bwp@ 43 - Dezember 2022

Digitale Arbeitsprozesse als Lernräume für Aus- und Weiterbildung

Hrsg.: Karin Büchter, Karl Wilbers, Lars Windelband & Bernd Gössling

Digitale Simulationen zur Schaffung reflexiver Lernräume zu interprofessioneller Kollaboration im Studium ausgewählter Gesundheitsberufe

Beitrag von Ilka Benner, Diana Heimann, Holger Hoffmann & Juliane Leinweber
Schlüsselwörter: Interprofessionelle Kollaboration, Gesundheitsberufe, Interprofessionelles Lernen, Interprofessionelle Fallkonferenzen, digitale Simulationen

Interprofessionelle Kollaboration ist eine voraussetzungsreiche Anforderung an Fachkräfte im Gesundheitswesen. Pflegestudierende, Studierende der Therapiewissenschaften und der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen absolvieren am Gesundheitscampus Göttingen das Modul „Interprofessional Collaboration“ (IPC) mit steigenden Kompetenzanforderungen und vertiefenden Reflexionsniveaus – im Sommersester 2021 pandemiebedingt im digitalen Format. Dabei hatte das sechste Semester die Aufgabe, eine interprofessionelle Anamnese mit Simulationspatient*innen und die anschließende interprofessionelle Fallkonferenz durchzuführen. Das achte Fachsemester sollte drei Fallkonferenz zu medizinisch-didaktisch aufbereiteten Fallbeispielen mit den unterschiedlichen Schwerpunkten „Ablauf“, „Zielsetzung“ und „Kommunikation“ halten.
Der vorliegende Beitrag analysiert die zum Seminar erarbeiteten Reflexionsberichte mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Zielsetzung ist die Darstellung förderlicher und hemmender Faktoren im digitalen Format sowie der wesentlichen Kategorien für eine gelungene Kompetenzentwicklung für interprofessionelle Kollaboration. Zudem lassen sich die Einschätzung einer hohen Kompetenzentwicklung sowie Anpassungswünsche ans digitale Format identifizieren.

Digital simulations to create reflective learning spaces on interprofessional collaboration in the study of selected health professions

English Abstract

Interprofessional collaboration is a prerequisite-rich requirement for healthcare professionals. Nursing students, students of therapeutic sciences and students of social work in healthcare study the module "Interprofessional Collaboration" (IPC) at the Göttingen Health Campus with increasing competence requirements and deepening levels of reflection - in summer 2021 in digital format due to the pandemic. The sixth semester had the task of conducting an interprofessional anamnesis with simulation patients and the subsequent interprofessional case conference. The eighth semester was to hold three case conferences on medically and didactically prepared case studies with different focuses on "procedure", "goal setting" and "communication".

This article analyses the reflection reports prepared for the seminar with the help of qualitative content analysis according to Mayring. The objective is to present the facilitating and inhibiting factors in the digital format as well as the essential categories for successful competence development for interprofessional collaboration. In addition, the assessment of a high level of competence development as well as requests for adaptation to the digital format can be identified.

1 Einleitung

Die Versorgung von Patient*innen in stationären und ambulanten Versorgungssettings wird durch diverse Faktoren zunehmend anspruchsvoller. Die Anzahl multipler gesundheitlicher Probleme durch den demographischen Wandel nimmt zu, während der Fachkräftemangel die Versorgungssituation verschärft. Für eine adäquate Versorgung unter diesen Voraussetzungen wird über die professionsspezifische Versorgung hinaus von Pflegefachkräften, Logopäd*innen, Physiotherapeut*innen sowie den Mitarbeiter*innen der sozialen Dienste zunehmend interprofessionelle Zusammenarbeit erwartet, was deutlich erweiterte Kompetenzen von den Angehörigen der dargestellten Gesundheitsberufe verlangt. Sowohl kommunikative als auch koordinative Kompetenzen sind aufseiten des Gesundheitsfachpersonal nötig, um die komplexen Gesundheitsfälle zu bearbeiten (vgl. Seger/Gärtner, 2020).

Eines der Ziele der hochschulischen Ausbildung am Gesundheitscampus Göttingen in den Studiengängen Pflege (dual), Therapiewissenschaften (dual) sowie Soziale Arbeit im Gesundheitswesen ist es daher, die (inter-)professionelle Kompetenzentwicklung angehender Fachkräfte im Gesundheitswesen gezielt zu steuern, um eine Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit im Versorgungsalltag zu ermöglichen. Hierzu wurde ein interprofessionelles Curriculum entwickelt, wonach die Studierenden der angebotenen Studiengänge gemeinsame Module absolvieren, welche die unterschiedlichen Stadien der interprofessionellen Zusammenarbeit beleuchten und sich an einem iterativen Kompetenzaufbau über den Studienverlauf orientieren. CAIPE (2002), im Sinne des „voneinander, miteinander und übereinander lernen“ folgend, bildet das Rahmenkonzept des Curriculums. Der interprofessionelle Kompetenzerwerb in den Bereichen (1) Klärung von Rollen und Verantwortung, (2) Werte und Ethik, (3) Teams und Verantwortlichkeit, (4) interprofessionelle Kommunikation, Lernen und kritisch reflektieren stehen dabei im Fokus (Darmann-Finck/Einig, 2019). Das Modul „Interprofessional Collaboration“ ist dabei ein Schwerpunkt der interprofessionellen Ausbildung am Gesundheitscampus Göttingen. Hier erwerben Studierende im vierten, sechsten und achten Fachsemester erforderliche Kompetenzen für eine erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit im späteren Berufsalltag. Dabei wurde für den interprofessionellen Kompetenzerwerb aufgrund der Covid-19-Pandemie mit innovativen digitalen Formaten ein Konzept zur Umsetzung der Lehre entwickelt. Während im vierten Semester die Studierenden zunächst Kompetenzen erwerben, um sich mit der eigenen Profession und deren Kompetenzprofil auseinanderzusetzen sowie um die professionellen Rollen in der Versorgung zu betrachten, ist das Ziel der Lehrveranstaltungen im sechsten und achten Semester, den Studierenden (Reflexions-)Räume als Antwort auf ihre subjektiven Lernbedürfnisse im Bereich der interprofessionellen Kooperation sowie Räume zur Simulation realitätsnaher interprofessioneller Anamnesen und Fallkonferenzen, ausgerichtet an evidenzbasierten Frameworks (vgl. z. B. Posenau/Handgraaf, 2021) anzubieten.

Um das Modul möglichst realitätsnah umzusetzen, wurden für das sechste Fachsemester in Kooperation mit dem Studentischen Trainingszentrum Ärztlicher Praxis und Simulation (STÄPS) der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) gesundheitsrelevante Fälle entwickelt, welche komplexe pflegerische, therapeutische und soziale Problemlagen aufwiesen. Diese wurden von Laienschauspieler*innen in der Rolle als Simulationspatient*innen dargestellt. Diese Simulationspatient*innen wurden von den Teilnehmenden in interprofessionellen Kleingruppen anamnestisch befragt. Im Anschluss an diese Anamnese führten die Studierenden Fallkonferenzen durch, in denen sie ihr pflegerisches, therapeutisches oder sozialarbeiterisches Vorgehen miteinander und in gegenseitigem Bezug festlegten, um einen gemeinsamen Versorgungsplan für die Simulationspatient*in zu erstellen. Nach Abschluss der interprofessionellen Fallkonferenz wurde das Ergebnis den Simulationspatient*innen vorgestellt. Im Anschluss hatten diese die Möglichkeit, den Studierenden ein strukturiertes Feedback zur simulierten Situation zu geben. In einer zweiten Simulation zu einem anders gelagerten Fall konnten die Studierenden ihr Vorgehen an die zuvor gemachten Erfahrungen anpassen und andere Vorgehensweisen ausprobieren.

Die fortgeschrittenen Studierenden des achten Fachsemesters führten insgesamt drei Fallkon­ferenzen zu verschriftlichten Fällen durch, wobei jede einen thematischen Schwerpunkt (Ab­lauf, Zielformulierung, Kommunikation) zur besonderen Beachtung aufwies.

Jede*r Student*in fertigte einen Reflexionsbericht zu den durchgeführten Fallkonferenzen an, welche nach qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring, 2015) ausgewertet wurden. Der vorliegende Beitrag zielt auf die Darstellung der berichteten Kompetenzentwicklung bezogen auf die Anforderungen im Versorgungsalltag. Insgesamt wur­den 24 Reflexionsberichte aus den beteiligten Studiengängen analysiert. Ein Analyseschwer­punkt lag auf der Vermittlung der Kernkompetenzen zur Interprofessionalität in der digitalen Konzeption. Der Artikel stellt ausgewählte Ergebnisse vor.

2 Theoretischer Hintergrund zu Gelingensbedingungen Interprofessioneller Fallkonferenzen in den Gesundheitsberufen

Interprofessionelle Zusammenarbeit ist ein zentraler Bestandteil der Arbeit im Gesundheitswesen. Dabei bezieht sich der Begriff „Interprofessionalität“ auf den soziologischen Begriff der Profession, welcher mit Beruf oder einer durch spezifische – professionelle – Merkmale gekennzeichneten Berufsausübung gleichzusetzen ist. Bei „Interprofessionalität“ arbeiten also Angehörige verschiedener Professionen zusammen. Diese Zusammenarbeit ist als eng und vertrauensvoll zu beschreiben, mit der Zielsetzung, gemeinsam an der bestmöglichen Patient*innenversorgung zu arbeiten – unter den jeweils gegebenen Bedingungen. (vgl. Reichel/Herinek, 2017, 9)

Interprofessionelle Zusammenarbeit kann nach Obrecht (2006) definiert werden als „… ein gestalteter sozialer Prozess, in dessen Rahmen Professionelle unterschiedlicher Art im Hinblick auf die Lösung komplexer praktischer Probleme zusammenarbeiten, die mit den Mitteln der beteiligten Professionen allein nicht zufriedenstellend bearbeitbar sind. Die praktischen Probleme der Professionellen sind dabei aus eigener Kraft nicht lösbare praktische Probleme Dritter – ihrer Patient/innen, Klient/innen oder – bedingt – Kund/innen.“ (Obrecht 2006, 409). Posenau und Handgraaf (2021) fügen dieser Definition hinzu, dass die beteiligten professionell agierenden Personen über komplementäre professionelle Hintergründe und/oder Kompetenzen sowie Fähigkeiten verfügen können (vgl. a. a. O., 1).

Um also interprofessionelle Zusammenarbeit in einem – bisher – stark monoprofessionell agierenden Gesundheitswesen etablieren zu können und die Fachkräfte adäquat auf diese Anforderung vorzubereiten, bedarf es der Integration interprofessioneller Anteile in die jeweiligen Studien- und Ausbildungsgänge, welche zu gemeinsamen Bildungssettings führen. Reichel und Herinek (2017) fordern diesbezüglich, dass in Lehre und Ausbildung frühzeitig „gemeinsame Lehr- und Lernräume“ für interprofessionelle Zusammenarbeit eröffnet…“ (a. a. O., 3) werden sollen. Der vorliegende Artikel widmet sich der Umsetzung dieser Forderung in den dargestellten Modulen des IPC am Gesundheitscampus Göttingen.

Im Gesundheitswesen, vornehmlich in einer Klinik, stellen sich Versorgungssituationen häufig prozessual dar, in welchen die professionsspezifisch ausgebildeten Beteiligten Probleme und Unterstützungsbedarfe fortlaufend erkennen und aushandeln müssen. Dabei ist die Versorgungssituation einer Person mit den beteiligten Fachkräften der jeweiligen Institution sowie den Angehörigen als Fall zu verstehen. (vgl. Binner et al. 2012)

Interprofessionelle Fallkonferenzen haben die Zielsetzung, die im Fall integrierten Fachkräfte zusammenzuführen, um fallbezogen über Problemstellungen, Ressourcen, Zielsetzungen und Interventionen (mit den jeweiligen Zuständigkeiten) zu beraten. „Ziel ist es, Vorschläge zur Problemlösung zu erarbeiten, konkrete Umsetzungsmöglichkeiten zu eröffnen und den Prozess im Verlauf kritisch zu reflektieren.“ (Binner et al. 2012). Aufeinanderfolgende Elemente einer interprofessionellen Fallkonferenz sind die Fallbeschreibung (meist durch Moderation), die Analyse der Versorgungssituationen (zunächst professionsspezifisch, dann interprofessionell), die Identifikation der Ressourcen (s. o.), die Identifikation der Prioritäten aus Patient*innensicht sowie die Erarbeitung gezielter Interventionen mit Festlegung der Zuständigkeiten.

In unterschiedlichen Forschungsprojekten zur Durchführung interprofessioneller Fallkonferenzen sowie zu ihrer Integration in Ausbildung und Studium werden Gelingensbedingungen identifiziert, welche leitend sind für die vorliegende Argumentation. So verweisen beispielsweise Posenau und Handgraaf (2021) in ihrer Arbeit zu einem Framework für interprofessionelle Fallkonferenzen darauf, dass „ausreichend Zeit“ zur Verfügung gestellt werden muss, damit interprofessionelle Fallkonferenzen im gesundheitsbezogenen Setting gelingen können. Ebenso betonen sie die Relevanz einer „fundierte[n] Ausbildung in interprofessionellen Settings“ sowie einen „vorhandenen Rahmen für Fallkonferenzen“ (ebd.). Dieser sollte so gestaltet sein, dass die Teilnehmenden jederzeit die Möglichkeit haben,

  • „das Gespräch zu organisieren,
  • die Darstellung von Sachverhalten zu gestalten,
  • das Handeln auf der Mikroebene zu koordinieren,
  • die soziale Beziehung und Identität herzustellen und aufrechtzuerhalten,
  • die Modalität der Interaktion zu konstituieren“
  • und Reziprozität herzustellen.

(a. a. O., 4)

Um die Aufgabenerfüllung aller teilnehmenden Personen zu gewährleisten, verweisen Packard et al (2012) auf die Relevanz der Kategorien „klare Aufgabenteilung“ mit einem „klaren Rollenverständnis“. Sie weisen nach, dass Ausbildungssettings für interprofessionelle Fallkonferenzen im Gesundheitswesen einen starken Fokus darauflegen, Studierende für ihre eigene Rolle und die ihrer Kolleg*innen zu sensibilisieren. In der Auswertung schriftlicher Reflexionen zum Einsatz des von ihnen entwickelten Frameworks kommen Packard et al. zu dem Schluss, dass das Bewusstsein für die eigene Rolle und die der anderen zu den Kernkompetenzen gehört, welche Studierende der Gesundheitsfachberufe in Bezug auf interprofessionelle Fallkonferenzen entwickeln sollten. (a. a. O., 258)

Diese Forderung verweist auf die Kategorie „selbstbewusst vertretene professionelle Identität“ der Teilnehmenden als eine Gelingensbedingung für interprofessionelle Fallkonferenzen, welche die „Einschätzung der Kompetenzen der anderen professionellen Akteure“ beinhaltet. Reichel und Herinek (2017) verweisen diesbezüglich auf Curricula, welche zunächst eine stabile professionelle Identitätsbildung und danach interprofessionelle Ausbildungssettings ermöglichen. Gleichzeitig jedoch betonen die Autor*innen die Notwendigkeit, nicht allzu lange mit der interprofessionellen Ausbildung zu warten, um nicht einer Stereotypenbildung Vorschub zu leisten. (a. a. O., 21)

Eine grundlegende Gelingensbedingung für interprofessionelle Fallkonferenzen stellt eine „gute, offene und zielgerichtete Kommunikation“ der Teilnehmenden dar (vgl. z. B. Posenau/Handgraaf 2021, 1f; Binner et al. o. J., 3; Reichel/Herinek 2017, 13). Dazu ist es nötig, so Posenau und Handgraaf (2021) das „Leadership in der Fallkonferenz fallabhängig auszuhandeln“ (4) und für die dann bestimmte Führung, die „Initiierung einer geplanten Diskussion“ über den Fall durchzuführen (2). Um diese Aufgaben zielgerichtet umzusetzen, stellt eine „wertschätzende und respektvolle Kultur“ eine notwendige Gelingensbedingung dar (vgl. Posenau/Handgraaf 2017, 2; Reichel/Evers 2017, 14; Binner et al. o. J., 3).

Die Aushandlungsprozesse im interprofessionellen Setting erfordern neben den genannten Kompetenzen und Rahmenbedingungen von allen Teilnehmenden ein „situatives und sektorenübegreifendes Agieren mit Bezug auf eine spezifische Versorgungssituation“, so Posenau und Handgraaf (2021). In dieser Kategorie werden Handlungskompetenzen der teilnehmenden Personen erforderlich, welche sich auf den jeweiligen Fall mit seinen spezifischen Erfordernissen beziehen. Somit integriert diese Kategorie sowohl professionsspezifische als auch interprofessionelle Kompetenzen. „Unterschiedliche Professionsansätze“ müssen integriert werden, um eine „gemeinsame Zielsetzung“ mit „gemeinsamer Entscheidungsfindung“ zu gewährleisten, bei welchen jederzeit die Maxime „Patient*innenwohl steht im Zentrum der Fallkonferenz“ beachtet wird. Dazu wird neben der Leadership-Funktion vom gesamten Team der Fallkonferenz verlangt, sich für die „Teamführung gemeinsam verantwortlich“ zu fühlen. Insgesamt ist es unerlässlich, dass Zielfindung, Maßnahmenentwicklung und Verantwortungsübernahme einzelner Teammitglieder und damit der jeweiligen Profession an aktuellen Evidenzen ausgerichtet werden. (Posenau/Handgraaf, 2021; Huber, 2022; Binner et al., o. J.)

Leitfäden für die Durchführung interprofessionellen Fallkonferenz verweisen häufig auf die hohe Relevanz einer „neutralen, nicht in den Fall involvierten Moderation“ für das Gelingen interprofessioneller Fallkonferenzen (z. B. Binner et al. o. J., 3)

Die von unterschiedlichen Autoren beschriebenen Bedingungen für das Gelingen einer interprofessionellen Fallkonferenz (Packard et al. 2012, Reichel/Herinek 2017, Posenau/Handgraaf 2021 und Binner et al. o. J.) bilden den Interpretationsrahmen der dargestellten Kategorien. Nach Posenau und Handgraaf (2021) kann im Kontext interprofessioneller Kollaboration eine Kompetenzentwicklung abgebildet werden, „…wenn die Fähigkeit zur Konstitution von Fallkonferenzen, also der Fähigkeit der Bearbeitung der Aufgaben und Steuerung des Prozesses, beobachtbar, also empirisch fassbar, sind (a. a. O., 4). Dieser empirischen Fassbarkeit will sich der Artikel mittels der Auswertung der Reflexionsberichte der teilnehmenden Studierenden annähern. Dabei wird insbesondere die Situation der digitalen Durchführung des Moduls in den Blick genommen, welche als Reaktion auf die Lehre während der Covid-19-Pandemie notwendig und bislang für interprofessionelle Fallkonferenzen noch nicht beleuchtet wurde. Im Anschluss an die eben dargestellten Kategorien soll die Frage beantwortet werden, ob die Gelingensbedingungen für adäquate Ausbildungssettings im Hinblick auf interprofessionelle Fallkonferenzen im Gesundheitswesen auch im digitalen Raum erreicht werden können. Des Weiteren ist zu prüfen, welche Anpassungen des Konzepts für den digitalen Raum notwendig sind, um die dargestellten Kategorien bestmöglich gewährleisten zu können

3 Das Modul IPC am Gesundheitscampus Göttingen

Um eine fundierte, nicht zu früh und nicht zu spät einsetzende Ausbildung der Gesundheitsfachberufe für interprofessionelle Fallkonferenzen zu gewährleisten, hat die HAWK für ihre Studiengänge am Gesundheitscampus Göttingen das Modul „Interprofessional Collaboration“ curricular in einem interprofessionellen Ausbildungsstrang integriert. Am Gesundheitscampus Göttingen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) werden in Kooperation mit der UMG die Studiengänge Therapiewissenschaften, Studienrichtung Logopädie und Physiotherapie (dual), Pflege (dual) sowie Soziale Arbeit im Gesundheitswesen angeboten. Diese Struktur ist die Basis einer engen institutionellen Kooperation in der Ausbildung der Studierenden.

Das Modul „Interprofessional Collaboration“ ist Teil der genannten Studiengänge und in Stufen angelegt: Studierende des vierten, sechsten und achten Semesters nehmen an den Veranstaltungen teil, wobei jede*r Studierende*r die drei jährlich aufeinanderfolgenden Module absolviert. Dabei erfolgt die Ausbildung in interprofessionellen Seminaren. Die folgende Tabelle 1 zeigt die curricularen professionsspezifischen sowie interprofessionellen Inhalte der genannten Studiengänge im Modul IPC.

Tabelle 1:     Themenbereiche und Inhalte des Moduls IPC am Gesundheitscampus Göttingen

professionsspezifisch

interprofessionell

professionelles professionsbezogenes und interprofessionelles Selbstverständnis

Zusammenarbeiten in interprofessionellen Teams

professionelles professionsspezifisches Handeln / professionsspezifische Methoden

interprofessionelle Assessments für Pflege und Therapieberufe

Strukturen und Prozesse in den Handlungsfeldern der jeweiligen Profession

interprofessionelle Planungs- und Entscheidungsprozesse

Kommunikation und Zusammenarbeit in Teams

Entscheidungstheorien

Kommunikation und Interaktion mit Patient*innen/Adressat*innen und Angehörigen

hermetisches Fallverstehen und Fallanalyse

wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen

interprofessionelle Fall- und Teambesprechungen planen, organisieren, durchführen, bewerten

 

interprofessionelle Versorgungskonzepte in pflegerischen und therapeutischen Handlungsfeldern

 

Planung, Organisation, Durchführung, Evaluation und Weiterentwicklung von intraprofessionellen Praxisprojekten

 

Planung, Organisation, Durchführung und Evaluation interprofessionelles Shadowing

Themenbereiche: Medizin des Alterns, Prävention und Gesundheitsförderung in interprofessionellen Teams, Rehabilitation in interprofessionellen Teams (Neurologie, Orthopädie, Innere Medizin), Palliativmedizin, Schmerzmedizin, Herz-Kreislaufsystem und Lunge, Nervensystem und Psyche

Die Interprofessionalität wird in gemeinsamen Veranstaltungen jeweils auf Basis eines interativen Kompetenzerwerbs semesterabhängig auf unterschiedlich tiefen Ebenen realisiert.

In Anlehnung an Posenau und Handgraaf (2021) ist es unerlässlich, die für interprofessionelle Fallkonferenzen notwendige Kompetenzentwicklung in den jeweiligen Studiengängen wissenschaftlich zu begleiten, um den Theorie-Praxis-Transfer bestmöglich zu unterstützen (vgl. dazu auch Packard et al. 2012, 250). Posenau und Handgraf (2021) betonen dabei die Relevanz von Reflexionsphasen in interprofessionellen Settings, um den Studierenden ihre Kompetenzentwicklung in Bezug auf interprofessionelle (fallbezogene) Arbeit vor Augen zu führen und Anknüpfungspunkte zur Weiterarbeit zu finden (vgl. Posenau/Handgraf 2021, 9).

Im sechsten und achten Semester wurden daher die durchgeführten Fallkonferenzen schriftlich reflektiert. Die Studierenden sind gehalten, die von ihnen geplanten und durchgeführten Fallkonferenzen in einem Bericht zu reflektieren, wobei die Aspekte der Reflexion nach von Aufschnaiter et al. (2019) zugrunde gelegt werden sollen. Zunächst wird im ersten Schritt die konkrete Situation beschrieben. In einem zweiten wird dann eine Deutung vorgenommen. Daran anschließend sind die Studierenden aufgerufen, eine oder mehrere Ursachen für das Verhalten (eigenes und das der Teammitglieder) zu finden und schließlich Alternativen zu benennen – wenn dies als notwendig angesehen wird. Insbesondere der letztgenannte Schritt impliziert tragfähige Hinweise für die Optimierung der digital durchgeführten Seminare. Die Zielsetzung der Reflexionsberichte ist dabei die kritische Auseinandersetzung mit Kriterien für gelungene Fallkonferenzen und die Reflexion der eigenen professionellen Rolle in der praktischen interprofessionellen Zusammenarbeit. Unter Einbezug theoretischer Grundlagen sollen sowohl die Vorbereitungsphase zur Fallkonferenz als auch die Fallkonferenz selbst in Bezug auf die durchgeführte Anamnese hin reflektiert werden.

4 Forschungsmethode

Um eine Selbsteinschätzung der Studierenden hinsichtlich ihrer Kompetenzentwicklung in interprofessionellen Fallkonferenzen zu erhalten, wurden die Studierenden der Module IPC 6 und 8 im Sommersemester 2021 um die Erlaubnis zur Auswertung ihrer Reflexionsberichte gebeten. Sieben Studierende aus dem Modul IPC 6 und 17 Studierende aus dem Modul IPC 8 stimmten zu, so dass diesem Beitrag eine Grundgesamtheit von 24 Berichten zugrunde liegt. Diese wurden mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) ausgewertet. Daher ist es konstitutiv, die interpretierten Kategorien kontextgebunden zu verstehen. Das Ablaufmodell der vorliegenden Analyse sieht in einer sehr groben Einteilung die Schritte 1) erste Texteinteilung in Sinnabschnitte, 2) erste Zuordnung zu thematischen Einheiten, 3) Paraphrasieren der jeweiligen Textstellen und 4) Kategorisierung der Textstellen vor. Die Systematik der angewandten Methode spiegelt sich im zugrunde gelegten Kategoriensystem wider, aus welchem im nächsten Kapitel Auszüge dargestellt werden. Diese sind begründet in der Relevanz, welche die Studierenden dem Kriterium beimessen. Daher werden als zentrale Ergebnisse die Kategorien „Rolle der Moderation“, „Schaffung einer respektvollen Atmosphäre“ sowie „Besonderheiten des digitalen Formats“ präsentiert.
Die an die Analyse angelegte Fragestellung entstammt dem Diskurs um Interprofessionalität in den Gesundheitsfachberufen: Für die durchgeführte Forschung von Interesse war zum einen, in welcher Form die Studierenden Herausforderungen für die interprofessionelle Kooperation im Gesundheitswesen wahrnehmen und reflektieren und zum anderen, inwieweit ein Kompetenzzuwachs der Studierenden in ihrer Selbsteinschätzung nachzuweisen ist. Darüber hinaus wurde in den Reflexionen die digitale Durchführung des Moduls thematisiert, sodass die Frage nach den Modalitäten digitaler Lehre für die Kompetenzentwicklung im Bereich der interprofessionellen Zusammenarbeit ebenfalls an das Material gestellt werden konnte.

Die ausgewerteten Reflexionen entstanden als Leistungsnachweise der Studierenden, was beinhaltet, dass einerseits die Studierenden das Erreichen einer möglichst hohen Qualität ihrer Berichte zum Ziel hatten, andererseits aber auch von einer eventuellen Beachtung sozialer Erwünschtheit ausgegangen werden kann. Dies war den Autor*innen bei der Analyse der Berichte bewusst und wurde in der Interpretation berücksichtigt. Jedoch beschränkt sich die Analyse ausschließlich auf die Reflexionen der Fallkonferenzen, so dass hier eine Beurteilung der Konzeption oder Umsetzung des Moduls nicht erscheint.

5 Ergebnisse

Wie in den Reflexionsberichten ausnahmslos dargestellt und in aktueller Forschung zu interprofessionellen Fallkonferenzen nachgewiesen (z. B. Posenau/Handgraaf 2021) ist die Strukturierung einer interprofessionellen Fallkonferenz zentral für ihr Gelingen. Dafür ist wiederum die Rolle der Moderation ausschlaggebend. Dies steht im engen Zusammenhang mit der ebenfalls sehr wichtigen Kategorie der Herstellung von gleichberechtigter Sichtbarkeit der einzelnen Professionen während der Fallkonferenz. Dieser Kategorie wird ebenfalls von allen Studierenden des Samples eine sehr hohe Bedeutung zugeschrieben, ist aber bisher wenig sichtbar in Forschungen zur interprofessionellen Kollaboration. Zudem zeigt sich, dass die Studierenden sich in diesem Kontext sehr stark auf drei Ebenen selbst reflektieren, die ebenfalls eigene Kategorien bilden: Die eigene Person, die professionelle Identität, die Findung der interprofessionellen Rolle. Dem vorliegenden Artikel ist es ein Anliegen, die ausgewählten Kategorien aus Sicht der Studierenden mit den ihnen zugeschriebenen Aspekten als Unterkategorien differenziert darzustellen, um einerseits den Transfer der Ergebnisse in die Ausbildung zu erleichtern, und gleichzeitig den Bezug zum digitalen Format analytisch herzustellen. Im Folgenden werden Oberkategorien in Überschriften, Kategorien fett und Unterkategorien kursiv dargestellt.

5.1 Die Kategorie „Rolle der Moderation“ in interprofessionellen Fallkonferenzen

In den Reflexionsberichten haben die Studierenden der Moderation in interprofessionellen Fallkonferenzen eine prominente Stellung zugewiesen:

„Weiterhin wird die Wichtigkeit der Rolle der Moderatorin besonders deutlich. Diese lenkt das Gespräch und gleicht die Redeanteile der Beteiligten aus. Die leitende Funktion der Moderatorin ist ebenfalls in Protokollen anderer Studierendengruppen (siehe Anlage 6) ersichtlich.“ (8-14: 2028-2031)

Mit dieser Kategorie bestätigt die vorliegende Studie Kategorien aus bereits vorhandener Literatur zu interprofessionellen Fallkonferenzen im Gesundheitswesen (z. B. Binner et al. o. J., 3). Dabei sind die der Moderation zugewiesenen Aufgaben sehr vielfältig: Sie ist zuständig für die Strukturierung der Fallkonferenz, unter anderem durch die Schaffung eines Rahmens, was durch Vorstellung der Teilnehmenden als Person und Vertretung der jeweiligen Profession, Strukturierung der Arbeitsprozesse sowie durch die abschließende Zusammenfassung, Verteilung der weiterführenden Arbeiten, den Dank an die Teilnehmenden und Beendigung der Konferenz gelingt.

Darüber hinaus finden sich in der Kategorie „Rolle der Moderation“ bereits Hinweise zur Optimierung des digitalen Ausbildungssettings im IPC Modul. Ein studentischer Beitrag verweist auf die Zusammengehörigkeit der digitalen Vorstrukturierung des Anamnesegesprächs und eine Moderatorin, welche diese Strukturierung aufnimmt und den Angehörigen der teilnehmenden Professionen als Leitlinie vorgibt. Hier wird deutlich, dass im digitalen Setting die Moderation einer Fallkonferenz Aufgaben übernehmen muss, welche über die Aufgaben einer Moderation in Präsenz hinausgehen. Sie sollte sich mit den Möglichkeiten des digitalen Raumes vertraut machen und diese für die Strukturierung und Ergebnissicherung einer digitalen Fallkonferenz nutzen.

Des Weiteren trägt die Herstellung von Sicherheit, auch eine der Moderation zugeschriebene Aufgabe, zur Strukturierung bei.

„Dieser Prozess wurde maßgeblich durch die Moderation gefördert, da diese alle Professionen offen und unvoreingenommen einbezog und durch die Gesprächsführung ein Gefühl von Vertrauen sowie einen sicheren und produktiven Rahmen schuf.“ (8-7, 917ff.)

Neben der Strukturierung ist die Moderation für die Steuerung der Kommunikation zuständig. Diese gelingt durch eine aktive Anregung von Diskussionen, die Diskussionsleitung, Interventionen bei Regelbrüchen (Verstoß gegen Redeliste, Verwendung von monoprofessioneller Fachsprache) sowie Aufforderung einzelner Teilnehmender, sich an der Kommunikation zu beteiligen. Als wesentlich für eine reibungsarme Kommunikation – auch im Hinblick auf das digitale Format – wird die gezielte (Gesprächs-)Führung durch die Moderation angesehen:

„Die Rolle der*des Moderatorin*Moderators ist sehr hilfreich, da durch gezielte Führung Missverständnisse und Überschneidungen zwischen den Teilnehmenden vermieden werden können.“ (8-5, 620ff.)

Ähnlich zur Steuerungsfunktion wird die Moderationsaufgabe „Überblick schaffen“ hervorgehoben, welche durch Zusammenfassung der Beiträge, Paraphrasierung der Beiträge sowie die Visualisierung des Ablaufs, der Ziele und der Ergebnisse mit weiterführenden Aufgaben gelingt.

Darüber hinaus obliegt der Moderation die Schaffung einer respektvollen Atmosphäre. In den Settings des IPC 8 wird dies sichergestellt durch wiederholten Dank für Beiträge die Schaffung von Zeit-Räumen für Rückmeldungen und individuelle Meinungsbeiträge, aber vor allem durch die Herstellung von Gleichberechtigung aller Professionen:

„Positiv zu beobachten und zu bewerten war außerdem, dass alle professionellen Perspektiven von der Moderatorin gleich gewichtet und in den Diskurs miteingebunden wurden.“ (8-12, 1770ff.)

Neben den der Moderation zugeschriebenen Aufgaben wird die Moderationsrolle von den Studierenden auch problematisch eingeschätzt. Hier ist insbesondere die Doppelrolle zu nennen, welche die Moderation im Setting des Moduls innehatte. Die Person musste moderieren, war aber gleichzeitig Vertreter*in einer Profession. Dieses Spannungsverhältnis wurde zuweilen zugunsten der Profession, meist jedoch zugunsten der Moderation aufgelöst. Letzteres wurde von den Studierenden positiv, ersteres negativ wahrgenommen:

„Dies stellte sich in der Studierendengruppe als problematisch heraus, da die Moderatorin als Studierende der Pflege zeitweise eine Doppelrolle einnahm, um die Profession Pflege im Rahmen der Diskussion zu unterstützen. Dieser Umstand sollte in Zunkunft [!] vermieden werden, um die Souveränität und den Überblick der moderierenden Person über die gesamte Fallkonferenz zu gewährleisten.“ (8-14, 2034-2038)

Jedoch wird positiv hervorgehoben, wenn die Moderation über medizinisches Fachwissen verfügte und aufgrund dessen ihre Aufgabe der Gesprächsleitung besser wahrnehmen konnte.

Ebenso wird die Rolle der Moderation als sehr voraussetzungsreich und mit hohen Kompetenzanforderungen beschrieben. Erfahrung und Übung werden hauptsächlich als Voraussetzungen für die Übernahme dieser Rolle genannt, ebenso die Vertrautheit mit dem Ablauf einer interprofessionellen Fallkonferenz. An dieser Stelle ist auch die erste Besonderheit des digitalen Formats zu nennen, da auch die Vertrautheit mit dem Online-Tool und seinen Möglichkeiten als Kompetenzanforderung an die Moderation genannt wurde.

Weitere, nicht in der Person der Moderation liegende Voraussetzungen für eine gelingende Moderation sind die gemeinsame methodische und strukturelle Wissensgrundlage aller beteiligten Professionen. Insbesondere in der gemeinschaftlichen Zielfindung wurde immer wieder auf die hohe Relevanz einer überprofessionellen Wissensgrundlage abzielt.

5.2 Die Kategorie „gleichberechtigte Sichtbarkeit der Professionen“

In den Berichten der Studierenden des sechsten Fachsemesters finden sich Äußerungen zur Sichtbarkeit der eigenen Profession:

„Außerdem zeigten sich bereits viele Überschneidungsbereiche zwischen den Professionen, die der Gruppe bis dahin nicht so bewusst war, was die Zuteilung der Fragen etwas erschwerte.“ (6-3, 160ff.)

In diesem Zitat wird deutlich, dass für diese Person die Grundlage einer „selbstbewusst vertretenen professionellen Identität“ (Reichel/Herinek 2017) noch nicht gegeben ist. Gleichzeitig betont dieses Zitat die Relevanz dieser Kategorie für das Gelingen interprofessioneller Fallkonferenzen. Mit dem Erkennen einer professionsspezifischen Perspektive geht auch die Abgrenzung zu anderen Professionen einher. So wird deutlich, dass zwar jede Profession einen „eigenen Fokus auf das Therapieziel“ (6-2, 97ff.) legt, es aber zugleich zu „keiner Überschneidung von Fragen und keiner Monoprofessionalität“ (6-2, 110f.) kommen sollte. So „entstehen professionsspezifische Fragen“ (6.1, 22-23), welche die Abgrenzung der Professionen untereinander aufzeigen.

Das Fehlen von im alltäglichen Versorgungssetting an interprofessionellen Fallkonferenzen beteiligten Professionen stellt eine Problematik der Umsetzung im Modul IPC dar. So kann das „Fehlen von ärztlicher Einschätzung und das Fehlen der Expertise aus der Ergotherapie“ zu einer Lücke in dem individuellen Versorgungsplan führen (6.1, 30-34)

5.3 Die Kategorie der Handelnden im interprofessionellen Settings

Zudem zeigt sich, dass insbesondere die Studierenden im IPC 6 sich, ihr Handeln und das der anderen stark reflektieren. Im Auswertungsprozess konnten drei Kategorien identifiziert werden: die eigene Person, die professionelle Identität und die interprofessionelle Rolle.

Hervorgehoben wird eine grundlegende Bereitschaft aller einzelnen Teilnehmenden, sich auf die interprofessionelle Fallkonferenz einzulassen und diesbezüglich gemeinsam getroffene Absprachen im eigenen Handeln zu befolgen:

„Zusätzlich muss jedes einzelne Gruppemitglied [!] bereit für Interdisziplinarität sein und besprochene Absprachen einhalten können.“ (6-6, 474f.)

Die Studierenden betonen darüber hinaus die persönliche Relevanz der positiven Stimmung/Gefühle/Atmosphäre wie auch den respektvollen und wertschätzenden Umgang als Bedingung für das Gelingen der interprofessionellen Simulationen:

„Die Stimmung in der Gruppe war sehr angenehm und der Autor als Gruppenmitglied fühlte sich wohl.“ (6-6, 424)

In den Stettings des IPC 6 wurde der Aspekt der respektvollen Atmosphäre weniger auf die Moderationsrolle, sondern mehr auf die Mitglieder des interprofessionell agierenden Teams bezogen:

„Es fand ein respektvoller Austausch mit fachübergreifenden Ergänzung statt.“ (6-5, 332)

Zudem werden die Aspekte der persönlichen Motivation und der persönlichen Wertevorstellungen auf dieser Ebene der eigenen Person häufig betont:

„Die gute Gruppendynamik ist auf die Motivation der einzelnen Gruppenmitglieder zurückzuführen.“ (6-6, 451)

Darüber hinaus werden die lange Bekanntheit der Teilnehmenden als Kommiliton*innen sowie die „offene und freundliche Art der Beteiligten“ als Begründung für die respektvolle und zielführende Kommunikation genannt.

Ferner wird insbesondere die Aufgabenverteilung zwischen den Professionen von den Studierenden hervorgehoben:

„Die zu Beginn unbewusste und während der Fallkonferenzen bewusste Aufgabenverteilung minimierte ausschweifende Diskussionen und führte zu schnellen Lösungsstrategien.“ (6-6, 454f.)

Damit schließt die vorliegende Studie an bereits publizierte Ergebnisse zur Relevanz des eigenen Handelns an. Posenau und Handgraaf (2021) beschreiben die Kategorie „Situatives und sektorenübegreifendes Agieren mit Bezug auf eine spezifische Versorgungssituation“, welche auf kompetentes Handeln aller Teammitglieder abhebt. Auch für das digitale Setting lassen sich Hinweise für die einzelnen Teilnehmenden an den interprofessionellen Fallkonferenzen finden, welche in der Verantwortungsübernahme für eine gute Internetverbindung liegt:

„Zusätzlich spielte eine gut funktionierende Internetverbindung jedes einzelnen Gruppenmitglieds für ein klares Verständnis. Somit kann man schlussfolgern, dass Fallkonferenzen mit Bild auch gut online stattfinden können.“ (6-6, 455-458)

Auf der Ebene der professionellen Identität sind die Aspekte des persönlichen Kompetenzerlebens, der klaren Zuweisung der Rolle und der oben genannten Sichtbarkeit der eigenen Rolle als Gelingensbedingungen formuliert. Sobald diese Bedingungen nicht erfüllt sind, werden Unsicherheit bzw. Unzufriedenheit von den Studierenden geäußert. Am häufigsten zeigte sich das Konfliktpotential, sobald es zu Überlappungen in den bisher professionsbezogen zugeschriebenen Kompetenzbereichen und Zuständigkeiten kommt. Dieses Kriterium kann ausschließlich bei den Studierenden des 6. Fachsemesters nachgewiesen werden.

„Außerdem zeigten sich bereits viele Überschneidungsbereiche zwischen den Professionen, die der Gruppe bis dahin nicht so bewusst war, was die Zuteilung der Fragen etwas erschwerte.“ (6-3, 162)

Auf der Ebene der interprofessionellen Rolle werden weitere Konfliktfelder in der Zusammenarbeit mit den anderen Professionen deutlich. Neben der Frage, ob die eigene professionelle Rolle noch sichtbar bleibt, empfinden die Studierenden die professionelle Kompetenz der anderen Berufsgruppen als eigenes Wissensdefizit:

„Zusätzlich sorgen regelmäßige Fallkonferenzen dafür, dass Wissensdefizite zwischen den Professionen immer geringer werden.“ (6-6, 462f.)

"Fachbegriffe wurden entweder direkt oder durch Nachfragen geklärt, ohne dass eine Abwertung der Person wegen Unwissenheit stattfand. Professionsspezifische Aufgaben konnten dadurch verteilt werden, dass sich jede Fallkonferenzteilnehmerin ihrer Kompetenzen und beruflichen Rolle bewusst war.“ (8-6, 717-721)

Gleichzeitig betonen die Studierenden aber, dass die interprofessionelle Zusammenarbeit durch das gemeinsame Ziel, die bestmögliche Patient*innenversorgung zu schaffen, zu guten Strukturen im Team und zielführenden Absprachen in der Therapieplanung führt und zur Kompetenzentwicklung beiträgt:

„Für die persönliche Entwicklung bedeutet es, dass ein enger interdisziplinärer Austausch neuen fachlichen Input durch andere Sichtweisen und erlernte Therapiemethoden erzielen kann.“ (6-5, 341ff.)

5.4 Die Kategorie „Digitales Format“

In der Reflexion zur Durchführung der Fallkonferenzen wird das digitale Format sowohl unter positiven als auch unter negativen Gesichtspunkten thematisiert.

Bezogen auf die Kommunikation in der Fallkonferenz häufen sich negative Einschätzungen. Insbesondere Blickkontakt sowie nonverbale Kommunikationselemente sind im digitalen Format nicht möglich.

„Die Aufrechterhaltung des Blickkontakts konnte durch das Online-Format nicht überprüft werden.“ (8-10, 1472)

„Gründe für die Einschränkung der verbalen und nonverbalen Kommunikation ist eindeutig das online Format der Fallkonferenz.“ (8-8, 1158f.)

Aber auch die Übertragungsverzögerungen im digitalen Format werden immer wieder negativ kommentiert:

„In dieser Fallkonferenz fiel auf, dass häufig Überschneidungen von Wortbeiträgen stattfanden. Einerseits lag es an den Übertragungsverzögerungen der Plattform Zoom.“ (8-6, 721ff.)

Die Unterbrechungen der Kommunikation aufgrund der zeitlichen Verzögerungen werden als schwerwiegendster Nachteil des digitalen Formats immer wieder genannt. Hier ist noch einmal auf die genannte Verantwortung aller Teilnehmenden für die funktionierende Internetverbindung zu verweisen. Die Wahrnehmung dieser Einzelverantwortung für das Gelingen einer interprofessionellen Fallkonferenz im digitalen Format ist sehr hoch einzuschätzen, da auch diese Verantwortungsübernahme 1) zum Gelingen der interprofessionellen Fallkonferenz beiträgt und 2) einen Kompetenzzuwachs darstellt, der im analogen Format nicht hätte stattfinden können. Häufig wird in den Reflexionsberichten beschrieben, dass sich das Ausschalten der Kameras einzelner Teilnehmer*innen nachteilig auf die Kommunikation in der Fallkonferenz auswirke, da sie auf diese Weise nicht als Kommunikationspartner*in einschätzbar sind.

Die Ableitungen aus den negativen Aspekten der digitalen Umsetzung, welche die Studierenden vornehmen, sind allerdings durchaus vielfältig. Lediglich vier Studierende fordern die Übertragung der Veranstaltung in ein Präsenz-Format. Die anderen fordern die Aufstellung von Regeln für Online-Konferenzen: 1) Kamera bleibt angeschaltet. 2) Handhebefunktion oder andere Signale für Wortmeldung, 3) Ton bleibt angeschaltet. Gleichzeitig wird die Anpassung der bisher in Präsenzveranstaltungen genutzten Kommunikationsregeln gefordert. So soll die Forderung nach Aufrechterhaltung des Blickkontaktes entfernt werden (8-8, 1164f.).

Darüber hinaus wird deutlich, dass die Unterbrechungen häufige Entschuldigungen der Unterbrechenden nach sich ziehen, was wiederum als Störungsmilderung empfunden wurde (8-14, 2346ff.).

Neben den Anpassungsforderungen zur Milderung der negativen Aspekte des digitalen Formats heben die Studierenden auch positive Elemente hervor. Allen voran sind die Möglichkeit der einfachen Teilung von Dokumenten zur gemeinsamen Bearbeitung sowie die Visualisierungsmöglichkeit im digitalen Format als 1) Unterstützung der Moderation und 2) Strukturierungshilfe für die Fallkonferenz zu nennen. Insgesamt acht Studierende sehen die Durchführung im digitalen Format als Vorteil für Fallkonferenzen. Es wird sogar die Forderung nach Standardisierung für (digitale) Fallkonferenzen abgeleitet:

„Wie in Kapitel 3.3 beschrieben, wurden die SMART-Regel und die formulierten Ziele für alle sichtbar aufgeschrieben. Das führte dazu, dass die Teilnehmenden direkt abgleichen konnten, ob alle Aspekte der SMART-Regel integriert sind und die Ziele nicht wiederholt vorgetragen werden mussten. Hintergrund dieser Visualisierung ist die Generierung dieser Idee während einer vorangegangenen Fallkonferenz. Da die Anwesenden von dieser Veranschaulichung profitierten, wird der Vorschlag gemacht, solch eine Visualisierung standardmäßig in Fallkonferenzen zu integrieren.“ (8-9, 1277-1284)

Diese Forderung bestärkt die Durchführung des Moduls im digitalen Format. Da hier Visualisierungsmöglichkeiten wie in Präsenz möglich sind und sie darüber hinaus gleichzeitig von allen Teilnehmenden synchron bearbeitbar sind, ist es dem Präsenzformat in Bezug auf Visualisierung und Ergebnissicherung sogar überlegen. Insgesamt wurde in der vorliegenden Studie deutlich, dass im digitalen Format alle Teilnehmenden Kompetenzzuwächse erleben, die sie in einer analogen Umsetzung nicht erfahren hätten, welche aber sehr wohl für die gesellschaftliche Entwicklung der Digitalisierung im Gesundheitswesen von Vorteil sind.

6 Diskussion

Die Studierenden des sechsten und achten Semesters schätzen die Lehrveranstaltung im Modul „Interprofessionel Collaboration“ als sehr gewinnbringend für ihre Kompetenzentwicklung sowie für den klinischen Alltag ein. Das Agieren in einer simulierten Fallkonferenz – auch im digitalen Raum – scheint demnach ein geeignetes Instrument zu sein, um Studierende der Pflegeberufe auf konkrete berufliche Anforderungen vorzubereiten.

Insgesamt wird der Moderation von den Studierenden in den Fallkonferenzen eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Sie ist mitverantwortlich für das Gelingen der Fallkonferenz, aber auch für die Einbeziehung aller Beteiligten, für die Gleichberechtigung der Professionen, für die Schaffung einer respektvollen Atmosphäre sowie die Einhaltung der Kommunikationsregeln. Die Kategorie der Handelnden verweist diesbezüglich auf die Mitverantwortung aller Teilnehmenden der interprofessionellen Fallkonferenz. Sind diese bereit und motiviert, im Sinne der bestmöglichen Patient*innenversorgung zu agieren, trägt dies zum Gelingen der Fallkonferenz in einer respektvollen, gleichberechtigten Weise sehr stark bei. Die immer wieder genannte Schaffung einer gemeinsamen methodischen Wissensgrundlage – insbesondere im Bereich der Zielfindung – im interprofessionellen Austausch zur gemeinschaftlichen Zielfindung sowie zur Kommunikation verweist ebenfalls auf die Verantwortung aller Beteiligten für das Gelingen einer interprofessionellen Fallkonferenz. Der Moderation nimmt dabei eine zentrale Verantwortung ein.

Es ist jedoch nicht das Ziel interprofessioneller Fallkonferenzen, dass die beteiligten Professionen sich eine gemeinsame Wissensgrundlage über die anderen Professionen aneignen. Aber eine gemeinsame methodische Wissensbasis über den Ablauf, die Strukturen, Instrumente zur Zielfindung und die Kompetenzbereiche der anderen Professionen sind wichtige Gelingensbedingungen interprofessioneller Fallkonferenzen.

Insgesamt wird in zudem der Auswertung der Reflexionsberichte deutlich, dass die Strukturierung der Fallkonferenz eindeutig eine Hauptaufgabe der Moderation ist. Dazu stehen ihr vielseitige Vorgehensweisen zur Verfügung. Gleichzeitig sehen die Studierenden eine hohe Verantwortung für die Gewährleistung einer respektvolleren und professionell gleichberechtigten Fallkonferenz bei der Moderation, aber nicht ausschließlich (siehe unter 5.4). Diese sollte entweder professionell unbeteiligt sein oder aber, wenn sie einer der beteiligten Professionen entstammt, so geschult sein sollte, dass sie ihre professionelle Rolle in den Hintergrund drängt. Es ist dann notwendig, dass aus dieser Profession eine aktive Person teilnimmt. Jedoch bewerten die Studierenden des achtens Semesters es positiv, wenn die Moderation über grundlegendes pflegerisch-therapeutisches Wissen verfügt, um ihrer Aufgabe der inhaltlichen Strukturierung adäquat nachkommen zu können.

Ein wesentliches Moment in der interprofessionellen Kollaboration stellt die Sorge der Teilnehmenden um die Sichtbarkeit der eigenen Profession dar. Hier wird deutlich, dass die gemeinsame Ausbildung der Studierenden über einen längeren curricularen Zeitraum hinweg dazu führt, dass die Teilnehmenden der Fallkonferenzen einander gut kennen. Auf diese Weise kann Entlastung von dieser Sorge geschaffen werden. Dennoch lässt sich hier die Forderung an die Ausbildung ableiten, diese Sorge zu berücksichtigen und didaktisch in das Konzept der interprofessionellen Fallkonferenz einzubauen. Gleichzeitig ergibt sich aus den Berichten des sechsten und achten Fachsemesters die starke Forderung nach der Beteiligung weiterer Professionen an der gemeinsamen Ausbildung, welche im Alltag der Gesundheitsfachberufe wesentlich sind für die interprofessionelle Versorgung von Patient*innen.

Eine qualitativ hochwertige professionsbezogene Ausbildung der Studierenden bewirkt, dass die Studierenden ihre Kompetenzen in interprofessionellen Settings sichtbar einbringen können und sich selbst als kompetent erleben können. Dies wurde sowohl vom sechsten als auch vom achten Fachsemester hervorgehoben. Aber auch der Respekt und die Offenheit gegenüber anderen Berufsgruppen, welche gegebenenfalls überlappend im eigenen Kompetenzbereich tätig werden müssen, müssen neben dem professionsbezogenen Studium von Beginn an verankert werden, um professionell als interprofessionelles Team patient*innenzentriert agieren zu können. Darauf gilt es insbesondere, die Studierenden der Fachdisziplinen in den Gesundheitsberufen im Studium adäquat vorzubereiten. Hierzu eignet sich das Format des Moduls IPC, da hier die Studierenden über einen längeren Zeitraum interprofessionell ausgebildet werden.

Des Weiteren heben die Studierenden die Handlungen der Teilnehmenden als wesentlich für das Gelingen einer interprofessionellen Fallkonferenz hervor. Dabei betonen sie insbesondere die eigene Person, die professionelle Identität und die interprofessionelle Rolle. Diese Kategorien verdeutlichen die hohen Kompetenzanforderungen an jedes Mitglied der interprofessionellen Kompetenz. Haltung und Motivation der einzelnen Person im Sinne von Offenheit, Wertschätzung und einer konstruktiven Kommunikation werden betont, ebenso wie die sichere Basis einer professionsspezifischen Identität, von der aus die interprofessionelle Rolle erreicht werden kann. Diese Argumentation kann als Bestätigung des curricularen Vorgehens im Modul IPC interpretiert werden. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Studierenden sich sehr wohl ihrer eigenen Verantwortung für das Gelingen einer interprofessionellen Fallkonferenz bewusst sind und diese ernst nehmen, auch wenn sie der Moderation eine große Verantwortung für das Schaffen kommunikativer Struktur, die Schaffung von Sicherheit und Gleichberechtigung sowie eine wertschätzende kommunikative Kultur zuschreiben.

Zur Durchführung des Moduls im digitalen Format äußern die Studierenden einige negative, aber überwiegend positive Aspekte. Wesentlich ist, dass die negativen Aspekte wie Verzögerung der mündlichen Beiträge und dadurch entstehende Überlappungen oder verminderter Blickkontakt durch Maßnahmen wie Handheben oder Anpassen der Kommunikationsregeln ausgeglichen werden können. Diese Ausgleichsvorschläge werden von den Studierenden selbst eingebracht. Insgesamt ergibt sich für die Beurteilung der interprofessionellen Fallkonferenzen im digitalen Format daher ein eher positives Bild.

Hervorgehoben wird, dass durch Visualisierung unterschiedlicher Elemente (Ablauf/Zielformulierungen) im digitalen Raum eine unterstützende Struktur der digitalen Fallkonferenzen geschaffen. Dieses Kriterium hebt einen weiteren Vorteil des Online-Formates hervor, da hier einerseits Präsentationen geteilt werden können oder aber über ein entsprechendes Tool zeitgleich an einem Dokument gearbeitet werden kann, ohne den Ablauf der Fallkonferenz zu stören. Gleichzeitig bewirkt das digitale Format sowohl bei der Moderation als auch den Teilnehmenden einen Kompetenzzuwachs in diesem Bereich, welcher in Bezug auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen den Studierenden zugutekommt.

7 Fazit

Die hier präsentierten Ergebnisse aus der qualitativen Inhaltsanalyse der Reflexionsberichte der Studierenden des Moduls „Inteprofessional Collaboration“ im sechsten und achten Semester bestätigen und erweitern wesentliche Befunde aus bisheriger Forschung. So konnte die hervorgehobene Rolle der Moderation in interprofessionellen Fallkonferenzen nachgewiesen werden (vgl. Posenau/Handgraaf, 2021; Huber, 2022; Binner et al., o. J.). Diese Rolle konnte anhand der dargestellten Kategorien ausdifferenziert dargestellt werden. Dies gibt eindeutige Hinweise für die weitere Umsetzung der akademisierten Ausbildung von Fachkräften im Gesundheitswesen für die interprofessionelle Kollaboration.

Zudem wurde in der vorliegenden Auswertung bestätigt, dass eine selbstbewusst vertretene professionelle Identität als Voraussetzung für die Einnahme einer interprofessionellen Rolle benannt wird. Posenau und Handgraaf (2021) stellen das situative und sektorenübergreifende Agieren mit Bezug auf eine spezifische Versorgungssituation als eine solche Kategorie dar. Die vorliegende Analyse deckt diesbezüglich aber auch Konfliktfelder auf, die unbedingt Eingang in die didaktische Umsetzung der interprofessionellen Ausbildung finden sollten. Zu den Konfliktfeldern zählen: (1) professionsspezifisches Wissen der Anderen als eigenes Defizit wahrnehmen; (2) Forderung nach Überschneidungsfreiheit und Vermeiden von Monoprofessionalität, (3) Sorge um die Sichtbarkeit der eigenen Profession.

Die Analyse weist eine positive Einschätzung der Studierenden in Bezug auf die digitale Umsetzung des Moduls IPC nach. Sowohl die Kompetenzentwicklung als auch die Lehr-/Lernsituation an sich werden überwiegend positiv bewertet. Negative Aspekte werden mit Vorschlägen ergänzt, diese zu eliminieren. Es wird deutlich, dass die akademisierte Ausbildung der Gesundheitsfachkräfte über didaktische und technische Instrumente verfügt, im digitalen Raum praxisorientiert auszubilden. Dabei sollte die hohe Kompetenzanforderung an die Studierenden in ihren jeweiligen Rollen – insbesondere die der Moderation – im Curriculum abgebildet werden. Es hat sich gezeigt, dass auch hier digitale Kompetenzen notwendig sind, um eine interprofessionelle Fallkonferenz im digitalen Raum gelingen zu lassen. Darüber hinaus ist es dadurch möglich, die Fallkonferenz durch die Verlegung in den digitalen Raum zu bereichern – durch Möglichkeiten der Visualisierung des gemeinsamen Bearbeitens eines Dokumentes. Daher muss die Möglichkeit zur Entwicklung digitaler Kompetenzen früh in das Curriculum der akademisierten Ausbildung für das Gesundheitswesen integriert werden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich auch das digitale Format eignet, um interprofessionelle Kompetenzentwicklung für den praktischen Einsatz im klinischen Alltag zu erzielen.  

Ein Desiderat bleibt der Vergleich der reflektierten Aspekte im digitalen Setting mit dem analogen Setting.

Literatur

Binner, U./Ortmann, K./Zimmermann, R.-B./Zirnstein, J. (o. J.): Die Organisation und Durchführung von Fallkonferenzen – ein Leitfaden. Online: https://www.severam.de/fallkonferenzen (14.04.2021).

Centre for the Advancement of Interprofessional Education (CAIPE), United Kingdom, 2002. 

Darmann-Finck, I./Einig, C. (2019): Curriculumentwicklung für interprofessionelles Lernen, Lehren und Arbeiten. In: Evers, M. Paradis, E., Herinek, D. (Hrsg.): Interprofessionelles Lernen, Lehren und Arbeiten: Gesundheits-und Sozialprofessionen auf dem Weg zur kooperativen Praxis. Weinheim, 85-101.

Evers, M./Reichel, K. (2017): Kooperativ Lehren, Lernen und Arbeiten in den Gesundheitsprofessionen: Das Projekt InterTUT. Working Paper No. 17-01, 3-6.

Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst HAWK (o. J.): Modulhandbuch für den Studiengang Pflege. unveröffentlicht.

Huber, C. (2022): Interprofessionelle Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung. In: Praxis 2022; 111 (1), 3-4.

Mayring, P. (2009): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim.

Obrecht, W. (2006): Interprofessionelle Kooperation als professionelle Methode. In: Schmoker, B. (Hrsg.): Liebe, Macht, Erkenntnis. Freiburg i.Br., 408-445.

Packard, K./Chehal, H./Maio, A./Doll, J./Furze, J./Hugget, K./Jensen, G./Jorgensen, D./Wilken, M./Yongyue, Q. (2012): Interprofessional Team Reasoning Framework as a Tool for Case Study Analysis with Health Professions Students: A Randomized Study. In: Journal of Research in Interprofessional Practice and Education Vol. 2.3, 250-260.

Posenau, A./Handgraaf, M. (2021): Framework für interprofessionelle Fallkonferenzen – Empirisch fundiertes und kompetenzorientiertes Kommunikationslehrkonzept für die inter­professionelle Lehre. Online: https://www.egms.de/static/de/journals/zma/2021-38/zma001461.shtml (14.04.2022).

Reichel, K./Herinek, D. (2017): Interprofessionelles Lehren und Lernen – Klärung und Orientierung. In: Ewers, M./Reichel, K. (Hrsg.): Kooperativ Lehren, Lernen und Arbeiten in den Gesundheitsprofessionen: das Projekt interTUT. Working Paper No. 17-01, 9-25.

Seger, W./Gaertner, T. (2020): Multimorbidität. Eine besondere Herausforderung. Deut­sches Ärzteblatt. 117 (44): A 2092-6.

Zitieren des Beitrags

Benner, I./Heiman, D./Hoffmann, H./Leinweber, J. (2022): Digitale Simulationen zur Schaffung reflexiver Lernräume zu interprofessioneller Kollaboration im Studium ausgewählter Gesundheitsberufe. In: bwp@ Berufs- und Wirtschafts­päda­gogik – online, Ausgabe 43, 1-19. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe43/benner_etal_bwpat43.pdf (18.12.2022).