen zunehmend kommunikativ-fluide Erwartungen. Es entsteht die Erwartung gleichzeitig individuell im und – quasi als institutionalisierte Systeminnenumwelt (WILLKE 1993) - für das System zu handeln. Auf Organisationsebene entsteht der Widerspruch einerseits die Mitgliedschaftserwartungen im Sinne bisheriger Ordnung zu erfüllen und im Sinne einer Beobachtung 2. Ordnung diese Mitgliedschaftserwartungen nach Bedarf durch Neuentscheidungen selbst zu verändern und damit operative, auf bisherigem Systemsinn basierende Widersprüche bearbeitbar zu machen. Dadurch deutet sich das systemtheoretische, aber auch bildungstheoretische Grundproblem der subjektbezogenen Freiheitsgrade als Übergangsproblem an.  Je nachdem wann nach individuell-subjektiver Entscheidung und damit als Ausdruck sich selbst oder fremd zugebilligter Freiheitsgrade  „nur“ als Mitglied bzw. auch als „ganze Person“ gehandelt wird, entstehen Übergänge zwischen Persönlichkeits- und stellvertretend initiierter Systementwicklung.

Die Annahme LUHMANNs (2002), dass nicht die Mitglieder eines sozialen Systems die Elemente desselbigen ausmachen, sondern die unter und zwischen ihnen ablaufenden Kommunikationen, verschränkt nämlich die Selbstorganisationsprozesse der Personen und sozialen Systeme unweigerlich miteinander.  Die häufig der Luhmannschen Systemtheorie attestierte „Entpersönlichung“ (vgl. KÖNIG/ VOLLMER 2008, 20 ) ihrer Mitglieder tritt in der Regel dann ein, wenn ihnen nur automatenhaftes, rein funktional-technokratisches Verhalten zugebilligt bzw. unterstellt wird und insofern die andere für soziale Systeme konstitutive Antinomieseite von Erwartungsstrukturen, die der kommunikativen Rückkoppelung, ausgeblendet wird, die aber nur durch persönliches Verhalten als Teil der Kommunikation erzeugt werden kann. In diesem Sinne kann man es als anspruchsvolle  Übergangserwartung jedes auf Entwicklung ausgerichteten sozialen Systems ansehen zwischen individuellen Freiheitsgraden als Potential für Persönlichkeitserleben bzw. ‑entwicklung und systemisch bedingten Erwartungsstrukturen sogenannte Anschlussrationalität herzustellen (vgl. SCHEUNPFLUG/ TREML 2001, 352) bzw. auf die spezifische Selbstorganisation als (organisations-)pädagogisches Prinzip zu setzen (KÖSEL  2011).

Betrieben als sozialen Systemen ist diese Entwicklungsausrichtung zwangsläufig über ihre marktwirtschaftliche Differenz-Leitdifferenz als basale Sinnlogik eingebaut, die eine Unterscheidbarkeit gegenüber anderen Betrieben in Markt-, Produkt- bzw. Prozessdimensionen voraussetzt bzw. deren Aufrechterhaltung zum Ziel hat.  Die Komplexitätsdimension des organisationalen Wissens wird diesbezüglich nach der Leitdifferenz des Bewahrens vs. Verändern bearbeitet, mit der Maxime kriteriale Veränderungsdynamiken zu zulassen und nicht nur auf eine quantitative Zunahme potentiell wichtigen Wissens oder auf das bloße Bestehen bisheriger Wissensstrukturen zu achten. Letzteres können sich auf Dauer nur Betriebe oder Organisationen erlauben, die sich aufgrund von Produkt- oder Marktmonopolen gegenüber den geschilderten Außendynamiken durch rigide Systemgrenzen abschotten können.

Am Übergang von den weiterführenden Schulen in die berufliche (Erst-)Bildung ist auf eine weitere i.d. R. schon vollzogene Grunderfahrung hinzuweisen. Durch die gesellschaftliche Ausdifferenzierung ist davon auszugehen, dass die Notwendigkeit, sich zu Organisationen  jeweils sehr unterschiedlicher gesellschaftlicher Kontexte  (Vereine, Schulen, Krankenkassen, Online-Anbietern etc.) systemisch verhalten zu müssen bekannt ist. Dies vor dem Hintergrund, dass dabei die Bedeutung jeder einzelnen Organisation für den Entwurf einer Gesamtbiographie je nach funktionaler Zuschreibung (Schule als Erziehungsinstitution, Online-Anbieter als Basis für Zugänglichkeit und Erreichbarkeit) sehr variieren kann und die Anzahl potentieller Teil-Identitäten zunehmen. Selbstverständlich gehört es seit jeher zu jeder Form sozialen Lernens bzw. von Sozialisationsprozessen (vgl. LEMPERT 2002) dazu, ein solch interaktionales Verhalten zu entwickeln. Das Anspruchsvollere ist jedoch die potentielle Anzahl, Diversität und prinzipielle Antigonie solcher systemischer Eigenwelten, in denen man sich zeitlich, sozial und sachlich gleichzeitig aufhält bzw. diese sogar schon im obigen Sinne aktiv mitprägen kann. Sogenannte  dichotome Normalerfahrungen können daher manchmal sogar krisenanfälliger wirken als multiple, brüchige Biographien. Ein Phänomen, welches bei Männern bei Renteneintritt oder allgemein bei unerwartet eintretender Arbeitslosigkeit bekannt ist.

Wir haben anhand dieser exemplarischen Skizzierung anspruchsvollerer Übergangsherausforderungen beleuchtet, dass vor Eintritt in eine berufsbildende Schule i.d. R. schon verschiedene zentrale Grunderfahrungen vorliegen bzw. als Adaptionsvoraussetzung an veränderte betriebliche Mitgliedschaftserwartungen implizit etwa über das Konstrukt der Ausbildungsreife  (vgl. kritisch dazu EBERHART/ KREWERTH/ ULRICH 2005) attribuiert werden. Berücksichtig man zudem, dass das Durchschnittsalter der Ausbildungsanfänger im dualen System inzwischen bei über 19 Jahren liegt, stellt die Wahrscheinlichkeit unterschiedlich ausgeprägter systemischer Kontextkompetenzen eine weitere Eingangsbedingungen für den Lernort berufsbildender Schulen für das Leben in Übergängen dar.

Wir fragen daher als nächstes, wie die berufsbildenden Schulen auf diese Grunderfahrungen aus organisationstheoretischer Sicht eingehen und welche Auswirkungen eine „bewahrende Haltung“ dabei haben kann.

3 Der Versuch berufsbildender Schulen hochkomplexen Synchronisationsaufgaben mit unterkomplexer Rollen gerecht zu werden

Ernüchternd ist zunächst festzustellen, dass es eine Funktion berufsbildender Schulen ist, die die lern- und (schul-)biographisch manifestierten individuellen Problemlagen aus den weiterführenden Schulen ebenso schulisch institutionalisiert weiter zu bearbeiten und infolgedessen auf schulische Programme und Typisierungen von Lernpotentialen in Form von Bildungsgängen zu basieren, die prinzipiell phasen- und nicht individuell prozesshaft ausgerichtet sind. Dies legt zum einen das Nachholen bzw. die Erweiterung schulischer Bildungsabschlüsse als ein Ziel nah und basiert insofern auf einer weiter fortbestehenden monopolisierenden Wissens- und Kompetenzsymbolisierung nach selbstreferentiellen schulischen Organisations- und Bewertungslogiken.  Für den originären Übergangsprozess nach dem dreiphasigen Modell nach SCHLOSSBERG (vgl. bei NOHL 2009, 106) bedeutet dies für das sogenannte „moving in“,  dass prinzipiell keine neuen Rollen, Beziehungen, Routinen oder Vorannahmen auf Seiten der Jugendlichen nötig sind bzw. das „moving out“  also die Trennung von bekannten schulischen Rollen bezüglich wesentlicher Mitgliedschaftserwartungen im Hinblick auf das pädagogische Arbeitsbündnis (OEVERMANN 1996) gar nicht vollzogen werden muss und das „moving through“ daher zwar wenig Unsicherheiten, damit aber auch wenig konstruktiv Krisenhaftes auslösen muss. Man weiß in der Regel, wie man sich als Schüler im sozialen System Schule zu verhalten hat. Im transition-cycle-Modell von NICHOLSON (vgl. bei NOHL 2009, 100) ist es daher in der Vorbereitungsphase gar nicht nötig, sich mit der Entwicklung hilfreicher Erwartungen auseinanderzusetzen, die in der ersten Begegnungsphase dann in ein Vertrauensgefühl in die Bewältigung neuer Erwartungen einmünden könnte. In der Anpassungsphase ist daher das oben beschriebene persönliche und systemische Entwicklungsverhalten nur in Ausnahmefällen zu erwarten, sodass in der Stabilisierungsphase wenig nachhaltiges Vertrauen in den effektiven Umgang mit neuen Aufgaben und Beziehungen entstehen kann.

Diese sehr grundsätzliche und vereinfachende Einschätzung mag veranschaulichen, inwiefern eingangs berufsbildende Schulen als „Teil des Problems“ geschildert wurden, da sie in einigen Bildungsgängen weitgehend keinen grundsätzlichen Anlass für einen neuartigen pädagogischen Lernkontext bzw. eigene Übergangssituationen bieten. Die von LUHMANN (1996) als taktvolle Kommunikation beschriebene stillschweigende Übereinkunft schulisch-institutionelle Lehrer-Schüler-Beziehungen über weite Strecken nur symbolisch ablaufen zu lassen, vergibt wesentliches Übergangspotential, „da sie nicht in die Tiefenstruktur der Kommunikation eindringt, d.h. nicht selbst zum Thema wird“ (LUHMANN 1996, 280). Es geht dabei jedoch weniger darum, ob in solchen Bildungsgängen auch (meta-) kommunikative Fähigkeiten Thema und Lerninhalt sind, sondern ob über eine spezifische Rollenerweiterung und -vielfalt in den Bildungsgängen tatsächlich berufsbildend gearbeitet werden kann, d.h. authentische Lernanlässe für bekannte, neue und ungewöhnliche systemische Erwartungsstrukturen erfahr- und gestaltbar werden.  Bleibt man auf dieser grundsätzlichen Betrachtungsebene so verstetigen berufsbildende Schule auch als Lernortpartner des Dualen Ausbildungssystems typische Übergangs-, Transfer- und Lernprobleme auf der Wissensebene, in dem ohne institutionell-strukturelle praktizierte Koppelungslogiken idealisierte Machbarkeitsvorstellungen über didaktisch-curriculare Lernortkooperationen einen verschränkten Kompetenzaufbau zweier divergierender Lernorte suggerieren. Diese Last wird den Auszubildenden zugeschrieben, die als Einzige in beiden Lernorten Mitglieder der sozialen Systeme sind, dort jeweils mit der  geringsten Entscheidungsverantwortung ausgestattet sind, aber im Dualen System existentiell die alleinige Ergebnisverantwortung tragen (vgl. KÖSEL, S. 2005, 201ff).

Sowohl für die Bildungsgänge des Übergangssystems als auch für die vollzeitschulischen Ausbildungsgänge bzw. für die Fachklassen des Dualen Ausbildungssystems kann insofern konstatiert werden, dass der hochkomplexen Synchchronisierungsaufgabe über institutionelle Bildungsgänge aus systemtheoretischer Sicht ein unterkomplexer Organisationsentwicklungsgrad bzw. Professionalisierungsgrad des Personals entspricht. Die unterkomplexe Rollenvielfalt auf Organisationsebene sei am Konstrukt der Betriebspraxis beschrieben, welches für alle drei genannten Bereiche berufsbildender Schulen wesentlicher Bestandteil der Kommunikations- und Lernprozesse darstellt, sie aber alle in der gleichnamigen Lehrer- bzw. Schülerrolle subsumiert werden.  Obwohl etwa Betriebspraktika in Bildungsgängen des Übergangsbereiches eine andere Funktionalität einnehmen als Praxisanteile in vollzeitschulischen Ausbildungen, gibt es selten spezifisch andere Rollen innerhalb der sozialen Komplexität der berufsbildenden Schule, über die die Betriebspraxis hinsichtlich ihrer sachlichen Komplexität jeweils anders aufgegriffen werden könnte. Erst dann, wenn semantisch und aufgabenbezogen neu formulierte Rollen (z.B. „Praktikumsbegleiter“ oder „Transfercoach“ ) nicht nur auf die Einzelpersonen übertragen (und damit auf die Systeminnenumwelt abgewälzt) werden, sondern diese innerhalb bestehender Rollen neue, positiv irritierende Wirkung entfalten sollen und dürfen, besteht auf organisationaler Ebene die Chance einer Systementwicklung, die diese neue Rollen auch zum Anschlusspunkt spezifisch anderer operativer Prozesse macht. Solange es jedoch für die schulischen Tagesabläufe und didaktisch-methodische Arbeit faktisch keinen Unterschied macht, ob und wie der Lehrerkollege oder der Transfercoach die BVJ-Schüler im Praktikum begleitet, besteht auch aus Professionalisierungssicht weder für die Schule noch für den Lehrer ein Anlass dieser Rollenvielfalt eine spezifische, professionstheoretische Einbettung folgen zu lassen. Im schlimmsten Fall entfaltet sich nur demotivierendes Potential weil trotz überkomplexer Aufgaben die unterkomplexen Rollen die Tendenz fördern, durch die subjektive Ausgestaltung der Lehrerrolle eigene, private Lösungen zu finden, die nicht selten mittelfristig in den von SCHAARSCHMIDT (2007) beschriebenen Risikomustern zur Gefährdung der Lehrergesundheit ihren Niederschlag finden, sei es in dem der Überbelastung oder der resignativen Dauerdistanz. Die von OEVERMANN (1996, 137)  beschriebene Professionalisierungsbedürftigkeit pädagogischen Handelns ergibt sich insbesondere in den Bildungsgängen des Übergangssystems,  da diese eben gerade kein System darstellen und insofern die aufzulösende widersprüchliche Einheit von spezifischen und diffusen Anteilen in der pädagogischen Kommunikation umso mehr durch die ausdifferenzierten Rollen in den Bildungsgängen und durch die professionalisiert handelnde Person fallkonkret aufgelöst werden muss.

Erklärlich sind solche Hindernisse der Schulentwicklung u.a. durch die Gleichheits-Leitdifferenz als basale Sinnlogik, die sich in der bürokratischen Schulorganisation und der arbeitsrechtlichen Gestaltung der Lehrerrolle niederschlagen.  Im Gegensatz zur Differenz-Leitdifferenz der Betriebe erfüllen Schulen zudem aus strukturtheoretischer Sicht u.a. die gesellschaftliche Funktionen der Allokation bzw. Qualifikation (vgl. FEND 2008, 51), müssen also einerseits formalisiert transparent Typisierungen und Selektionsentscheidungen vornehmen, andererseits kann dies nur symbolisiert in Form von Noten und Zertifikaten erfolgen. Die Gleichheits-Leitdifferenz fördert insofern eine Überbetonung der Symbolwertproduktion, die Differenz-Leitdifferenz hingegen tendenziell die der Gebrauchswertproduktion. Nicht zufällig wird diese Logik auf betrieblicher Seite schon zu Ausbildungsbeginn über das Kommunikationsmedium Geld in Form der Ausbildungsvergütung verankert und implizit vom ersten Tag an der betriebliche Nutzenaspekt betont, wohin gegen die schulische Symbolwertproduktion selbst bei handlungs- oder lernfeldorientiertem Unterricht ihren Nutzen potentiell für die nahe oder ferne betriebliche bzw. berufliche Zukunft aufsparen muss und daraus ihre Legitimation speist.

Die bisherige Darstellung der berufsbildenden Schule quasi als Mitproduzent von Übergangsherausforderungen lässt sich damit zusammen fassen, dass sie als Institution des Bildungssystems einerseits weitgehend bekannte Selektions- und Typisierungsmuster fortführt und generiert. Sie bedient positiv formuliert in dieser Hinsicht wichtige Aspekte des Bewahrens und des Bereitstellens des wiederholten oder neuartigen Durchlaufens bestehender Übergangssituationen. Andererseits werden dadurch in gewisser Weise in der Binnenkomplexität nicht die Potentiale genutzt, um über eigenständige, spezifische Übergangssituationen sogenannte Übergangskompetenzen aufzubauen, die aufgrund ihrer intermediären Stellung im Bildungssystem und im regionalen Wissensmarkt dann intern wie extern erfahr- und lernbar gemacht werden könnten. Übergangskompetenzen, die sich sowohl auf die Schüler- wie Lehrerrolle beziehen.

Im Folgenden werden wir deswegen den Blick auf die Seite der Veränderungen werfen und fragen, welche Potentiale die schulische Binnenkomplexität zur „Lösung des Problems“, d.h. für den Aufbau solcher Übergangskompetenzen bereit stellt. Dabei geht es auch darum, welche Potentialität den berufsbildenden Schulen als Lernort aufgrund der spezifischen Professionalität der Lehrkräfte und aufgrund der institutionellen Vernetzung mit dem regionalen Wissensmarkt zukommen kann.

4 Die Intermediäre Logik von berufsbildende Schulen als Ansatz für den Aufbau von Übergangskompetenzen in einem regionalen Wissensmarkt

Will man die Potentiale einer Binnenkomplexität nach der System-Umwelt-Theorie analysieren, führt dies scheinbar paradoxerweise zunächst hinaus in die Systemumwelt, genauer formuliert an die Systemgrenze bzw. in die spezifische System-Umwelt-Relationen.

„Die Umwelt erhält ihre Einheit erst durch das System und nur relativ zum System. Sie ist für jedes System eine andere, da jedes System nur sich selbst aus der seiner Umwelt ausnimmt“ (LUHMANN 1994 zit. bei KÖSEL 2005, 22). In der Bestimmung des Systems wird demnach das Nicht-Dazugehörige als Umwelt immer schon mitgedacht, denn die spezifische Problematik seiner Umwelt macht für ein bestimmtes System überhaupt erst erkennbar, welche interne Systemstruktur zu welchem Zwecke und mit welchen Stabilisierungs- und Veränderungschancen funktional sein kann (vgl. WIILKE 1993 bei KÖSEL 2005, 22) . Diese Systemstruktur bildet sich auch dadurch heraus, dass darauf verzichtet wird, die Gesamtheit der Ursachen bzw. Umweltinputs zu beherrschen und es zu Abstraktionen kommt, die selbstorganisierend und autoreproduktiv realisiert werden. Nur so entsteht ein interner Überschuss an Produktionsmöglichkeiten (vgl. LUHMANN 1994).

Dieser Überschuss an Produktionsmöglichkeiten dreht nun die oben als kritisch beschriebene Monopolisierung und Symbolisierung von Lernpotentialen und prozessen in ihr positives Gegenteil um. Da auf Ebene der direkten pädagogischen Kommunikation durch deren Professionalisierungsbedürftigkeit der Lehrerrolle große Freiheitsgrade zugebilligt werden, verschafft dies Gestaltungsfreiräume, die nur schulintern legitimiert, d.h. kommunikativ in Frage gestellt werden dürfen. Das Beispiel der curricularen Umsetzung der Lernfeldorientierung veranschaulicht weiterhin, dass sogar Ordnungsmittel als institutionalisierter Anlass für  System-Umwelt-Relationen die faktische Ausgestaltung der Lernortkooperation nur formal regeln können und die Einzelschule bei der Modellierung von Lernsituationen daher das ganze Spektrum rein interner Verarbeitung bis hin zu neuartigen strukturellen Koppelungen mit konkreten Ausbildungsbetrieben ausschöpfen kann. Etwa wenn reale betriebliche Aufgaben oder Projekte von Berufsschulklassen umgesetzt werden. Gleiches gilt etwa verändert für die konkrete Ausgestaltung von berufsvorbereitenden Maßnahmen, deren bundesrepublikanischer Flickenteppich nicht nur Ausdruck bildungspolitischer Begriffspluralität, sondern auch der Ausgestaltung dieser Freiheitsgrade darstellt. 

Da systemtheoretisch der Sinn von Systemgrenzen in der Begrenzung von Sinn liegt, bedarf es auch zwischen sozialen Systemen der erwähnten Anschlussrationalität als Verständigungsmodus. Die eingangs erwähnte gesellschaftliche funktionale Ausdifferenzierung und Heterarchisierung durch Institutionen steigert diese Verständigungsnotwendigkeit, da die konkrete Umsetzung der jeweils zugeschriebenen Funktionalität nur intern in den sozialen Systemen eines Funktionsbereiches erfolgen kann. Wie diese Verständigungsnotwendigkeit von der Einzelschule umgesetzt wird, hängt jedoch davon ab, wie sie ihre Binnenkomplexität darauf ausrichtet. 

Für berufsbildende Schulen ergeben sich spezifische Verständigungsanlässe und -potentiale durch die Vernetzung mit dem sogenannten regionalen Wissensmarkt. Durch die Zwei-Seiten Form des Berufs (KURTZ 2001) als Koppelungen zwischen Bildungs- und Wirtschaftssystem gibt es über die dargestellte Berufssegmentation Entsprechungen zwischen Bildungsabschlüssen und der betrieblichen Verwendungslogik. Auch stellen die  Ordnungsmittel in der beruflichen Bildung einen konkreten Rahmen dieser Zwei-Seiten-Form dar. Auf operativer Ebene der Einzelschule und des Einzelbetriebes bleibt es aber unerläßlich, sich im regionalen Wissensmarkt zu verorten.

Zwar besteht hinsichtlich dem einen originär marktwirtschaftlichen Kennzeichen eines solchen Wissensmarktes, der Zahlungslogik, nur in Ansätzen bzw. gar keine strukturelle Koppelung zwischen Einzelschule und Einzelbetrieb. Dafür übernimmt die Einzelschule eine zentrale Rolle beim zweiten Kennzeichen, dem begleitenden und stellvertretenden Wissens- und Kompetenzaufbau.

Die Gegenüberstellung klassisch-instrumenteller versus systemtheoretisch-evolutionärer Sichtweise von betrieblichen Organisations- und Steuerungsproblemen fokussierte auf ein verändertes Wissensverständnis, welches sich darin äußert, Kriterien für die Kontextierung von individuellem und organisationalem Wissen festlegen und modellieren zu können. Anhand der skizzierten problematischen Rolle der Auszubildenden im Dualen System kann man eine dritte Leitdifferenz charakterisieren, für deren Anwendung und Umgang die berufsbildenden Schulen über die Professionalität des Personals prädestiniert sind und daher in den regionalen Wissensmarkt als intermediäre Logik im Sinne einer Netzwerkarbeit einbringen können. Neben der Gleichheits- und Differenz-Leitdifferenz muss die Einzelschule und ihre Schüler mit der sogenannten Anwendungs-Leitdifferenz (KÖSEL 2005, 107) umgehen, die sich sowohl auf Wissensstrukturen, individuelle Erfahrung und soziale Erfahrungskontexte bezieht.

Die Funktionalität der berufsbildenden Schulen besteht darin reflektierender und reflektierter Lernort sein zu können. Reflektierender Lernort aufgrund der zeitlichen Distanz bzw. Entschleunigung zu erwähnter Betriebspraxis ebenso wie aufgrund des professionstheoretischen Wechsels zwischen expertokratischem Regelfall und der Komplexität des Einzelfalls bzw. der daraus angeleiteten pädagogischen Kommunikation. Reflektierter Lernort weil durch die funktionale Zuschreibung nach- teil- oder vollqualifizierender Bildungsgänge exemplarisch eine sachliche Distanz bzw. Komplementarität zu den beschriebenen betrieblich-beruflichen Anforderungsdynamiken hergestellt werden kann, die für ein Übergangsverhalten unerlässlich erscheint. Durch die Ausbildung von professionellen Beurteilungsroutinen und -schemata kann eine spezifische Distanz zu betrieblichen Sichtweisen hergestellt und im Sinne der Beobachtung 2. Ordnung nützlich gemacht werden.

Für eine umfassende Übergangskompetenz sind neben einer berufsbiographischen Orientierungs- und Gestaltungskompetenz (NOHL 2009, 164ff), auch eine epistemologische Gestaltungs- bzw. Grundkompetenz erforderlich, um die eigenen Wissensstrukturen als Ausdruck einer subjektiven Wissensarchitektur (KÖSEL 2007) zu erkennen und eigenständig modellierten zu können.  Da Wissen und die Wissensverwendung im beschriebenen Sinne verstärkt dem stellvertretend handelnden Subjekt verantwortet wird, bedarf es einerseits eines betrieblichen Grundvertrauens in dessen epistemologische Anwendungskompetenz, gleichzeitig des individuellen Vertrauens der Wertschätzung der individuellen Wissensverwendung durch den Betrieb jenseits rein utilitaristischer Nützlichkeitserwartungen.

Als reflektierender und reflektierter Lernort fällt dabei der Einzelschule eine gewisse Exklusivität zu. Durch eine spezifisch pädagogisch-epistemologische Kommunikation aktuell-konkreter, berufsförmiger, subjektiver, aber auch potentiell-zukünftiger Wissensanforderungen und Wissenspotentiale ist es gerechtfertigt, diese „Lernergebnisse“ zu symbolisieren und sowohl Praktikanten des Übergangs- oder Vollzeitschulsystems bzw. Auszubildenden des Dualen Systems über Noten und Zertifikaten zu symbolisieren, wie sie wahrscheinlich als Ausdruck ihrer Stress-, Ressourcen- und Anpassungskompetenz bekannte oder kontingente Handlungsanforderungen bewältigen werden.

Die Betonung der Wahrscheinlichkeit stellt ein weiteres Charakteristikum eines regionalen Wissensmarktes dar. Durch eine enge systemische Verzahnung zwischen den Beteiligten eines Wissensmarktes, verringert sich die potentielle Kluft zwischen dem Symbol- und Gebrauchswert der Lernprozesse am jeweiligen Lernort. Die Symbolwertproduktion ist dennoch auch in einem Wissensmarkt unerlässlich, geht es doch darum für das betriebliche Vertrauen in die stellvertretende Wissensanwendung auch sachlich-operative Anschlussstellen zu generieren, was nach wie vor sinnvoll über Zertifikate oder Qualifikationen erreicht werden kann und damit auch die konkrete Beziehungsebene entlastet. Entscheidend dabei ist jedoch, wie lebendig solche Symbolwerte für die kommunikative Rückkoppelung sind und ob sie in der betrieblichen Wissenskommunikation dann auf ihre konkrete Nützlichkeit in sozialer wie individueller Hinsicht hinterfragt werden können.

Durch Fokussierung auf eine solche pädagogisch-epistemologische Professsionalität können die berufsbildenden Schulen mittelfristig auch eine gleichberechtigtere Stellung in einem regionalen Wissensmarkt einnehmen. Natürlich ist eine solche Professionalität je nach betrieblicher Größe, Ausrichtung und Wertigkeit im Ansatz auch über das betriebliche Bildungspersonal oder gar durch eine eigene Ausbildungsabteilung am betrieblichen Lernort verankert. Der systemtheoretische Unterschied, für den einzelnen Jugendlichen je nach individuellem Bedarf Lern- und Wissensprozesse zu entschleunigen, zu entgrenzen, zu entstigmatisieren und dennoch sein subjektives Übergangsverhalten symbolisieren zu können, ist durch ähnliche Bemühungen auf betrieblicher Seite nicht zu überbrücken. In einem regionalen Wissensmarkt sind die beruflichen Schulen die Experten sozial-berufliche Übergänge anzubahnen und  zu begleiten.

Die exemplarische Darstellung verdeutlicht,  wie nötig für eine solche Profilierung nicht nur eine weiterführende Auseinandersetzung mit konkreten Aspekten einer pädagogisch-epistemologischen Professionalität ist, die in Kontext dieses Artikels nicht geleistet werde kann. Sicher ist jedoch, dass dabei die bisherigen „Leistungserstellungsprozesse“ der jeweiligen Lernorte zu hinterfragen und bezogen auf eine neuartige Verzahnung der jeweiligen Mitgliedschaftsrollen hin geprüft werden müssten. Aus der Netzwerkforschung ist bekannt, dass Netzwerke nicht nur zum konstitutives Element von Schulentwicklungsansätzen werden können, sondern auch mittelfristig zur Pluralisierung des Berufsbildungssystems beitragen (vgl. WILBERS 2006). Die Perspektive eines regionalen Wissensmarktes könnte über erweiterte Professions- und Wissensrollen bisherige Abschottungstendenzen abschwächen, in dem Bildungsgänge danach konzipiert werden, an welchen Lernort für den einzelnen Jugendlichen bezogen auf seine konkreten Übergangsherausforderungen sinnvolle Lernkontexte bestehen  und wer in welcher Funktion ihn dabei am professionellsten unterstützt. Die Exklusivität als reflektierender und reflektierter Lernort dabei eine spezifische Professionalität einzunehmen könnte bedeuten, dass nicht wie bisher phasen-, sondern fallbezogen Auszubildende  bzw. Schüler länger an diesem Lernort verbleiben, andere dahingehend kürzer bzw. länger an anderen betrieblichen Lernorten. Zu einer solchen Loslösung phasen- und rein bildungsgangbezogener Sichtweise gehört selbstverständlich auch die Pluralisierung der Wissensrollen auf der Seite der Jugendlichen, die ebenso flexibel je nach Wissens- und Lernkontext Experten- oder Novizenstatus einnehmen und jeweilige Übergangsprozesse erfahren und ggf. mehrmals am reflektierenden oder eher praktischen Lernort durchlaufen können.

5 Ausblick

Zu einer solchen Utopie eines funktionierenden regionalen Wissensmarktes mit flexiblen Lernorten und Wissensrollen gehört dementsprechend die Entwicklung tragfähiger Verrechnungsformen, die auch in Konzepten teilautonomer Schulen nur in Ansätzen denkbar wären, solange man sich auf rein monetäre Verrechnungsformen bezieht. In Analogie zu regionalen Währungen mit eingebauter Inflationsdynamik bei schleppender Zirkulation (vgl. REGIOGELD 2011) wäre es lohnenswert über spezielle Tauschlogiken für regionale Wissensmärkte nachzudenken, die die jeweilige Werte für Persönlichkeits-, Professionalisierungs- und Systementwicklung als Ausdruck gelungener Übergangsarbeit abbilden und multifunktional in den jeweiligen Lernorten operationalisierbar machen. Berufsschullehrer, Ausbilder und Jugendliche tauschen ihre erbrachten Leistungen gegen jeweils nachgefragte Lern- und Wissensanfragen ein, im Extremfall der gescheiterte Hauptschulabgänger als methodischer Zuhörer für ungewöhnliche Laienfragen im Rahmen von Beobachtungsprozessen 2. Ordnung.

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Zitieren dieses Beitrages

KÖSEL, S. (2011): Berufsbildende Schulen als Lernorte für das Leben in Übergängen und in regionalen Wissensmärkten. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 02, hrsg. v. RÜTZEL, J./ ZÖLLER, A., 1-15. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws02/koesel_ws02-ht2011.pdf (26-09-2011).



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