bwp@ 39 - Dezember 2020

Berufliche Bildung in Europa – 20 Jahre nach Lissabon und am Ende von ET 2020. Entwicklungen und Herausforderungen zwischen supranationalen Strategien und nationalen Traditionen

Hrsg.: Karin Büchter, Karl Wilbers, Hubert Ertl, Dietmar Frommberger & Franz Gramlinger

Auswirkungen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses auf das Berufsbildungssystem in Spanien

Beitrag von Tim Zaunstöck, Fernando Marhuenda Fluixá, Martin Fischer & Alicia Ros-Garrido
Schlüsselwörter: Europäisierung, Bildungsgeschichte, Politikanalyse, vergleichende Berufsbildungsforschung

Der Beitrag erörtert die Entwicklung der spanischen Berufsbildung sowie das Ausmaß und die Art und Weise, wie der Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1986 zur Transformation des spanischen Berufsbildungssystems beigetragen hat. Der Beitrag ist im Anschluss an eine Einführung in fünf Abschnitte gegliedert: (1) eine Darstellung des spanischen Berufsbildungssystems vor dem Beitritt zur Europäischen Union (EU); (2) eine Skizze der europäischen Berufsbildungspolitik, die im Rahmen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses definiert wurde; (3) Veränderungen in der spanischen Berufsbildung um die Jahrhundertwende. Anschließend werden (4) die Beziehungen zwischen der europäischen und der spanischen Berufsbildungspolitik eingehend erörtert, insbesondere im Hinblick auf den 2002 verabschiedeten Nationalen Qualifikationsrahmen Spaniens und den 2008 eingeführten Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR). Schließlich wird (5) erläutert, wie Top-down- und Bottom-up-Trends dazu geführt haben, dass das derzeitige System Spaniens an seiner eigenen nationalen Identität festhält und sich gleichzeitig den europäischen Empfehlungen annähert.

The impact of the Bruges-Copenhagen Process on the VET system in Spain

English Abstract

The paper discusses the development of the Spanish Vocational Education and Training (VET), to what extent and how joining the European Economic Communities in 1986 contributed to the transformation of its VET system. After an introduction the paper is structured in five sections: 1) a presentation of the Spanish VET system prior to access into the European Union (EU); (2) a sketch of European VET policy defined in the Bruges-Copenhagen process; (3) changes in Spanish VET at the turn of the century. (4) The relations between European and Spanish VET policies are then discussed in depth particularly considering the Spanish National Qualification Framework approved in 2002 and the Eurropean Qualification Framework (EQF) established in 2008. Finally, an explanation on how top-down and bottom-up trends have resulted into the current system sticking to its own national identity while converging with European recommendations.

1 Einleitung

Es ist eine offene Frage, inwieweit Berufsbildung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) durch europäische Politik beeinflusst oder gar geregelt wird. Die europäische Berufsbildungspolitik unterliegt seit den Maastricht-Verträgen von 1992 offiziell dem Subsidiaritätsprinzip: Die Zuständigkeit für die Bildungspolitik liegt in erster Linie bei den Mitgliedstaaten, wobei der Europäischen Union eine unterstützende Rolle zukommt. Dies stellt einen gravierenden Unterschied zu anderen Politikbereichen (Währung, Landwirtschaft etc.) dar, wo Regelungen der Europäischen Union unmittelbar in die Belange der Mitgliedstaaten eingreifen und einschneidende Folgen für das Alltagsleben haben – angefangen von dadurch ausgelösten Bewegungen auf den Aktienmärkten bis hin zur Arbeit in der hinterletzten Metzgerei, die z. B. durch Hygieneregeln der EU maßgeblich tangiert ist.

Trotz dieser Andersartigkeit der Bildungspolitik haben sich in den letzten Jahrzehnten ein europäischer Berufsbildungsraum und eine europäische Berufsbildungspolitik entwickelt. Einen Meilenstein markiert sicherlich die Gründung des Europäischen Zentrums zur Förderung der Berufsbildung (Cedefop) im Jahr 1975, gefolgt von zahlreichen Berufsbildungsprogrammen (z. B. die Programme „Leonardo da Vinci“ und „Sokrates“), die im europäischen Rahmen über Jahrzehnte hinweg entwickelt und durchgeführt wurden, begleitet von politischen Vorstellungen der EU zur künftigen Gestaltung der Berufsbildung (European Commission 1995).

Auslöser und Beschleuniger für die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Berufsbildungspolitik war der Beschluss des Europäischen Rates in Lissabon im Jahr 2000: Die EU setzte sich ein neues strategisches Ziel, „to become the most competitive and dynamic knowledge-based economy in the world, capable of sustainable economic growth with more and better jobs and greater social cohesion“ (European Council 2000, 1). In diesem Kontext hat die Europäische Union Bildung als einen zentralen Politikbereich identifiziert und beansprucht sie für ihre Interessen und Ziele. Dies gilt insbesondere für die berufliche Bildung, weil ein gemeinsamer europäischer Arbeitsmarkt geschaffen werden soll und Berufsbildung eine Schnittstellenfunktion zwischen Bildung und Arbeitsmarkt einnimmt. Seither gibt es zunehmende Aktivitäten zur Etablierung von Bildung und Ausbildung als integrierte Bereiche in Entwicklungsprozessen auf europäischer und nationaler Ebene. Im Anschluss an den Beschluss des Europäischen Rates von Lissabon im Jahr 2000 wurde 2002 der so genannte Brügge-Kopenhagen-Prozess gestartet, der die Grundlage für die Entwicklung neuer europäischer Berufsbildungsstrukturen und ein Markenzeichen in der Berufsbildungspolitik auf europäischer Ebene darstellt. Der Prozess zielt darauf ab, die Leistung, Qualität und Attraktivität der beruflichen Bildung in Europa, welche im Vergleich zu anderen Bildungsbereichen als rückständig gilt, zu verbessern und die Wertschätzung zwischen den unterschiedlichen Bildungsbereichen zu erhöhen.

Dieser Prozess ist auf Basis der freiwilligen Partizipation der beteiligten Staaten durchgeführt worden. Sichtbar ist so eine grundlegende Spannung zwischen dem Wert der Souveränität im Bildungsbereich jedes einzelnen Mitgliedstaates und den Herausforderungen, denen sich alle Mitgliedstaaten gemeinsam stellen müssen: das Bestehen im globalen Wettbewerb mit alternden Gesellschaften und möglicherweise inadäquat ausgebildeten Arbeitskräften.

Vor diesem Problem steht insbesondere auch Spanien. Spanien hat im Jahr 2019 fast 47 Millionen Einwohner. Es hat eine der höchsten Arbeitslosenquoten in Europa (13,7 %), erreicht 30,51 % Jugendarbeitslosigkeit und die höchste Schulabbrecherquote (17,9 %) (Eurostat 2019, 1ff.). Es hat drei Berufsbildungs-Teilsysteme, die formale berufliche Erstausbildung, die nicht-formale berufliche Erstausbildung (für Arbeitssuchende) und die berufliche Weiterbildung. Die formale berufliche Erstausbildung in Spanien hat sich in den letzten 40 Jahren erheblich verändert: Während sie in den 1970er Jahren die einzige Chance auf Bildung in der Sekundarstufe II für Jugendliche ohne akademische Perspektive war (aufgrund ihrer starken schulischen Ausrichtung mit extremen Misserfolgsquoten), hat der Impuls, den sie Mitte der 1980er Jahre mit Spaniens Beitritt zur Europäischen Union erfuhr, dazu beigetragen, sie zu einer attraktiveren Wahl für alle Schülerinnen und Schüler mit steigender Nachfrage und wachsendem Prestige zu machen (Martínez-Morales und Marhuenda-Fluixá, 2020) – auch geachtet von Arbeitgebern und Gewerkschaften, die aktiv an der Entwicklung des spanischen Berufsbildungssystems beteiligt waren.

Welche Folgen und Veränderungen sind in den einzelnen Mitgliedstaaten durch die Lissabon-Strategie und die nachfolgenden Entscheidungen eingetreten? Welche Auswirkungen haben Maßnahmen auf europäischer Ebene auf die Bildungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten? Dies sind Fragen, die in Europa heutzutage, nach der Osterweiterung, nach dem Brexit, dem Aufkommen neuer Populismen und Nationalismen, immer relevanter werden ...

Unser Ziel ist es, zu rekonstruieren, ob und wie sich die Berufsbildungsstrukturen in Spanien unter dem Einfluss der europäischen Berufsbildungspolitik in der Zeit von 2002 bis 2019 im Rahmen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses verändert haben und wie Spanien zur europäischen Berufsbildungspolitik beigetragen hat. Spanien hatte und hat ein schulbasiertes Berufsbildungssystem. Nichtsdestotrotz ist unsere Hypothese, dass die nationale und die EU-Berufsbildungspolitik in den letzten zwei Jahrzehnten Hand in Hand gelaufen sind und in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips wechselseitigen Nutzen erbracht haben.

2 Berufsbildung in Spanien vor dem Brügge-Kopenhagen-Prozess

Seit 1975 hat Spanien wie kaum ein anderes westeuropäisches Land einen Prozess tiefgreifender politischer, sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen durchlaufen. Das Land ist ehemals agrarwirtschaftlich geprägt und hat sich in die Richtung einer Industrienation gewandelt. Nach fast 40 Jahren Diktatur war der Übergang zur Demokratie gelungen, geprägt von „westlichen“ Werten. Über die internen Veränderungen und Entwicklungen hinaus förderte die Öffnung des Landes nach außen durch den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1986 den Strukturwandel in verschiedenen Bereichen, wodurch Spanien sich an andere Mitgliedsstaaten anpassen und im internationalen Wettbewerb bestehen sollte. Spanien ist, wie alle Industrienationen, vom gesellschaftlichen und technologischen Wandel betroffen und steht unter Druck, weil der instrumentelle Wert der Bildung zu einem unverzichtbaren Standortfaktor geworden ist. Alle spanischen Regierungen nach Franco haben versucht, sich diesen Herausforderungen zu stellen und im Bildungsbereich zu den anderen europäischen Ländern aufzuschließen, indem sie versucht haben, von den europäischen Nachbarn zu lernen. In den vergangenen Jahrzehnten sind großen Summen in die Flexibilität und Innovation des Berufsbildungssystems investiert worden.

Spanien trat 1986 der Europäischen Gemeinschaft bei; die europäische Politik und die Finanzierung durch die EU stieß auf hohe Akzeptanz und trug zur Entwicklung der spanischen Berufsbildung bei. Wir können dafür einen bedeutenden Meilenstein in der Verabschiedung des Ley de Ordenación General del Sistema Educativo (LOGSE) im Jahr 1990 erkennen, einer Reform, die relevante politische Maßnahmen innerhalb des stark schulbasierten Berufsbildungssystems einführte (Marhuenda-Fluixá 2012), nämlich

  • Diversifizierung und Spezialisierung der beruflichen Qualifikationen
  • Einrichtung eines nationalen beruflichen Qualifikationsrahmens
  • Modularisierung des Berufsbildungslehrplans
  • Einführung betrieblicher Praktika als Pflichtfach in allen beruflichen Bildungsgängen

In Spanien veränderte LOGSE das Bildungssystem durch die Ausweitung der Schulpflicht auf das Alter von 16 Jahren und mit dem Versuch, ein umfassendes Bildungssystem zu etablieren (siehe Martínez et al. 2015, 306ff.). Zweifellos war diese Reform im Jahr 1990 das Ergebnis von fünf Prozessen (Spätindustrialisierung, Urbanisierung, Modernisierung, Demokratisierung und Europäisierung), die teils parallel und teils in Folge verliefen (Pérez-Díaz 1996; Pérez-Díaz/Rodríguez-Pérez 2014); Prozesse, die Teil der sozio-historischen Entwicklung des Landes waren und die einen relevanten Einfluss auf die Bildung im Allgemeinen und die berufliche Bildung im Besonderen hatten (Jiménez 1996; Pérez-Díaz/Rodríguez-Pérez 2002).

Die Industrialisierung nahm in den späten 1950er Jahren Gestalt an, nach einer Isolation innerhalb der westlichen Länder aufgrund des faschistischen Regimes, das aus dem Bürgerkrieg 1936-1939 resultierte und den Zweiten Weltkrieg überdauerte. Industrialisierung bedeutete auch Verstädterung des Landes, ein zweiter Prozess, der stattfand, als Arbeitskräfte und Familien aus ländlichen Gebieten in die wachsenden Industriestädte (Madrid, Barcelona, Bilbao, Sevilla, Valencia) zogen – eine Entvölkerung der ländlichen Welt, die bis heute andauert. Es war 1955, als das Ley de Formación Profesional Industrial in Spanien verabschiedet wurde, in welchem die Qualifikation der Arbeitskräfte zum Thema wurde. Kern dieses Gesetzes, welches bis 1970 in Kraft war, war die Regelung der Lehrlingsausbildung und Lehrlingsschulen. Die nachfolgende Gesetzgebung rückte aber von dem Prinzip der Lehrlingsschulen ab und führte das noch heute bestehende schulisches Berufsbildungssystem ein.

Ein dritter Prozess vollzog sich in den späten 1960er Jahren: die Modernisierung des Bildungssystems in dem Versuch, Bildung universell, massiv und so wissenschaftlich wie möglich zu gestalten und das Bildungsniveau der spanischen Bevölkerung anzuheben, um den Analphabetismus zu beseitigen. Diese Modernisierung bestand zum Teil in der Ausdehnung der Schulpflicht bis zum Alter von 14 Jahren, was zur Schaffung eines doppelten Angebots auf der nachobligatorischen Ebene führte: einem akademischen und einem beruflichen Bildungsweg. Der wichtigste Aspekt im Hinblick auf die Berufsausbildung im Jahr 1970 war, dass die Lehrlingsausbildung verschwand und die Berufsschulen weitgehend selbstständig die Berufsausbildung übernahmen, indem sie auch praktische Fächer anboten, jedoch hauptsächlich durch Werkstattunterricht innerhalb des Schulgebäudes. Tatsächlich bildete das Ley General de Educación (LGE) 1970 den Ursprung des aktuellen schulbasierten Berufsbildungssystems, das in Spanien bis heute besteht (Marhuenda-Fluixá 2019, 5).

Ein vierter Prozess, die Demokratisierung, begann nach 1975, als sich das Land in einem politischen Übergang zu einer parlamentarischen Monarchie befand: Politische Parteien wurden zugelassen und das Recht, sich freiwillig gewerkschaftlich zu organisieren und zu streiken, wurde anerkannt. 1982 war der Wendepunkt: Zum ersten Mal seit der Abschaffung der republikanischen Regierung im Jahr 1939 regierte eine sozialdemokratische Partei das Land. Die Demokratisierung erreichte auch die Steuerung des Bildungssystems: Die dezentrale Steuerung der Berufsbildung wurde nun von den Regionen und nicht mehr von einzelnen Schulen übernommen, was sich erheblich auf den vorgeschriebenen Mindestlehrplan auswirkte. Darüber hinaus wurden in den 1980er Jahren mehrere Beratungsinstitutionen eingeführt, wie zum Beispiel der Nationale Rat für Berufsausbildung und das Nationale Institut für berufliche Qualifikationen. Fortan waren es, wie erwähnt, die autonomen Regionen bzw. Gemeinschaften, welche volle Macht über regionale Bildungsmaßnahmen erhielten. Gleichwohl ist auch zu betonen, dass diese Maßnahmen sich selbstverständlich im Rahmen der Staatsgesetze befinden mussten. Diese neue Freiheit der Regionen führte dazu, dass sich neben den nationalen Instituten für die berufliche Bildung auch zahlreiche regionale Institute etablierten.

Mitte der 1980er Jahre wurde Spanien Teil Europas und trat dem Nordatlantikpakt (NATO) und den damaligen (1986) Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften bei, Hand in Hand mit Portugal. Der Beitritt Spaniens geschah zu einer Zeit, als die Industriekrise das Land stark in Mitleidenschaft zog. Europäische Fonds trugen dazu bei, die Auswirkungen der enormen Arbeitslosenzahlen abzuschwächen, indem durch sie zahlreiche Ausbildungsinitiativen, Übergangsmaßnahmen und -programme eingeführt wurden, die sowohl den Zugang zu einer ersten Beschäftigung als auch die Requalifizierung von Arbeitnehmern, die unter Umstrukturierungsprozessen litten, unterstützen sollten.

Im Ergebnis der Kombination dieser fünf Prozesse (Spätindustrialisierung, Urbanisierung, Modernisierung, Demokratisierung und Europäisierung) stellte sich für das Berufsbildungssystem folgende Situation heraus: Erstens gab es zu Beginn der 1990er Jahre ein schulbasiertes Berufsbildungssystem mit einem Netzwerk von schulischen Einrichtungen und Lehrkräften. Dabei wurde die berufliche Erstausbildung oft angesehen als eine Wahl für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die in der Pflichtschule schwache Leistungen erbrachten, und als eine Form der kompensatorischen Ausbildung betrachtet (Merino 2012, 2ff.; Mas 2017, 227ff.).

Zweitens gab es Anfang der 1990er Jahre ein paralleles, vom Bildungsministerium völlig losgelöstes Teilsystem der Berufsbildung mit einem eigenen Netz von Institutionen, Zentren und Ausbildern, die eine Berufsausbildung mit einem praktischen Ansatz für eine große Zahl von Arbeitssuchenden im Land (sowohl Jugendlichen als auch Erwachsenen) anboten, welche einen Weg suchten, einen Beruf zu erlernen, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten. Einige dieser Programme wurden aus dem europäischen Haushalt finanziert und umfassten Lehrlingsausbildungen in verschiedenen Formen, wobei die bekanntesten „Escuelas Taller“ (Werkstatt-Schulen) und „Casas de Oficio“ (Handelsschulen) waren.

Bald nach dem Beitritt zur Europäischen Union sah sich Spanien also mit zwei parallelen Teilsystemen der beruflichen Erstausbildung (der formalen und der nicht-formalen) konfrontiert. Das zahlenmäßig größte Angebot war schulischer Natur, während die praktische Lehrlingsausbildung nur noch ein Restbestand war. Der Übergang von divergierenden, parallelen und konkurrierenden Teilsystemen bis hin zur gegenseitigen Anerkennung der Teilsysteme dauerte fast ein Jahrzehnt. Maßgeblich war es das Ley de las Cualificaciones y la Formación Profesional (LOCFP), welches ab dem Jahr 2002 in Kraft war und durch das Bestreben gekennzeichnet war, einen umfassenden Rahmen sowohl für die berufliche Erstausbildung als auch für die berufliche Weiterbildung zu schaffen, sowohl für die formale als auch für die nicht-formale Bildung.

Die 1990er Jahre waren besonders relevant für das Verständnis des aktuellen spanischen Berufsbildungssystems. Es wurden wichtige Anstrengungen unternommen, um Gewerkschaften und Arbeitgeber für die Gestaltung und Entwicklung der beruflichen Bildung mitverantwortlich zu machen. Dies wurde durch drei politische Entscheidungen erreicht, die auf breite Akzeptanz stießen (Marhuenda 2012, 28): Erstens die Einrichtung von Berufsausschüssen, in denen Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter zusammen mit Berufsbildungslehrern und Vertretern der Bildungs- und Arbeitsverwaltungen a) den Rahmen und b) jede einzelne der beruflichen Qualifikationen in allen Einzelheiten definieren: Berufsprofil, Lernergebnisse, kompetenzbasierte Lehrplaninhalte, Definition der Lerninhalte, Gewicht des praktischen Wissens, Anforderungen an Lehrkräfte und Schulen. Diese Struktur der beruflichen Qualifikationen ist bis heute unangetastet geblieben und prägt den Nationalen Katalog beruflicher Qualifikationen, der den wichtigsten Lehrplanrahmen für die berufliche Bildung in ganz Spanien bildet.

Zweitens waren die Arbeitgeber an der Entwicklung des Curriculums beteiligt, indem Praktika zur Pflicht gemacht wurden, so dass die Lernenden im schulischen Berufsbildungssystem Praktika von bis zu einem Drittel ihrer gesamten Lehrzeit in den Unternehmen absolvieren konnten, wodurch sie neues Wissen und neue Qualifikationen einbrachten und Innovationen förderten (Brunet/Moral 2017, 150ff.).

Der Impuls, den dies der beruflichen Bildung gab, beruhte auch auf einer dritten Entscheidung: den Zugangsvoraussetzungen zur beruflichen Erstausbildung. Diese wurden angehoben und ließen vielen Jugendlichen, die die Pflichtschulzeit nicht erfolgreich absolvierten, die einzige Wahl, an einer nicht-formalen Berufsausbildung teilzunehmen. Dies führte dazu, dass zwei Subsysteme immer noch parallel liefen, wobei das eine (die formale Erstausbildung) an Prestige gewann (Martínez-Morales/Marhuenda-Fluixá 2020, 210ff.), während das andere (die nicht-formale Erstausbildung) instabil war (Marhuenda 2006, 27ff.; Navas und Marhuenda 2011, 218ff.) zu einem Geschäft mit beruflicher Ausbildung wurde.

Die Bemühungen von politischen Entscheidungsträgern, Berufsbildungsanbietern, Lehrkräften und Arbeitgebern, die an der Definition und Umsetzung des nationalen Qualifikationssystems beteiligt waren, trugen jedoch zu einem sozialen Dialog bei, der nicht nur in Bezug auf den Arbeitsmarkt, sondern auch auf die Bildungspolitik für Spanien einzigartig war und einen großen Konsens dargestellt hat. Diese Bemühungen entwickelten sich parallel zu den Entwicklungen in der Berufsbildungspolitik innerhalb der Europäischen Union, von denen Spanien profitierte und zu denen es gleichzeitig einen Beitrag leistete.

3 Europäische Berufsbildungspolitik

In diesem Abschnitt richten wir unser Augenmerk auf die Initiativen, Strategien und Instrumente der europäischen Berufsbildungspolitik. Entwicklungen hin zu einer gemeinsamen Berufsbildungspolitik haben in Europa eine lange Geschichte: Um den Herausforderungen eines gemeinsamen Marktes bereits 1957 zu begegnen, sah der Vertrag von Rom über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in Artikel 128 eine gemeinsame Berufsbildungspolitik vor und führte eine neue Beschäftigungspolitik ein, um den Grundsätzen der Niederlassungsfreiheit und des freien Personenverkehrs gerecht zu werden (European Economic Community 1957). Im Jahr 1963 verabschiedete der Europäische Rat einen Beschluss, in dem zehn allgemeine Grundsätze zur Förderung dieser Entwicklung festgelegt wurden (Lawn/Grek 2012, 36ff.). Der Haager Gipfel 1969 ebnete den Weg für eine neue Art der Zusammenarbeit im Bildungsbereich: Um soziale Fragen zu lösen, sollten auch die Sozialpartner stärker einbezogen und die Berufsbildung gefördert werden, was 1975 zur Gründung des Europäischen Zentrums für die Entwicklung der Berufsbildung, Cedefop, führte (European Commission 2006, 26ff.). Seit Mitte der 1980er Jahre ist die Zusammenarbeit in der Berufsbildung immer enger geworden. Neben einzelnen „Aktionsprogrammen“ wurden Grundlagen für gemeinsames politisches Handeln entwickelt.

Beim Treffen des Europäischen Rats von Lissabon im Jahr 2000 befassten sich die Staats- und Regierungschefs erstmals mit bildungspolitischen Fragen, so dass die allgemeine und berufliche Bildung neben Beschäftigung, Wirtschaft und Forschung nun als zentraler Bestandteil der Wirtschafts- und Sozialagenda der Europäischen Union angesehen wurde. Hervorzuheben ist, dass das Leitbild der EU-Bildungspolitik im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip auf der Annahme beruht, dass die Anwendung der Maßnahmen eine nationale Entscheidung ist. Um jedoch ausreichende Erfolge bei der gemeinsamen Entwicklung der Bildungspolitik zu erzielen, setzt die EU ein neues Instrument ein, die offene Methode der Koordinierung (OMK). Sie kann als eine Art "soft law" beschrieben werden, das aus einer Form der zwischenstaatlichen Politikgestaltung besteht, die keine verbindlichen gesetzgeberischen Maßnahmen der EU nach sich zieht und die EU-Länder nicht verpflichtet, ihre Gesetze einzuführen oder zu ändern, so dass im Endeffekt die Subsidiarität gewährleistet ist.

Zwei Jahre später, im November 2002, wurde in Kopenhagen eine Resolution über die Förderung einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit in der Berufsbildung angenommen (Council of the European Union 2003). Die wichtigsten Prioritäten für die Zusammenarbeit im Rahmen der Kopenhagener Erklärung sind (European Union 2002, 2ff.):

  • Europäische Dimension: Stärkung der europäischen Dimension in der Berufsbildung und Förderung der Mobilität und der Entwicklung der interinstitutionellen Zusammenarbeit.
  • Transparenz, Information und Beratung: Erhöhung der Transparenz in der Berufsbildung durch die Implementierung und Rationalisierung von Informationsinstrumenten und Netzwerken; Stärkung von Politiken, Systemen und Praktiken, die Information, Beratung und Orientierung unterstützen.
  • Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen: Förderung der Übertragbarkeit und Anerkennung von Kompetenzen und/oder Qualifikationen durch die Entwicklung von Referenzniveaus, gemeinsamen Grundsätzen für die Zertifizierung und gemeinsame Aktionen, einschließlich eines Leistungspunktesystems für die Berufsbildung; Gewährleistung einer besseren Kompatibilität zwischen verschiedenen Ländern.
  • Qualitätssicherung: Besondere Betonung des Austauschs von Modellen und Methoden sowie gemeinsamer Kriterien und Grundsätze für die Qualität in der Berufsbildung; Berücksichtigung der Lernbedürfnisse von Lehrern und Ausbildern in allen Formen der beruflichen Aus- und Weiterbildung.

Darauf folgten zahlreiche weitere Erklärungen auf europäischer Ebene, die alle zwei Jahre bei Treffen vereinbart wurden: Kommuniqué von Maastricht 2004, Kommuniqué von Helsinki 2006, Kommuniqué von Bordeaux 2008; Kommuniqué von Brügge 2010; sowie allgemeine Strategien, wie die Bildungspolitik der Europäischen Union bis 2020 aussehen sollte. Tabelle 1 zeigt die Beziehung zwischen den Prioritäten von 2002 und den neuen Grundsätzen für die Berufsbildungspolitik bis 2020.

Tabelle 1: Schlüsselprioritäten 2002 und Grundsätze für die Berufsbildung bis 2020.

Key priorities 2002

Principles for VET up to 2020

European dimension.

Developing a strategic approach to the internationalization of IVET and CVET and promoting international mobility

Improving the quality and comparability of data for EU policymaking in VET

Making good use of EU support

Transparency, information and guidance

Making IVET an attractive learning option

Greater involvement of VET stakeholders and greater visibility for the achievements of European cooperation in VET

Coordinated governance of European and national instruments in the areas of transparency, recognition, quality assurance and mobility

Intensifying cooperation between VET and other relevant policy areas

Fostering innovation, creativity and entrepreneurship, as well as the use of ICT (in both IVET and CVET).

Recognition of competences and qualifications

Enabling flexible access to training and qualifications

Realizing inclusive IVET and CVET

Labour market relevance

Quality assurance

Introducing measures of quality assurance

Focus on teachers, trainers and other VET professionals

Fostering the excellence, quality and relevance of both IVET and CVET

Quelle: Eigene Darstellung nach European Union (2002, 2ff.) und European Union (2010, 7ff.)

Im folgenden Abschnitt versuchen wir zu erläutern, inwiefern die spanische Berufsbildungspolitik eine europäische Dimension besitzt und wie sich auch die spanische Berufsbildungspolitik auf die europäischen Empfehlungen und die Entwicklung der Berufsbildung ausgewirkt hat. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei der Brügge-Kopenhagen-Prozess, dessen entsprechende Dokumente nur wenige Monate nach der Verabschiedung des spanischen Rahmengesetzes im Jahr 2002 und der Einführung der neuen formalen spanischen Berufsbildung unterzeichnet wurden. Anschließend werden wir erörtern, wie sich die spanische und die europäische Politik zueinander verhalten.

4 Spanische Berufsbildungspolitik um die Jahrhundertwende

Die wichtigste Umgestaltung der Berufsbildung in Spanien erfolgte 1990 durch LOGSE, was zu einer grundlegenden Änderung der Struktur des Bildungssystems führte und 2002 mit der landesweiten Vereinheitlichung der höheren Berufsbildung abgeschlossen wurde (Milolaza 2014, 45ff.).

Im Rahmen des sozialen Dialogs und um wirksam auf die Forderungen des Arbeitsmarktes nach Förderung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten zu reagieren, hatte die spanische Regierung die berufliche Bildung bereits 1993 als Priorität in ihre Agenda aufgenommen, da sie Berufsbildung als grundlegendes Mittel zur aktiven Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Förderung der Arbeitsplatzstabilität betrachtete. In diesem Klima des Dialogs wurden das erste Nationale Berufsbildungsprogramm (1993-1996) und anschließend das zweite Nationale Berufsbildungsprogramm (1998-2002) zusammen mit dem Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung auf den Weg gebracht. Diese Programme revolutionierten die Berufsausbildung in Spanien. Ziel war es, ein integriertes Berufsbildungssystem zu schaffen, das aus drei Teilsystemen (formale berufliche Erstausbildung, nicht-formale Erstausbildung und berufliche Weiterbildung) besteht und eine effektive Struktur sowie den Rahmen für eine aktive, funktionale und territoriale Zusammenarbeit bietet. Im Zusammenhang mit unserem Thema verdient ein weiteres Ziel Beachtung, nämlich der beruflichen Bildung einen europäischen Rahmen und eine europäische Dimension zu geben. Durch diesen Rahmen wird versucht die Mobilität der Arbeitskräfte durch eine größere Transparenz der Qualifikationen zu fördern und den europäischen Berufsbildungsinitiativen Impulse zu verleihen (Otero et al. 2001, 14ff.)

Um dies zu erreichen, sah der neue Plan die Schaffung eines Nationalen Instituts für Qualifikationen vor. Eine weitere Absicht besteht darin, die Rolle der Ausbildungszentren zu stärken, indem ihnen die Berufsberatungs- und Arbeitsvermittlungsdienste übertragen werden, wobei der europäische Kontext berücksichtigt wird, in welchem das spanische Berufsbildungssystem funktionieren soll: Gewährleistung der Transparenz der Qualifikationen, Optimierung der Nutzung der Strukturfonds und Förderung der Mobilität von Studierenden, Arbeitnehmern und Ausbildern (Cedefop 2001).

Im Bereich der beruflichen Erstausbildung, dem Schwerpunkt dieses Artikels, sah das neue Programm vier grundlegende Maßnahmen vor, um die Qualität der Ausbildung zu verbessern und sie für den Arbeitsmarkt relevanter zu machen. Dazu gehören (Cedefop 2001, 135ff.):

  • die Förderung von Mechanismen für die Integration des Teilsystems der beruflichen Erstausbildung in andere Teilsysteme durch eine modulare Struktur von Ausbildungsgängen, die mit dem nationalen Zertifizierungssystem kompatibel sind.
  • die Unterstützung der Entwicklung integrierter Berufsbildungszentren und die Entwicklung und Anwendung einer geeigneten Methode zur Überarbeitung und Aktualisierung des Nationalen Katalogs der beruflichen Qualifikationen.
  • die Anpassung der Regeln für die berufliche Erstausbildung, um der Vielfalt des sozialen Umfelds Rechnung zu tragen und wirksam auf die Veränderungen der Nachfrage nach beruflichen Qualifikationen zu reagieren.
  • Verbesserung des Angebots an reglementierter Berufsausbildung und weitere Fortschritte bei der Regelung der Nutzung von Modulen der beruflichen Erstausbildung im Interesse des lebenslangen Lernens.

Das erste und das zweite Nationale Berufsbildungsprogramm führten zu einem wesentlich wirksameren Instrument, dem LOCFP, dem 2002 verabschiedeten Gesetz über die berufliche Aus- und Weiterbildung, welches alle Formen der Qualifizierung, Höherqualifizierung und Umschulung abdeckt. Das LOCFP fasst die Qualifikationen der drei früheren Berufsbildungssysteme in einem nationalen Qualifikations- und Berufsbildungssystem zusammen (SNCFP ist das entsprechende spanische Akronym dafür). SNCFP impliziert ein integratives Modell (Chisvert 2008, 109ff.) zur Anerkennung von Vorkenntnissen, das sich sowohl an beschäftigte Arbeitnehmer als auch an Arbeitssuchende richtet. Es umfasst auch grundlegende, ineinander greifende Komponenten, zu denen ein Nationaler Katalog beruflicher Qualifikationen gehört, der gesetzlich definiert ist als „eine Reihe beruflicher Fähigkeiten, die für die Beschäftigung relevant sind und durch modulare Ausbildung oder andere Arten von Ausbildung und durch Berufserfahrung erworben wurden" (Ley 06/2002, Art. 7.3, eigene Übersetzung). SNCFP stellt die erste Säule des Gesetzes dar; es gibt es vier weitere: einen modularen Katalog der Berufsausbildung; ein Verfahren zur Bewertung, Anerkennung, Akkreditierung und Registrierung der beruflichen Qualifikationen; einen Qualitätssicherungsmechanismus und ein Informations- und Beratungssystem.

Ein weiterer wesentlicher Punkt, der nun formell festgeschrieben ist, besteht darin, dass die beruflichen Qualifikationen den Kriterien der Europäischen Union (gemäß den Zielen des Binnenmarkts und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer) entsprechen müssen – dies schließt ein die Förderung von beruflichen Fertigkeiten und lebenslangem Lernen; die Bereitstellung von Informationen für die Berufsausbildung; die Validierung von Kompetenzen, die nicht vom formalen Lernen abgedeckt werden; die Transparenz der Qualifikationen und die Förderung von berufsbezogener Mobilität.

Wir müssen jedoch bedenken, dass Mobilität innerhalb Spaniens traditionell gering ist, was die Arbeitskräfte und mehr noch die Bildung betrifft: Stattdessen war in schwierigen Zeiten stets Migration von Arbeitskräften ein Merkmal Spaniens: In den 1960er Jahren vollzog sich massenhafte Migration in Richtung der westeuropäischen Industrieländer aufgrund des dortigen Wirtschaftsbooms und nach 2008 aufgrund der Finanzkrise (Carmona et al. 2018). Abgesehen von der Migration findet Arbeitsmobilität innerhalb des Landes nur selten statt; die Menschen neigen dazu, dort zu studieren und zu arbeiten, wo sie leben. Geografische Mobilität war bisher weder in der Bildungs- noch in der Arbeitspolitik ein relevanter Faktor.

5 Brügge-Kopenhagen revisited: Konvergenz, Adaption oder Akkomodation?

Wie bereits erwähnt, legt die Erklärung von Kopenhagen (European Union 2002) eine Strategie zur Erreichung der Ziele von Lissabon fest: Sie bekräftigt die Verpflichtung, die Zusammenarbeit in der Berufsbildung zu verstärken, um Hindernisse für die berufliche und geografische Mobilität zu beseitigen und den Zugang zu lebenslangem Lernen zu fördern. Dies bedeutet die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz und der Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen innerhalb der Berufsbildungssysteme. Wir können sagen, dass ein Teil dieser Strategie in Spanien auf der Ebene der Ausbildung entwickelt wurde, insbesondere durch die Erleichterung des Zugangs zur beruflichen Erstausbildung und die Möglichkeit für Absolventen der beruflichen Bildung, in die Hochschulbildung einzusteigen (von Martínez-Morales/Marhuenda-Fluixá (2020) wurden detaillierte Zahlen zu diesen Entwicklungen vorgelegt) .

Mit dem Nationalen Qualifikationsrahmen in Spanien wurde in erster Linie ein nationaler Zweck verfolgt, nämlich Konvergenz der drei parallelen Teilsysteme der beruflichen Aus- und Weiterbildung anzustreben, wodurch eine gegenseitige Anerkennung zwischen den Teilsystemen erreicht werden und die nicht-formale beruflichen Aus- und Weiterbildung als offizielle Qualifikation anerkannt werden sollte. Dieser Prozess implizierte Konvergenz in Bezug auf die Einordnung von Qualifikationen zu Qualifikationsniveaus – und das waren jene fünf Niveaus, die die Europäische Union zum Zeitpunkt der Genehmigung des LOCFP in Angriff nahm. Konvergenz wurde auch erreicht in Bezug auf die Berufsbereiche – ein Sozialabkommen zur Entwicklung jeglicher Qualifikation in insgesamt 26 Berufsbereichen, während es zuvor 22 Berufsbereiche innerhalb der formalen beruflichen Erstausbildung und 28 in der nicht-formalen beruflichen Weiterbildung gab.

Die spanischen Regierungen haben in den letzten Jahrzehnten auf eine interne Anerkennung und Standardisierung von beruflichen Bildungsmaßnahmen hingearbeitet, ein Ziel, das an sich relevant ist und auch den damaligen europäischen Entwicklungen im Kontext des Brügge-Kopenhagen-Prozesses entsprach. Als im Rahmen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses eine Einigung über den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) erzielt wurde, wurde das spanische nationale Qualifikationssystem mit fünf Qualifikationsniveaus gerade erst durchgesetzt: Die Umstellung auf die acht dann im Brügge-Kopenhagen-Prozess definierten EQR-Niveaus hätte eine Neuausrichtung der gesamten Arbeit bedeutet, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Konsens von sozialen Akteuren und Regierungen geleistet wurde. Es gab daher keine nennenswerten Bestrebungen, das spanische nationale Qualifikationssystem vollständig auch formal an den EQR anzupassen, zumal keine im Rahmen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses aufgestellte offizielle Forderung nach einer bestimmten Anzahl von Qualifikationsniveaus existiert.

Im Jahr 2006 wurde ein neues Bildungsgesetz, Ley Orgánica de Educación (LOE), verabschiedet. Dieses ersetzte das LOGSE (1990). LOE regelt die gesamte Struktur des Bildungssystems unterhalb der Ebene der Hochschulbildung. Es konzentriert sich vor allem auf die Verbesserung der Qualität des Bildungssystems und eine stärkere Ausrichtung auf das Prinzip des lebenslangen Lernens. In den Artikeln 39 bis 44 des LOE werden einige der im LOCFP niedergeschriebenen Kriterien hervorgehoben, darunter die Konzentration auf Lernergebnisse in einer modularen Struktur.

Im Februar 2014 wurde das LOE durch ein weiteres neues Bildungsgesetz, das Ley Orgánica para la Mejora de la Calidad Educativa (LOMCE), geändert und ersetzt, mit dem Ziel, die Qualität der Bildung zu verbessern und die Schulabbrecherquote zu senken. Mit Ausnahme der Einführung einer nahezu unqualifizierten Berufsausbildung (der so genannten beruflichen Grundbildung) hat sich die Struktur der Berufsbildung nicht geändert.

Heute werden drei verschiedene formale Berufsbildungsebenen angeboten: die grundlegende Berufsbildung der Sekundarstufe I (ISCED 353), die sich an Lernende über 15 Jahre richtet; die mittlere Berufsbildung der Sekundarstufe II (ISCED 354), die sich an Lernende im Alter von 17-18 Jahren richtet; und die höhere Berufsbildung (ISCED 554), die sich an Lernende über 18 Jahre richtet. Für ISCED 354 und ISCED 554 kommen Schülerinnen und Schüler in Frage, die die obligatorische Sekundarstufe etwa im Alter von 16 Jahren mit dem allgemeinen Abschlusszeugnis der Sekundarstufe I („Graduado en Educación Secundaria Obligatoria“ – GESO ist die spanische Abkürzung, vergleichbar mit einem mittleren Schulabschluss in Deutschland) beendet haben, wird die berufliche Grundbildung (ISCED 353) im Rahmen der obligatorischen Sekundarstufe als getrennter Bildungsweg für Schülerinnen und Schüler angeboten, die aufgrund schwacher Schulleistungen keine Perspektive auf den GESO-Abschluss haben. Während Abschlüsse nach ISCED 354 und 554 von Arbeitgebern und Schülern geschätzt werden, gilt ISCED 353 eher als Stigma.

Alle drei Abschlüsse vermitteln Berufsbildungsqualifikationen, die schulische und berufliche Gültigkeit besitzen. Sie sind modularisiert und beinhalten obligatorisches Lernen am Arbeitsplatz. Die Lernenden müssen alle Module bestehen, um die entsprechende Qualifikation zu erhalten. Die Modularisierung ermöglicht eine Teilzertifizierung bislang erzielter Lernergebnisse und einen Wiedereinstieg aus der Perspektive des lebenslangen Lernens. Berufsbildungsdiplome und berufliche Zertifikate sind anhand von beruflichen Kompetenzen und Lernergebnissen strukturiert; wahrscheinlich das bemerkenswerteste Ergebnis in Bezug auf den sozialen Dialog, die Bildungspolitik und die Lehrplangestaltung im Bereich der beruflichen Bildung. Diplome und Zertifikate beziehen sich auf berufliche Standards, die im Nationalen Katalog der beruflichen Standards aufgeführt sind. Es sollte auch erwähnt werden, dass einige Maßnahmen für die vollständige Umsetzung des LOMCE noch gesetzgeberisch entwickelt werden müssen, wie das Gesetz 30/2015, das das Teilsystem der nicht-formalen Berufsbildung regelt.

6 Die europäische Dimension und das spanische Berufsbildungssystem: Wer hat sich an wen angepasst?

Die Europäische Union begann schon früh, über eine gemeinsame Strategie für die Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Bildung nachzudenken. Dieses Ziel wurde bereits in den Römischen Verträgen erwähnt. Mit der Gründung des Cedefop wurde solch einer Zusammenarbeit ein formeller Rahmen gegeben, und die Beschlüsse von Lissabon und Kopenhagen stärkten und entwickelten einen gemeinsamen Rahmen weiter. Im gleichen Zeitraum durchlief die spanische Berufsbildung tiefgreifende Veränderungen, von denen die größte 1990 stattfand (LOGSE). In den 1990er Jahren wurden wichtige Reformen zur Verbesserung der Berufsbildung eingeleitet, die 2002 in das LOCFP mündeten. Erwähnenswert ist, dass LOCFP einige Monate vor der Erklärung von Kopenhagen (European Union 2002) in einem nationalen Versuch durchgesetzt wurde, eine Systematisierung und interne Anerkennung der existierenden drei Teilsysteme der Berufsbildung zu erreichen. In diesem Abschnitt gehen wir der Frage nach, ob in dieser Entwicklung auch eine europäische Dimension oder ein europäischer Einfluss zu finden ist.

Dazu ist es notwendig, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, um die ersten Spuren des europäischen Einflusses auf die spanische Berufsbildungsstruktur zu erkennen. In der ersten Hälfte der 1980er Jahre wurden als Pilotprojekt für LOGSE pädagogische Experimente durchgeführt, die das Berufsbildungssystem wesentlich stärker auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes ausrichteten, ohne seine Grundlage als schulisches Berufsbildungssystem zu verändern. Pilotprojekte wurden bei der Gestaltung und Entwicklung modularer Berufsbildungslehrpläne durchgeführt, und durch die Einbeziehung von Arbeitgebern und Gewerkschaften in den Gestaltungsprozess wurde eine Outcome-Orientierung für die Berufsbildung erreicht. Die Qualifikationsniveaus der Berufsbildung wurden an die damals von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft definierten Niveaus angepasst und in Module der Stufe 2 und Stufe 3 unterteilt (European Economic Community 1985). Dies könnte auch als der erste Europäische Qualifikationsrahmen und eine erste formale Verbindung zwischen dem spanischen und dem europäischen Bildungsniveau interpretiert werden. In den folgenden Jahren orientierte Spanien seine neue Berufsbildungsstruktur (von 22 allgemeinen beruflichen Qualifikationen in mehr als 170 spezifische und mehr als 300 berufliche Akkreditierungen) weiter an europäischen Standards. 1986 wurde Spanien Mitglied der Europäischen Gemeinschaften und damit berechtigt, an den Entscheidungen im Rat mitzuwirken. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da die Struktur der Europäischen Union als ein System der Gegenseitigkeit es ermöglicht, nationale Interessen auf EU-Ebene zu vertreten und auch an Top-down-Entscheidungen mitzuwirken (Börzel 2003, 19ff.).

Im Hinblick auf die Entwicklung der europäischen Berufsbildungspolitik und deren Einfluss auf die Mitgliedstaaten ist die reziproke Struktur der Regelungen zu beachten. In den folgenden Jahren orientierte sich Spanien weiter an neuen oder bereits bestehenden Standards der Europäischen Union. In den oben genannten nationalen Berufsbildungsplänen wurde in den 1990er Jahren entschieden festgelegt und formell festgehalten, dass Spanien sich in Zukunft an europäische Standards in der Berufsbildung anpassen wird. Diesen Plänen fehlte es an normativer Kraft und sie verfügten über kein Budget; nichtsdestotrotz wurden sie von Parteien, Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern vereinbart und führten zu einer neuen Denkweise in Bezug auf die Berufsbildung im Land. Darüber hinaus hatte die EU noch kein offizielles Dokument über eine einheitliche, wirklich gemeinschaftsweite Berufsbildungspolitik vorgelegt.

Dass Spanien bereits damals in seiner Berufsbildungspolitik europäische formale und nicht-formale Prinzipien verfolgte, lässt sich auch in der vom Cedefop erstellten Synthese der Maastricht-Studie aus dem Jahr 2004 feststellen:

Demnach werden in den nationalen Agenden die in Lissabon und Kopenhagen definierten Ansätze und Instrumente für lebenslanges Lernen aufgegriffen; die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Ländern in der Berufsbildung hat zugenommen. „Broadly, there is coherence or compatibility between national and European priorities. However, progress towards the Copenhagen recommendations will be made according to varying sets of priorities. European countries will continue to develop reforms most appropriate to their own diverse traditions, challenges and aims.“ (Tessaring und Wannan 2004, 24).

Eine solche von einer europäischen Institution abgegebene politische Erklärung ist insofern bemerkenswert, als der Begriff “Prioritäten“ eher vage ist und keine Kohärenz oder Kompatibilität zwischen den Berufsbildungssystemen impliziert, wie der Text auch schon andeutet. Unserer Ansicht nach gibt es auch heute noch keine Kohärenz zwischen den nationalen Berufsbildungssystemen in Europa, die immer noch sehr unterschiedlich sind. Natürlich wurde Kompatibilität in Aussicht gestellt, aber sie konnte bis 2004, als diese Erklärung erstellt wurde, nicht erreicht werden. Kompatibilität ist nur auf einer sehr formalen Ebene zwischen den Ländern erreicht worden, die ihren nationalen Qualifikationsrahmen mit dem EQR in Verbindung bringen (in Ros-Garrido (2014, S. 249-250), ist ein Vorschlag unterbreitet, wie sich der spanische Nationale Qualifikationsrahmen (NQR) und der EQR in Beziehung setzen lassen). Aber was sagt schon die Zuordnung von Berufsabschlüssen zu einer Qualifikationsstufe aus, wenn die Inhalte, die diesen Abschlüssen zugrunde liegen, in den europäischen Ländern nach wie vor sehr unterschiedlich sind?

Das Cedefop nannte Spanien als eines der Länder, in denen bereits vor seiner offiziellen Einführung Kohärenz zwischen dem Inhalt des Brügge-Kopenhagen-Prozesses und der spanischen Berufsbildungsstruktur bestand, was im Hinblick auf die Richtlinien zur Entwicklung der gegenseitigen Struktur auf EU-Ebene von Bedeutung ist. Es liegt im Interesse jedes Mitgliedstaates, so viel Inhalt seiner eigenen Struktur wie möglich in neue Leitlinien aufzunehmen, was eine Erklärung für die bestehende Beziehung zwischen dem nationalen spanischen und dem europäischen Qualifikationsrahmen sein könnte. Die Verabschiedung des LOCFP im selben Jahr der Erklärung von Kopenhagen erlaubt es uns, die Hypothese des gegenseitigen Austauschs statt einer einseitigen Anpassung oder Übernahme zu betrachten. Der vorher nicht dagewesene Konsens aller Interessengruppen in Spanien bei der Entwicklung des Nationalen Qualifikationsrahmens führt zu der Annahme, dass der Brügge-Kopenhagen-Prozess Richtlinien hervorgebracht und den Weg für spanische Berufsbildungsreformen geebnet hat, auch wenn wir nicht erraten können, ob andere Reformen denselben Konsens erreicht hätten. Die Hoffnung, die Europa in den Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens für Spanien bedeutet hatte, galt auch für die Berufsbildung. Der Konsens, der in der Berufsbildung seit den 1990er Jahren erreicht wurde, ist in der spanischen Bildungslandschaft sicherlich einzigartig.

Daher können wir im Falle Spaniens von wirksamen Aushandlungsprozessen sprechen. Der soziale Dialog zwischen den verschiedenen an der Berufsbildung beteiligten Parteien hat sich im Laufe der Jahre als fruchtbar und nachhaltig erwiesen, abgesehen von den Arbeitskonflikten, die im Land herrschen. Die Berufsbildung war auch von dem starken ideologischen Streit ausgenommen, der über die Bildung der unteren Sekundarstufe und selbst über die schulische Sekundarstufe II geführt wurde. Was die Bildungspolitik insgesamt betrifft, so gab es seit 1990 sieben wichtige Gesetze, die den Schullehrplan sowie die Schulverwaltung und -finanzierung (die öffentliche Finanzierung der privaten Bildung ist ein wichtiges Thema in der spanischen Bildungspolitik) regeln, und Sozialdemokraten und Konservative haben darüber gestritten und entsprechende Gesetze geändert, als sie jeweils in der Regierung waren. In Bereich der Berufsbildung gab es 2002 jedoch nur ein einziges Gesetz, das vereinbart und in all diesen Jahren beibehalten wurde. Auch in Bezug auf die Arbeitspolitik hat die Berufsbildung eine ähnliche Übereinstimmung gefunden: Seit 1981, als das Arbeitnehmerstatut verabschiedet wurde, hat es mehr als 30 Reformen der Arbeitspolitik gegeben, und es gab heftige Auseinandersetzungen über ihre Ausrichtung. Die Berufsbildung ist jedoch von solchen Auseinandersetzungen verschont geblieben, und die Unternehmen, Gewerkschaften sowie die nationalen und regionalen Verwaltungen konnten an ihren Stärken festhalten und sie stetig (wenn auch langsam) weiterentwickeln, wie im Gesetz von 2002 vereinbart. Auf Basis des sozialen Dialogs ist es den Stakeholdern in Spanien gelungen, sich in der Berufsbildung zu einigen, insbesondere in der beruflichen Erstausbildung (hingegen ist die berufliche Weiterbildung seit ihrer Etablierung im Jahr 1993 Kontroversen und Missmanagement ausgesetzt, wie Rego-Agraso, Barreira-Cerqueira und Rial-Sánchez (2019) gezeigt haben), während es bezüglich fast aller anderen Aspekte der Arbeitspolitik (Löhne, Einstellungspolitik, Arbeitslosenversicherung usw.) starke Kontroversen gab und gibt. Von diesen Kontroversen sind – trotz der grundsätzlichen Einigung von Arbeitgeber-/Arbeitnehmerorganisationen und öffentlicher Verwaltung in der Berufsbildungspolitik – die beruflich qualifizierten Menschen betroffen: Nach wie vor ist es Usus in Spanien, Arbeitnehmer nicht entsprechend der von ihnen erreichten beruflichen Qualifikation zu entlohnen.

Wir können auch eine weitere Lesart andeuten, weshalb die Berufsbildung Spaniens von den Kontroversen in anderen Bildungsbereichen weitgehend ausgenommen blieb: Alle Stakeholder haben einer Verbesserung der Berufsbildung nicht nur wegen des Beitrags von qualifizierten Arbeitskräften zur Erhöhung der wirtschaftlichen Gewinne zugestimmt, sondern – besonders von konservativer Seite – ebenso als Mittel, um die akademisch ausgerichtete Sekundarstufe II als Reservoir für die Kinder der oberen Klassen zu erhalten, für die Elite, die sie bis in die 1970er Jahre war. Der politische Kampf um die Bildung der Sekundarstufe II hat sich daher auf den akademischen Weg konzentriert, und die Berufsbildung stand eher abseits dieser ideologischen Auseinandersetzungen. Dadurch war es in den vergangenen Jahrzehnten sowohl in den nationalen als auch in den regionalen Regierungen möglich, die Verantwortlichen des Nationalen Instituts für berufliche Qualifikationen oder das für die Berufsbildung zuständige Personal im Bildungsministerium an Bord zu behalten, so dass ein kontinuierlicher Weg eingeschlagen werden konnte.

Dieser Konsens in der spanischen Berufsbildungspolitik kongruiert nun durchaus mit der europäischen Berufsbildungspolitik. Wenn wir uns den Inhalt der Erklärung von Kopenhagen genauer ansehen, sehen wir eine große Übereinstimmung mit den Inhalten des LOCFP aus dem Jahr 2002. Die meisten Ideen der Kopenhagener Erklärung sind bereits im LOCFP zu finden: Transparenz; Information und Beratung; Bewertung, Anerkennung und Akkreditierung von Kompetenzen und Qualifikationen; Qualitätssicherung; Freizügigkeit der Arbeitnehmer; ein nationaler Katalog beruflicher Qualifikationen. Chronologisch gesehen erschien das LOCFP vor der Kopenhagener Erklärung weshalb folglich gesagt werden müsste, dass vielmehr die Inhalte des LOCFP in den niedergeschriebenen Dokumenten der Kopenhagener Erklärung zu finden sind als andersherum. Da die Entstehung beider Dokumente allerdings zeitlich parallel geschah und die beteiligten Personen in Kenntnis dessen waren, was in Europa diskutiert wurde sowie auf europäischer Ebene spanische Vertreter anwesend waren, ist es nur konsequent, dass dieses Gesetz kongruent zur Kopenhagener Erklärung ist. Spätere Entwicklungen und Veränderungen in der spanischen Berufsbildungspolitik stehen ebenfalls im Einklang mit den europäischen Richtlinien.

Diese Entwicklungen erlauben es uns, Mobilität, Qualität und Vergleichbarkeit in der beruflichen Bildung neu zu überdenken, auch wenn strategische Ziele nicht unbedingt in tatsächliche Entscheidungen umgesetzt werden. Wir wagen zu behaupten, dass die Mobilität in der beruflichen Bildung in Europa auch 18 Jahre nach der Erklärung von Kopenhagen immer noch ein seltenes Phänomen ist. Mobilität scheint weder für Auszubildende noch für Unternehmen ein Ziel zu sein. Der Anteil der mobilen Auszubildenden ist im Vergleich zur Mobilität auf anderen Bildungsebenen sehr gering, und er variiert erheblich zwischen den nationalen Bildungssystemen, Jugendarbeitsmärkten und soziokulturellen Systemen.

Spanische Auszubildende neigen dazu, nur dann an Mobilitätsprojekten teilzunehmen, wenn sie ihre Karrierechancen entscheidend verbessern, was mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und den Besonderheiten der Übergangsstrukturen des Landes zusammenhängen könnte (Marhuenda-Fluixá/Martínez-Morales 2019). Eines der größten Probleme ist die Finanzierung von Mobilitätsprojekten: Da die Subventionen nicht ausreichen, um die Kosten für den Auslandsaufenthalt zu decken, ist die finanzielle Unterstützung durch die Familie in den meisten Fällen eine Voraussetzung. Es gibt nur wenig administrative Unterstützung durch öffentliche Zentren oder private Berater; daher erledigen die Praktikanten das Antragsverfahren selbst. Die Mobilitätsstrukturen werden von spanischen jungen Auszubildenden als kompliziert, unflexibel und belastend beschrieben (Scheid 2018). Auch wenn Mobilität eines der Leitprinzipien des Brügge-Kopenhagen-Prozesses ist, ist sie im spanischen Berufsbildungssystem nur selten zu finden. Mobilität von Auszubildenden während eines Berufsbildungsprogramms ist ein europäisches Ideal, um nicht zu sagen: Idealismus, der nicht genügend berücksichtigt, dass Berufsbildungsprogramme in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten kaum vergleichbar sind, wie wir bereits versucht haben zu zeigen.[1] Daher sind weder Arbeitgeber noch Studierende/Auszubildende daran interessiert, ihr Berufsbildungsprogramm zu verlängern, das in Spanien in der Regel kürzer ist als ein Hochschulstudium. Darüber hinaus trägt auch die kulturelle Konvention in Spanien, während der Ausbildung zu Hause zu bleiben, zu diesem Desinteresse bei (dies gilt sowohl für die Berufsbildung als auch für die Hochschulbildung, da diese Konvention ein Merkmal des subprotektiven Übergangsregimes des Landes ist, wie Walther (2006) gezeigt hat

Die Fokussierung auf Lernergebnisse in der Berufsbildung dient der Realisierung und Abdeckung mehrerer Kernideen der europäischen Bildungspolitik, die kompetenzorientiertes Lernen aufgreifen. Die spanische Berufsbildung besteht aus einer Reihe von Qualifikationen, die in Module von unterschiedlicher Dauer und mit theoretisch-praktischen Inhalten gegliedert sind, die für die verschiedenen beruflichen Kompetenzen, Profile und Bereiche relevant sind, einschließlich eines Moduls des arbeitsplatzbezogenen Lernens. Die Berufsausbildung ist in Kompetenzeinheiten und Lernmodule unterteilt, die beide mit dem Nationalen Katalog der beruflichen Qualifikationen verknüpft sind. Daher basieren die beruflichen Qualifikationen auf Lernergebnissen mit einem starken Fokus auf arbeitsbasiertem Lernen, in Anlehnung an die ECVET (European Credit System for Vocational Education and Training)-Richtlinien (Cedefop/Fundae 2019).

Der Brügge-Kopenhagen-Prozess war ein langfristiger Prozess mit mehreren Nebenprodukten, eines davon ist der EQR, zu dem Spanien parallel ein divergierendes System entwickelt hat – ein Übersetzungsmechanismus erleichtert es jedoch spanischen und internationalen Behörden sowie der Gesellschaft, die fünf Niveaus des spanischen Nationalen Qualifikationsrahmens mit den acht Niveaus des EQR zu vergleichen.

Die Erklärung von Kopenhagen, der Prozess, der zu ihr geführt hat, und der daraus resultierende Prozess waren für die Diskussion der Absichten und Richtungen in der spanischen Berufsbildung äußerst relevant. Spanien hat nicht nur das „Wording“ des Brügge-Kopenhagen-Prozesses übernommen, es hat sich in die gleiche Richtung orientiert. Die Grundlage des derzeitigen Berufsbildungssystems in Spanien lässt sich in den Kopenhagener Grundsätzen und Säulen wie Transparenz, Modularität, Kompetenz und lebenslanges Lernen klar erkennen. Ein starkes und stabiles Beratungssystem befindet sich im Land noch in der Entwicklung, und es stimmt, dass die Mobilitätserwartungen nicht hoch sind.

Diese Entwicklungen waren nicht nur wegen der Auswirkungen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses auf Spanien möglich, sondern auch wegen des aktiven spanischen Beitrags zu diesem Prozess, wodurch die Reformen im Land gesteuert wurden, während sie in Brüssel diskutiert wurden. Diese wechselseitige Beeinflussung war maßgeblich dafür, den Zugang zur beruflichen Bildung flexibler zu gestalten und es den beruflich Qualifizierten zu ermöglichen, ihre Studien im Hochschulbereich fortzusetzen. Der Status der Berufsbildung in Spanien hat sich in diesen Jahren verbessert und stellt heute eine bessere Alternative zu der in Spanien überproportional frequentierten Hochschulbildung dar.

Als die Erklärung von Kopenhagen unterzeichnet wurde, waren die meisten der dort genannten Merkmale bereits in das reformierte spanische Berufsbildungssystem eingebettet, das eine neue Ära einleitete und gleichzeitig schulisch verankert blieb. Die Ideen im Brügge-Kopenhagen-Prozess waren ein starker Impetus für die konsensuell durchgeführten Berufsbildungsreformen in Spanien, mehr als sich vielleicht in den nach vor divergierenden Strukturen für die Durchführung und Anerkennung beruflicher Bildung ausdrückt. Vielleicht werden auch spanische Berufsbildungsabschlüsse im Ausland nicht dem Geist von Kopenhagen entsprechend anerkannt, und es kann sein, dass europäische Arbeitnehmer mit einem Berufsbildungsabschluss nur selten in Spanien Arbeit suchen. Ob das aber an formalen Strukturen in Spanien liegt, wagen wir zu bezweifeln. In der Hochschulbildung kommt es beispielsweise zu geringeren Mobilitäts- und Anerkennungsproblemen, obwohl Spanien den Bologna-Prozess in einer 4+1-Struktur umsetzte (vierjähriges Bachelorstudium mit 240 ECTS, gefolgt von einem einjährigen Masterstudium mit 60 ECTS in den meisten Fällen), während die meisten europäischen Länder ein 3+2-Modell anwandten. Auch wenn Spanien noch immer in vielerlei Hinsicht seine eigenen Wege geht, ist seine Zukunft unbestreitbar mit Europa verbunden, wobei die Berufsbildung ein klarer Meilenstein ist.

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[1]    Nur ein Beispiel für die mangelnde Vergleichbarkeit von Berufsbildungsabschlüssen: Auszubildende der spanischen Fabrik eines deutschen Automobilherstellers in Barcelona kamen in den Genuss von Mobilitätsprogrammen, um dieselbe berufliche Qualifikation durch einen Aufenthalt beim Mutterkonzern in Deutschland zu erlangen – sie waren in diesem Fall also mobil. Sie erhielten am Ende sowohl den spanischen als auch den deutschen Berufsbildungsabschluss für denselben Beruf, was vom Unternehmen und vermutlich auch von den Auszubildenden als wertvoll erachtet wurde, aber eben auch zeigt, dass selbst unter Einschluss von Mobilitätsprogrammen die europaweite Validität eines nationalen Berufsbildungsabschlusses nicht als gegeben angesehen wird.

Zitieren des Beitrags

Zaunstöck, T./Marhuenda-Fluixá, F./Fischer, M./Ros-Garrido, A. (2020): Auswirkungen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses auf das Berufsbildungssystem in Spanien. In: bwp@ Berufs- und Wirt­schaftspädagogik – online, Ausgabe 39, 1-23. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe39/zaunstoeck_etal_bwpat39.pdf (17.12.2020).