bwp@ 43 - Dezember 2022

Digitale Arbeitsprozesse als Lernräume für Aus- und Weiterbildung

Hrsg.: Karin Büchter, Karl Wilbers, Lars Windelband & Bernd Gössling

„Digitale Transformation“ als Gegenstand der beruflichen Lehrkräftebildung – zur Entwicklung eines Lehr-Lern-Labors unter mündigkeitsbezogener Perspektive

Beitrag von Eveline Wittmann, Friedericke Rechl, Susanne Miesera, Joachim Siegert, Lena Heinze, Monja Pohley, Aldin Strikovic, Laureen Gadinger, Arne Bewersdorff, Manuel Förster & Claudia Nerdel
bwp@-Format: Diskussionsbeiträge
Schlüsselwörter: Digitale Transformation, Arbeitswelt, Lehr-Lern-Labor, berufsfeldübergreifend, berufliche Bildung

Das in der Qualitätsoffensive Lehrerbildung geförderte Projekt „Teach@TUM4.0“ legt bei der zu Zwecken der beruflichen Lehrerbildung erfolgenden, theoriegeleiteten Konzeption und den Ausstattungsentscheidungen „beruflicher Spaces“ im Lehr-Lern-Labor „TUM-DigiLLab“ (Industrie 4.0 Space, Smart Home Space, Gesundheit 4.0 Space, Baker Space) die Frage zugrunde: Wie können im Kontext der die Berufs- und Arbeitswelt, das Privatleben und die Gesellschaft betreffenden digitalen Veränderung Lehrkräfte dafür ausgebildet werden, Freiheitsbedrohungen durch die digitale Veränderung zu adressieren und junge Menschen in der beruflichen Bildung hinsichtlich einer verantwortlichen Gestaltung dieser Umwelten zu fördern? Fokussiert wird also eine Perspektive beruflicher Mündigkeit. Diese wird bildungstheoretisch hergeleitet und begründet durch berufsfeldübergreifende Veränderungen der Arbeitswelt sowie lernbezogene Herausforderungen der digitalen Transformation. Wie sich die dargelegten Überlegungen im Labor niederschlagen, wird anhand von Ausstattungsentscheidungen verdeutlicht. Abschließend werden Konsequenzen für berufsdidaktische Gestaltungselemente in der Lehrerbildung skizziert.

"Digital transformation" as an object of vocational teacher education - developing a teaching-learning laboratory from an enlightened perspective

English Abstract

The project "Teach@TUM4.0", which is funded within the Qualitätsoffensive Lehrerbildung, derives its theory-driven conception as well as decisions for the equipment of “vocational and professional spaces”of the teaching-learning laboratory “TUM-DigiLLab” (Industry 4.0 Space, Smart Home Space, Health 4.0 Space, Baker Space) from the question: How can teachers, in the context of digital change affecting the world of work as well as private life and society, learn to address the threats to freedom posed by the digital transformation and to support young people in vocational education and training in shaping these environments responsibly? The focus is thus on a perspective of enlightenment. Within the paper, this perspective is derived from educational theory and substantiated by cross-occupational changes in the world of work, as well as learning-related challenges of the digital transformation. Equipment decisions are used to illustrate how these considerations are reflected in the laboratory. Consequences for instructional design elements of vocational teacher education are mapped out.

1 Einleitung

Bei der Konzeption von Lehr-Lern-Laboren und Bildungskonzepten im Kontext digitaler Arbeitsprozesse und Lernräume spielen häufig gegenwärtige oder künftige Qualifizierungsbedarfe oder medienpädagogische oder -didaktische Überlegungen eine zentrale Rolle (exemplarisch Bonnes/Schumann 2021; Mau et al. 2022; s. die Kritik bei Heid 2019). Das Projekt „Teach@TUM4.0“, das in der dritten Förderphase der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an der Schnittstelle der Förderschwerpunkte „Digitalisierung in der Lehrerbildung“ und „Lehrerbildung für berufliche Schulen“ gefördert wird, nimmt bei der zu Zwecken der beruflichen Lehrerbildung erfolgenden, theoriegeleiteten konzeptuellen Entwicklung und den Ausstattungsentscheidungen für „berufliche Spaces“ im Lehr-Lern-Labor „TUM-DigiLLab“ demgegenüber eine andere Perspektive ein (vgl. Dobischat et al. 2019). Im Projekt orientieren wir uns an der Auffassung von Kutscha (2017, 40), der im Lichte der allgegenwärtigen Vernetzung und Echtzeitübertragung von Informationen das Erfordernis einer „gleichermaßen subjekt- und gesellschaftsorientierten Theorie der beruflichen Bildung im Zeitalter der Digitalisierung, die mehr sein will, als bloße Suche nach Qualifikationsanforderungen der intelligenten Fabrik“ anmahnt. Der fundamentalen Veränderung der Berufs- und Arbeitswelt, aber auch privater Umfelder und der Gesellschaft, welche die digitale Transformation darstellt, kann demzufolge nicht einfach durch „Sachzwangargumente“ begegnet werden, mit denen im Lichte von Industrie 4.0 Ansprüche an Inhalte, Realisierungsformen und Qualität von Kompetenzentwicklung aus Sachverhalten arbeitsorganisatorischer Anforderungen abgeleitet werden (Heid 2019, 95), auch wenn diese wissenschaftsorientiert entwickelt werden (z. B. acatech 2016; van Laar et al. 2017; Blanka/Krumay/Rueckel 2022). Aus dieser Sicht greift die häufig aufzufindende Erweiterung oder Verschiebung von Kompetenzkatalogen (s. z. B. die in Wilbers 2019 referierten Auffassungen) also zu kurz. Für die Konstruktion und Entwicklung der beruflichen Spaces im Projekt Teach@TUM4.0 – umgesetzt werden hier die Spaces „Industrie 4.0“, „Gesundheit 4.0“, „Smart Home“ und „Baker Space“ – ist vielmehr die Frage ausschlaggebend: Wie kann im Kontext der alle Bereiche der Berufs- und Arbeitswelt, des Privatlebens und der Gesellschaft betreffenden, als unvermeidbar (Krcmar 2018, 7f.) verstandenen digitalen Veränderung langfristig gesichert werden, dass Lehrkräfte dafür ausgebildet werden, immanente Freiheitsbedrohungen durch die digitale Veränderung, gleichzeitig aber auch deren autonomieerweiternde Potenziale möglichst wirkungsvoll zu adressieren und junge Menschen in der Berufsausbildung in dieser Hinsicht mit Blick auf die Wahrnehmung und verantwortliche Gestaltung ihrer Umwelten möglichst gut zu fördern? Fokussiert wird damit eine mündigkeitsbezogene Perspektive auf berufliche Bildung (vgl. Tramm 1994, 45).

Im Beitrag legen wir zunächst die Prämissen für die konzeptuelle Entwicklung und Ausstattungsentscheidungen der beruflichen Spaces im Projekt Teach@TUM4.0 dar (Kapitel 2):

  1. Erstens greifen wir auf klassische Bildungstheorien zurück, um die eingenommene mündigkeitsbezogene, auf Sicherung von Freiheit angelegte Perspektive auf berufliche Bildung in der digitalen Transformation zu fundieren (Abschnitt 2.1). Betont wird im Ergebnis die Relevanz begrifflicher Kategorien, die es erlauben, Zusammenhänge der Veränderung in konkreten beruflichen Handlungsumgebungen zu erkennen und reflektiert Gestaltungsmöglichkeiten im beruflichen Handeln wahrzunehmen. Für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften beruflicher Schulen wird diese Perspektive als besonders relevant erachtet, weil das Verfügen über begriffliche Ordnungskategorien und Vernetzungen z. B. als Grundlage dafür verstanden wird, curriculare Gelegenheiten für ein Verständnis der digitalen Transformation auf Schüler*innenseite zu erkennen und zu entwickeln sowie individuell oder kollektiv digitale Arbeitsmedien für den Unterricht auszuwählen (vgl. auch DigCompEDU, Redecker 2017). Während eine vollständige Theorie an dieser Stelle nicht vorgelegt werden kann (vgl. erste Versatzstücke dazu auch in Wittmann/Weyland 2020; Wittmann/Rechl im Erscheinen), soll die Explizierung zur Diskussion und weiteren theoretischen Auseinandersetzung herausfordern.
  2. Zweitens folgen wir einem Verständnis des Wandels der Arbeitswelt in der digitalen Transformation, dem gemäß dieser eine fundamentale, für einzelne Mitarbeitende, Kund*innen, Patient*innen, Klient*innen und betroffene Bürger*innen aber in weiten Teilen intransparente Veränderung darstellt, die gleichzeitig neue Freiheitsspielräume ermöglicht und Freiheitsbedrohungen erzeugt (Abschnitt 2.2); bei großen Variationen der Geschwindigkeit der Veränderung und der verwendeten Technologien betonen wir die substanziellen Ähnlichkeiten über die Berufsfelder hinweg.
  3. Drittens adressieren wir Erschließungsproblematiken, die sich aus dem „revolutionären“ Charakter und der Abstraktheit der Veränderung und der damit zusammenhängenden mangelnden Greifbarkeit im Hinblick auf die Vermittlung relevanter begrifflicher Kategorien ergeben (Neuweg 2020, 304ff.) (Abschnitt 2.3). Die Konstruktion und Entwicklung der beruflichen Spaces in Teach@TUM4.0 folgt der berufsbildungstheoretisch motivierten Annahme, dass sich aufgrund der konkreten Erfahrbarkeit das Medium des Beruflichen besonders dafür eigne, die in digitaler Transformation befindliche Berufs- und Arbeitswelt in ihren Zusammenhängen kategorial beschreibbar, kritisch reflektierbar und gestaltbar zu machen (Heid 2019, 85ff.; vgl. Ehrlich/Engel 2019; Böving et al. 2019). Dabei wird davon ausgegangen, dass die berufsfeldübergreifenden Parallelitäten der digitalen Transformation genutzt werden können, um die fundamentale Veränderung der Welt durch die digitale Transformation kontextübergreifend wahrnehmbar zu machen. Hierin liegt der Grund dafür, dass die beruflichen Spaces von realen Arbeitsumwelten getrennt und gleichzeitig als physisches, reale Umwelten simulierendes Lehr-Lern-Labor realisiert werden.

Anhand von Ausstattungsüberlegungen, die im Projekt Teach@TUM4.0 für die beruflichen Spaces im TUM-DigiLLab – Industrie 4.0, Smart Home, Gesundheit 4.0 sowie Lebensmitteleinzelhandel, -handwerk und Gastronomie („Baker Space“) – vorgenommen wurden, verdeutlichen wir anschließend exemplarisch, wie sich die dargelegten Überlegungen bei der Entwicklung des Lehr-Lern-Labors für Zwecke der beruflichen Lehrkräftebildung niederschlagen (Kapitel 3). Im Ausblick werden Konsequenzen für die Vermittlung berufsdidaktischer Gestaltungselemente an Lehrkräfte beruflicher Schulen (z. B. Erkennen curricularer Gelegenheiten) knapp skizziert (Kapitel 4).

2 Zugrundeliegende Überlegungen

2.1 Zur eingenommenen mündigkeitsbezogenen Perspektive

Im Folgenden ist unsere Intention zunächst, orientiert an Klafki (1986), der sich mit klassischen bildungstheoretischen Überlegungen auseinandersetzt, sowie an Aeblis (1983) Kritik an Klafki die bildungstheoretische Grundposition herauszuarbeiten, die wir für unsere Arbeiten bei der Entwicklung der beruflichen Spaces im Projekt Teach@TUM4.0 vorrangig einnehmen. Der Rückbezug auf diese bildungstheoretischen Grundüberlegungen erfolgt hier auch deshalb, weil der unreflektierte unmittelbare Rückgriff auf das im Lichte der mikroelektronischen Revolution entstandene kompetenzorientierte Bildungsverständnis (Kutscha 2017, 29f.) mit Blick auf die substanziellen Veränderungen der (Arbeits-)Welt, wie sie der digitalen Transformation innewohnen, möglicherweise zu kurz greift (vgl. Kapitel 3).

Klafki (1986, 458) folgend wird „Bildung“ in grundlegenden bildungstheoretischen Texten wie folgt gekennzeichnet:

  1. Sie wird mit dem Begriff Mündigkeit umschrieben und verstanden als „Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung“ (Hervorh. d. A.), zu Autonomie, Freiheit eigenen Denkens und eigenen moralischen Entscheidungen; sie impliziert auch Befreiung von Fremdbestimmung.
  2. Mündigkeit kann das Subjekt allerdings nur in „Aneignungs- und Auseinandersetzungsprozessen mit einer Inhaltlichkeit [gewinnen], die zunächst nicht ihm selbst entstammt, sondern Objektivation bisheriger menschlicher Kulturtätigkeit (...) ist, Objektivation von Aktivitäten, in denen Möglichkeiten menschlicher Selbstbestimmung, menschlicher Vernunftentwicklung, menschlicher Freiheit oder aber ihrer Widerparte Gestalt angenommen haben“ (Klafki 1986, 458f.). Bezugspunkt sind geschichtlich gewonnene verallgemeinerbare Aussagen über die Welt und menschliche Bezüge in dieser Welt, die mit Kant allerdings auf möglichen Verbesserungen der Zukunft der Menschheit abheben. Damit sollen „dem sich Bildenden Möglichkeiten und Aufgaben einer Existenz in (...) Menschlichkeit [aufgeschlossen werden] (...), also einer auf wechselseitig anerkannte, damit aber immer auch begrenzte Freiheit (...) hin orientierte, vernunftgeleitete [sic!] Selbstbestimmung“ (Klafki 1986, 461).
  3. Aus diesem Spannungsfeld von Individuum und der Welt abgewonnener Inhaltlichkeit heraus könne das dritte Strukturmoment des klassischen Bildungsbegriffs erst verstanden werden, welches Klafki (1986, 463) mit dem Begriff „substantielle Individualität“ bezeichnet: dass nämlich Bildung nicht nur der Individualität, sondern auch der Gemeinschaftlichkeit bedürfe. Wie von Klafki (1986, 464) exemplarisch für die Entwicklung von Sprache verdeutlicht wird, bedeute dieses Strukturmoment, dass die „Herausbildung von Individualität, von personaler Einmaligkeit (...) gerade nicht in der Isolierung des einzelnen von den andern [sic!] möglich [sei], sondern in der Kommunikation mit ihnen, (...) in die sie sich in ihrer Individualität einbringen und sich darin wechselseitig anerkennen.“

Von Klafki (1986) werden zwei weitere Aspekte herausgestellt, die explizit die berufliche Bildung betreffen: Im Lichte der mikroelektronischen Revolution sieht Klafki (1986, 468) auch hier als Bildungsaufgabe für die Bewältigung der Zukunft, jungen Menschen neben der für die technologische Entwicklung erforderlichen instrumentellen Rationalität die Fähigkeit zu deren vernünftiger Reflexion zu ermöglichen. Darüber hinaus mahnt er an, diese an allgemeine Zusammenhänge individueller und gesellschaftlicher Existenz zurückzubinden (Klafki 1986, 471). Von Aebli (1983, 38) ist die beschriebene Auffassung Klafkis mit den Worten als defizitär gekennzeichnet worden, „Die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit von Bildung zur Freiheit“ blieben hier „unaufgeklärt“. Gemeint ist damit, dass weder der Freiheitsbegriff positiv konkretisiert werde noch die wissensmäßigen Voraussetzungen seines Erwerbs; darüber hinaus fehle eine Theorie über seine Aneignung (Aebli 1983, 37f.). Demgegenüber schlägt Aebli (1983, 39) „[konkret-praktisches] Handeln mit (...) Ausrichtung auf den greifbaren Effekt“ zur Verinnerlichung in Handlungsschemata sowie zur Abstraktion und Objektivierung in transferierbaren, hierarchisch aufgebauten Begriffen vor. Einen gegenläufigen Vorgang stelle die Integration von Begriffen und Handlungsschemata in ein „Bild der wahrnehmbaren Welt, zu Handlungssystemen, (...) zu Begriffssystemen“ dar; beide Prozesse könne ein guter Unterricht unterstützen.

In unserem Vorgehen bei der konzeptuellen Entwicklung und bei den Ausstattungsüberlegungen in den beruflichen Spaces des digitalen Lehr-Lern-Labors TUM-DigiLLab greifen wir auf die skizzierten Elemente der Klafki’schen Bildungsvorstellung zurück. Gegenüber den an beruflicher Handlungskompetenz orientierten beruflichen Bildungsvorstellungen, wie sie im Lichte der mikroelektronischen Revolution breitflächig in die Curricula der beruflichen Bildung eingeflossen sind (Kutscha 2017, 29f.), fokussieren wir dabei in besonderem Maße den zweiten Aspekt inhaltlicher Kategorien zur Beschreibung der Welt und ihrer menschlichen Bezüge. Im Sinne Aeblis, dessen Verständnis vom Denken als „Ordnen des Tuns“ (Aebli 1994) moderne berufliche Bildungsvorstellungen beeinflusst hat, stehen ordnende Elemente des Denkens im Zentrum, deren Vermittlung durch Lehrkräfte beruflicher Schulen an ihre Schüler angestrebt werden sollten, wobei der lerntheoretische Zugang auf eine handlungsorientierte Aneignung gerichtet ist (vgl. Abschnitt 2.3).

Wenn nach Klafki (1986, 458) die relevanten Inhalte in Objektivationen bisheriger Kulturtätigkeit gesehen werden, verweist dies auf vergangene Entwicklungen. Nach unserer Auffassung ist die Gewinnung solcher Beschreibungskategorien und Zusammenhänge auf der Grundlage historischer Betrachtungen allerdings unzureichend. Denn durch die digitale Vernetzung und die mit ihr verbundene digitale Transformation entsteht neben den von Klafki (1959, 294) so bezeichneten „dinglichen“ und „geistigen“ Welten eine Welt, die wir als „Welt der Daten“ bezeichnen, welche andere Merkmale aufweist als die von Klafki benannten „Welten“ – mit der Folge, dass sie sich Beschreibungskategorien und Zusammenhängen aus diesen historisch erschließbaren Welten zu erheblichen Teilen entzieht oder aber deren „bruchlose“ Anwendung ohne Einordnung ihrer Bedeutung in einen Gesamtzusammenhang wesentliche Aspekte der Veränderung außer Acht lässt. Letzteres betrifft auch Ansätze, die für Bildung im Kontext der digitalen Transformation vorwiegend die Anpassung berufsfachlicher Inhalte bzw. fachrichtungsbezogener Kategorien an die Gegebenheiten der digitalen Transformation fokussieren und dabei weitgehend im „Silo“ einzelner Fachrichtungen und Branchen verbleiben.

2.2 Zum Verständnis des Wandels der Arbeits-„Welt“ in der digitalen Transformation

Der Entwicklung der digitalen Spaces im TUM-DigiLLab liegt die Annahme zugrunde, dass es sich bei der digitalen Transformation nicht nur um eine technologische oder hieraus resultierende organisationale Veränderung der Arbeitswelt handelt (vgl. Wittmann/Rechl, im Erscheinen), sondern um eine fundamentale Veränderung dieser Arbeitswelt, die aus der Natur von Daten in vernetzten digitalen Infrastrukturen resultiert. Zuboff (2015, 82) markiert die grundlegende Natur der Veränderung etwa, indem sie neben Boden, Arbeit und Kapital aus Daten generierte Analyse- und Vorhersagepotenziale als neuen Produktionsfaktor kennzeichnet und in der Folge die im Anbruch befindliche Epoche als „Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ (Zuboff 2018) bezeichnet. Merkmale der begrifflichen Kategorie digitaler „Daten“ in vernetzten digitalen Infrastrukturen sind, dass diese als maschinelle Repräsentationen von Informationen

  • erfasst werden können, ohne die Objekte, Personen und Prozesse, aus denen sie extrahiert werden, substanziell zu verändern (Janetzko 2008, 162),
  • mühelos in Echtzeit kopiert und transferiert werden können (Levitin/Redmann 1998, 2), weitgehend ohne dass dieser Transfer durch Personen wahrgenommen wird, die an Prozessen beteiligt sind, aus denen sie extrahiert werden (Zuboff 2015, 79),
  • zunehmend besser kombiniert werden können und dadurch an Wert für diejenigen Akteure gewinnen, die mit diesen Kombinationen arbeiten (z. B. Mosenia et al. 2018, 420),
  • ebenfalls zunehmend automatisiert in Echtzeit analysiert und zu ökonomischen Zwecken genutzt werden können, ohne dabei verbraucht zu werden (Alfian et al. 2019, 265).

Soweit es sich um Daten über Menschen und ihre Verhaltensweisen handelt, können sie darüber hinaus zu Zwecken der Verhaltensbeeinflussung genutzt werden, etwa durch Konditionierung zu Zwecken der Wahlbeeinflussung oder des Marketings oder durch Nudging, d. h. durch datenbasierte Entscheidungsarchitekturen, die z. B. im Umweltbereich systemisch gewünschtes Verhalten fördern (Zuboff 2018, 336ff).

Mit dem Gesagten verbunden ist eine wesentliche Implikation für die Arbeitswelt: Anders als Boden, Arbeit und Kapital sind die verwendeten Daten nicht einem Unternehmen abgrenzbar zuordenbar, sondern mit wachsender Häufigkeit von privaten Abnehmer*innen extrahiert, die als Adressat*innen beruflichen Handelns gleichzeitig auch als Datenlieferant*innen fungieren: Kund*innen, Klient*innen, Patient*innen, Bürger*innen etc. Dies heißt auch, dass die Veränderung immer weniger als eine isolierte Veränderung der Arbeitswelt betrachtet werden kann, sondern auch das Privatleben betrifft. Zwar wird die organisationsübergreifende Integration von Information im Rahmen von Enterprise-Resource-Planning (ERP) Systemen und Cyber-physischen Systemen seit längerem auch in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik thematisiert (z. B. Frötschl 2015, 48); in ihrer Konsequenz mit Blick auf Abnehmende außerhalb des B2B-Bereichs ist sie hier bislang jedoch aus unserer Sicht kaum in den Blick genommen worden.

Dieser Aspekt gewinnt jedoch auch deshalb an Gewicht, weil die digitale Veränderung neben dem industriellen Bereich – wenngleich zeitlich nachgelagert – sämtliche Sektoren umfasst, die bislang noch eher weniger von der digitalen Transformation berührt wurden (vgl. z. B. Brynjolfsson/McAfee 2014; Dengler/Matthes 2018; 2021), wie den Gesundheitssektor, das Lebensmittelhandwerk oder die Umgestaltung privater Lebensumwelten zu „Smart Homes“ durch Anbieter aus dem Bereich des Elektrohandwerks. So können digitale Zwillinge – verstanden als möglichst umfassende, genaue und aktuelle Beschreibung eines Objekts durch Daten – nicht nur über Maschinen der Industrie angefertigt werden (Stach/Heinzler/Pfeifer 2021), sondern auch über Menschen, z. B. über ihr Gesundheitsverhalten (Erol/Mendi/Doğan 2020). In Teach@TUM4.0 fokussieren wir bei Überlegungen zum digitalen Lehr-Lern-Labor aus diesem Grund auf eine berufsfeld- und fachrichtungsübergreifende Perspektive.

Mit dem Begriff des „Überwachungskapitalismus“ spricht Zuboff (2018) die substanziellen Freiheitsbedrohungen an, die sich aus dieser neuen Umwelt ergeben und die bereits zum Gegenstand neuer Aushandlungsprozesse geworden sind, etwa in Form der Ausarbeitung der seit 2018 in Kraft getretenen Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union (EU-DGSVO). Für unser Projekt ist allerdings eine maßgebliche Annahme, dass die Veränderung unvermeidbar ist (Krcmar 2018, 7f.) und neben Freiheitsbeschränkungen substanzielle Möglichkeiten der Erweiterung von Handlungsautonomie enthält; es ginge unter mündigkeitsbezogener Perspektive also darum, sowohl Freiheitsbegrenzungen als auch erweiterte Autonomiespielräume wahrzunehmen. Im Sinne der Kritik Aeblis (1983) an der mangelnden Konkretisierung des Freiheitsbegriffs bei Klafki und von Möglichkeiten seiner Aneignung ist der Freiheitsbegriff als hierarchische Kategorie in seiner Konfliktbehaftetheit ebenso wie das Ringen um Lösungen im Handeln Gegenstand der in Teach@TUM4.0 entwickelten Bildungskonzepte. Mündig zu handeln erfordert im beruflichen Kontext vor diesem Hintergrund, die Welt der Daten möglichst gut in ihren Zusammenhängen wahrzunehmen. Da die Verwendung von Daten der Adressat*innen beruflichen Handelns ein zentrales Merkmal der menschlichen Bezüge dieser Welt ist, ist damit gleichzeitig die von Klafki als Strukturelement von Bildung angesprochene Gemeinschaftlichkeit neu angesprochen: Denn mit den für die Daten abgebende Person häufig nicht mehr nachvollziehbaren Möglichkeiten der Erfassung, Weitergabe, Speicherung und Analyse von Daten und datengestützten Beeinflussungsmöglichkeiten ist die Freiheit von Fremdbestimmung zunehmend auf das Freiheit sichernde Handeln anderer Personen und Akteure angewiesen, die diese Aktivitäten durchführen, über diese aufklären müssen oder an der Entwicklung und Umsetzung hierauf abzielender technologischer Infrastrukturen beteiligt sind (Wittmann/Rechl, im Erscheinen). Dies betrifft gerade auch solche Personen, die z. B. als Gesundheits- oder Informatikfachkräfte beruflich mit Daten umgehen. Mit Blick auf die Entwicklung der beruflichen Spaces im Projekt Teach@TUM4.0 ist daher als eine wesentliche Intention verbunden, dieses wechselseitige Verwiesensein der Perspektiven sichtbar und kategorial fassbar zu machen.

2.3 Besondere lernbezogene Herausforderungen

Wir gehen allerdings davon aus, dass die Wahrnehmung datengestützter Prozesse im Alltag sowie deren beschriebene Auswirkungen in sozialen Situationen und die Entwicklung situativ angemessener Handlungsvorstellungen erschwert wird durch die mangelnde sinnliche Erfahrbarkeit von Daten und ihrer Vernetzung in konkreten sozialen Situationen. Eine anekdotische Beobachtung in unserer Arbeit mit Studierendengruppen im Smart Home Space, in dem wir pflegewissenschaftliche, hauswirtschaftliche und elektro- und informationstechnische berufliche Perspektiven thematisieren, ist, dass nicht sichtbare Datenquellen auch dort mit hoher Regelmäßigkeit nicht erkannt werden, wo auf diese eindeutig extrapoliert werden können müsste; exemplarisch müsste beim Erhalt einer Push-Nachricht mit einem Echtzeitbild aus dem Smart Home auf das Vorhandensein einer digitalen Kamera geschlossen werden. Zwar finden gerade auch in gewerblich-technischen Berufen Datenschutzproblematiken mittlerweile bereits großflächig Einzug in neue Ordnungsdokumente der Berufsausbildung (z. B. KMK 2019; 2020; 2021); für das Verstehen der Relevanz von Datenschutz erscheint jedoch bedeutsam, dass einerseits soziale Konsequenzen mangelnden Datenschutzes für Betroffene in konkreten Situationen verstanden werden und andererseits dieser im Handeln umgesetzt wird, z. B. durch datensparsame Einrichtung von Infrastrukturen, wie der Sensorik für die Datenextraktion oder der Infrastruktur für die Integration von Daten, oder durch transparente Aufklärung der Betroffenen. Daher wird als erforderlich angesehen, die Situationswahrnehmung in Alltagssituationen des Berufslebens zu verbessern (Bauer/Prenzel/Renkl 2015, 190; vgl. Tramm 1992, 244). Eine geschärfte situative Wahrnehmung setzt jedoch Beschreibungskategorien voraus, die möglichst sichtbar, erfahrbar, bestenfalls haptisch begreifbar und in ihrer Bedeutung für das eigene Subjekt und andere erkennbar zu machen wären, um sie einer Reflexion über möglichst konkrete Handlungserfordernisse und -alternativen zugänglich zu machen. In der Arbeit in Teach@TUM4.0 stellen in diesem Sinne z. B. die Datenextraktion und die Datenintegration wesentliche Beschreibungskategorien dar.

Wie beschrieben, reichen rein technologische oder auch im engeren Sinne datenbezogene Beschreibungskategorien allerdings aus der adressierten Mündigkeitsperspektive nicht aus; neu verhandelt werden muss vielmehr die hieran anknüpfende, wertegeleitete technologische Gestaltung sozialer Situationen. Dabei sehen wir die Wahrscheinlichkeit, die mangelnde erfahrungsbasierte Greifbarkeit und diffuse Emotionalität (s. zur emotionalen Bedeutungsdimension von Begriffen Osgood 1957) zu unterschätzen, mit denen nicht nur Daten als zentrale begriffliche Kategorie in einer digital vernetzten Welt für den Einzelnen und die Gesellschaft behaftet sind, sondern auch hierauf bezogene Kategorien, etwa das der Datenanalyse. Wir greifen hier auf Überlegungen von Neuweg (2004, 6f.) zum mentalen Hintergrund zurück, dem von uns im Normalfall nicht wahrgenommenen oder hinterfragten Denkrahmen unsere Alltagswahrnehmung und -handlungen, welcher unser Handeln auf der kulturell-gesellschaftlichen und in der Folge auch auf der individuellen Ebene bestimmt: Auf individueller und auf kollektiver Ebene ist dieser mentale Hintergrund auf die Eigenschaften des für die digitale Veränderung zentralen Konzepts „Daten“ nicht angepasst, d. h. auf deren „nicht-körperliche, ganz und gar unsinnliche, ungeheuer rasche und in ihrer Reichweite unkontrollierbare Streuung, dauerhafte Speicherung und Vernetzbarkeit“ (Wittmann/Neuweg 2021, 269). Denn trotz ihrer Allgegenwärtigkeit sind die physisch nicht greifbaren „Daten“ menschheitsgeschichtlich erst seit allerkürzester Zeit in unseren Handlungsumgebungen relevant (vgl. Billett 2006, 23). Exemplarisch würde die Aussage, eine bekannte Person gehe zu einem „Tischverkäufer“, zwar kurze Irritationen hervorrufen, weil weder der Beruf existiert noch im Alltag Händler ausschließlich auf Tische spezialisiert sind, dennoch würde aufgrund der gewachsenen Erfahrung mit dem Objekt „Tisch“ und der Funktion „Verkäufer“ schnell eine Einordnung mit hoher Plausibilität erfolgen. Demgegenüber wären Irritationen durch den Satz, eine bekannte Person gehe zu einem „Datenverkäufer“, vermutlich ungleich größer, obwohl der Beruf des Datenhändlers in digital transformierten Arbeitsumwelten für deren Funktionsfähigkeit elementar ist (Zier 2022, 44). Denn dass Daten verkauft werden können, was dies bedeuten könnte, worin die Sinnhaftigkeit liegt, ist in unserem Denkvorrat nur bei großer Aufmerksamkeit über die digitale Entwicklung überhaupt im Bereich des Denkbaren und wenn, dann vermutlich eher behaftet mit der Vermutung, dass es sich hier um eine anrüchige Tätigkeit handeln dürfte. Aus der Sicht des Projekts Teach@TUM4.0 ist daher eine zentrale lernbezogene Herausforderung, idealtypische Sinnzusammenhänge der digitalen Transformation erkennbar zu machen, um mit Aebli (1983) deren Verstehen als Grundlage für die Entwicklungen von Handlungsorientierungen zu ermöglichen (Aebli 1994, 202f.).

Anzumerken ist, dass im Zusammenhang mit fachrichtungsübergreifenden Projektzusammenarbeiten zu Industrie 4.0 (Wilbers/Windelband 2021, 36) oder auch in komplexen partizipativen Design-Prozessen mit Labor-Charakter (Engels/Wentland/Pfotenhauer 2019, 8) konkrete Auseinandersetzungen zu datenbasierten Infrastrukturen stattfinden, die kreative und reflexive Einflussnahme des Einzelnen ermöglichen und auch die Konstruktion eines Verständnisses über Zusammenhänge der digitalen Transformation fördern können. Aus der hier vertretenen Sicht erscheint aber zumindest fraglich, inwieweit solche Lehr-Lern-Arrangements auf Unterricht zielführend übertragen werden können, wenn die Lehrkräfte selbst mit Vorstellungen über die Welt in ihrer Gesamtheit operieren, die im Wesentlichen der tradierten dinglichen Welt entstammen.

3 Entwicklung der beruflichen Spaces des Lehr-Lern-Labors

Den Entwicklungen im Projekt Teach@TUM4.0 liegt daher ein einheitliches idealtypisches Verständnis über grundlegende Zusammenhänge der „Welt der Daten“ und von relevanten Kategorien für ihre Beschreibung zugrunde, das berufliche Fachrichtungen ebenso übergreift wie die in den beruflichen Spaces abgebildeten Anwendungskontexte Industrie 4.0, Smart Home oder Gesundheit 4.0. Mit Blick auf Fachrichtungsspezifika werden gleichzeitig zu Zwecken der didaktischen Reduktion Vereinfachungen in Kauf genommen. Das Zusammenhangsverständnis bestimmt sowohl die Entwicklung der Bildungskonzepte für Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften im Lehr-Lern-Labor TUM-DigiLLab als auch die in diesem Zuge erforderlichen technologischen Ausstattungsentscheidungen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: (Weiter-)Entwicklung der beruflichen Spaces des Lehr-Lern-Labors TUM-DigiLLab im Projekt Teach@TUM4.0Abbildung 1: (Weiter-)Entwicklung der beruflichen Spaces des Lehr-Lern-Labors TUM-DigiLLab im Projekt Teach@TUM4.0

3.1 Kategorien und Zusammenhänge

Die begrifflichen Kategorien und Zusammenhänge sind in Wittmann/Weyland (2020) genauer beschrieben (vgl. Abbildung 2). Sie entstammen im Wesentlichen zwei Quellen: (1) einer Sichtung wissenschaftlicher Publikationen zu Thematiken der digitalen Transformation und in diesem Zuge dem Abgleich über gewerblich-technische, kaufmännisch-verwaltende und personenbezogene Fachrichtungen hinweg; (2) der Triangulation mit situierter anekdotischer Erfahrung aus dem Kontext der Technischen Universität München als einer führenden technologischen Forschungseinrichtung einerseits und aus dem Kontext des Kooperationsnetzwerkes von Teach@TUM4.0 mit Firmen unterschiedlicher Branchen und mit kooperierenden Universitätsschulen andererseits; im Projekt wird dieses Netzwerk im eigens eingerichteten Kompetenzzentrum „digIT4.0@TUM“ entwickelt.

Abbildung 2: Berufsfeldübergreifende Konzepte und Zusammenhänge zur digitalen Transformation der Berufs- und Arbeitswelt (eigene Abbildung, entnommen aus: Wittmann/Weyland 2020)Abbildung 2: Berufsfeldübergreifende Konzepte und Zusammenhänge zur digitalen Transformation der Berufs- und Arbeitswelt (eigene Abbildung, entnommen aus: Wittmann/Weyland 2020)

Im Folgenden wird das Verständnis der Kategorien knapp gekennzeichnet; zu Lehrzwecken werden diese im Projekt Teach@TUM4.0 detaillierter ausgearbeitet (vgl. Rechl et al., in Vorbereitung). Mit den Kategorien markieren wir darüber hinaus Zusammenhänge zwischen drei Ebenen, deren Veränderungen die digitale Transformation im Kern kennzeichnen (Wittmann/Rechl, im Erscheinen):

  • die Ebene datenbasierter Veränderungen,
  • die Ebene organisationaler Veränderungen, die diese Prozesse stützen,
  • die Ebene der Neuaushandlung gesellschaftlicher Werte.

a) Ebene datenbasierter Veränderungen

Wesentliche Kategorien sind zunächst digitale Daten mit ihren zuvor referierten Merkmalen, Datenextraktion – die Entnahme von Daten aus unterschiedlichen Quellen, hier z. B. Kameras, RFID-Chips und unterschiedliche Arten von Sensoren –, Datenintegration – die Zusammenführung von Daten aus unterschiedlichen Quellen, die in unterschiedlicher Form erfolgen kann, beispielsweise in webbasierten Clouds, lokal oder dezentral – sowie Datenanalyse, mit oder ohne Speicherung von Daten, die wiederum in unterschiedlicher Form erfolgen kann, z. B, mittels Künstlicher Intelligenz (KI), aber auch durch klassische statistische Algorithmen.

Eine zentrale Kategorie ist die der Personalisierung, die wir als datengestützte Zuschreibung von Gütern oder Dienstleistungen zu Gruppen oder Personen verstehen und darüber nicht nur von standardisierter Massenproduktion und -dienstleistung, sondern auch von Individualisierung abgrenzen, mit der diese häufig gleichgesetzt wird (Hoeyer 2019, 532). So ist ein Merkmal von Personalisierung in diesem Verständnis, dass hier Daten, die aus anderen Personen, Objekten oder Prozessen extrahiert wurden, genutzt werden, um datengestützt ein auf einzelne Abnehmende zugeschnittenes Produkt oder eine Dienstleistung zu erstellen; mögliche Elemente von Personalisierung sind in diesem Verständnis unterschiedliche Qualitäten der Produkte oder Dienstleistungen, personalisierte zeitliche Auslieferung durch datengestützte Flexibilisierung von Prozessen (Zeitpunkt oder Geschwindigkeit) oder personalisiert festgesetzte Preise. Unter Personalisierung subsumieren wir systematisch auch die Industrie-Produktion in Losgröße 1. Personalisierung ist demgemäß als neues Element der digitalen Transformation abzugrenzen von standardisierter Massenproduktion/-verwaltung, unterscheidet sich aber durch die auf Datenanalysen basierende (teil-)automatisierte Generierung auch von Individualisierung und muss z. B. aufgrund der Qualität der in die Analysen eingehenden Daten oder wegen der oft ökonomischen Motivation der Nutzung von Personalisierungsmöglichkeiten insbesondere nicht zwingend auf eine Verbesserung im Sinne des einzelnen Subjekts hinauslaufen.

Mit der Kategorie Kopplung von Technologien kennzeichnen wir den möglichen Mehrwert durch die Möglichkeit der datengestützten Verknüpfung von Hardware, die unter anderem auch zur Ausfertigung oder Auslieferung personalisierter Angebote verwendet werden kann. Wir verwenden hier die Kategorie der Technologiekopplung und z. B. nicht die des Cyber-physischen Systems; damit soll markiert werden, dass es hier nicht einfach um die Vernetzung gegebener Technologie geht, sondern an dieser Stelle Ansatzpunkte für Innovativität und damit für kreatives, autonomieerweiterndes Handeln durch Verknüpfung zusätzlicher datenbasierter Technologie liegen. Neben der Kopplung von Arbeitstechnologie ist dabei die Kopplung von Lerntechnologie mit Arbeitstechnologie in Echtzeit möglich, etwa durch Integration tabletgestützter Erklärvideos in Cyber-physische Systeme der Fertigung in Industrie 4.0.

b) Ebene organisationaler Veränderungen

Mit der Kategorie Geschäftsprozessorganisation fokussieren wir schließlich auf veränderte Anforderungen an Organisationen, die durch die digitale Transformation angesichts der Datenintegration und -analyse, der Personalisierung sowie der Möglichkeiten der digitalen Vernetzung und Kopplung von Technologie entstehen. Als – mit der datengestützten Personalisierung korrespondierendes – Organisationsprinzip von Betrieben soll es die Geschäftsprozessorganisation erlauben, von der Erfassung von Abnehmerbedarfen bis hin zu deren Befriedigung alle Schritte in einer Organisationseinheit zu verorten – dem Geschäftsprozess (End-to-End-Verständnis; Schirmer 2020). Systematisch differenziert wird dabei in Teach@TUM4.0 zwischen

  • Prozessen, die der routinierten Schaffung eines abnehmerspezifischen Zusatznutzen (d. h. von Kund*innen, Klient*innen, Patient*innen, Bürger*innen) im Kontext wachsender Personalisierung dienen und
  • Prozessen zur Schaffung von Innovationen, welche in der digitalen Transformation häufig in der wertschöpfenden Kopplung von Technologien liegen.

Hier betonen wir also mit Blick auf die mündigkeitsbezogene, autonomieunterstützende Perspektive das Erfordernis, bezüglich dieser Organisationseinheiten konzeptuell zwischen der möglichst effizienten, routinisierten Befriedigung von Kunden*innen- oder Abnehmendenbedarfen und dem Schaffen von Innovationen zu differenzieren, um gerade bei verstärkter Beschleunigung und angesichts der Integration „kleinschrittiger“ Lerntechnologie in digital vernetzte Arbeitsprozesse auf der organisationalen Ebene auch Raum für die angesprochenen Innovations- und Kreativitätspotenziale zu erzeugen (vgl. zu dem hier generierten autonomiebezogenen Spannungsfeld Wuttke et al. 2022). Die resultierenden Geschäftsprozesse können dabei als Organisationseinheiten personelle Überschneidungen aufweisen; Prozesse zum Schaffen von Innovationen erfordern aber möglicherweise erweiterte berufsfachliche Konstellationen und in jedem Fall eine eigene organisationale Zeitallokation, die Reflexion und komplexe Lernprozesse ermöglicht (Schirmer 2020, 196ff.).

c) Ebene der Neuaushandlung von Werten

Hinsichtlich der Neuaushandlung von Werten ist zunächst die potenzielle Macht bedeutsam, die den Akteuren, welche die Datenintegration durchführen, durch die Möglichkeiten der Datenanalyse und der resultierenden personalisierten Beeinflussung zukommt. Wegen der damit verbundenen Fremdbestimmung sind hierdurch Freiheits- und in der Folge die zu adressierenden Mündigkeitsthematiken in besonderem Maße bedingt. Neben Freiheitseinschränkungen können mit der Personalisierung, wie beschrieben, allerdings auch Möglichkeiten einer verstärkten Autonomieunterstützung verbunden sein. Diese Ambivalenz zu verdeutlichen sowie Potenziale der Autonomieerweiterung zu adressieren ist Ziel der Entwicklung der beruflichen Spaces im Projekt Teach@TUM4.0. Bereits angesprochen wurden außerdem Freiheitsgrade und -begrenzungen, die in der Kopplung von Technologie und der Veränderung organisationaler Prozesse liegen.

Darüber hinaus geht es mit Blick auf die Neuaushandlung von Werten auch darum, das Verhältnis von Freiheit und Autonomie auf der einen und von Sicherheit auf der anderen Seite zu beleuchten. Letztere konzeptualisieren wir ebenfalls mehrdimensional, d. h. sowohl mit Blick auf durch datengestützte Überwachung erzeugte physische Sicherheit oder Verunsicherung als auch als Datensicherheit (vgl. Hardt/Klupak/Walker 2022).

Wie beschrieben, stellt das Erkennen und Wahrnehmen der beschriebenen Kategorien und Zusammenhänge eine wesentliche Zielsetzung der im Projekt Teach@TUM4.0 entwickelten Bildungskonzepte dar. Dabei werden in Teach@TUM4.0 als Voraussetzung für die Entwicklung der Bildungskonzepte auch signifikante Anteile der Ausstattungsentscheidungen, inkl. der Beschaffung, des TUM-DigiLLab vorgenommen. Gleichzeitig sind die Kategorien und Zusammenhänge Ausgangspunkt für dessen ausstattungsmäßige Weiterentwicklung. Für die Entwicklung der Bildungskonzepte selbst werden ausgehend von der beschriebenen Zielsetzung und weiteren damit in Verbindung stehenden Zielsetzungen, die wir unten diskutieren, berufliche Handlungssituationen und hierauf aufbauende Lernsituationen für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften entwickelt.

Im Folgenden wird vor dem erläuterten Hintergrund zunächst auf grundlegende Ausstattungsentscheidungen der vier beruflichen Spaces eingegangen, die im Projekt Teach@TUM4.0 getroffen wurden. Sodann werden Ausstattungserwägungen der konkreten beruflichen Spaces im Zusammenhang mit der Entwicklung beruflicher Handlungssituationen genauer thematisiert.

3.2 Ausstattungsüberlegungen für berufliche Handlungssituationen im Lichte der Kategorien und Zusammenhänge

Die wesentlichste grundsätzliche Ausstattungsüberlegung für die beruflichen Spaces des TUM-DigiLLab, die im Rahmen der Entwicklungsarbeiten des Projekts Teach@TUM4.0 angestellt wurde, besteht darin, dieses als physische Simulation realer beruflicher Umwelten auszustatten, um realweltliche, multiperspektivische berufliche Handlungsszenarien unter Einbeziehung von Abnehmenden (Kund*innen, Patient*innen, Bürger*innen) ebenso wie von Mitarbeitenden unterschiedlicher beruflicher Fachrichtungen zu ermöglichen. Dies bedeutet, dass die Einrichtung nicht lediglich die Abbildung technischer Vorgänge ermöglicht, wie die Vernetzung von Smart-Home-Anlagen oder die Einrichtung größenmäßig reduzierter Steuerungsanlagen, sondern gleichzeitig mit Elementen digitaler Vernetzung auch soziale Handlungsmöglichkeiten der betroffenen Akteure und die Repräsentation datenbezogener Vorgänge aus unterschiedlichen Perspektiven umfasst. Eine weitere zentrale Ausstattungsentscheidung ist, in den vier beruflichen Spaces vergleichbare Konzepte abzubilden, um die situationsübergreifende Bedeutung der Veränderung durch die Entwicklung der „Welt der Daten“ erkennbar zu machen und bei den Lernenden diesbezüglich einen Transfer zu unterstützen.

Im Folgenden werden die grundlegenden konkreten Ausstattungsentscheidungen der vier beruflichen Spaces im Zusammenhang mit Erwägungen zur Entwicklung beruflicher Handlungssituationen kurz umrissen.

a) Industrie 4.0 Space

Die Entwicklungsarbeiten im Space Industrie 4.0 beziehen sich auf die Simulation datengestützter Produktion in Losgröße 1 und deren Optimierung. Die Datenextraktion erfolgt im Rahmen eines Cyber-physischen Produktionssystems mit Arbeitstischen, an denen Montagearbeiten vorgenommen werden; die Daten werden in ein Manufacturing Execution-System (MES) integriert, das bereits Elemente eines Enterprise Ressource Planning (ERP)-Systems enthält. Lerntechnologie ist in das Cyber-physische System integriert, indem beim Scan des zum Vorprodukt gehörenden RFID-Chips zugehörige Montageanweisungen auf dem Tablet dargestellt werden. Das System ermöglicht gleichzeitig die Analyse der im Produktionsprozess entnommenen Daten durch technische und kaufmännische Mitarbeitende anhand eines Dashboards. Das vorliegende Setting wurde ausgewählt, weil es aus kaufmännischer Perspektive Rückschlüsse auf und die Analyse von produktivem Verhalten von Mitarbeitenden ermöglicht und mit Blick auf die Perspektive von Freiheit und Autonomie zulässt, Herausforderungen an Aushandlungsprozesse in der betrieblichen Mitbestimmung erkennbar zu machen. Die Integration einer KI-gestützten Analyse des Produktionsprozesses wurde demgegenüber aufgrund des Nicht-Vorliegens realer Daten angesichts des fiktiven Produktionsprozesses und der Kosten für die Entwicklung einer Simulation verworfen. Um Möglichkeiten der datengestützten Flexibilisierung des Produktionsprozesses veranschaulichen zu können, und damit den mit der Produktion in Losgröße 1 bereits vorhandenen Aspekt der datengestützten Personalisierung zeitlich und qualitätsbezogen weiterzuentwickeln, wurde die Flexibilisierung der Produktionsstraße (Stach/Heinzler/Pfeifer 2021) mittels Integration eines autonomen Transportroboters vorbereitet.

b) Smart Home Space

Das Smart Home dient primär der Entwicklung beruflicher Handlungssituationen gewerblich-technischer (Elektrotechnik, insb. Gebäudesystemintegration) und personenbezogener Fachrichtungen (Pflege, Hauswirtschaft) bei der technologischen Unterstützung der Autonomie und Selbstversorgungsfähigkeit älterer Bewohner*innen mit besonderen Bedürfnissen aufgrund von Vorerkrankungen im häuslichen Umfeld oder im Altenpflegeheim. Es wurde dazu ebenfalls als reales Wohn- und Esszimmer mit integrierter Küchenzeile, Tür und Fenster ausgestattet. Die verwendete Technologie umfasst vor diesem Hintergrund häusliche Sicherheitstechnologie, hauswirtschaftliche Technologie, telemedizinische bzw. -pflegerische Technologie und Sprachsteuerung. Im Smart Home Space werden aus diesem Setting diverse im häuslichen Umfeld entstehende Daten entnommen: z. B. werden mittels einer kapazitativen Näherungssensorik Bewegungsdaten von Bewohner*innen und anderer Personen im Smart Home extrahiert sowie lokal und auf einem gesicherten Server des Anbieters integriert und KI-gestützt zum Zweck der Sturzüberwachung ausgewertet; hierauf zurückgreifend können personalisierte Push-Nachrichten versendet werden, die darüber hinaus auf Daten aus einer im Raum befindlichen digitalen Kamera zurückgreifen. Verdeutlicht werden soll hier also einerseits die Möglichkeit der Autonomieunterstützung, die dadurch ermöglicht wird, dass Bewohner*innen z. B. auch im Alter im eigenen Heim bleiben können. Gleichzeitig ermöglicht die Infrastruktur je nach Installation die Überwachung der Bewohner*in durch Pflegepersonal, etwa durch Sturzerkennung, oder die Überwachung des Pflegepersonals durch Bewohner*innen und Angehörige. Mit dem Aspekt der Bewohner*innenüberwachung wird hinsichtlich der Neuaushandlung von Werten andererseits deren Sicherheit thematisierbar, sowohl im Sinne physischer Sicherheit als auch im Sinne überwachungsbezogener Verunsicherung oder bezüglich des Aspekts der Datensicherheit. Datenextraktion erfolgt außerdem durch Entnahme von Sprachdaten im Rahmen der Nutzung einer KI-gestützten Spracherkennungssoftware, die mit anderen Systemen teilweise gekoppelt ist und es bewohner*innenseitig zulässt, ausgewählte Elemente des Smart Homes zu steuern und hier eine weitere Form der Autonomieunterstützung zu erfahren. Hier werden zu Zwecken der didaktischen Kontrastierung, um Auswirkungen auf die Freiheit der Bewohner*innen, aber auch des im häuslichen Bereich tätigen pflegerischen oder hauswirtschaftlichen Personals oder der Angehörigen zu simulieren, wiederum zwei Varianten implementiert: eine auf einem lokalen Raspberry Pi liegende Open Source-Variante und die Spracherkennung eines großen Anbieters mit unbekannter Integration bzw. Verbleib der Daten. Verdeutlicht werden sollen hier also die Zusammenhänge zwischen den oben angesprochenen Infrastrukturen der Datenintegration und der Freiheit der zu Pflegenden/Bewohner*innen. Weitere Sensoriken, die nicht auf den ersten Blick erschließbar sind, sind in hauswirtschaftlicher Technologie (Lichtsensoren) sowie in Haustechnologie (z. B. Verbrauchsmesser für die Stromversorgung und WLAN-Schalter) enthalten, wobei Daten teils im Smart Home verbleiben und teils der Verbleib unbekannt ist.

c) Gesundheit 4.0 Space

Die Entwicklungen im Space Gesundheit 4.0 zielen darauf ab, technologische und soziale Möglichkeiten der Verbesserung von Prozessen der Patientenversorgung in einem klinischen Setting anhand der Wundversorgung zu simulieren. Hier können Patient*innen-Daten aus der Dokumentation einer Wunde unter anderem mittels Tablets entnommen und in unterschiedliche Varianten einer elektronischen Patientendokumentation integriert werden, wobei das Hosting aus Gründen der technologischen Betreuung bei einem externen Anbieter erfolgt. Alternativ ist Augmented Reality-Technologie vorhanden, die es erlaubt, unterschiedliche Möglichkeiten der Datenentnahme zu simulieren und mit der digitalen Patientendokumentation zu koppeln sowie diesbezügliche Vor- und Nachteile zu erfahren und zu reflektieren. Gegenwärtig wird die Möglichkeit geprüft, eine konkrete KI-gestützte Analyse zu ermöglichen; Begrenzungen liegen dabei ebenfalls darin, dass konkrete Datenreihen der simulierten Patienten fehlen. Bereits gefallen ist die Beschaffungsentscheidung zugunsten einer Technologie, die es ermöglicht, die eingegebenen Wunddokumentationsdaten automatisiert durch zusätzliche Informationen aus dem digitalen System anzureichen (z. B. Informationen zum Vorgehen bei der Versorgung spezifischer Wundarten). Im Sinne einer datengestützten Zuordnung von Informationen zu kategorialen Daten findet hier also eine vereinfachte Form der Datenanalyse und Personalisierung statt, wie sie in reale berufliche Handlungsfelder des Gesundheitswesens derzeit verstärkt Eingang findet. Damit sollen Zukunftspotenziale einer auf KI-gestützte Datenanalysen aufbauenden personalisierten Medizin verdeutlicht werden. Um diese Besonderheit zu veranschaulichen, wurden zu didaktischen Zwecken außerdem kontrastierende Patientendokumentationen beschafft. Routinierte Versorgungsprozesse simulierter Patientinnen können gleichzeitig durch Zugriff unterschiedlicher Berufsgruppen (Medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte, therapeutisches Personal, ernährungswirtschaftliches Personal) auf die Pflegedokumentation verbessert werden. Neben der routinemäßigen Bedarfsbefriedigung im Rahmen von durch die elektronische Patientendokumentation unterstützter interprofessioneller Kooperation soll diese Ausstattung auch die Reflexion technologisch ermöglichter Innovation zulassen, ebenso wie deren Grenzen unter dem Aspekt der Individualität der zu versorgenden Person. So kann zur Simulation der Integration mit Anschlussversorgungsprozessen der Space gekoppelt mit dem Smart Home Space zum Einsatz kommen, welcher daher räumlich angrenzend eingerichtet worden ist.

d) Baker Space (Lebensmitteleinzelhandel, -handwerk und Gastronomie)

Im Baker Space erfolgt die Datenentnahme aus Bestellungen im Rahmen eines digitalen Bestellsystems, das die Aufnahme zusätzlicher, möglicherweise sensibler Kundendaten ermöglicht, wie etwa Allergien. Das System ist mit einem digitalen Warenwirtschaftssystem verknüpft, welches in Echtzeit die Sichtbarkeit, Analyse und steuerrechtskonforme Verbuchung der aufgenommenen Daten im Rahmen der warenwirtschaftlichen Verbuchung ermöglicht. Eine Entwicklungsperspektive, die im Rahmen simulierter Innovationsprozesse thematisiert werden kann, ist hier das Angebot personalisierter Menükarten, die z. B. Allergien berücksichtigen, personalisierter Kundenansprachen oder auch personalisierte Angebote basierend auf Wirtschaftlichkeitsanalysen von Kunden bzw. Kundengruppen. Das System ermöglicht dadurch, die Sichtbarkeit und Analysierbarkeit der aufgenommenen, möglicherweise sensiblen Daten in Echtzeit zu verdeutlichen und Aspekte des Datenschutzes bzw. der Datensicherheit und damit der Privatheit und Freiheit im Zusammenhang mit der Nutzung personenbezogener Daten zu thematisieren (vgl. ausführlich Heinze et al. in diesem Band).

Die Beschreibung verdeutlicht insgesamt, dass nicht in allen Fällen die Abbildung der Kategorien vollständig möglich ist. Ins Gewicht fallen insbesondere technologische Verfügbarkeit, ökonomische Erwägungen im Zusammenhang mit der Finanzierbarkeit, auch des Hostings, und Lizensierungsmöglichkeiten. Eine solche Begrenzung liegt unter anderem in den Varianten der Datenintegration in den beruflichen Spaces, wo aus Kostengründen und darüber hinaus aus Lizenzgründen Hosting oder Datenanalysen partiell durch dritte Parteien vorgenommen werden und daher projektseitig nur begrenzte Einblicke in die Datennutzung durch diese Akteure vorliegen. Für die Implementierung der vorliegenden Szenarien wird dies jedoch nicht als nachteilig betrachtet, da mangelnde Wahrnehmbarkeit von Datenextraktion, -integration und -analyse zum Anlass genommen werden können, aus wahrnehmbaren Beeinflussungen Hypothesen zu den dahinterliegenden Systemen zu generieren. Gleichzeitig wird in der Gesamtheit der beruflichen Spaces darauf geachtet, lokale Installationen mit anderen Installationen bei unterschiedlichen Graden der Aufklärung über die Systeme zu kontrastieren, um daraus resultierende Fremdbestimmung und Freiheitsgrade sowie darauf bezogene Handlungsoptionen erkennbar und reflektierbar zu machen.

Insbesondere mit Blick auf KI-gestützte Datenanalysen besteht die Begrenzung, dass in den simulierten beruflichen Handlungssituationen, deren Abbildung das Labor ermöglichen soll, keine Massendaten aus wiederholten realen Prozessen gesammelt werden können; sie müssten aufwandsintensiv simuliert werden. Diesbezüglich sprachen Kostenargumente in zwei Spaces bislang gegen eine konkrete Integration solcher Elemente. Dennoch werden die Kategorien „Datenanalyse“ und „Personalisierung“ grundsätzlich in allen Spaces abgebildet.

Gleichzeitig werden an mehreren Stellen alternative technologische Systeme verwendet, um bezogen auf die Kategorien und Zusammenhänge die Konsequenzen unterschiedlicher technologischer Systeme verdeutlichen zu können, unter anderem bezüglich der Kategorien „Personalisierung“ sowie resultierender freiheitsbezogener Thematiken. Auch ermöglichen alle Szenarien Multiperspektivität in mehrfacher Hinsicht: die Sicht von Kund*innen, Patient*innen und Bürger*innen insbesondere im Baker Space, Gesundheit 4.0 Space und Smart Home Space sowie die Sicht von Mitarbeitenden unterschiedlicher beruflicher Fachrichtungen vor allem im Industrie 4.0 Space, im Smart Home Space und im Gesundheit 4.0 Space, wobei vor allem im Industrie 4.0 Space (Mitbestimmung) sowie im Smart Home Space auch Einschränkungen von Freiheiten von in diesen Kontexten tätigem beruflichem Personal zum Gegenstand gemacht werden können.

4 Ausblick: Nutzung im Rahmen von Lehr-Lern-Situationen

Mit Blick auf die Ausbildung von Lehramtsstudierenden und die Weiterbildung von Lehrkräften beruflicher Schulen werden im Projekt Teach@TUM4.0 die beruflichen Handlungssituationen ausformuliert, gestützt auf curriculare Analysen von Rahmenlehrplänen betroffener Ausbildungsberufe, die mittels der dargestellten Kategorien durchgeführt wurden. Methodisch werden diese handlungsorientiert umgesetzt, vor allem in Form von Rollenspielen, welche die durch die Ausstattung ermöglichte Multiperspektivität nutzbar machen, indem Auswahlentscheidungen im Smart Home auszuhandeln sind oder die Bedingungen der Datennutzung im Industrie 4.0-Space verhandelt werden. Die Rollenspiele werden mit Reflexionsaufträgen zu den Kategorien verbunden und durch Forschung zu konzeptuellen und einstellungsbezogenen Veränderungen bei den Teilnehmenden begleitet (Rechl/Wittmann 2022).

Da im Projekt Teach@TUM4.0 das Labor für Zwecke der beruflichen Lehrkräftebildung entwickelt wird, ist anzumerken, dass der Rahmen seiner Nutzung von einem für Schüler*innen eingerichteten Lehr-Lern-Labor differiert. So wird neben der Zielsetzung, Lehrkräften ein Verständnis kategorialer Zusammenhänge in der Welt der Daten zu ermöglichen, angestrebt, dass diese entsprechende curriculare Gelegenheiten in den Rahmenlehrplänen der Berufsausbildungen erkennen oder Kriterien für die technologische Beschaffung entwickeln können. Vor allem geht es darum, im beruflichen Unterricht multiperspektivische, berufs(feld)übergreifende Lehr-Lern-Situationen zu integrieren, um im Sinne des formulierten bildungstheoretischen Anspruchs ein Verständnis für das Erfordernis und Handlungsstrategien zu fördern, die es ermöglichen, in digital vernetzten Umgebungen die Freiheit anderer, nämlich der beruflich anvertrauten Personen zu sichern und zu unterstützen (vgl. Kapitel 2). Die diskutierten Kategorien und Zusammenhänge bilden hierzu nach unserer bisherigen Erfahrung eine geeignete Grundlage.

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Zitieren des Beitrags

Wittmann, E./Rechl, F./Miesera, S./Siegert, J./Heinze, L./Pohley, M./Striković, A./Gadinger, L./Bewersdorff, A./Förster, M./Nerdel, C. (2022): „Digitale Transformation“ als Gegenstand der beruflichen Lehrkräftebildung – zur Entwicklung eines Lehr-Lern-Labors unter mündigkeitsbezogener Perspektive. In: bwp@ Berufs- und Wirtschafts­päda­gogik – online, Ausgabe 43, 1-23. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe43/wittmann_etal_bwpat43.pdf (18.12.2022).