bwp@ Spezial PH-AT2 - April 2023

Diversität in der Berufsbildung in Österreich, Deutschland und der Schweiz – Perspektiven aus Forschung, Entwicklung und Bildungspraxis

Hrsg.: Sabine Albert, Karin Heinrichs, Ingrid Hotarek & Sabine Zenz

Ohne Umwege in die Berufslehre: Maßnahmen zur Förderung des Direkteinstiegs von Jugendlichen mit Migrationshintergrund

Beitrag von Silvia Pool Maag & Reto Jäger
Schlüsselwörter: Migrationshintergrund, Übergang Schule Beruf, Ausbildungsbegleitung, Inklusion, Coaching

Jugendliche mit Migrationshintergrund haben seit Jahren Schwierigkeiten, direkt in die Berufsbildung einzumünden. Sie besuchen deshalb oft Brückenangebote (z. B. Berufsvorbereitungsjahr, BVJ, Motivationssemester, SEMO, Praktikum) und treten dadurch verzögert in eine Ausbildung ein. Gleichzeitig bleiben im Kanton Zürich jährlich rund zehn Prozent der Lehrstellen unbesetzt. Hier setzt das Projekt „NON-STOP: Direkteinstieg in die Berufsbildung“ an. Es fokussiert die berufliche Integration von Jugendlichen, deren Chancen auf den Direkteinstieg in den Beruf aufgrund schulischer, sozialer oder sprachlicher Schwierigkeiten beeinträchtigt sind. Die Ergebnisse zeigen, dass die Maßnahmen hilfreich sind, und dass verschiedene Ansatzpunkte den Direkteinstieg fördern. Neben der Bedeutung individueller Berufswahlentscheidungen unterstreicht die Analyse den großen Stellenwert elterlicher und familiärer Unterstützung im Übergangsprozess.

Without detours into vocational training: Measures to promote direct entry for young people with a migration background

English Abstract

For years, young people with a migration background in DACH countries have had difficulties entering vocational education and training directly. That is why they often attend bridge programs (e. g. vocational preparation year, BVJ, motivation semester, SEMO, internships) and enter VET with a delay. At the same time, around ten percent of apprenticeship positions in the canton of Zurich remain unfilled. The project “NON-STOP: Direct Entry into Vocational Education and Training” starts here. It focuses on the vocational integration of young people whose chances of direct entry into a profession are impaired due to school, social, or language difficulties. The results show that the measures are helpful and identify various starting points for promoting direct entry. In addition to the importance of individual career choices, the analysis underlines the great significance of parental and family support in the transition process.

1 Ausgangslage und Problemstellung

Seit der starken Reaktion von Politik und Öffentlichkeit auf die ersten Ergebnisse der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) zu Beginn der 2000er Jahre stehen Fragen der Bildungsgerechtigkeit in den DACH-Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz) im Zentrum wissenschaftlicher, bildungspolitischer und praxisbezogener Debatten. Deutlich zeigen sich in den Ländern Ungleichheit fördernde Effekte, die durch die Gliederung der allgemeinbildenden Schulsysteme und ihre Selektionsmechanismen verstärkt werden. Bildungs- und Lebenschancen strukturieren sich so entlang von individuellen Fähigkeiten und familiären Möglichkeiten (vgl. Meyer 2018, 26ff.). Homogenisierungsbestrebungen und die Allokation der Lernenden entlang von Schulleistungen erfordern in mehrgliedrigen Schulsystemen zusätzliche Bildungsgefäße (vgl. Euler/Severing 2020, 7ff.), wie z. B. das Übergangssystem. Es vermag selektive Nebeneffekte der Ausgrenzung im Übergang in den Beruf abzufedern. Bildungssystementlastende Gefäße werden überdurchschnittlich oft von Jugendlichen mit Beeinträchtigungen bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf besucht und/oder von Lernenden mit sozio-kulturell bedingter Benachteiligung (soziale Herkunft und/oder Migrationshintergrund). Wie die Bildungsverlaufsforschung in der DACH-Region belegt, erreichen diese Jugendlichen seltener Schul- und Ausbildungsabschlüsse (vgl. Lassnig 2012, 333ff.; SKBF 2018, 135ff.; Stürzer/Täubig/Uchronski/Bruhns 2012, 18ff.).

In der Schweiz besuchen rund 14 % der Lernenden am Ende der obligatorischen Schulzeit ein s. g. Brückenangebot. Insbesondere schulschwache Jugendliche mit Migrationshintergrund sind im Übergangssystem überrepräsentiert (25 %). Ein Viertel von ihnen ist auch zwei Jahre nach Schulabschluss ausbildungslos (vgl. BFS 2016, 31). Als bildungspolitisches Ziel legte die Schweiz deshalb 2006 die Abschlussquote auf Sekundarstufe II bei 95 % fest. Sie wird heute von Jugendlichen mit Schweizer Nationalität annähernd erreicht (94 %). Demgegenüber liegt die Quote bei in der Schweiz geborenen Jugendlichen mit Migrationshintergrund erst bei 86 % und bei im Ausland geborenen Jugendlichen mit 73 % noch tiefer (vgl. SKBF 2018, 111). Diese Befunde werfen hinsichtlich der Gewährleistung von Chancengerechtigkeit im selektiven Bildungssystem der Schweiz Fragen auf, die die berufliche Teilhabe betreffen.

Hier setzt das Projekt „NON-STOP: Direkteinstieg in die Berufsbildung“ (folgend NON-STOP) an (vgl. Pool Maag/Jäger 2020). Zur Zielgruppe gehören schulschwache Lernende, deren Chancen auf einen Direkteinstieg in den Beruf im Projekt gefördert werden. Des Weiteren wird über ein besseres Matching von offenen Lehrstellen und Lehrstellensuchenden die Förderung der Fachkräfteausbildung angestrebt.

2 Forschungsstand zum Berufseinstieg

Wie in Deutschland und Österreich zeichnet sich auch in der Schweiz ein Trend zu höheren Bildungsabschlüssen ab. Die Abschlüsse auf Tertiärstufe haben sich in den letzten zwanzig Jahren annähernd verdoppelt (43 %). Trotzdem blieben die Anteile Lernender in der beruflichen Grundbildung konstant. Das wird einerseits auf die Berufsmaturität zurückgeführt, die für stärkere Lernende attraktive Bildungsoptionen eröffnet (vgl. Aepli/Kuhn/Schweri 2021, 11), andererseits auf demographische Effekte. Gleichzeitig steigt der Lehrstellenüberhang (rund 12 %) seit 2009 stetig an bei konstanter Nutzung von Brückenangeboten. NON-STOP zielt auf die Unterstützung benachteiligter Jugendlicher beim Direkteinstieg in den Beruf und auf die Reduktion der Nutzung von Brückenangeboten.

Für den Abschluss einer Ausbildung auf Sekundarstufe II sind Faktoren wie die soziale Herkunft der jungen Erwachsenen, ihre Aufenthaltsdauer in der Schweiz sowie ihr Bildungsverlauf in der obligatorischen Schule ausschlaggebend (vgl. BFS 2022). Schulleistungen sind wichtige Prädiktoren für die berufliche Laufbahn. Die Schulnoten am Ende der Primarstufe (v. a. Mathematik) sind für die gesamte nachobligatorische Schulzeit sowie für verzögerte Bildungslaufbahnen prädiktiv (vgl. Tomasik/Oostlander/Moser 2018, 67). Soziale Herkunftseffekte wirken sich am stärksten an der Schwelle zwischen Sekundarstufe I und II aus. Sie sind zum größten Teil sekundärer Natur und erklärbar über „sozial selektives Entscheidungs-, Beratungs- und Unterstützungsverhalten von Eltern, Lehrpersonen und anderen wichtigen Bezugspersonen“ (Tomasik/Oostlander/Moser 2018, 101). Die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche aus bildungsnahem Elternhaus eine Maturitätsschule anstelle einer Berufslehre besuchen, ist zehn Mal so hoch. Diese Effekte sind nicht nur aus Sicht der Bildungsgerechtigkeit problematisch, sondern auch aus Sicht der Nutzung von Bildungsressourcen. NON-STOP bietet Jugendlichen ohne familiären Support ergänzend zum Berufswahlangebot der Schule konkrete Unterstützung beim Berufseinstieg.

Jugendliche mit Migrationshintergrund besuchen schweizweit überdurchschnittlich oft einjährige Brückenangebote (22 % in der Schweiz geborene Lernende mit Migrationshintergrund; 28 % außerhalb der Schweiz geborene Jugendliche). Sie absolvieren auch dann häufiger Zwischenlösungen, wenn sie gleich gute Leistungen wie einheimische Lernende erbringen. Dies erfolgt aufgrund einer stärkeren Präferenz für allgemeinbildende Ausbildungen oder weil sie Lehrberufe anstreben, für die ihre schulischen Fähigkeiten nicht ausreichen (vgl. SKBF 2018, 106). Neben einem erfolgreichen Ausbildungsverlauf ohne Lehrvertragsauflösung wird mithilfe eines Brückenangebots auch eine Erhöhung der Chancen auf dem Lehrstellenmarkt angestrebt. Obwohl 68 % der Lernenden danach in drei- oder vierjährige Ausbildungen mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) einmünden, konnten unabhängige Studien diesen Mehrwert (besserer Ausbildungsplatz, Erhöhung Ausbildungserfolg) im Vergleich zum Direkteinstieg nicht bestätigen (vgl. Müller 2016; Sacchi/Meyer 2016). Zwischenlösungen werden auch von Jugendlichen besucht, die noch nicht wissen, was sie beruflich machen möchten (vgl. Tomasik/Oostlander/Moser 2018, 20ff.). Durch die Förderung des Direkteinstiegs werden Jugendliche in NON-STOP systematisch und ergänzend zur schulischen Berufsorientierung an verschiedene Berufsfelder herangeführt.

Die Wahrscheinlichkeit, zwei Jahre nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit ausbildungslos zu sein, wird von verschiedenen Schlüsselfaktoren beeinflusst: Der Abschluss des 11. Schuljahres auf dem untersten Leistungsniveau (Abteilung der Sekundarstufe C: Niveau Grundanforderungen/besonderer Lehrplan) erhöht die Wahrscheinlichkeit um 30 %. Diese starke Pfadabhängigkeit gilt auch unter Kontrolle der Leistungen (vgl. Meyer/Gomensoro 2022). Im Ausland geborene Jugendliche sind überdurchschnittlich oft ausbildungslos (plus 13 %) sowie Kinder von Eltern ohne nachobligatorischen Abschluss (plus 18 %). Übervertreten sind auch Jugendliche aus Städten (plus 12 %) sowie in geringerem Ausmaß weibliche Lernende (plus 2 %). Sie sind stärker von Erschwernissen beim direkten Übergang betroffen (vgl. BFS 2016, 44).

Es zeigt sich zusammenfassend, dass ein erfolgreicher Direkteinstieg in die Berufsbildung multidimensional bedingt ist. Dimensionen wie Schulleistung, Geschlecht, Migrationsstatus, Bildungsstand der Eltern und der Gemeindetypus beeinflussen die Chancen auf dem Lehrstellenmarkt. Neben den Herausforderungen beim Direkteinstieg haben Jugendliche auch während der Ausbildung, vor allem im ersten Ausbildungsjahr, Passungsprobleme, die nicht selten Lehrvertragsauflösungen (LVA) nach sich ziehen. In der Schweiz sind 21 % der Lernenden davon betroffen. Dabei erfolgt über die Hälfte der LVA (55 %) im ersten Ausbildungsjahr (2. Lehrjahr: 31 %; > 2. Lehrjahr: 13 %). Auch bei den LVA zeigen sich Unterschiede zwischen im Ausland geborenen Lernenden (29 % LVA), in der Schweiz geborenen ausländischen Lernenden (25 % LVA) (vgl. BFS 2021, 9) sowie Schweizer Lernenden (20 % LVA). Zur nachhaltigen Sicherung des Direkteinstiegs in die duale Berufsbildung umfasst NON-STOP bildungsstufenübergreifende Maßnahmen und eine Ausbildungsbegleitung im ersten Lehrjahr.

3 Bausteine und Projektziele

Das Projekt NON-STOP wurde von Impulsis, einem Kompetenzzentrum für berufliche Integration im Kanton Zürich entwickelt und umgesetzt, vom Bund (SBFI) finanziert und von einer kantonalen Steuergruppe begleitet. Jugendliche erhalten im Rahmen des Projekts ein individualisiertes Unterstützungsangebot bestehend aus drei Bausteinen: Auf Sekundarstufe I unterstützt das Berufseinstiegscoaching (BECO) und Lehrstellenmatching (LM) durch Lehrpersonen zugewiesene Jugendliche der 11. Klasse (Eine Lektion/Woche) in der Berufsfindung und bei der Lehrstellensuche. Jugendliche werden motiviert, auch alternative Berufsfelder und geschlechtsuntypische Berufe zu prüfen. Auf der Basis der Berufswahl werden Berufswünsche konkretisiert, alternative Berufswahlmöglichkeiten geprüft, Schnuppermöglichkeiten gesucht, Bewerbungsunterlagen erarbeitet sowie Telefon- und Bewerbungsgespräche eingeübt. Im LM werden Jugendliche mit Ausbildungsbetrieben zusammengebracht, Lehrstellen akquiriert, Kontakte koordiniert, Schnupperpraktika ausgewertet und Misserfolge im Bewerbungsprozess bearbeitet. Im ersten Lehrjahr auf Sekundarstufe II ist eine Ausbildungsbegleitung (ABB) als Beratung nach Bedarf vorgesehen, um ausbildungsbezogene Fragen und Schwierigkeiten zu klären und Berufsbildende sowie Lehrpersonen an Berufsfachschulen durch niederschwellige Beratung zu entlasten. Die Ausbildungsbegleitung ist bedarfsorientiert und als Supported Education (Job-Coaching) organisiert. Sie umfasst Angebote wie individuelle schulische Förderung, die Vermittlung von Förderangeboten an Berufsfachschulen, Unterstützung bei der Lern- und Arbeitsorganisation, persönliche Beratung, Förderplanung und Kontrolle der Zielerreichung. Die Coaches sind auch Ansprechpersonen für Anliegen der Ausbildungsverantwortlichen in den Betrieben und für Lehrpersonen der Berufsfachschule. Sie erarbeiten adäquate Unterstützungsmaßnahmen, begleiten die Umsetzung und übernehmen die Fallkoordination (Vernetzung Lehrbetrieb, Berufsfachschule, überbetriebliche Kurse, Lernende).

NON-STOP setzte sich zum Ziel, für 95 % der begleiteten Lernenden eine geeignete Anschlusslösung zu finden und 40 % bis 50 % dieser Jugendlichen beruflich zu integrieren. Davon sollten 90 % mithilfe der Ausbildungsbegleitung die Probezeit in der beruflichen Grundbildung bestehen. Vier von fünf Lernenden müssten danach das zweite Ausbildungsjahr eigenständig fortsetzen können. Neben Aussagen zum Projekterfolg sind für den Beitrag folgende Fragestellungen leitend: 1) Welche Maßnahmen sind für benachteiligte Jugendliche beim Berufseinstieg hilfreich und in welchem Ausmaß werden sie genutzt? 2) Welchen Jugendlichen gelingt der Direkteinstieg und welche weiteren Anschlusslösungen werden gewählt? 3) Welche Rolle übernehmen Eltern und Familien der Zielgruppe im Übergang?

In Kapitel 4 werden Design, Methode und Stichprobe der Studie beschrieben. Ausgewählte Ergebnisse sind anschließend in Kapitel 5 detailliert dargelegt und die Diskussion erfolgt in Kapitel 6 entlang der Leitfragen.

4 Design, Methode und Stichproben

4.1 Kohortendesign

Das Projekt wurde an sechs Sekundarschulen im Kanton Zürich in rund 20 Klassen mit insgesamt ca. 420 Schüler*innen (folgend SuS) pilotiert. Zur Zielgruppe gehören Lernende der Abteilungen B und C, in denen schwächere Lernende unterrichtet werden (folgend Sek B und C). Die Schulen verfügen über einen hohen Sozialindex zwischen 112 bis 120 (errechnet aus Ausländer-/Sozialhilfe-/Einkommensquote), was auf eine überdurchschnittlich hohe soziale Belastung der Schulen hinweist. Sämtliche Projektphasen auf Sekundarstufe I und II werden dreimal vollständig durchlaufen (drei Kohorten; Projektdauer: 2016 – 2020).

Tabelle 1:     Kohortendesign der Studie (N=254 Lernende aus sechs Schulen).

L ä n g s s c h n i t t

Projektphasen

2016/17

2017/18

2018/19

2019/20

Q u e r s c h n i t t

11. Schuljahr (Okt. – Juli)

K1

K2

K3

 

Berufseinstiegscoaching/ Lehrstellenmatching

N=105 *

N=92 **

(23 %) ***

N=105

N=74

(24 %)

N=105

N=88

(26 %)

 

Anschlusslösungen

N=92

N=75

N=87

Duale Berufsbildung

      Ziel:

40 %-50 %

n=37 *

n=32 **

n=30

n=24

n=35

n=37

1.       Ausbildungsjahr

 

K1

K2

K3

Ausbildungsbegleitung (1. Lj.)

 

n=20 *

n=32 **

n=20

n=22

n=20

n=37

Verbleib in Ausbildung   Ziel:

80 %

 

n=26

n=18

Anschlusslösung (BVJ, SEMO, Praktika)

 

n=40 *

n=52 **

n=40

n=43

n=40

n=48

Legende: * Annahme/** effektiv/*** Anteil begleiteter SuS aus Abschlussklassen gemessen an allen SuS der Schulen.

Tabelle 1 umfasst sowohl Annahmen zur Stichprobe der drei Kohorten, die auf Basis bildungsstatistischer Analysen vorgenommen wurden (mit * gekennzeichnet), als auch die effektiv teilnehmenden Lernenden (mit **gekennzeichnet). Angenommen wurde, dass rund ein Viertel der 420 SuS pro Jahrgang/Kohorte zur Zielgruppe von NON-STOP gehört (ca. 105 SuS), wobei rund 40 Lernende trotz Berufseinstiegscoaching und Lehrstellenmatching keine Lehrstelle finden würden, jedoch eine geeignete Anschlusslösung (z. B. SEMO, BVJ, Praktikum). Die Ausbildungsbegleitung sollte im ersten Lehrjahr von ca. 20 Lernenden in Anspruch genommen werden.

4.2 Methode und Stichproben

Gegenstand der Untersuchung ist erstens die Beurteilung der Projektbausteine (BECO, LM, ABB) durch die Projektbeteiligten sowie die Überprüfung der qualitativen und quantitativen Projektziele, zweitens die nähere Bestimmung der Zielgruppe, der mithilfe von NON-STOP der Direkteinstieg gelingt und drittens werden die Leistungen und der Nutzen von NON-STOP sowie ein allfälliger Mehrwert des Projekts erfasst.

Die Datenerhebungen und -analysen im Längs- und im Querschnitt basieren auf einem mixed-method-Ansatz, der multiperspektivisch Rückmeldungen der involvierten Personengruppen berücksichtigt sowie Anschlusslösungen aus sechs Vergleichsschulen für die Bewertung des Mehrwerts der eingesetzten Maßnahmen. Neben Befunden zu Übergangsverläufen im Längsschnitt erfolgen auch kohortenspezifische Analysen im Querschnitt. Über die laufende Selektion von Jugendlichen für die jeweiligen Projektbausteine besteht die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Gruppen (Treatment/nicht Treatment) zu unterscheiden (z. B. Lernende mit/ohne Lehrstelle). Eine valide Bewertung der Qualität des Direkteinstiegs erfordert, dass die Analysen über den Interventionszeitraum hinausgehen (bis Abschluss 1. Lehrjahr). Eine Übersicht zu den eingesetzten Verfahren, Befragungsgruppen und Stichproben ist in Tabelle 2 dargestellt:

Tabelle 2:     Datenerhebungsverfahren, Befragungsgruppen, Stichproben und Kohorten (2016 – 2020). Gesamtstichprobe (N=254).

Befragte

Erhebungsverfahren

Kohorte

n (Rücklauf)

Berufseinstiegscoaching und Lehrstellenmatching

Lernende (L)

3 Onlinebefragungen: Umsetzung   

K1 – K3

193 (76 %)

L ohne Lehrstelle

27 Gruppengespräche: Fazit, Anschluss

K1 – K3

125 (90 %)

Klassenlehrpersonen

5 Fokusgespräche in 5 von 6 Schulen

K1

21 (84 %)

Schulleitungen (SL) Berufsberatende (BB)

2 Fokusgespräche: Umsetzung; Kooperation

K1 (SL/BB)

6/5 (100 %)

Coaches

2 Fokusgespräche: Umsetzung, Fazit

K1, K3

8 (100 %)

Ausbildungsbegleitung

Lernende

3 Onlinebefragungen: Nutzung Bewertung

K1 – K3

42 (45 %)

Berufsbildende

1 Onlinebefragung: Umsetzung

11 Experten-Interviews: Umsetzung

K2

K3

21 (25 %)

11 (13 %)

Lehrpersonen Berufsfachschule

1 Onlinebefragung: Umsetzung

4 Experten-Interviews: Umsetzung

K2

K3

20

4

Coaches

2 Fokusgespräche: Bilanz

K1 + K2/K3

6 (100 %)

Kosten-Nutzen-Analyse in Bezug auf den Direkteinstieg

Projekt- und Vergleichsschulen

Statistischer Vergleich der Anschlusslösungen, AL (2010 – 2018)

AL aller Lernenden

5166 (100 %)

Das methodische Vorgehen integriert qualitative und quantitative Datenerhebungs- und Auswertungsverfahren (statistische Analysen mit SPSS/qualitative Inhaltsanalyse mit MAXQDA) sowie bildungsstatistische Analysen. Die Befragungen (schriftlich/mündlich) fanden jeweils am Ende des Schul- bzw. Ausbildungsjahres statt (Mai bis Juli). Persönliche und familienbezogene Daten sowie Schulleistungsdaten wurden in Zusammenarbeit mit dem Projektpartner erhoben und in einer gemeinsamen Datenbank erfasst (eCase).

5 Ergebnisse

Der Ergebnisbericht setzt Schwerpunkte bei der Herkunft und den Leistungsvoraussetzungen der Jugendlichen (Datenbank eCase), ihrer Selbsteinschätzung zum Unterstützungsbedarf beim Direkteinstieg (Online-Befragung) sowie bei den erfassten Anschlusslösungen und Lehrberufen (Datenbank eCase). Die Priorisierung ist dem umfangreichen Datenkorpus sowie der Stringenz des Beitrags geschuldet (ausführliche Darstellung in Pool Maag/Jäger 2020).

5.1 Herkunft der Lernenden

Die Gesamtstichprobe besteht aus 161 männlichen und 93 weiblichen Lernenden (63,4 %; 36,6 %). Mehr als die Hälfte besuchte die Sek B (57,1 %, n=145), 38,1 % die Sek C (n=98) und 4,3 % die Sek A (n=11).

Zur sprachlichen und nationalstaatlichen Herkunft der Lernenden ist bekannt (N=254), dass rund 60 % der Jugendlichen in NON-STOP Schweizerinnen und Schweizer sind (n=145). 16,1 % der Lernenden geben eine Nationalität der europäischen Union an (n=41), weitere 17,2 % südosteuropäische Staaten mit Beitrittsgesuchen für die Europäische Union (n=44) und 9,4 % der Jugendlichen nennen Nationalitäten aus dem afrikanischen, asiatischen, arabischen oder südamerikanischen Raum (n=24).

84 % der Jugendlichen in NON-STOP sprechen andere Erstsprachen als Deutsch (n=214). Damit heben sie sich sprachlich deutlich vom kantonalen Durchschnitt nicht-deutscher Erstsprache von rund 43 % ab. Die meist gesprochene Erstsprache der Befragten ist Albanisch (26,4 %, n=67), gefolgt von Deutsch (15,7 %, n=40) und Türkisch (12,6 %, n=32).

Tabelle 3:     Gesprochene Erstsprache der Jugendlichen (N=254).

Erstsprache

n

%

Erstsprache

n

%

Albanisch

67

26,4

Italienisch

16

6,3

Deutsch

40

15,7

Arabisch

15

5,9

Türkisch

32

12,6

Tibetanisch

13

5,1

Serbisch

16

6,3

Tamilisch

13

5,1

Portugiesisch

16

6,3

Spanisch

10

3,9

Französisch

16

6,3

     

Je 6,3 % der Jugendlichen sprechen Portugiesisch, Serbisch, Italienisch oder Französisch (je n=16). Hinzu kommen arabische Sprachen, wie Tigrin und Somali, Tibetanisch, Tamilisch und Vietnamesisch sowie Spanisch.

Trotz dieser großen Vielfalt an Erstsprachen ist zum Zeitpunkt der Befragung Deutsch für 94,9 % der Jugendlichen Hauptsprache. Rund 82 % der Befragten sind seit Geburt oder Schulbeginn (Kindergarten) in der Schweiz (n=208), 29 Jugendliche seit 1 bis 5 Jahren (11,4 %) und weitere 17 seit 6 bis 10 Jahren (6,7 %).

5.2 Familiäre Unterstützung und technische Ausstattung

NON-STOP übernimmt in Zusammenarbeit mit der Schule und der Berufsberatung einen Teil der Aufgaben und Unterstützungsleistungen, die von Gesetzes wegen bei den Erziehungsberechtigten liegen. Deshalb wurden die Jugendlichen gefragt, wie unterstützend sie das familiäre Umfeld im Vergleich zu den Unterstützungsangeboten der Schule und Berufsberatung wahrnehmen. Die Ergebnisse basieren auf Daten der Online-Befragung (Abb. 1: 6-stufige Likert-Skala: 6=trifft vollkommen zu; emp. Mittelwert=3.5).

Die Analyse zeigt, dass die Jugendlichen die elterliche Unterstützung insgesamt sehr positiv einschätzen: Die Erziehungsberechtigten interessieren sich aus ihrer Sicht für die Schule (M=5.2/SD=0.98, 94 % Zustimmung), und sie unterstützen die Kinder bei Schwierigkeiten in der Schule (M=4.9/SD=1.3, 86 % Zustimmung). Ähnliche Werte erreichen die Variablen zum Thema Berufswahl. In den meisten Familien wird die Berufswahl thematisiert (M=5.1/SD=1.1, 90 % Zustimmung) und die meisten Jugendlichen können bei der Lehrstellensuche auf die Hilfe der Familie zählen (M=4.8/SD=1.3, rund 90 % Zustimmung).

Abbildung 1:   Familiäres Interesse und Unterstützung für die Schule und Berufswahl in Prozent (N=193).Abbildung 1:   Familiäres Interesse und Unterstützung für die Schule und Berufswahl in Prozent (N=193).

Obwohl die Beurteilungen sehr positiv ausfallen, zeigen die Verteilungswerte, dass rund 15 % der Jugendlichen bei Problemen in der Schule und bei der Lehrstellensuche eher keine oder gar keine Unterstützung erhalten. Das Streuungsmaß bestätigt diese Unterschiede in den familiären Unterstützungsmöglichkeiten. Zwei Befunde sind diesbezüglich hervorzuheben. Die Eltern sind in der Zeit der Berufswahl aus Sicht der Jugendlichen die wichtigsten Sparringpartner und ihr Interesse an beruflichen Fragen ist hoch. Je konkreter jedoch der Hilfebedarf von Jugendlichen ist, desto seltener können gewisse Eltern die gefragten Unterstützungsleistungen anbieten.

Abbildung 2:   Wichtigste Personen oder Angebote im       Bewerbungsprozess (N=191).Abbildung 2:   Wichtigste Personen oder Angebote im       Bewerbungsprozess (N=191).

Abbildung 2 stellt das Ausmaß der familiären Unterstützung im Bewerbungsprozess im Vergleich zu schulischen und außerschulischen Angeboten dar (Frage: Personen/Angebote, die im Bewerbungsprozess am meisten unterstützen; binäre Skala: ja/nein; max. 3 Mehrfachantworten). Rund 50 % der Unterstützungsleistungen bei Bewerbungen kommen aus dem familiären oder privaten Umfeld der Jugendlichen (Eltern, Geschwister, Verwandte, Kolleg*innen/Freund*innen) und ein Drittel von Lehrpersonen (DaZ: Deutsch als Zweitsprache; KLP: Klassenlehrperson). Dienste wie die Jugendanwaltschaft (n=5), die Invalidenversicherung (IV) und das Sozialamt (4.7 %, n=13) sind für Jugendliche im Bewerbungsprozess ebenfalls wichtig und zu einem geringeren Anteil das Berufsinformationszentrum (BIZ) und die Berufsberatung (2.1 %, n=8). Rund 10 % der Jugendlichen haben keine Unterstützung erhalten.

Der Stand der technischen Ausstattung zuhause ist unterschiedlich, teilweise jedoch sehr gut: 92,3 % der Jugendlichen können zuhause einen Computer für Bewerbungsschreiben nutzen (n=192) und praktisch alle Haushalte (97,1 %) verfügen über einen Internetzugang (n=198). Weit seltener steht den Jugendlichen ein Drucker zur Verfügung (72,5 %, n=95). Diese Frage wurde nur von 40 % der Lernenden beantwortet.

5.3 Schulleistungen

Das Projekt zielt auf schulschwache Jugendliche aus dem unteren Leistungssegment. Für die leistungsbezogene Verortung der Projektteilnehmenden wurde auf Testergebnisse von Stellwerk 8 zurückgegriffen. Dieses webbasierte, adaptive Testsystem wird in der 10. Klasse zur individuellen schulischen Standortbestimmung eingesetzt sowie für die Planung der Schul- und Bildungslaufbahn. Immer öfter werden diese Testleistungen auch von Berufsbildenden für Selektionsprozesse genutzt (Min./Max. 200 bis 800 Punkte). Zweijährige Grundbildungen (EBA-Berufe mit eidgenössischem Berufsattest) setzen eine Stellwerkleistung von 340 bis 420 Punkten voraus, drei- und vierjährige Grundbildungen (EFZ-Berufe mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis) fordern 420 Punkte und mehr.

Die Ergebnisse entlang der Skalierung zeigen für die Fächer Deutsch und Mathematik linkssteile und rechtsschiefe Kurven, was auf eine Häufung der Testleistungen im unteren Leistungssegment hinweist. Dabei fallen die Leistungen in Deutsch geringer aus als in Mathematik. In beiden Fächern werden maximal 600 und minimal 200 Punkte erreicht. Die Deutschleistung von 68 % der Jugendlichen liegt im Bereich bis 400 Punkte, ein Viertel erreicht nur 200 bis 300 Punkte. In Mathematik hingegen liegt ein geringerer Anteil (60 %) im Bereich bis 400 Punkte, aber ebenfalls ein Viertel im untersten Leistungsbereich.

Weibliche Lernende (n=62) erreichen in Mathematik durchschnittlich 30 Punkte weniger als ihre Schulkollegen (M=388 Punkte, n=93) und der Leistungsunterschied zwischen Jugendlichen der Sek B (M=397.9 Punkte, n=89) und der Sek C (M=318.6 Punkte, n=59) ist mit 79,2 Punkten statistisch signifikant (t (146) = 6.17, p<.001). Ein ähnlich großer statistisch signifikanter Unterschied besteht zwischen den beiden Gruppen in Deutsch (t (147) = 6.27, p<.001): Sek B (M=386.2 Punkte, n=90), Sek C (M=305.8 Punkte, n=59).

Die Analyse verdeutlicht, dass 60 % bis 70 % der Jugendlichen auf Basis der Testleistungen dem unteren Leistungsdrittel zuzuordnen sind. In Deutsch liegen die Leistungen von 42,9 % der Jugendlichen unter den Anforderungen für EBA-Berufe (niedrigstes formal qualifizierendes Ausbildungsniveau) und in Mathematik gilt das für 38,7 %. Die Leistungsunterschiede zwischen Jugendlichen der Sek B und C sind in beiden Fächern signifikant. Vor dem Hintergrund dieser schwachen Schulleistungen sind Schwierigkeiten im Übergang in den Beruf zu erwarten.

5.4 Berufseinstiegscoaching und Lehrstellenmatching

Die Daten zu den beiden Themenbereichen beruhen auf Selbsteinschätzungen der Jugendlichen aus der Online-Befragung (Rücklauf 78 %, N=193; 6-stufige Likert-Skala: 6=trifft vollkommen zu; emp. Mittelwert=3.5). Die folgenden kohortenübergreifenden Ergebnisse verdeutlichen, in welchen Bereichen Unterstützungsbedarf besteht und inwiefern sich hinsichtlich demographischer Merkmale Unterschiede zwischen Jugendlichen zeigen. Die Berufsorientierung startet im Kanton Zürich in der 10. Klasse. Die Klassenlehrperson hält dazu eine Lektion pro Woche und die Berufsberatung unterstützt Jugendliche nach Bedarf (Schulsprechstunde). Die Coaches arbeiteten mit den Jugendlichen im letzten Schuljahr in fünf Bereichen: Berufsfindung, Schnupperlehre, Bewerbungscoaching, Selbstkompetenz, Auswertung der Bewerbungserfahrungen. Die Zuweisung zum Angebot nahmen die Klassenlehrpersonen entlang definierter Kriterien vor (abgeschlossene Berufswahl, ausbildungslos, Ausbildungsreife, Ausbildung mit Unterstützung möglich).

Am intensivsten werden die Jugendlichen im Bewerbungscoaching begleitet (M=4.5, N=193). Der größte Teil der Arbeit bezieht sich auf das Erstellen des Bewerbungsdossiers (Unterlagen zusammenstellen, aktualisieren, kontrollieren), das Vorgehen bei Bewerbungen sowie den Kontakt zu den Betrieben (Korrespondenz, Telefongespräche führen, Vorstellungsgespräche üben).

Der Auswertung der Bewerbungserfahrungen kommt aus Sicht der Jugendlichen der zweitwichtigste Stellenwert zu (M=4.3). Sie berichten, dass sie im Coaching lernen, dass sich ihr Einsatz lohnt (rund 86 % Zustimmung) und das helfe, sich für die weitere Lehrstellensuche zu motivieren (rund 78 % Zustimmung). Die Lehrstellensuche verursacht auch Stress und erfordert, negative Gefühle nach Absagen zu verarbeiten. Das Coaching war für über 60 % der Jugendlichen dafür hilfreich.

Neben schulischen Leistungen sind überfachliche Kompetenzen wie Selbstkompetenz im Bewerbungsprozess wichtig. Der Unterstützungsbedarf der Jugendlichen hinsichtlich Selbstwahrnehmung und -positionierung (Prioritäten setzen, eigene Meinung haben, Ideen einbringen, Entscheidungen treffen, Stärken erkennen) sowie Verbindlichkeit (Abmachungen einhalten) ist hoch (M=4.2, 70 % bis 82 % Zustimmung zu den Items).

Obwohl die Lernenden bereits im 10. Schuljahr Schnupperlehren absolvierten, besteht nach wie vor Unterstützungsbedarf (M=3.9). Wichtig ist die Besprechung von Verhaltensweisen in der Schnupperlehre (74 % Zustimmung), Hilfe und Ermutigung bei der Suche von Schnupperlehrstellen (73 % Zustimmung) sowie die Auswertung der Schnuppererfahrungen (71 % Zustimmung).

Weniger ausgeprägt ist der Unterstützungsbedarf im Bereich der Berufsfindung (M=3.7). Möglicherweise trägt der bereits durchlaufene Berufswahlprozesses im 10. Schuljahr dazu bei. Die Analyse zeigt, dass es für Jugendliche wichtig ist zu erfahren, wo offene Lehrstellen ausgeschrieben werden (78 % Zustimmung), und dass Lehrstellen in mehreren Berufen gesucht werden können (68 % Zustimmung). Über die Hälfte der Jugendlichen hat mithilfe des Coachs neue passende Berufe kennen gelernt und die Lehrstellensuche auf Berufe ausgeweitet, die nicht dem ersten Berufswunsch entsprechen (53 % Zustimmung). In geringem Ausmaß fassen Lernende auch geschlechtsuntypische Berufe ins Auge (35 % Zustimmung).

Die Wahrnehmung der Unterstützungsleistungen ist abhängig vom Ausmaß elterlicher/familiärer Unterstützung, von einer zugesagten Lehrstelle und vom Geschlecht (Mann-Whitney-U-Test, Kolmogorov-Smirnov p < .05). Das familiäre Unterstützungsverhalten ist außer bei den Schnupperlehren für die Inanspruchnahme aller Maßnahmen des Berufseinstiegscoachings relevant. 23 Jugendliche ohne familiäre Unterstützung (Eltern, Geschwister, Verwandte) geben an, ihre Stärken zu wenig gut zu kennen (U=1409.500, Z = -2.223, p<.05), seltener einen Beruf gefunden zu haben, der zu ihren Stärken passt (U=1286.000, Z = -2.726, p<.006) und das Coaching nicht ausreichend genutzt zu haben (U=1285.000, Z = -2.739, p=.006). Es werden möglicherweise auch deshalb seltener Bewerbungsunterlagen zusammengestellt (Eltern, n=47: U=2798.000, Z = -2.014, p<.05; Familie, n=23: U=1314.500, Z = -2.683, p>.01). Dem stehen Einschätzungen von Lernenden mit elterlicher Unterstützung gegenüber (n=146). Sie nutzen das Coachingangebot gezielter, lernen mithilfe des Coachs Berufe kennen, die zu ihnen passen (M=3.95; U=2711.500, Z = -2.194, p<.05) oder suchen nach Lehrstellen in mehreren Berufen (M=4.33; U=2710.500, Z = -2.212, p<.05). Die Jugendlichen sagen aus, den Coach ausreichend oft getroffen haben, wohingegen Jugendliche ohne familiäre Unterstützung den Coach gerne öfter getroffen hätten (U=1321.500, Z = -2.639, p=.008). Die Einschätzungen der Lernenden ohne familiäre Unterstützung verdeutlichen, dass eine intensivere Begleitung nötig wäre, die über ein wöchentliches Treffen hinausginge. Zugleich entsteht der Eindruck, dass selbst die Nutzung von Unterstützungsangeboten bestimmte Fähigkeiten voraussetzt wie z. B. überfachliche Kompetenzen und Berufsvorstellungen.

Schnuppern zahlt sich aus: Lernende (n=73) mit einer Lehrstelle zum Zeitpunkt der Befragung geben an, die Schnuppererfahrungen mit dem Coach umfassender ausgewertet zu haben als Jugendliche ohne Lehrstelle (n=120) (U = 3552.500, Z = -2.262, p<.05).

Ergebnisse bezüglich des Geschlechts zeigen, dass männliche Lernende (n=121) im Vergleich zu weiblichen (n=72) eher einen Beruf finden, der zu ihren Stärken passt (U=3613.500, Z = -2.027, p<.05). Weibliche Jugendliche lernen im Vergleich auch weniger neue Berufe kennen (U=3104.500, Z = -3.387, p=.001), sie suchen seltener nach Lehrstellen in mehreren Berufen (U=3167.000, Z = -3.240, p=.001) und auf Plattformen, wo offene Lehrstellen ausgeschrieben sind (U = 3071.500, Z = -3.528, p<.000). Das Bewerbungsverhalten weiblicher Lernender unterscheidet sich von dem ihrer Schulkameraden, und es gelingt ihnen weniger gut, das Berufseinstiegscoaching für den Direkteinstieg zu nutzen. Die Schwierigkeiten beziehen sich jedoch im Vergleich zu Jugendlichen ohne elterliche/familiäre Unterstützung weniger auf fehlende überfachliche Kompetenzen als vielmehr auf die Berufsfindung, wie die Analyse vermuten lässt. Dieser Befund könnte mit der geringeren Auswahl an (geschlechtstypischen) Berufen im Zusammenhang stehen, was diverse Studien aufzeigen (vgl. Meyer 2018; SKBF 2018).

Eine Gesamtbewertung des BECO und des LM durch die Lernenden erreicht in allen erfragten Dimensionen positive Werte (M=4.6; SD=1.2). Das bedeutet, dass sich die Jugendlichen vom Angebot angesprochen fühlen und die Maßnahmen hilfreich einschätzen (95 % Zustimmung). Sie sind auch mit den Leistungen der Coaches zufrieden (90 % Zustimmung), obwohl für 18 % der Antwortenden die Begleitung nicht ausreichte und rund 70 % der Jugendlichen ihren Coach gerne öfter getroffen hätten.

5.5 Nutzung der Maßnahmen

Die Hälfte der Jugendlichen nutzen das Berufseinstiegscoaching während zwei bis vier Monaten (25 % von Okt. bis Dez.; 25 % von Okt. bis Feb.).

Tabelle 4:     Dauer der Nutzung des BECO (N=250) und des LM (N=119)

 

Dauer der Unterstützung (in Monaten)

 

0 – 2

2 – 4

4 – 6

6 – 9

> 9

BECO (n/%)

60/24

67/26,8

49/19,6

57/22,8

17/6,8

LM (n/%)

19,3/23

34,4/41

28,6/34

16,8/20

0,8/1

Rund 20 % der Teilnehmenden sind zwischen vier bis sechs Monaten (bis April) bzw. zwischen sechs bis neun Monaten (bis Mitte Juli) im Programm. 6,8 % der Lernenden werden auch nach Ende der Schulzeit begleitet.

Weibliche Lernende (n=93) nehmen das BECO durchschnittlich 30 Tage länger in Anspruch als männliche Lernende (n=157) (t (248) = -2.72, p=.007). Zwischen Lernenden der Sek B und C zeigen sich hinsichtlich der Dauer der Inanspruchnahme keine signifikanten Unterschiede. Das Lehrstellenmatching wird von weiblichen wie männlichen Jugendlichen vergleichbar genutzt (LM: M=119 Tage vs. 121 Tage). Weibliche Lernende, denen der Direkteinstieg in die Berufsbildung gelingt (n=15), nehmen das LM 72 Tage länger in Anspruch als Lernende (n=17) ohne Lehrstelle (t (30) = -3.63, p=.001). Bei männlichen Lernenden zeigt sich dieser Unterschied nicht.

Die Ausbildungsbegleitung (ABB) wird von 60 % der beruflich integrierten Jugendlichen in Anspruch genommen (n=56). Rund 20 % der Auszubildenden (n=11) nutzen die ABB längstens sieben Monate (9 %, n=5, bis fünf Monate) und 80 % der Jugendlichen bis zu einem Jahr (n=22) oder darüber hinaus (n=23). 40 % der Lernenden beanspruchen keine Unterstützung im ersten Ausbildungsjahr.

Die Analyse verdeutlicht, dass rund 50 % der Jugendlichen des Niveau C und rund 30 % des Niveau B auch in den letzten Monaten des Schuljahres Unterstützung beanspruchen (vgl. Tab. 4). Das verweist auf Herausforderungen beim Direkteinstieg. Lernende der Sek C nutzen das BECO und LM am längsten und markieren damit den größten Bedarf an unterstützenden Maßnahmen. Im ersten Ausbildungsjahr verschieben sich die Bedürfnisse: Obwohl 40 % der Lernenden keine zusätzliche Begleitung mehr in Anspruch nehmen, greift ein unerwartet hoher Anteil von 48 % der Lernenden während des gesamten ersten Ausbildungsjahres auf Hilfestellungen der Coaches zurück (12 % nur im ersten Semester).

5.6 Anschlusslösungen

Annähernd die Hälfte der Teilnehmenden aus dem Projekt (48,2 %) besucht nach dem Schulabschluss ein Berufsvorbereitungsjahr (BVJ). Das sind fast doppelt so viele wie im gesamtschweizerischen Durchschnitt. Von den 247 erfassten Jugendlichen verfügen 36,4 % über eine Lehrstelle, davon 25,1 % in EFZ-Berufen (n=62) und 11,3 % in EBA-Berufen (n=28). 3,2 % der Lernenden steigen mit einem Praktikum oder einer Vorlehre in den Beruf ein (n=8). Praktika sind beispielsweise für Ausbildungen wie Fachmann/-frau Betreuung eine Voraussetzung. Diese eingeschlossen sind rund 40 % der Jugendlichen in NON-STOP beruflich integriert.

Abbildung 3:   Anschlusslösungen der Kohorten 1 bis 3 (N=247).Abbildung 3:   Anschlusslösungen der Kohorten 1 bis 3 (N=247).

Die drei meistgewählten Anschlusslösungen (1. BVJ, 2. EFZ-Berufe, 3. EBA-Berufe) bleiben kohortenübergreifend konstant. Es zeigen sich jedoch Schwankungen im Wahlverhalten der Jugendlichen hinsichtlich der meistgewählten Anschlusslösungen: Für ein BVJ entscheiden sich im Laufe der drei Jahre zwischen 46 % (K1/K3) und 52 % der Jugendlichen (K2), für einen EFZ-Beruf 20 % (K1/K2) bis 32 % (K3) und 11 % bis 12 % für einen EBA-Beruf.

Diese Befunde verweisen auf die Notwendigkeit von Übergangslösungen und Brückenangeboten in unseren Schulsystemen, selbst bei gezielter Förderung des Direkteinstiegs (vgl. Abb. 3). Das unterschiedliche Wahlverhalten zeigt, dass gerade Jugendliche der Projektzielgruppe passgenaue, individuelle Anschlusslösungen brauchen.

5.6.1 Anschlusslösungen nach Mathematikleistung

Die Leistungen in Mathematik spielen für die Berufsintegration nach wie vor eine entscheidende Rolle (vgl. Tomasik/Oostlander/Moser 2018). Im Folgenden wird geprüft, wie die gewählten Anschlusslösungen (Ausbildungsniveau) und die Mathematikleistungen in der Stichprobe zusammenhängen. Die Ergebnisse bestätigen den Befund aus der Literatur (t (52) = 4.21, p<.001): Jugendliche in EFZ-Berufen erreichen 106,8 Punkte mehr im Mathematiktest (M=405 Punkte, n=37) als Jugendliche in EBA-Berufen (298 Punkte, n=17). Ein weiterer signifikanter Unterschied zeigt sich zwischen der Mathematikleistung und der Wahl eines BVJ bzw. einer EBA-Lehrstelle (t (91) = -3.57, p<.001): Jugendliche, die ein BVJ wählen, erreichen durchschnittlich 88 Punkte mehr (M=405 Punkte, n=37) als Jugendliche mit einer EBA-Lehrstelle (298 Punkte, n=17).

Abbildung 4:   Leistungen Stellwerk Mathematik nach Anschlusslösungen (N=130).Abbildung 4:   Leistungen Stellwerk Mathematik nach Anschlusslösungen (N=130). 

Die Verteilung der Anschlusslösungen entlang der Mathematikleistungen, dargestellt in Abbildung 4, verdeutlicht, dass der Direkteinstieg von schulleistungsschwachen Jugendlichen mehrheitlich, aber nicht ausschließlich, durch EBA-Berufe gefördert wird. Es wird der weiter oben zitierte Befund bestätigt, dass ein BVJ nicht notwendigerweise von den schwächsten Lernenden besucht wird. Es ist anzunehmen, dass dieses breite Wahlverhalten der Jugendlichen mitunter die Leistungsheterogenität im Übergangssystem beeinflusst.

Der Direkteinstieg in den Beruf ist demnach von verschiedenen Faktoren abhängig und wird vom individuellen Wahlverhalten der Lernenden mitbestimmt.

5.6.2 Gewählte Lehrberufe

Die rund 100 beruflich integrierten Jugendlichen (inkl. Praktika und Vorlehre) wählten insgesamt 33 verschiedene Lehrberufe (in der Schweiz gibt es über 240 EFZ- und rund 60 EBA-Berufe). Über die Hälfte der Jugendlichen (n=62) wählten ihren Beruf innerhalb eines Spektrums von acht Berufen: Detailhandel: 30 %; Logistik: 7 %; Fachperson Betreuung: 6 %; Kaufmann/-frau: 6 %; Elektro: 4 %; Dentalassistenz: 3 %; Betriebsunterhalt: 3 %; Heizungsinstallation: 3 %). Die verbleibenden 40 Jugendlichen verteilen sich auf weitere 25 Berufe. Ein Vergleich der Berufswünsche der Jugendlichen mit den realisierten Berufen zeigt, dass Detailhandel, Logistik, Fachmann/-Frau Betreuung und Kaufmann/-frau sowie Dentalassistentin in derselben Rangfolge für über 50 % der Befragten auch Wunschberufe waren.

6 Diskussion

Lernende der Sek B und C haben im Projekt zu gleichen Anteilen (rund 40 %) eine berufliche Anschlusslösung gefunden (B: n=58; C: n=41). Das ist erfreulich, da geringere Schulleistungen in der Stichprobe kein Hindernis für den Direkteinstieg darstellten. Trotzdem gelingt es einem beachtlichen Teil der Lernenden nicht, direkt in den Beruf einzusteigen. Dieser Befund ist anzuerkennen, denn er markiert möglicherweise eine Grenze der Förderung des Direkteinstiegs insbesondere für die Zielgruppe des Projekts. Wie in Tabelle 1 (Kap. 4) dargestellt, werden die Zielsetzungen des Projekts nicht ganz, aber weitgehend erreicht. 95 % der Jugendlichen haben nach Abschluss des 11. Schuljahres eine geeignete Anschlusslösung und 80 % führen die Ausbildung im zweiten Ausbildungsjahr selbstständig weiter. Mit knapp 40 % Direkteingestiegenen bleibt das Ergebnis unter den Erwartungen von 40 % bis 50 %. Anstelle wurde die Ausbildungsbegleitung auf 60 % der beruflich integrierten Jugendlichen ausgeweitet und somit umfassender genutzt.

1) Welche Maßnahmen sind für benachteiligte Jugendliche beim Berufseinstieg hilfreich und in welchem Ausmaß werden sie genutzt?

Die Lernenden schätzen das Bewerbungscoaching am hilfreichsten ein. Hierbei wird ihnen das Rüstzeug für einen erfolgreichen Bewerbungsprozess an die Hand gegeben. In einigen Fällen verfügen weder die Jugendlichen noch ihre Eltern und Familien über dieses Wissen. Diesen Jugendlichen fehlen wichtige Berufseinstiegskompetenzen.

Da sich Lernende der Stichprobe oftmals auf mehrere Stellen gleichzeitig bewerben, ist es wichtig, den Überblick zu behalten und bei Absagen offen über Enttäuschungen und negative Gefühle zu sprechen. In einer Lebensphase, die entwicklungsbedingt von Unsicherheit geprägt ist und in der achtsam mit negativen Rückmeldungen umzugehen ist, ist eine Ansprechperson wichtig, die zuhören und berufliche Perspektiven eröffnen kann. Damit der Direkteinstieg gelingt, ist das Zusammenspiel verschiedener Beteiligter wie Berufsberatung, Eltern, Lehrperson und Berufsintegrations-Coaches sowie die Koordination der unterschiedlichen Aufgaben wichtig. Zum Zeitpunkt des Projekts hätten diverse Schnupperpraktika bereits stattgefunden und Berufe gewählt sein sollen. Das traf jedoch auf einen Teil der Jugendlichen in der Stichprobe nicht zu. Schnuppern ist gemäß der Einschätzung der Jugendlichen für die Wahl der Anschlusslösung und die Förderung des Direkteinstiegs wesentlich.

Weibliche Lernende, v. a. mit schwachen Mathematikleistungen, begegnen im Projekt erheblichen Schwierigkeiten beim Direkteinstieg. Herausforderungen zeigen sich im Bereich der Berufsfindung. Dies verdeutlichen die Fälle beruflich integrierter weiblicher Lernender: Sie nutzen das Berufseinstiegscoaching signifikant länger als ihre männlichen Kollegen und das Lehrstellenmatching länger als ihre ausbildungslosen Kolleginnen. Befunde zum Einfluss von Geschlecht und Mathematikleistung auf den Direkteinstieg in den Beruf (vgl. BFS 2016; Meyer/Gomensoro 2022; Tomasik/Oostlander/Moser 2018) werden in der Studie für benachteiligte weibliche Lernende bestätigt.

Fazit: Der Unterstützungsbedarf von Jugendlichen ohne elterliche/familiäre Unterstützung wäre bereits zu Beginn des Berufswahlprozesses zu erfassen. Um zusätzlichen Benachteiligungen entgegenzuwirken, sollten Vorkehrungen getroffen werden, wie der gezielte Einbezug der Eltern, die Erhöhung der Intensität der Begleitung, berufsbezogene fachliche Förderung (z. B. Grundkompetenzen in Mathematik; Literalität in Deutsch), Stärkung der Berufswahlkompetenzen und der überfachlichen Kompetenzen. Eine intensivere Begleitung beim Direkteinstieg mit den eben genannten Maßnahmen benötigen auch weibliche Lernende, insbesondere solche mit sehr schwachen Mathematikleistungen.

2) Welchen Jugendlichen gelingt der Direkteinstieg und welche weiteren Anschlusslösungen werden gewählt?

Rund 40 % der Stichprobe gelingt der Direkteinstieg. Obwohl sich die Leistungen der Jugendlichen aus der Sek B und C signifikant unterscheiden, unterscheidet sich die Quote beim Direkteinstieg nicht. Ausschlaggebend dafür ist die zweijährige Grundbildung (EBA), die die Integration der leistungsschwächsten Jugendlichen der Kohorten ermöglicht. Je leistungsstärker Jugendliche sind, desto eher werden drei- und vierjährige Grundbildungen (EFZ) oder ein BVJ gewählt (rund die Hälfte der begleiteten Jugendlichen). Annähernd 90 % der Jugendlichen wählten eines dieser drei Angebote. Die Befunde verdeutlichen, dass es neben der Förderung des Direkteinstiegs das BVJ und weitere Brückenangebote im Übergangssystem braucht. Dies eröffnet Lernenden, die aus unterschiedlichen Gründen noch nicht bereit sind, sich beruflich zu positionieren, Wahlmöglichkeiten und Entwicklungszeit. Diesen Bedarf bestätigen die Coaches in den Fokusgesprächen (vgl. Pool Maag/Jäger 2020, 22ff.) und räumen ein, dass der Direkteinstieg Fähigkeiten voraussetzt, wie die Bereitschaft zur Berufswahl, d. h. bereits einen Schritt in Richtung Berufswelt gemacht haben und fähig sein, das Unterstützungsangebot anzunehmen und zu nutzen (inkl. die verlässliche Erledigung von Aufgaben).

Schwache Lernende der Sek B und Sek C an Schulen mit hoher sozialer Belastung für das Projekt auszuwählen, hat sich bewährt. Der Bedarf begleitender Maßnahmen beim Direkteinstieg ist evident. Es ist jedoch keine Standardlösung für alle gefragt, sondern eher ein personbezogenes Vorgehen und eine kontinuierliche Begleitung, die zu passgenauen, individuellen Anschlusslösungen führt. Die Motive für die Wahl einer Anschlusslösung sind unterschiedlich. Das erfordert von den Coaches Offenheit und Geduld in der Prozessbegleitung. Gleichzeitig gilt es Bewerbungserfahrungen zu ermöglichen. Dafür braucht es ein zielorientiertes Vorgehen, das zwischen dem Vermögen und den Wünschen der Jugendlichen vermittelt und den Lehrstellenmarkt einbezieht.

Der Befund, dass 40 % der Teilnehmenden im ersten Ausbildungsjahr keine Begleitung mehr benötigten, verweist auf die Kontextabhängigkeit von Unterstützungsbedarfen. Der Verbleib in Ausbildung gelingt bestimmten Jugendlichen problemlos, wohingegen der Direkteinstieg nur mit Unterstützung möglich war.

Die Berufswünsche der Lernenden beeinflussen die gewählten Lehrberufe und die Wahl der Anschlusslösung. Auch benachteiligte Jugendliche streben nach Berufen, die in der Peergruppe beliebt sind. Das zeigt der Vergleich mit den meistgewählten Ausbildungsberufen in der Schweiz. Sie decken sich zur Hälfte mit den gewählten Berufen in der Stichprobe.

Fazit: Der Direkteinstieg benachteiligter Jugendlicher wird über die untersuchten Begleitmaßnahmen gefördert. Wunschberufe und geschlechtstypische Berufe steuern die Berufswahlprozesse der Jugendlichen. Nur wenige sind bereit, alternative Berufe zu prüfen. Von 240 möglichen Berufen wurden 39 realisiert. Hier wäre mit einer gezielteren Information zu den Berufswahlmöglichkeiten anzusetzen, damit auch seltene Berufe bekannt werden. Des Weiteren zeigt sich, dass EBA-Berufe und die Durchlässigkeit des Schweizer Berufsbildungssystems bei Eltern und Jugendlichen der Stichprobe wenig bekannt sind. Die Laufbahnperspektiven, beruflichen Möglichkeiten und die Durchlässigkeit der Berufsbildung wären insbesondere Lernenden der Sek B und ihren Eltern aufzuzeigen.

3) Welche Rolle übernehmen Eltern und Familien der Zielgruppe im Übergang?

Die Befunde bestätigen den Stellenwert elterlicher und familiärer Unterstützung beim Berufseinstieg. 50 % der Unterstützungsleistungen erhalten Jugendliche aus der eigenen Familie. Von daher sind alle Jugendlichen im Übergang ohne diesen Support stark benachteiligt (ca. 15 % der Stichprobe). Diese Lernenden erhalten in der Schule und von ihren Lehrpersonen in größerem Ausmaß Unterstützung als von ihren Eltern. Eltern interessieren sich zwar für die Schule und sind wichtige Ansprechpartner für ihre Kinder, wenn es um die berufliche Zukunft geht. Sind jedoch konkretere Unterstützungsleistungen bei Problemen in der Schule oder bei der Lehrstellensuche gefragt, unterscheiden sich Eltern in ihren Möglichkeiten. Das zeigt sich v. a. im Bewerbungsprozess. Diese Möglichkeiten der Familien zu erfassen, wäre Aufgabe der Klassenlehrperson. In diesen Fällen ist oft eine intensivere und längere individuelle Begleitung der Jugendlichen nötig bei gezieltem Einbezug der Eltern in den Berufswahl- und Bewerbungsprozess. Ihre Rolle bei der Gestaltung des Übergangsprozesses wäre mit konkreten Vorgehensweisen und Aufgaben aufzuzeigen.

Zur Förderung des Direkteinstiegs sind auch kompensatorische Leistungen der Schule oder weiterer Anbieter anzudenken, v. a. für bildungsferne Eltern oder für Erziehungsberechtigte ohne Sozialisation im Bildungssystem des jeweiligen Landes. Erfreulich positiv fallen die Ergebnisse zur technischen Ausstattung zuhause aus. Die Befunde dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass rund 8 % der Jugendlichen zuhause keinen Computer haben und deshalb stärker auf die Nutzung der schulischen Infrastruktur angewiesen sind.

Fazit: Sowohl bezogen auf die Gruppe bildungsbenachteiligter Jugendlicher als auch bezogen auf Einzelfälle lohnt es sich, die technischen Voraussetzungen sowie die familiären und elterlichen Unterstützungsmöglichkeiten für den Direkteinstieg zu ermitteln. Gerade wenn der Berufsintegrationsprozess stark auf familiäre Leistungen abstützt, ist dieses Vorgehen empfehlenswert. Allen Beteiligten, aber insbesondere den Eltern, kommt im Übergangsprozess eine wichtige Rolle mit konkreten Aufgaben zu. Über die Art und Verteilung der Aufgaben sollte gesprochen werden, um ein Commitment hinsichtlich der Anschlusslösung einzugehen. Damit wird der Hilflosigkeit der verschiedenen Beteiligten mit Empowerment begegnet und darauf gebaut, dass Eltern grundsätzlich das Beste für die Zukunft ihrer Kinder wollen.

Zusammenfassung und Ausblick: Die Studie beleuchtet Herausforderungen, denen schulleistungsschwache Jugendliche beim Berufseinstieg in einem auf Homogenisierung ausgerichteten mehrgliedrigen Schulsystem begegnen und analysiert Handlungsmöglichkeiten und Ansatzpunkte der Übergangsbegleitung. Dabei steht die Förderung des Direkteinstiegs in Zusammenarbeit mit Berufsintegrationsprofis an Schulen der Sekundarstufe I für den Versuch, Benachteiligungen an der Systemgrenze zwischen der obligatorischen und nachobligatorischen Bildungsstufe mithilfe externer Unterstützung zu bearbeiten. Das Ausmaß beruflicher Integration konnte darüber erhöht und institutionelle Ausschlussprozesse durch passende Anschlusslösungen reduziert werden. Die Befunde stimmen positiv.

Im Hinblick auf die Entwicklung inklusiverer Berufsbildungsangebote in der D-A-CH-Region zeigen sich Unterschiede zwischen den Ländern, sowohl in der Organisation des Übergangssystems als auch in den Formaten der Berufsbildung (vgl. Kimmelmann et al. 2022, 140ff.). Das wäre bei der Implementierung der untersuchten Unterstützungsmaßnahmen zu berücksichtigen. In der Schweiz folgen auf Modellprojekte wie NON-STOP bildungspolitische Prozesse, in denen Ansätze zur Institutionalisierung mit den Partnern der betroffenen Bildungsstufe abgewogen und Möglichkeiten der Umsetzung und Finanzierung gesucht werden. Das braucht Zeit. Erfreulich ist, dass an Zürcher Berufsfachschulen derzeit eine Ausweitung der Ausbildungsbegleitung (ABB) geplant ist. Damit soll der Verbleib in der Berufsbildung unterstützt und ein Beitrag zur Ausbildung von Fachkräften geleistet werden.

Literatur

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BFS (2021): Lehrvertragsauflösung, Wiedereinstieg, Zertifikatsstatus. Resultate der dualen beruflichen Grundbildung (EBA und EFZ). Bildung und Wissenschaft 15. Neuenburg.

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Meyer, T./Gomensoro, A. (2022): Wie weiter nach der Schule? TREE-Studie: Erste Ergebnisse zu nachobligatorischen Bildungsverläufen der Schulentlassenen von 2016. Transfer, Berufsbildung in Forschung und Praxis (2/2022). Zürich. Online: https://sgab-srfp.ch/wie-weiter-nach-der-schule/ (15.06.2022).

Meyer, T. (2018): Wie das Schweizer Bildungssystem Bildungs- und Lebenschancen strukturiert. Empirische Befunde aus der Längsschnittstudie TREE. Dissertation Universität Basel, 16.03.2018. Bern.

Müller, B. (2016): Four essays on the economics of vocational education and training. Dissertation Universität Bern, 25.02.2016. Bern.

Pool Maag, S./Jäger, R. (2020): Evaluation „NON-STOP: Direkteinstieg in die Berufsbildung“. Schlussbericht, 16.11.2020. Zürich.

Sacchi, S./Meyer, T. (2016): Übergangslösungen beim Eintritt in die Schweizer Berufsbildung: Brückenschlag oder Sackgasse? Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, (1), 9-39.

SKBF (2018): Bildungsbericht Schweiz 2018. Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung. Aarau.

Stürzer, M./Täubig, V./Uchronski, M./Bruhns, K. (2012): Schulische und außerschulische Bildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund: Jugend-Migrationsreport. Ein Daten- und Forschungsüberblick. München.

Tomasik, M./Oostlander, J./Moser, U. (2018): Von der Schule in den Beruf. Wege und Umwege in der nachobligatorischen Ausbildung. Institut für Bildungsevaluation, Universität Zürich, 29. Juni 2018. Zürich.

Zitieren des Beitrags

Pool Maag, S./Jäger, R. (2023): Ohne Umwege in die Berufslehre: Mit NON-STOP den Direkteinstieg von Jugendlichen mit Migrationshintergrund fördern. In: bwp@ Spezial PH-AT2: Diversität in der Berufsbildung in Österreich, Deutschland und der Schweiz – Perspektiven aus Forschung, Entwicklung und Bildungspraxis, hrsg. v. Albert, S./Heinrichs, K./Hotarek, I./Zenz, S., 1-20. Online: https://www.bwpat.de/spezial-ph-at2/pool-maag_jaeger_bwpat-ph-at2.pdf (19.04.2023).