bwp@ 43 - Dezember 2022

Digitale Arbeitsprozesse als Lernräume für Aus- und Weiterbildung

Hrsg.: Karin Büchter, Karl Wilbers, Lars Windelband & Bernd Gössling

Lehren und Lernen mit Enterprise Resource Planning (ERP) Systemen – Typische Bearbeitungsprobleme als Grundlage der Lernprozessgestaltung

Beitrag von Christian W. F. Mayer
bwp@-Format: Forschungsbeiträge
Schlüsselwörter: VET, Business Education, Teacher Education, Enterprise Resource Planning (ERP) systems, SAP4school

Der Einsatz von Enterprise Resource Planning (ERP) Systemen in der (kaufmännischen) Berufsausbildung bietet aus instruktionaler Perspektive einige vielversprechende Lernpotentiale, handelt es sich doch um authentische virtuelle Lernräume, die eine Veranschaulichung ganzheitlicher Geschäftsprozesse betrieblicher Wertschöpfungsketten ermöglichen und ein ganzheitliches Verständnis gewerblich-technischer und kaufmännischer Abläufe fördern könnten. Nichtsdestotrotz können diese Potentiale in Ausbildungsbetrieben oft nicht umfassend genutzt werden, denn ERP-Systeme sind i. d. R. auf branchenspezifische und betriebliche Anforderungen angepasst (‚Customizing‘) und individuelle Zugänge im System sind lediglich eingeschränkt möglich. Entsprechend rückt der Lernort Berufsschule in den Blickpunkt. Hier werden mittels didaktisch reduzierter ERP-Systeme und begleitender Lernmaterialien Geschäftsprozesse im virtuellen Lernraum bearbeitet und Lernen aus Fehlern ermöglicht. Hierfür müssen angehende Lehrkräfte entsprechend qualifiziert werden. Der Beitrag arbeitet typische Bearbeitungsprobleme aus einem Seminar zum Einsatz von ERP-Systemen mit Studierenden der Wirtschaftspädagogik heraus und nutzt diese Erkenntnisse als Grundlage für die Lernprozessgestaltung.

Professional teaching and learning with Enterprise Resource Planning (ERP-)systems - Typical problems as a basis for further learning process design in the ERP system

English Abstract

From a didactic point of view, the use of Enterprise Resource Planning (ERP) systems in (commercial) vocational training offers some learning potentials, as they are authentic virtual learning spaces that enable the mapping of holistic business processes of operational value chains and could promote a comprehensive understanding of industrial-technical and commercial processes. Nevertheless, these potentials often cannot be used comprehensively in training companies because ERP systems are strongly adapted to industry-specific and company requirements (so-called ‘customizing’) and individual user roles in the system are limited. Accordingly, the focus is shifting to the vocational school as a place of learning. Here, didactically reduced ERP systems and appropriately prepared materials are used to process business processes in the virtual learning space and to enable learning from mistakes. Future teachers must be appropriately qualified for this. The paper reflects on typical processing problems from a seminar on the use of ERP systems with business education students as a basis for further learning process design.

1 Relevanz und Potentiale von ERP-Systemen für die Berufsbildung

Zur Unterstützung des operativen Geschäfts und in der betrieblichen Entscheidungsfindung kommt dem Einsatz von Software am (kaufmännischen) Arbeitsplatz seit geraumer Zeit eine bedeutsame Rolle zu (Billett 2021). Dabei sind die Fähigkeiten von Fachkräften mittlerweile stark an die jeweiligen computergestützten Aufgaben und Arbeitsplatzrollen gebunden (Billett 2021). Dieser Trend zeigt sich insbesondere in der zunehmenden Bedeutung von Enterprise Resource Planning (ERP) Systemen, welche aktuell in knapp jedem dritten kleineren (31%, 10-49 Mitarbeitende) sowie vermehrt in mittleren (62%, 50-249 Mitarbeitende) und großen Unternehmen (81%, >250 Mitarbeitende) zum Repertoire an Standardsoftware am (kaufmännischen) Arbeitsplatz gehört (Statistisches Bundesamt 2021).

Die Veränderungen einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt werden auf institutioneller Ebene entsprechend wahrgenommen und sind zunehmend auch curricular verankert. So verweisen die Leitfragen des Themenclusters Digitalisierung des Bundesinstituts für Berufliche Bildung (BIBB) exemplarisch auf die Auseinandersetzung mit den Einflussmöglichkeiten neuer Technologien sowie die daraus resultierenden neuen Gestaltungsoptionen für Aus- und Weiterbildungssysteme (Bundesinstitut für Berufsbildung 2022; Zinke 2019). Folgerichtig legt eine der vier kürzlich eingeführten berufsübergreifenden Standardberufsbildpositionen des BIBB einen Schwerpunkt auf eine ‚Digitalisierte Arbeitswelt‘, welche für sämtliche bestehenden Ausbildungsordnungen einen empfehlenden Charakter hat und in allen ab dem 01.08.2021 in Kraft getretenen neuen oder modernisierten Ausbildungsordnungen obligatorisch Anwendung findet. Innerhalb der Rahmenlehrpläne der Kultusministerkonferenz (KMK) wird der Einsatz von integrierter Unternehmenssoftware in einigen Ausbildungsberufen und Lernfeldern explizit aufgeführt. Exemplarisch sind hier aus Sicht der kaufmännischen Berufsschule die IT-nahen Ausbildungsberufe wie der Kaufmann/die Kauffrau für IT-System-Management bzw. Kaufleute für Digitalisierungsmanagement zu nennen (siehe Lernfeld 12: Absatzprozesse durchführen und überwachen: „Sie dokumentieren den gesamten Absatzprozess softwaregestützt (integrierte Unternehmenssoftware)“, Kultusministerkonferenz 2019b, 12). Aber auch klassische kaufmännische Ausbildungsberufe wie Groß- und Außenhandelskaufleute berücksichtigen seit geraumer Zeit den Einsatz von integrierter Unternehmenssoftware (siehe Lernfeld 2: Aufträge kundenorientiert bearbeiten: „Sie erstellen und kontrollieren Rechnungen und Lieferscheine. Dabei erläutern sie den Nutzen einer integrierten Unternehmenssoftware“, Kultusministerkonferenz 2019a, 11).

Die Potenziale von ERP-Systemen können am Lernort Betrieb oft nicht vollumfänglich ausgeschöpft werden. Auf betrieblicher Seite werden ERP-Systeme zweckgebunden unter Beachtung branchenspezifischer Besonderheiten implementiert und bilden betriebliche Gegebenheiten ab (im Fachjargon ‚Customizing‘). Zudem werden Mitarbeitenden und insbesondere Auszubildenden oft eingeschränkte Rollen bzw. Rechte zugewiesen. Solche Zugriffsbeschränkungen reduzieren die Komplexität im Arbeitsalltag auf das Notwendige und sind nützlich zur Vorbeugung von Störungen aufgrund falscher Handhabung der Systeme. Allerdings wird so auch ein vertiefter Einblick in Arbeitsabläufe verhindert. Vielmehr geht es häufig schwerpunktmäßig um die Entwicklung von Routinen wie die Stammdatenpflege (Jasperson et al. 2005). Hinsichtlich der Ausbildung zukünftiger Fachkräfte bleiben die Potentiale von ERP-Systemen als Lehr-Lern-Gegenstand somit jedoch weitestgehend ungenutzt. Neben dem Lernort Betrieb muss daher der Lernort Berufsschule zur Bewältigung der Digitalisierung zwangsläufig stärker berücksichtigt werden (Gössling et al. 2019). Hier kann die Berufsschule ihre Stärken geltend machen und durch den Einsatz didaktisch-reduzierter ERP-Systeme in authentischen virtuellen Lernräumen eine nachvollziehbare Veranschaulichung umfangreicher Geschäftsprozesse ermöglichen (Pongratz et al. 2009; Pongratz 2012). Dies geschieht beispielsweise durch die Bearbeitung eines vollständigen Vertriebsprozesses im ERP-System (z.B. von der Anfrage bis zur Buchung des Zahlungseinganges) unter Berücksichtigung des hierzu notwendigen Fachwissens. Für den verstärkten Einsatz von ERP-Systemen an Berufsschulen spricht neben der ganzheitlichen Abbildung betrieblicher Wertschöpfungsketten auch die Möglichkeit, bei der Nutzung des ERP-Systems aus eigenen Fehlern zu lernen. Im Sinne einer Fehlerermutigungsdidaktik wäre dies wünschenswert (Oser/Spychiger 2005; Metcalfe 2017). Angesichts der Marktdurchdringung von ERP-Systemen kann durch Schulungen zur Nutzung von ERP-Systemen ebenfalls ein Beitrag zur Förderung der weiteren Beschäftigungsfähigkeit (‚Employability‘, siehe Seifried et al., 2019) von Auszubildenden geleistet werden. Weiterführend können durch schulübergreifende Kooperationen zwischen gewerblich-technischen und kaufmännischen Lehrer:innen und Schüler:innen ein gegenseitiges Verständnis gewerblich-technischer und kaufmännischer Abläufe ermöglicht werden. Durch eine Anbindung (virtueller oder physischer) Lernfabriken wird die gewerblich-technische Seite der Wertschöpfung auch für kaufmännische Auszubildende greifbarer gemacht (Wilbers/Windelband 2021; Wilbers 2017). Im Zusammenspiel mit gewerblich-technischen Produktionsanlagen, gekoppelt durch Manufacturing Execution System (MES) und ERP-System, lassen sich Lehrende wie Lernende auf einen Perspektivwechsel in die jeweils fremde Domäne ein und Arbeitsabläufe werden komplementär betrachtet.

Angesichts der aufgezeigten Potenziale von ERP-Systemen als Lehr- und Lerngegenstand gilt es daher, (angehende) Lehrkräfte bestmöglich auf einen fachdidaktisch sinnvoll eingebetteten Einsatz vorzubereiten. Für Einblicke in mögliche didaktische Herausforderungen werden Selbstauskünfte in Form von Reflexionstagebüchern aus einem Seminar von Studierenden der Wirtschaftspädagogik herangezogen. Vor diesem Hintergrund bearbeitet der Beitrag die Frage: Welchen Herausforderungen begegnen Lernende bei der Bearbeitung problemhaltiger Aufgaben im ERP-System? Die Herausforderungen werden zur Diskussion von Möglichkeiten bei der Gestaltung von Lernprozessen im virtuellen Lernraum ERP-System herangezogen.

Im Folgenden werden im Rahmen der theoretischen Fundierung ERP-Systeme im Allgemeinen und als Lehr- und Lerngegenstand im Besonderen betrachtet. Es schließt sich eine Beschreibung der Methodik und der Datengrundlage an. Hier werden die Daten der Auswertung von Reflexionstagebüchern der Seminarteilnehmenden herangezogen. Diese werden qualitativ ausgewertet, eingeordnet und anschließend diskutiert. Implikationen und Limitationen der Arbeit werden dargelegt.

2 Lehren und Lernen mit ERP-Systemen

ERP-Systeme sind Anwendungssysteme, die Geschäftsprozesse durch eine integrierte Arbeitsweise unterstützen. Neben Kerngeschäftsprozessen, bspw. der Kundeauftragsabwicklung, werden auch Steuerungsprozesse (Projekt- oder Risikomanagement) und Unterstützungsprozesse (Funktionsbereiche des Personalwesens) darin abgebildet. Hierzu werden Daten aus der Abwicklung dieser Geschäftsprozesse in einer zentralen Datenbank abgelegt und aus unterschiedlichen Benutzeroberflächen heraus abgerufen und weiterverarbeitet (Vieweg et al. 2012). Dabei wird aus operativer Sicht auf horizontaler Ebene (Mertens 2007) der jeweilige Geschäftsprozess in der betrieblichen Wertschöpfungskette abgebildet, beispielsweise in Form eines Kundenauftrages, der entlang der Prozesskette über einzelne Abteilungen bzw. Systemkomponenten hinweg bearbeitet wird (die Systemkomponenten entsprechen dabei grob den klassischen betrieblichen Abteilungen wie Finanz- & Rechnungswesen, Personalwirtschaft, Vertrieb, Materialwirtschaft, Produktion, etc.). Auf vertikaler Ebene (Mertens 2007) werden betriebliche Daten zunehmend aggregiert und als Dispositionssysteme im mittleren Management bzw. als Planungs- und Kontrollfunktionen im höheren Management in entsprechenden Anwendungskomponenten bereitgestellt (‚Business Intelligence‘). Aus rein kaufmännischer Perspektive lassen sich Enterprise Resource Planning Systeme im Wortsinne auch als Systeme zur Unternehmensressourcenplanung umschreiben: „Ein ERP-System […] umfasst […] die Verwaltung aller zur Durchführung von Geschäftsprozessen notwendigen Informationen über die Ressourcen Material, Personal, Kapazitäten (Maschinen, Handarbeitsplätze, etc.), Finanzen und Information.“ (Gronau 2014, 4; Drumm et al. 2019).

Aus den zahlreichen kostenfreien und kostenpflichten Systemanbietern haben sich in den beruflichen Schulen bundesweit die Systeme von SAP und Microsoft durchgesetzt. Beide Systemen werde aktuell parallel für Lernzwecke angeboten (für weiterführende Informationen siehe IUS Arbeitsgruppe 2022).[1] Zur technisch-fundierten Abstraktion und einer didaktisch-zweckmäßigen Reduktion von Geschäftsprozessen kommen Techniken der Prozessmodellierung aus dem Bereich der (Wirtschafts-)Informatik zum Einsatz. Fortgeschrittenere Notationen, wie beispielsweise Business Process Model & Notation (BPMN 2.0), bilden dabei die moderne Grundlage, um repetitive Prozesse mittels Robotic Process Automation (RPA) zu (teil-)automatisieren (Mendling et al. 2018). Aus didaktischer Sicht ist „[d]ie im betrieblichen Alltag durchaus erwünschte Automatisierung und Beschleunigung der Geschäftsprozesse für die Schüler nachvollziehbar zu ‚entschleunigen‘“ (Post 2006, 536). (Objektorientierte) Ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK) bilden einen niederschwelligen Zugang. Aus einer fachdidaktischen Perspektive heraus haben sich EPK als bewährte Grundlage der Modellierung von Prozessen für die Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien etabliert. Zunächst werden Geschäftsprozesse anhand zentraler Start- und Zwischenereignisse und zugrundeliegender Funktionen des ERP-Systems modelliert (bspw. Startereignis: Kundenauftrag, Funktion: Kunde anlegen, Kontakt anlegen, Anfrage …, Zwischenergebnis: Auftrag angelegt, …) und anschließend entlang der benötigten Systemkomponenten und Geschäftsprozessarten bearbeitet (siehe exemplarisch Drumm et al. 2019, 39). Im Sinne einer Geschäftsprozessdidaktik werden die funktional operationalisierten Arbeitsabläufe mit entsprechendem domänenspezifischem Wissen anhand authentischer Situationen (Situationsprinzip) verknüpft (Wilbers 2014, 42), auch um sich bewusst (aus einer didaktischen Perspektive) von reinen Anwenderschulungen abzusetzen. Klassische Anwenderschulungen (auch ‚Klickschulungen‘ genannt) können für den Erwerb umfassender Handlungskompetenz nach Weinert (2001) kaum ausreichen. Entsprechend werden bei der Bearbeitung der ersten Schritte des Vertriebsprozesses nicht nur Anfrage, Angebot und Auftragseingang im ERP-System eingepflegt und ‚abgearbeitet‘, sondern in diesem Zusammenhang gleichermaßen fachdidaktisch relevante Inhalte wie die Übereinstimmung zweier konkludenter Willenserklärungen als Grundlage des Kaufvertrages mithilfe des Prozesses im ERP-System erklärt oder Störungen des Kaufvertrages unter Berücksichtigung entsprechender Gesetzestexte besprochen. Die Einsatzmöglichkeiten von ERP-Systemen beschränkt sich somit nicht nur auf die reine Bearbeitung der Aufgaben im Computerraum, sondern lassen einige instruktionale Variationsmöglichkeiten zu. Wilbers (2009) unterscheidet hierbei zwischen einem (1) illustrativem Einsatz, (2) sequenziellen Einsatz, (3) Einsatz in Lern-/Übungsfirmen sowie dem (4) Einsatz in Projekten/Fällen/Lernsituationen. Der illustrative Einsatz ist dabei eine kostengünstige und niedrigschwellige Variante, ERP-Systeme anhand von Screenshots darzustellen. Die sequenzielle Einsatzmöglichkeit setzt eine vorgelagerte Konzeptvermittlung voraus, an die sich eine nachgelagerte kleinschrittige Aufgabenbearbeitung im ERP-System anschließt. Die etablierte Verankerung des Einsatzes von ERP-Systemen in Lern-/Übungsfirmen geht einher mit dem komplexen Lehr-Lernarrangement aus (fiktiven) Produkt- und Geldströmen sowie (realen) Lieferanten und Nachfragern. Der Einsatz von ERP-Systemen in Projekten, Fällen und Lernsituationen findet dagegen ergänzend zum Unterricht statt und ist eher im Hochschulkontext aufzufinden. Dabei werden adaptierte Fallstudien und komplexere Cases bearbeitet (Wilbers 2009).

ERP-Systeme werden als vielversprechender Lehr- und Lerngegenstand in der Literatur schon bereits seit Beginn der 2000er theoretisch-konzeptionell erörtert (Scholz 2003; Frötschl 2017). Die Forderung nach einer umfassenden Implementation in die Unterrichtspraxis liegt daher nahe. Empirische Evidenz zu möglichen Effekten gibt es hingegen kaum. Arbeiten wie jene von Hommel (2019) zeigen anhand von SAP ERP HCM (Human Capital Management) zumindest für den Hochschulkontext, dass klassische funktionsorientierte Anwenderschulungen im Vergleich zu handlungs- und problemorientierten Lernmaterialien mit signifikant geringeren Lernzuwächsen einhergehen. Folgerichtig werden die von Lehrkräften erstellten Materialien im berufsschulischen Kontext ebenfalls handlungs- und problemorientiert gestaltet und situativ eingebettet (siehe weiterführende Links mit Beispielen des umfangreichen Materialangebot im Anhang; SAP4school IUS 2020). Eine jüngere Studie aus dem berufsschulischen Kontext von Spener/Schumann (2021) verweist zudem für fachdidaktisch-elaborierte Lernmaterialien im Unterricht auf moderate Effekte für den Wissenszuwachs von Geschäftsprozesswissen (Nutzung von Microsoft Dynamics Navision).

3 Methodik

Zur Einschätzung fachdidaktischer Potentiale von ERP-Systemen wurde für Studierende der Wirtschaftspädagogik der Universität Mannheim ein Lehrangebot konzipiert und während der Corona-Pandemie virtuell via Zoom als Flipped Classroom angeboten.[2] Im Rahmen des Seminars beschäftigen sich die Studierenden mit den fachdidaktischen Möglichkeiten von ERP-Systemen und bearbeiten authentische Aufgaben innerhalb eines didaktisch-reduzierten Modellunternehmens in einem ERP-System. Dabei nehmen die Teilnehmenden zunächst selbst die Rolle der Lernenden ein und betrachten das ERP-System und die zugehörigen Materialen als Lerngegenstand. Hierfür greifen wir auf Materialien und Mandanten (Mandant ~ Konzern) zurück, welche in dieser Form in der Berufsschulpraxis von Praktikern der SAP4school Gruppe erstellt und landesweit an Beruflichen Schulen im Unterricht eingesetzt werden (SAP4school IUS 2020). Während der Bearbeitung der umfangreichen Lernmodule dokumentieren die Studierenden in einem vorstrukturierten Reflexionstagebuch, welche Herausforderungen bei der Bearbeitung auftreten und wie diese gelöst werden (Abbildung 1). Die bearbeiteten Module entsprechen dabei ca. 30-38 Unterrichtseinheiten in der Beruflichen Schule und umfassen die Bereiche: Modellunternehmen und Softwarerecherche, Pflege von Stammdaten, integrierter Vertriebsprozess von der Anfrage bis zum Zahlungseingang, integrierter Beschaffungsprozess von der Bedarfsanalyse bis zum Zahlungsausgang inkl. Verwaltung des Orderbuches. Anschließend vollziehen die Studierenden einen Perspektivwechsel und nehmen die Rolle einer Lehrperson ein. Hierbei müssen die Studierenden die zuvor ‚hands-on‘ erlebte Bearbeitung im ERP-System entlang einer Grobskizze in einen ersten eigenen Unterrichtsentwurf überführen. Dabei sollen die erlebten Schwierigkeiten als potenzielle Schülerprobleme bei der Aufgabenbearbeitung im ERP-System bestenfalls in entsprechenden Ausführungen des Unterrichtsentwurfs berücksichtigt werden (siehe Abbildung 2, Anhang - Reflexionstagebuch aus Lehrendenperspektive).

Insgesamt 26 Studierende nahmen im Herbst-/Wintersemester 2021 und im Frühjahr-/ Sommersemester 2022 erfolgreich an der Lehrveranstaltung teil. Die Teilnehmenden waren im Durchschnitt 25,6 Jahre alt und befanden sich im zweiten Mastersemester. Fast alle Studierenden hatten zuvor kaum Vorerfahrungen mit ERP-Systemen oder SAP ERP. Insgesamt stimmten 18 Teilnehmende einer pseudonymisierten Auswertung (n = 18) der begleitenden Reflexionstagebücher je Bearbeitungsmodul (dabei entspricht ein Bearbeitungsmodul einem vollständigen Geschäftsprozess) zu.

Die Reflexionstagebücher wurden mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2016) unter Verwendung der Software MAXQDA ausgewertet. Hierzu wurde auf einen induktiv-deduktiv entwickelten Kodierleitfaden zurückgegriffen, welcher die größten Herausforderungen bei der Bearbeitung wie folgt charakterisiert: Aufgabenstellung unklar, Vorgehensweise unklar, Probleme technischer Art, Sonstige. Lösungsansätze wurden deduktiv in eine oder mehrere Kategorien eingeteilt: Begründeter/gezielter Ansatz (systematisch), Experimentieren (unsystematisch), Befragung anderer, Beobachtung anderer, Recherche (in Anlehnung an Rausch 2011). Um die Zuverlässigkeit des Kodiersystems zu prüfen, wurde das Datenmaterial von zwei Personen kodiert und anschließend die Intercoder-Reliabilitäten bestimmt. Die ermittelten Kappa-Wert von .86 (Problemtypen) bzw. .89 (Lösungsansätze) weisen eine zufriedenstellende Übereinstimmung aus. Tabelle 1 zeigt einen exemplarischen Ausschnitt aus dem Kodierleitfaden für die Kategorie ‚Herausforderungen bei der Bearbeitung‘:

Tabelle 1:     Kodierleitfaden für die Kategorie ‚Herausforderungen bei der Bearbeitung‘

Herausforderungen

Kodierregel

Ankerbeispiel

Aufgabenstellung unklar

Wird kodiert, wenn sich eine Problembeschreibung auf die Aufgabenstellung aus den Materialien bezieht.

"[…] Ich weiß nicht, wonach genau ich hier suchen muss, also welche Änderung im Belegfluss ist hier wichtig? Ich weiß, wie man den Belegfluss anzeigt, aber ich weiß nicht, wonach ich dort suchen muss." (PNr. 033)[3]

Prozedurales Bearbeitungsproblem

Wird kodiert, wenn sich eine Problembeschreibung auf Unsicherheiten im Fachwissen, Unklarheiten über die Anwendung selbst oder die nächsten Prozessschritte im ERP-System bezieht.

"[…] Der Ablauf der gesamten Aufgabe war mir zunächst völlig unklar. Erst nach dem Anschauen des Videos war der Bearbeitungsweg ersichtlich und verständlich. [Ich habe] [f]ehlende Kenntnisse im Bereich der automatischen Bestellplanung, die für das Verständnis der Aufgabe sicherlich gut gewesen wären. [Ich habe] Probleme bei der Umstellung vom Werk Heidelberg auf das Werk Hamburg bei der Prüfung des frei verwendbaren Bestandes."
(PNr. 006)

Technisches Problem

Wird kodiert, wenn sich eine Problembeschreibung auf technische Ursachen seitens des Clients oder Servers bezieht.

"Bei der Anmeldung am SAP-System wurde das Passwort mehrmals falsch eingegeben." (PNr. 056)

Sonstiges

Wird kodiert, wenn eine sonstige Problembeschreibung vorliegt, die sich nicht in die vorherigen Kategorien einordnen lässt.

„[Ich] [f]üge nur DE ein und bei mir kommt dann beim IBAN rauslassen DE25 und bei ihm DE47. Kein Problem, mehr eine Unklarheit.“ (PNr. 114)

Abbildung 1: Auszug aus der Vorlage des Reflexionstagebuches aus Perspektive eines Lernenden.Abbildung 1: Auszug aus der Vorlage des Reflexionstagebuches aus Perspektive eines Lernenden.

 

4 Befunde

Insgesamt liegen 52 Tagebücher und 129 Problembeschreibungen mit Lösungsansätzen vor. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht über die Zuordnung verschiedener Herausforderungen und Lösungsansätze.

Tabelle 2:     Herausforderungen bei der Bearbeitung x Lösungsansätze (A = Befragung anderer, B = Beobachtung anderer, C = Experimentieren (eher unsystematisch), D = Nachdenken / gezieltes Vorgehen (systematisch), E = Recherche, F = Sonstiges).

 

A

B

C

D

E

F

Gesamt

Aufgabenstellung unklar

2

-

-

-

2

-

4

Prozedurale Bearbeitungsprobleme

7

7

14

13

30

1

72

Technische Probleme

5

1

23

7

1

2

39

Sonstige

3

1

1

5

4

-

14

Bezüglich der Aufgabenstellung der Materialien zeigen sich nur wenige Bearbeitungsprobleme (4 Nennungen). Da es sich um Materialien von Lehrkräften für die berufliche Schule handelt, die von Masterstudierenden der Wirtschaftspädagogik bearbeitet werden, ist dieser Befund an sich wenig überraschend, aber dennoch erfreulich. Die berichteten Problembeschreibungen verweisen nur implizit auf konkrete Aufgabenstellungen und sind meist auf eine mangelnde Fokussierung bei der Bearbeitung der Aufgaben zurückzuführen: „Die genaue Aufgabe wurde im Laufe der Zeit vergessen (PNr. 70). Insofern lassen sich für die verwendeten Materialien aus den Problembeschreibungen heraus kaum Schwächen hinsichtlich der Aufgabenstellungen ausfindig machen.

Der Großteil der aufgetretenen Bearbeitungsprobleme ist dagegen auf das Vorgehen im ERP-System zurückzuführen (72 Nennungen). Typische prozedurale Bearbeitungsprobleme unterscheiden sich weitergehend in:

1) Bearbeitungsprobleme im ERP-System, die auf einen Mangel an grundlegenden fachlichen Kenntnissen zurückzuführen sind: „Es fehlt an Hintergrundwissen. Tieferes Verständnis von Steuern, zum Beispiel. Wann ist es eine volle Besteuerung oder ermäßigt? Oder wie werden Listenpreise berechnet. […]“ (PNr. 116).

2) Bearbeitungsprobleme im ERP-System, die auf einen Mangel an Kenntnissen der allgemeinen Funktionsweisen und Strukturen von ERP-Systemen zurückzuführen sind: „[…] Mir war unklar, dass ich das Angebot mit Referenz erstellen muss, das habe ich übersehen oder nicht daran gedacht. Ich wusste, dass es sich um ein Angebot handelt, das der zuvor eingegebenen Anfrage entspricht, aber ich wusste nicht, dass ich im System darauf verweisen kann. In den Lösungshinweisen ist der Hinweis darauf leicht zu übersehen, weil er direkt unter den Prozessschritten steht.“ (PNr. 031). Das Referenzieren von Daten ist ein wesentliches Merkmal von ERP-Systemen. Die relationale Datenbank bildet die Grundlage von ERP-Systemen und die hier zugrunden liegenden Überlegungen sollten entsprechend vor der Arbeit im System verstanden worden sein. Durch das Referenzieren erleichtert man sich nicht nur die Angebotserstellung durch die Übernahme bereits hinterlegter Daten, sondern auch Kennzahlen des Vertriebscontrolling können nur verlässlich ermittelt werden, wenn entsprechend im System referenziert wird. Gleichermaßen muss ein Angebot nicht zwangsläufig aus einer Anfrage hervorgehen, weshalb die Angebotserstellung sowohl mit als auch ohne Referenz möglich ist. Weitere typische Problembeschreibungen beziehen sich auf diverse Nummernkreise, die es bei der Arbeit mit ERP-Systemen zu unterscheiden gilt. Beispielsweise in Form von Buchungskreisen, die in der Praxis Tochtergesellschaften eines Konzerns im ERP-Systemen abbilden, im schulischen Kontext dagegen bewusst zur Differenzierung von Klassen eingesetzt werden: „Die Aufgabe war klar, aber ich erhielt die folgende Meldung: Der Kreditor 32123934 wurde für den Buchungskreis DE08 angelegt. Als ich die Aufgabe fortsetzen und meine gespeicherte Transaktion aufrufen wollte, konnte ich sie nicht finden, da sie nicht hinterlegt war.“ (PNr. 045). Hier wurde im falschen Buchungskreis gebucht. Ähnliche Probleme bereitet den Studierenden eine interne (automatische) und externe (manuelle) Nummernvergabe zur Zuordnung der Stammdaten (z.B. Kreditoren, Debitoren, Material). Stammdaten, die bei der Erstellung des Mandanten zu Beginn für jeden einzelnen Lernenden mit einer eindeutigen Kennung (GBI-Nummer) versehen wurden, weichen bei der Anlage von Stammdaten durch Lernende unter Verwendung interner Nummernvergabe von dieser Logik ab, da das System stets die nächste Nummer (n+1) im Nummernkreis unabhängig von der Kennung wählt: „Es gab einige Verwirrung mit der Debitorennummer. Die Debitorennummer stimmt nicht mit der GBI-Nummer des Nutzers überein, da diese automatisch angelegt wird. Da die GBI-Nummer der Debitorennummer ähnlich sein kann, gab es hier kurzfristig Probleme." (PNr. 060). Für Lehrkräfte ist es wichtig, diesen Unterschied zu kennen und Lernende bei der Bearbeitung auf die Vor- und Nachteile interner bzw. externer Nummernvergaben in EDV-Systemen hinzuweisen. Externe Nummernvergaben ermöglichen zwar eine einfachere Zuordnung zur individuellen Kennung, stehen aber unter dem Risiko von Tippfehlern. Daher wird bei Neuanlagen von Stammdaten (im schulischen Kontext) auch eher von einer internen Nummernvergabe Gebrauch gemacht.

3) Bearbeitungsprobleme im ERP-System, die auf einen Mangel an Fertigkeiten über die systemspezifische Anwendung von Transaktionen (~ Bearbeitung von Prozessen) im ERP-System zurückzuführen sind:
Das schließt allgemeine Fertigkeiten im Umgang mit der Software ein: „In der Aufgabe zur Auslieferung sollten wir in der Kategorie Logistik einen Ersatzbeleg erstellen, einen Einzelbeleg, der sich auf den Kundenauftrag bezieht. Bei der Eingabe des Navigationsgeräts musste ich es erneut suchen, weil ich mich nicht an die Zahlen erinnern konnte. Bei der Eingabe habe ich die Sternchen von Navi* und die dazugehörige *Nummer nicht bemerkt, so dass mir zunächst nichts angezeigt wurde.“ (PNr. 050). In diesem Fall werden, wie in EDV-Anwendungen üblich, *-Symbole als Platzhalter (auch Joker oder wildcard) für die Suche benutzt. Für Lernende ist dies praktisch für die Suche, während Lehrende Platzhalter in entsprechenden Transaktionen nutzen können, um den Fortschritt einer gesamten Klasse zu kontrollieren, ohne dabei einzelne Schülerdaten individuell abrufen zu müssen.

Aber auch spezifische Fertigkeiten im Umgang mit dem ERP-System bereiten Probleme bei der Bearbeitung, wie die nachfolgenden beiden Problembeschreibung aufzeigen: „Es war für mich schwierig, die Umsatzsteuerklassifikation und den Listenverkaufspreis aus dem System auszulesen, da SAP nur den Begriff Umsatzsteuerklassifikation hatte und der Listenverkaufspreis erst nach Anklicken des Feldes „Konditionen“ angegeben wurde und selbst dann war der Listenverkaufspreis nicht eindeutig auszulesen, da nur ein Preis genannt wurde.“ (PNr. 053). An anderer Stelle wird berichtet, dass „das Problem [darin] bestand, dass das erstellte Material gespeichert wurde und daher einige Ansichten nicht geändert werden konnten.“ (PNr. 061). Hier zeigen sich systemseitige Spezifika, die erst über entsprechende Routinen erworben werden können. Letzteres Problem wäre durch einen Wechsel der Transaktion ‚anlegen‘ zu ‚ändern‘ möglich und wurde im vorliegenden Fall dagegen aufwendig durch eine erneute Neuanlage gelöst.

Letztlich erweisen sich auch Flüchtigkeitsfehler als Probleme in der Bearbeitung der Aufgaben, wie sie im schulischen Kontext sicherlich ebenso gehäuft vorkommen werden: „Ich habe mich zu schnell und ohne nachzudenken angemeldet. Also war meine eingestellte Sprache Englisch." (PNr. 018). Oder auch: „Ich habe zunächst keine eigene Kennung für das Material eingegeben.“ (PNr. 129). Ein gängiger Flüchtigkeitsfehler ist zudem: „Ich habe zwischendurch vergessen, die Belegnummer aufzuschreiben.“ (PNr. 103). Auch Unachtsamkeiten werden berichtet: „Im zweiten Teil der Aufgabe habe ich statt eines Angebots eine Anfrage erstellt. Daher wurde nur die Angebotsart ‚AF‘ angezeigt, was mich sehr überrascht hat. Ich habe die Anfrage und das Angebot im Logistikteil vertauscht.“ (PNr. 049). Sinnvollerweise reflektieren die zukünftigen Lehrpersonen diese gängigen Flüchtigkeitsfehler, um im praktischen Einsatz entsprechend gewappnet zu sein.

Auch technische Probleme werden häufig genannt (39 Nennungen). Diese sind jedoch unmittelbar auf die pandemiebedingte digitale Durchführung der Lehrveranstaltung und auf die technische Ausstattung der Studierenden zurückzuführen und wären daher in dieser Form im ‚Präsenzbetrieb‘ vermutlich nicht aufgetreten. Die meisten technischen Probleme wurden auch remote unkompliziert gelöst. Die Problembeschreibungen beinhalten Kleinigkeiten wie: „Ich konnte das Angebot in der Druckansicht nicht drucken, obwohl mein Drucker angeschlossen war.“ (PNr. 098). „Leider waren die Videos aufgrund des Zoomfaktors etwas schwer zu lesen. Der Ton funktionierte auf dem Mac nicht. Ich musste hier einen neuen Player herunterladen.“ (PNr. 066).

Hinsichtlich der gewählten Lösungsansätze zeigen sich keine eindeutigen Befunde. Über alle Problemschreibungen hinweg wird stets eine Variation der Heuristiken gewählt, um zur Problemlösung zu gelangen. Erwähnenswert ist lediglich, dass prozedurale Bearbeitungsprobleme vermehrt durch Recherchieren und Probleme technischer Art häufiger durch unsystematisches Experimentieren gelöst wurden. Die Lösungsansätze zeigen Hinweise auf ein Lernen aus Fehlern, die aber aufgrund der umfangreichen Hilfestellungen mit Vorsicht zu interpretieren sind. Die Beschreibungen des Lösungsverfahrens bezieht sich insbesondere auf die zur Verfügung gestellten Unterlagen (Lösungshinweise in den Materialien, kontextsensitives Hilfesystem, Erklärvideos mit bereitgestellter Musterlösung) und auf die Relevanz von korrigierendem Feedback seitens der Lehrperson sowie vertiefende Sitzungen zur Diskussion, da die Unterlagen zur Lösungsfindung nicht immer ausreichten.Ein Blick in die abschließend erstellten Grobskizzen der Unterrichtsentwürfe der Studierenden zeigt, dass die aufgetretenen Hürden zumindest in Teilen berücksichtigt und vorweggegriffen werden. Dies trifft besonders auf einfache Flüchtigkeitsfehler zu.

5 Fazit und Ausblick

Im vorliegenden Beitrag wurden typische Herausforderungen bei der Bearbeitung authentischer kaufmännischer Aufgaben im ERP-System, die von Studierenden der Wirtschaftspädagogik anhand vorstrukturierter Reflexionstagebücher berichtet wurden, qualitativ ausgewertet. Neben wenigen Herausforderungen mit Bezug zu den Aufgabenstellungen der verwendeten Materialien sowie einigen technischen Problemen (zumeist seitens der Anwender, welche dem pandemiebedingten Setting zugeschrieben werden müssen), wurden insbesondere prozedurale Bearbeitungsprobleme in der Arbeit mit dem verwendeten ERP-System berichtet. Diese sind von hohem Stellenwert für die Ausgestaltung von entsprechenden Unterrichtsentwürfen mit ERP-Systemen, da die typischen selbstreflektieren Probleme bei der weiteren Gestaltung von Lernprozessen im schulischen Kontext berücksichtigt werden sollten. Typische Probleme in der Bearbeitung sind dabei auf einen Mangel an grundlegenden fachlichen Kenntnissen, einen Mangel an Kenntnissen über die allgemeinen Funktionsweise und Struktur von ERP-Systemen sowie einen Mangel an Kenntnissen über die Anwendung von Prozessen im zugrundeliegenden ERP-System zurückzuführen. Zudem enthalten die Reflexionstagebücher Hinweise auf Aspekte, die zwar eher als Flüchtigkeitsfehler zu bezeichnen sind, aber so wahrscheinlich auch im schulischen Alltag auftreten. In der Literatur zum Einsatz von ERP-Systemen im Hochschulkontext finden sich zudem einige Überschneidungen mit der Analyse von Bearbeitungsproblemen. Beispielsweise in der Analyse studentischer Fragen und Fehlerstellen zu einem Basis SAP Kurs für Studierende der Betriebswirtschaftslehre (Krivograd 2022). Die Analysen von Hommel (2021, 2019) weisen zudem auf eine tiefere Elaboration und einen höheren Lernerfolg bei der Bearbeitung prozessorientierter Aufgaben des Rekrutierungsprozesses in ERP-Systemen hin. Die Fortführung umfassender Typisierungen gängiger Bearbeitungsprobleme bergen Potentiale das Lehren und Lernen mit ERP-Systemen weiter zu systematisieren und mittels korrigierenden Feedbacks (Metcalfé 2017) zu optimieren und in Teilen auch automatisiert zu begleiten (Schüll et al. 2020).Die Studie unterliegt einigen Limitationen wie beispielsweise der geringen Stichprobengröße und potenziellen Verzerrungen durch eine Selbstselektion der Studierenden im Wahlpflichtbereich (‚convenience sample‘). Selbstberichte unterliegen zudem Verzerrungen sozialer Erwünschtheit, wenngleich die Reflexionstagebücher pseudonymisiert vorlagen. Außerdem werden Studierende der Wirtschaftspädagogik als Proxy für typische Bearbeitungsprobleme von Lernenden an Beruflichen Schulen im Umgang mit ERP-Systemen herangezogen, die sich fundamental im fachlichen Vorwissen unterscheiden. Die Ergebnisse sind entsprechend vorsichtig zu interpretieren und keinesfalls generalisierbar. Die vorgestellte Kategorienbildung stellt eine erste zweckmäßige Einordnung von Bearbeitungsproblemen dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Mehr Datenmaterial ist nötig, um die hier genutzte Kategorienbildung auf ihre Tragweite hin zu überprüfen. Potenziell wäre zudem eine Einordnung nach Fehlerarten und Überprüfung der Fehlerdiagnose von zukünftigen Lehrkräften von Interesse (Seifried/Wuttke 2010). Darüber hinaus ergeben sich mit dem Lehr- und Lerngegenstand ERP-System Potentiale zur Bestimmung des Zusammenhangs zwischen ‚learn to use technology‘ and ‚use to learn technology‘. Neben dem umfassenden Blick auf den Erwerb von Geschäftsprozesswissen drängt sich zudem die fachdidaktische Fragestellungnach der Wirksamkeit von ERP-Systemen zur Vermittlung fachdidaktischer Inhalte auf, beispielsweiße für das Erlernen kaufmännischer Buchführung, im Vergleich zu ‚traditionellem‘ Unterricht. Die aufgeführten typischen Bearbeitungsprobleme sollen im Zuge einer Pilotierungsphase in der aktuell durchgeführten Umstellung zu S/4HANA an der Universität Mannheim in eine Form authentischer Bewertungsszenarien überführt werden, die typische Flüchtigkeitsfehler ebenso wie fehlendes Fachwissen und typische prozedurale Bearbeitungsprobleme bewusst berücksichtigen. Daraus abgeleitet könnten zukünftig prozessbasierte Kompetenzfeststellungen für fachdidaktische Kompetenzen im Umgang mit ERP-Systemen genutzt werden, die auf der Datengrundlage individueller Performanzen eine objektiv messbare Alternative zu subjektiven Selbsteinschätzungen der Wissensarten von Lehrkräften zum Einsatz von ERP-Systemen darstellen (Lachner et al. 2019). Zudem müssen zukünftig bei steigender Relevanz des Cloud Computing (Mathis et al. 2022) auch rechtliche Fragen und Sicherheitsaspekte im Umgang mit Daten aus Bildungskontexten, insbesondere für den schulischen Bereich, zwangsläufig stärker in den Vordergrund gerückt werden.

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Appendix

Abbildung 2: Auszug aus der Vorlage des Reflexionstagebuches aus Perspektive eines LehrendenAbbildung 2: Auszug aus der Vorlage des Reflexionstagebuches aus Perspektive eines Lehrenden

 

[1]    Im Beitrag wird insbesondere auf das Angebot der SAP4school IUS Arbeitsgruppe und entsprechend auf SAP ERP Bezug genommen. Dabei wird soweit möglich auf die Verwendung spezifischer SAP-Terminologie verzichtet.

[2] Eine Beschreibung der Lehrveranstaltung und erste Befunde aus der Evaluation wurden im Konferenzband der SAP Academic Community Conference 2022 DACH in Magdeburg veröffentlicht (Mayer/Seifried 2022).

[3] PNr. steht für Problemnummer im Datenmaterial.

Zitieren des Beitrags

Mayer, C. W. F. (2022): Lehren und Lernen mit Enterprise Resource Planning (ERP) Systemen – Typische Bearbeitungsprobleme als Grundlage der Lernprozessgestaltung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschafts­päda­gogik – online, Ausgabe 43, 1-17. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe43/mayer_bwpat43.pdf (18.12.2022).