bwp@ 29 - Dezember 2015

Beruf

Hrsg.: Martin Fischer, Karin Büchter & Tim Unger

Erwachsene im beruflichen Umbruch – eine Analyse funktionaler und dysfunktionaler Denkmuster

Beitrag von Bettina Franzke, Katrin Böhnke & Miguel Diaz
bwp@-Format: Diskussionsbeiträge

Vorgestellt wird die psychologisch-beraterische Arbeit mit den Denkmustern von Erwachsenen im beruflichen Umbruch. Diese Gruppe erwägt einen Übergang von einer derzeit als nicht befriedigend angesehenen Erwerbssituation in eine neue Tätigkeit. Ein Teil der Personen will sich aus freier Entscheidung heraus neu orientieren. Die Betreffenden verfügen in der Regel über hohe Qualifikationen sowie arbeitsmarktkonforme Berufserfahrung. Sie finden in dem jeweiligen Beruf gute Beschäftigungsmöglichkeiten vor und haben vielseitige Optionen. Bei einem anderen Teil ist die berufliche Neuorientierung eine Folge äußerer Umstände wie eingetretene oder drohende Beschäftigungslosigkeit, Krankheit (z. B. Burnout), familienbedingte oder anderweitige Erwerbsunterbrechungen. Die Anlässe beruflicher Neuorientierung entsprechen dem von der pädagogischen Übergangsforschung angenommenen Wechselspiel externer Handlungsaufforderungen/Rollenerwartungen und veränderter Selbstkonzepte.

Auf Basis des rational-emotiven Ansatzes nach Albert Ellis werden blockierende Denkmuster, die Menschen von einer beruflichen Um- und Neuorientierung abhalten sowie aktivierende Denkmuster, die sie zu einer solchen motivieren, beschrieben. In 37 Seminaren der Erwachsenenbildung zur persönlichen Standort- und Zielbestimmung mit 330 Personen, darunter 73% Frauen, wurden über Zuruflisten 849 Kognitionen erhoben und inhaltsanalytisch ausgewertet.

Aus den Befunden ist ableitbar, wie funktionale Überzeugungen im Prozess beruflicher Veränderung aufgebaut bzw. gestärkt werden. So können Übergänge als Chance betrachtet werden und es kann in der Person die Zuversicht geweckt werden, die beruflichen Neuorientierung erfolgreich zu meistern.

"The grass on the other side of the hill is always greener": The thought patterns of adults undergoing career changes

English Abstract

This article presents the psychological advisory work done with the thought patterns of adults undergoing career changes. This group is considering changing from what is currently seen as an unsatisfactory employment situation to a new job. Some of the individuals will have decided for themselves to embark on something new. The individuals concerned are usually highly qualified and have work experience that conforms to labour market requirements. They have good chances of finding employment in their occupational fields and have a wide range of options to choose from. Others in the group are embarking on something new as a result of external circumstances such as current or imminent unemployment, illness (e.g. burnout), and family-related or other breaks in employment.

Taking Albert Ellis' rational emotive approach as the basis, the article describes inhibiting thought patterns that stop people from making a career change and activating thought processes that motivate them to make such a change. In 37 adult education seminars dealing with the assessment of personal skills and objectives and attended by 330 individuals (73% female), 849 cognitions were collected via brainstorming lists and analysed.

The findings shed light on how functional convictions are formed or reinforced in the career change process. This enables changes to be regarded as chances and can make individuals confident that they will master their career changes successfully.

1 Beruf und berufliche Umbrüche

Die heutigen Beschäftigten werden mit sich stetig wandelnden Anforderungen konfrontiert; von ihnen werden immer wieder Anpassungsleistungen an neue Bedingungen verlangt. Moderne Lebensläufe sind von mangelnder Planungssicherheit, diskontinuierlichen Erwerbsbiografien und Übergängen geprägt. Insofern ist die Annahme, einen einmal gelernten Beruf das ganze Leben lang auszuüben, überholt (vgl. Bolder et al. 2012, 7). Es finden sich Berufswechsel oder vom Beruf abweichende Arbeitstätigkeiten genauso wie Quereinstiege bis hin zu sehr individualisierten Berufsausübungen, in denen persönlicher Gestaltungsraum besteht und im Modell des Arbeitskraftunternehmers sich Qualifikationen und Kompetenzen permanent erweitern (ebd. 7f.; vgl. Rosendahl/Wahle 2012, 34).

Heutige Lebensläufe setzen sich aus einer Abfolge von Lebensaltersphasen und Übergängen zusammen (vgl. Walther/Stauber 2013, 28). Übergänge sind Zustands- und Positionswechsel, die entweder durch externe Handlungsanforderungen oder Rollenerwartungen einerseits oder durch veränderte Selbstkonzepte (z. B. neue Orientierungen und Ansprüche) andererseits ausgelöst werden (ebd. 29). Bei einem Übergang folge nach einem Aufbruch zum Neuen bzw. Abschied vom Alten ein Schwebezustand, der idealtypisch durch ein neues Ziel abgelöst wird (vgl. Schicke 2014, 282).

Übergänge haben sich laut Nestmann (2013) „multipliziert, verdichtet und beschleunigt“ (838). Sie nähmen zu, würden länger andauern, weniger planbar und geordnet sein (vgl. Walther/Stauber 2013, 34). Das Bild vom Erwachsenenalter als „Hort gesellschaftlicher Stabilität“ habe sich aufgelöst (Nittel 2006, 322). Erwachsene müssten sich auf „Neues, Überraschendes, Ungeplantes und Unvorhergesehenes“ einstellen (Schlüter 2014, 254). „Übergangskompetenz“ (vgl. Schicke 2014, 281) sei hier die Fähigkeit, sich auf Gefühle von Unsicherheit auslösende und Identitätsfragen aufwerfende Notwendigkeiten einzustellen und Umbrüche, einschließlich der mit ihnen einhergehenden Überforderungen, Gefährdungen und existenziellen Bedrohungen, konstruktiv zu meistern, ohne sich diesen resignativ zu unterwerfen (vgl. auch von Felden/Schäffter/Schicke 2014, 7).

Unterstützung bei der Gestaltung von selbst gesuchten oder extern ausgelösten Umbrüchen bietet Beratung in beruflichen Übergängen. Nestmann (2013, 835) hebt hervor, dass Beratung helfe, sich auf Veränderungen einzulassen bzw. sich mit diesen zu arrangieren, sich in neue Situationen aktiv und forschend hineinzubegeben und die Zukunft mit zu gestalten. Menschen sollten erkennen, dass ungeplante Ereignisse wichtig und normal seien. Es käme darauf an, diese in persönliche Chancen zu überführen und zur Gestaltung des Lebenslaufes zu nutzen (ebd., 846). Vor, während und nach einem Übergang könne Beratung Informationen liefern. Allerdings würden Menschen nicht durchgängig rational entscheiden, sondern auch äußere Einflüsse und Normen spielten eine Rolle. Beratung könne ferner individuelle Kompetenzen bewusst machen und stärken. Schließlich leiste Beratung auch einen Beitrag zur Bewältigung eines Umbruchs, wenn es darum gehe, Orientierungen zu finden, Handlungsfähigkeiten herzustellen und wieder anschlussfähig zu werden. Übergangschancen und -risiken müssten dabei konkret bearbeitet werden (ebd., 840). „Die Zuständigkeit für den eigenen Lebensentwurf ist nicht delegierbar“, schreibt Schicke (2014, 284).

Relativ neu ist das Phänomen, dass Menschen auch außerhalb institutioneller und therapeutischer Angebote Beratung und Unterstützung zu beruflichen Umbrüchen suchen, und zwar auch dann, wenn sie nicht von Beschäftigungslosigkeit bedroht oder betroffen sind. Angesichts der zeitlichen Eingebundenheit und der großen existenziellen und subjektiven Bedeutung von Erwerbsarbeit – gerade in Deutschland herrsche ein erwerbsarbeitszentriertes Lebenslaufregime (vgl. Walther/Stauber 2013, 26) – haben immer mehr Menschen das Bedürfnis, das Leben in Einklang mit ihren Zielen und Bedürfnissen zu bringen. Sie erleben starke Unstimmigkeiten zwischen ihrer persönlichen und beruflichen Situation und sehen sich herausgefordert, diese durch Anpassungs- und Veränderungsleistungen zu reduzieren (vgl. Bußhoff 2009). Viele von Ihnen wollen sich beruflich verändern oder ihr berufliches Leben neu ausrichten. Dazu nehmen sie Coaching oder Seminare zur beruflichen Um- und Neuorientierung in Anspruch.

Berufliche Um- und Neuorientierung kann dabei als Ausdruck und Folge der individualisierten und pluralisierten Gesellschaft verstanden werden (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1994). In einer Welt, die immer schneller und komplexer wird, von vielfältigen Verunsicherungen geprägt ist und in der die frühere „Normalbiografie“ keine Orientierung mehr bietet, steigt das Bedürfnis, das eigene Leben in all seinen Bezügen selbstbestimmt zu gestalten. Die Erwerbsarbeit ist davon in besonderer Weise betroffen.

Parallel zur Individualisierung und Pluralisierung von Lebensformen befinden sich die Arbeitswelt und die in ihr Agierenden in einem grundlegenden Wandel. Jobsuchende und Beschäftigte erheben den Anspruch, psychologisch befriedigende Arbeitsinhalte und ansprechende Rahmenbedingungen vorzufinden. Hinzu kommen Personen, die erst im Erwachsenenalter feststellen, dass sie einen nicht zu den eigenen Stärken oder Interessen passenden Beruf wählten.

Anlässe und Ausgangssituationen für berufliche Umbrüche können in der heutigen Zeit sehr vielfältig sein.

Ein Teil der Personen will sich aus freier Entscheidung heraus um- oder neuorientieren. Die Betroffenen sind – gemessen an Parametern wie Verdienst, Status, Sicherheit und Verantwortung – erfolgreich. Sie verfügen in der Regel über gute Qualifikationen sowie arbeitsmarktkonforme Berufserfahrung. Bei ihrer Um- oder Neuorientierung treffen sie in dem jeweiligen Beruf auf gute Beschäftigungsmöglichkeiten. Auf einem bereits jetzt und durch Fachkräftemangel geprägten Arbeitsmarkt haben sie vielseitige Optionen.

Bei einem anderen Teil sind berufliche Umbrüche eine Folge äußerer Umstände wie eingetretene oder drohende Beschäftigungslosigkeit, Krankheit (einschließlich Überlastungssyndromen), familienbedingte oder anderweitige (z. B. Sabbatical, Weltreise) Erwerbsunterbrechungen.

Auffallend ist, dass mehr Frauen als Männer an den Seminaren teilnehmen. Für Frauen ergeben sich offenbar häufiger Lebenslagen, in denen sie über eine berufliche Um- und Neuorientierung nachdenken bzw. sich diesbezüglich Hilfe holen. Gerade der Wiedereinstieg nach familienbedingter Auszeit wird als Anlass genommen, sich noch einmal neu auszurichten. Oft passte der gewählte Beruf schon vor der Auszeit nicht mehr oder die frühere Qualifikation ist nicht mehr zeitgemäß.

2 Seminare und Beratungen zur beruflichen Um- und Neuorientierung

Beratungskonzepte zur beruflichen Um- und Neuorientierung beinhalten häufig drei Prozessschritte: Als erstes findet eine Zielbestimmung statt, bei der unter Berücksichtigung verschiedener Lebensbereiche berufliche und auch persönliche Ziele definiert werden. Zweitens erfolgt eine individuelle Stärken-Schwächen-Analyse, bei der die Person ihre Potenziale und Interessen näher kennen lernt. In einem dritten Schritt wird überlegt, in welcher Weise eine Person ihre Ressourcen zur Umsetzung der beruflichen Vorhaben einsetzen kann. Motivations- und Bewerbungsstrategien sind hierbei Schwerpunktthemen.

Impulse zu Inhalten und didaktischer Umsetzung von Beratungen und Seminaren im Themenfeld beruflicher Um- und Neuorientierung finden sich u. a. bei Bolles (2012), Glaubitz (2014), Gulder (2013) und Scheidt (2005).

In dem der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegenden Seminar zur Standort- und Zielbestimmung erschließen sich die Teilnehmenden individuell die folgenden Themen:

  • Persönliche Standortbestimmung: Wo stehe ich?
  • Wertebestimmung: Was ist mir wertvoll und wichtig im Leben?
  • Entwicklung von Ziel- und Zukunftsperspektiven: Wo will ich hin?
  • Life-Balance: Welche Merkmale hat ein für mich erfülltes Leben?
  • Stärkenprofil: Was sind meine Talente?
  • Selbstmotivation und Selbstcoaching: Wie aktiviere ich Kraft und Energien? Wie setze ich diese zielgerichtet ein?
  • Erfolgsdenken und Erfolgskonzepte mit Blick auf angestrebte berufliche und persönliche Ziele.

Dem Seminar liegt ein ganzheitlicher Ansatz zur Lebens- und Berufsplanung zugrunde. Neben Impulsreferaten (beispielsweise zur Bedeutung von Zielen und Zielkriterien) kommen kreativ-intuitive Methoden zum Einsatz: Die Teilnehmenden malen ein Zielbild, bei dem sie sich ihre Zukunft in zehn Jahren vorstellen. Darüber hinaus bearbeiten sie eine Wertetabelle und ein Stärkenprofil, zu dem sie Feedback aus der Gruppe und von der Referentin erhalten. Abschließend wird ein Brainwriting durchgeführt, bei dem die Teilnehmenden reihum von den anderen zu einem ihrer Ziele (und den vermuteten Blockaden) schriftlich und in Stillarbeit Impulse und Bewältigungsstrategien erhalten.

Auf die Standort- und Zielbestimmung aufbauend setzt das Seminar „Erfolgskonzepte und Erfolgsstrategien für den Beruf“ an, das Schlüsselfaktoren erfolgreicher Karriereentwicklung und Lebensplanung vermittelt. Zentral sind die Aspekte:

  • Laufbahnplanung: Wenn es nur nach mir ginge, welche konkreten beruflichen Optionen kommen für mich in Betracht? In welchem Grad kann ich hier Werte, Ziele, Stärken, Interessen und Rollen verwirklichen?
  • Erarbeitung einer „Treppe“, einschließlich Disputation von Skeptikern und Realisten: Was hindert mich daran, das berufliche Ziel zu erreichen? Wie kann ich es schaffen, die Blockaden zu überwinden und das Ziel zu erreichen?
  • Selbstpräsentation: Wie stelle ich mich optimal im Hinblick auf meine beruflichen Ziele dar?

In dem Seminar kommt ein speziell entwickeltes Instrument zur Laufbahnentwicklung zum Einsatz, bei dem die Teilnehmenden eine berufliche Option benennen, die jeweiligen Aufgaben und Tätigkeiten konkretisieren und die Option für sich reflektieren. Die Erarbeitung konkreter Schritte hin zum beruflichen Ziel, die sog. „Treppe“, liegt dann bei einer Kleingruppe aus drei Teilnehmenden.

Die Reichweite der angestrebten beruflichen Veränderung variiert erheblich: Mitunter kommt eine Person zu der Erkenntnis, dass sie sich mit den Inhalten ihrer Tätigkeit durchaus identifiziert, ihr die Arbeitsweisen oder die Rahmenbedingungen im aktuellen Umfeld jedoch nicht zusagen. Andere Ratsuchende wollen sich in ihren beruflichen Inhalten neu ausrichten oder eine höhere berufliche Position erlangen. In einigen Fällen reicht es aus, sich in der aktuellen Firma eine andere Tätigkeit und (oder) Position zu suchen. Für den Großteil der an eine Um- und Neuorientierung gelegten Erwartungen lassen sich Arbeitsplätze finden, für die kein neuer Beruf notwendig ist. Die meisten der heutigen Berufs- und Arbeitsfelder sind so flexibel, dass sie Weiterentwicklungsmöglichkeiten sowie eine große Spannbreite an Inhalten und Arbeitsweisen zulassen. Manchmal jedoch ist auch eine Ausrichtung auf ein komplett neues Berufsbild unumgänglich.

3 Denkmuster in beruflichen Umbrüchen

Die bisherige Forschung zur beruflichen Neuorientierung hat sich nicht explizit mit Kognitionen befasst. Genau hier setzt der Ansatz der Rational-emotiven Verhaltenstherapie (REVT) nach Albert Ellis an (vgl. Ellis/Hoellen 2004): Danach werden individuelle Veränderungen nur dann angegangen und umgesetzt, wenn eine Person ihr System von Einstellungen und Gedanken reflektiert hat und dieses konstruktiv an den von ihr gewählten Zielen ausrichtet. Menschen seien jedoch zu irrationalem Denken veranlagt. Kognitionen – rationale genauso wie irrationale – sind nach Auffassung von Ellis explizierbar und handlungsleitend. Sie können identifiziert, hinterfragt und verändert werden. Dieser Kognitionsbegriff hebt er sich von demjenigen der Biografie- und Bildungsforschung ab: So müssen beispielsweise nach Schütze (1983, 1984) in narrativen Interviews erhobene kognitive Figuren eine mehrschrittige Analyse durchlaufen, bevor die hinter diesen liegenden Ordnungsprinzipien verstanden werden können.

3.1 Kognitionen in Seminaren und Beratungen zur beruflichen Um- und Neuorientierung

Wer Menschen in beruflichen Umbrüchen berät und begleitet, merkt schnell, dass eine rein rationale Auseinandersetzung mit den Themen zu Ergebnissen führt, welche die Ratsuchenden emotional nicht akzeptieren oder denen sie distanziert gegenüber stehen. Die so erarbeitete neue berufliche Option scheint vernunftgemäß richtig und schlüssig, doch gleichzeitig bestehen Widerstände oder innere Blockaden gegen sie.

Hier kann die REVT von entscheidendem Nutzen sein: Im gesamten Beratungsprozess gilt es, sorgfältig auf blockierende Denkmuster zu achten, diese zu verbalisieren und damit transparent zu machen. Bereits am Anfang der Auseinandersetzung mit einer beruflichen Veränderung wird diesen aufgespürt und spätestens, wenn eine berufliche Option herausgearbeitet worden ist, werden die Skeptiker nochmals beleuchtet.

Ein solche Vorgehen wäre ganz im Sinne Ellis gewesen: Denn er hatte seinen Ansatz nicht ausschließlich als Therapieinstrument gedacht, sondern diesem auch die Funktion eines Ratgebers und einer Lebenshilfe zugeschrieben (Ellis/Hoellen, 23).

In der praktischen Umsetzung wird das Modell des inneren Teams bzw. der sog. „Brustbilder“ von Schulz von Thun (2013) genutzt, um blockierende Denkmuster („Teufelchen“) und motivierende Gedanken („Engelchen“) bewusst zu machen.

3.2 Methodische Überlegungen zur Klassifizierung von Kognitionen nach REVT

Das Modell wurde zwischen 2006 und 2015 in der praktischen Beratungsarbeit entwickelt. In 37 Seminaren der Erwachsenenbildung, an denen 330 Personen teilnahmen, darunter 240 Frauen (73%) und 90 Männer (27%), wurden Kognitionen erhoben. Dies geschah über Zuruflisten entlang der nacheinander gestellten Aufforderungen:

  • Denkmuster, die mich von einer beruflichen Veränderung abhalten…
  • Denkmuster, die mich zu einer beruflichen Veränderung motivieren…

Die sog. „Teufelchen“ und „Engelchen“ wurden von der Referentin an einem Flipchart festgehalten. Die Listen wurden später für die wissenschaftliche Begleitforschung gesammelt. Kodierungen nach demografischen Variablen, dem Erwerbsstatus oder biografische Merkmale wurden nicht vorgenommen.

Insgesamt wurden in den Seminaren 849 Kognitionen erhoben, darunter 426 blockierende und 423 motivierende Denkmuster. Diese wurden inhaltsanalytisch ausgewertet, das heißt in thematisch passenden Kategorien zusammengefasst (vgl. Mayring 2015). Die Gruppe der „Teufelchen“ besteht aus 28 Kategorien, die der „Engelchen“ aus 30 Kategorien. Die Kategorien mit den blockierenden Denkmustern konnten mit den aus der REVT bekannten, in den Derivaten ausformulierten dysfunktionalen Überzeugungen in Verbindung gebracht werden (Ellis/Hoellen 2004, 94f.). Die Derivate bezeichnen Ableitungen aus den Forderungen an sich selbst (z. B. Hervorragendes leisten und dafür Anerkennung erfahren müssen), an andere (z. B. von anderen jederzeit gut behandelt werden müssen) und an die Welt (z. B. sollen die Lebensbedingungen jederzeit angenehm und sorgenfrei sein) (vgl. a.a.O., 91f.). Entsprechend wurden die motivierenden Denkmuster den hypothetischen Gegenpolen der Derivate zugeordnet. Eine Gegenüberstellung der übergeordneten Kategorien findet sich in Tabelle 1.

Tabelle 1:     REVT Derivate zur Einordnung blockierender und motivierender Denkmuster von Menschen in beruflicher Um- und Neuorientierung

Nr. Zuordnung blockierender Denkmuster („Teufelchen“) zu REVT-Derivaten Zuordnung motivierender Denkmuster („Engelchen“) zu Gegenpolen von REVT-Derivaten
1. Verlust- und Katastrophendenken

Realistische Einschätzung der Wahrscheinlichkeit und Folgen/Erkennen einer realistischen Strategie/

Rationalisierung

2. Negative Zukunftsaussichten Optimistische Grundhaltung
3. Geringe Frustrationstoleranz Hohe Frustrationstoleranz
4. Selbstabwertung/Be- und Abwertung durch Andere Positive Bewertung von sich selbst und durch Andere
4.1 Selbstabwertung Positive Bewertung eigener Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse
4.2 Be- und Abwertung durch Andere Hoffnung auf Anerkennung durch relevante Andere

Sämtliche blockierende und motivierende Denkmuster konnten den REVT-Derivaten bzw. ihren Gegenpolen zugeordnet werden. Das heißt, die REVT bot eine passende Schablone zur Klassifizierung und damit zum Verständnis der von Menschen in beruflichen Umbrüchen vorgebrachten funktionalen und dysfunktionalen Kognitionen.

Es ist möglich, die blockierenden und motivierenden Denkmuster aufeinander zu beziehen und so passende Überzeugungen/Antworten zu den kognitiven Hemmnissen einer beruflichen Um- und Neuorientierung zu finden. Damit kann in der beruflichen Beratung gut gearbeitet werden, worauf im Abschnitt 3.4 näher eingegangen wird.

3.3 Die ABCDE-Kette zur beruflichen Um- und Neuorientierung

Die Entstehung und Auflösung dysfunktionaler Gedanken in der beruflichen Beratung wird nachfolgend in zwei getrennten Schritten beschrieben: Als erstes wird auf die aktivierenden Ereignisse (A) plus das dazugehörige „Belief“– bzw. Bewertungssystem (B) und dann auf die Konsequenzen (C) dieser Verbindung eingegangen. Als zweites werden Methoden des Disputierens (D) mit dem Effekt (E) der Neubewertung von Situationen vorgestellt, welche den Weg zur Umsetzung konstruktiver Handlungsstrategien frei macht. Im Fokus der nachfolgenden Analyse stehen die eine berufliche Veränderung blockierenden Denkmuster (hier B) sowie die einer beruflichen Veränderung förderlichen Denkmuster (hier E) als Ergebnis einer kognitiven Disputation (D).

Eine Zusammenfassung der Überlegungen findet sich in den Tabelle 2 und Tabelle 3.

Tabelle 2:     Entstehung dysfunktionaler Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen im Zuge beruflicher Veränderungen

A + B = C
Aktivierende Ereignisse (Situationen, Gedanken, Gefühle), z. B.:
  • Kündigung oder auslaufender Vertrag
  • Konflikte am Arbeitsplatz
  • NichtpassungQualifikations-/Interessensprofil
  • Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen
  • wenig Selbstverwirklichung in der aktuellen Tätigkeit
  • Träume umsetzen wollen
  • Karriereziele erreicht: Was nun?
  • Neuorientierung nach familienbedingter Erwerbsunterbrechung
 

Belief System: Bewertungen, Interpretationen, Schlussfolgerungen

„Teufelchen“
= dysfunktionale
   Kognitionen

Dysfunktional bedeutet hier in ihrer Absolutheit/
Generalisierung hemmend, demotivierend,
einer rationalen Entscheidungsfindung nicht hilfreich, der Verwirklichung von Zielen im Wege stehend

 

Konsequenzen
(Emotionen, Verhalten)

Gefühle:

  • Unsicherheit
  • Anspannung,
    Belastungserleben
  • Unruhe, Nervosität
  • Entmutigung,
    Selbstzweifel/
    Skepsis
  • Zögern
  • Frustration
  • Angst vor dem Scheitern

Verhaltensweisen:

  • Ausharren im alten Job
  • Vermeidung beruflicher Veränderung

Tabelle 3:     Auflösung dysfunktionaler Gedanken und Aufbau funktionaler Einstellungen, Gefühle und Verhaltensweisen im Zuge beruflicher Veränderungen

D -> E

Disputieren

Infragestellen der Beliefs (hier der Teufelchen): „Was motiviert mich?“

Auflösung von Katastrophendenken:

  • Was ist das Schlimmste, das passieren könnte? Wie wahrscheinlich ist das?

Aufbau von Frustrationstoleranz

  • Wären die negativen Folgen wirklich so schrecklich?

 

Relativieren globaler Personenbewertung, Minimierung kritischer Selbst- und Fremdbewertung

  • Könnten wir diesen Sachverhalt auch anders betrachten?
  • Was ist gut daran? Was würde dies im positiven Sinne bedeuten?
  • Inwiefern könnte dieser Schritt Ihre Lebenssituation verändern?
 

Effekte/Ergebnisse

Neue Einstellungen, „Engelchen“: funktionale Einstellungen

-> Neue Bewertung

  • Relativieren
  • Neutralisieren
  • Eliminieren von Teufelchen

Neue Gefühle:

  • Sicherheit
  • Selbstvertrauen
  • Mut, Motivation
  • Entschlossenheit
  • Gelassenheit
  • Freude über soziale Unterstützung und Erfolgserleben

Neue Verhaltensweisen:

  • Berufliche Veränderung wird konkret angegangen
3.3.1 Entstehung von Blockaden in beruflicher Um- und Neuorientierung (ABC)

Aktivierende Ereignisse (A)

Ausgangspunkt der Gedanken zur beruflichen Um- und Neuorientierung sind verschiedene Lebens- und Arbeitssituationen: Zum einen geben von außen einwirkende Ereignisse den Anstoß, wie eine nahende Kündigung oder ein auslaufender befristeter Arbeitsvertrag, Konflikte mit Kollegen, Kolleginnen oder Vorgesetzten am Arbeitsplatz oder ein kritisches Lebensereignis (z. B. schwere Krankheit, Trennung vom Lebenspartner). Zum anderen kann das Verlangen nach einer beruflichen Veränderung auch aus einem Menschen selbst heraus entstehen: Die erwerbstätige Person möchte noch umfangreicher Stärken und Talente in den Beruf einbringen, ihre Werte verwirklichen, eine Tätigkeit „mit Sinn“ ausüben, bestimmte Visionen umsetzen, oder sie befindet sich auf der Suche nach neuen Zielen, nachdem sie frühere Vorhaben erreicht hat oder feststellen musste, dass diese nicht wirklich ihren Vorstellungen entsprechen. Es kommt auch vor, dass Frauen und Männer nach familienbedingten Erwerbsunterbrechungen wieder in den Beruf einsteigen oder ihr berufliches Engagement ausbauen wollen.

Oft interagieren Merkmale der Person und Situation: Anforderungen der aktuellen Stelle sowie das Qualifikations- bzw. Interessenprofil einer Person passen nicht zusammen mit der Folge, dass sich diese unter- oder überfordert fühlt. Darüber hinaus können ein geringer Verdienst, fehlende Anerkennung der geleisteten Arbeit, häufige Mobilität und Abwesenheiten von der Familie sowie andere Arbeitsbedingungen für Unzufriedenheit sorgen.

„Beliefs“/Bewertungen (B)

Die genannten Ereignisse werden an dysfunktionale „Beliefs“ oder Bewertungen geknüpft. Dies sind Einstellungen, Überzeugungen, Interpretationen oder Schlussfolgerungen, welche dem Erreichen einer beruflichen Veränderung im Weg stehen. Dysfunktional bedeutet hier nicht – anders als in therapeutischen Kontexten –, dass die Beliefs unangemessen, irrational oder unrealistisch wären. Viele der Kognitionen sind durchaus der Situation angemessen, denn sie entsprechen menschlichen Reaktionen und Umgangsweisen mit Neuem, einer gewissen Vorsicht vor Unbekanntem und der Sorge um das eigene Wohl und dasjenige Anderer. Doch in ihrer Absolutheit und unreflektierten Verallgemeinerung halten sie von einem positiven, realistischen und adäquaten Durchdenken der beruflichen Veränderung ab. Sie demotivieren, sind einer rationalen Entscheidungsfindung weder zuträglich noch nützlich und stehen der Verwirklichung von Werten und Bedürfnissen im Beruf im Wege.

Konsequenzen (C)

Folge der dysfunktionalen Gedanken sind verschiedene, negativ besetzte Emotionen. Menschen im beruflichen Umbruch berichten von großer Unsicherheit, Anspannung, innerer Unruhe und Nervosität. Sie fühlen sich belastet, haben Selbstzweifel und andere Skepsis/Befürchtungen und zeigen sich zögerlich. Mitunter können die Emotionen sehr starke Ausprägungen annehmen, sich in Gefühlen der Frustration, konkreten Furcht oder verallgemeinerten Ängsten (z. B. vor dem Scheitern oder sozialem Ausschluss) äußern. Auf der Verhaltensebene zeigt sich die Tendenz, in der bisherigen beruflichen Tätigkeit auszuharren oder keine Schritte in Richtung einer Veränderung in Gang zu bringen.

3.3.2 Beispiele blockierender Denkmuster

Die hemmenden Denkmuster konnten in Anlehnung an die aus der REVT bekannten Derivate klassifiziert werden (Ellis/Hoellen 2004, 94f.). Innerhalb der übergeordneten Kategorien wurden verschiedene Unterkategorien gebildet.

Nachfolgend eine Auflistung der hemmenden Überzeugungen bzw. „Teufelchen“ (T) nach REVT-Systematik. Zu jeder Unterkategorie werden exemplarisch ein paar Kognitionen aufgeführt.

1. Verlust- und Katastrophendenken

(T1) Angst vor der Aufgabe von Sicherheiten

Diese Kategorie umfasst Denkmuster, bei denen die Personen zögern, in der aktuellen Beschäftigungssituation erreichte Sicherheiten aufzugeben. Das antizipierte Risiko ist entweder allgemein („Ich riskiere meine jetzigen Sicherheiten“), auf bestimmte Aspekte der aktuellen Beschäftigung bezogen („Ich gebe meine finanzielle Sicherheit auf“) oder generalisiert („Ich riskiere alles, was ich aufgebaut habe“, „Ich (…) verlasse ein Schiff, das mich trägt“).

(T2) Skepsis gegenüber dem Zeitpunkt

Personen mit diesen Denkmustern zweifeln, dass aktuell der richtige, das heißt der passende Zeitpunkt für eine berufliche Um- und Neuorientierung besteht. Die persönliche Situation („kurz vor der Rente“) oder die Lage auf dem Arbeitsmarkt („Es ist Krise!“) werden kritisch und als Hindernis für eine Veränderung bewertet. Oder eine Person appelliert an sich selbst, im bisherigen Job durchzuhalten („Durststrecken gehören dazu, wie in jedem Job“).

(T3) Angst vor dem Scheitern

In den Denkmustern wird antizipiert, dass die berufliche Um- und Neuorientierung nicht gelingen könnte („Das hat eh keinen Zweck“). Eine solche Situation würden die betreffenden Personen als Scheitern erleben und bewerten („Ich könnte scheitern“). Ressourcen zur Bewältigung eines negativen Szenarios werden nicht erkannt.

(T4) Angst vor Risiken

Ein mögliches Nichtgelingen des beruflichen Umbruchs wird mit schwerwiegenden Folgen bzw. Konsequenzen in Zusammenhang gebracht, die nicht konkret benannt, sondern diffus mitgedacht werden („Es könnte alles schief laufen. Und was dann?“, „Du bekommst neue Probleme dazu.“).

(T5) Furcht vor Beschäftigungslosigkeit und anderen konkreten Risiken

Die Denkmuster signalisieren Angst vor Beschäftigungslosigkeit und anderen konkreten Risiken. Die Personen fürchten sich davor, arbeitslos zu sein, die Probezeit nicht zu bestehen, „nie wieder einen Job“ zu finden oder „Hartz IV beantragen“ zu müssen. Einige dieser Befürchtungen sind realitätsbezogen (z. B. Verlust des neuen Arbeitsplatzes), andere sind das Ergebnis einer Negativspirale (z. B. NIE wieder eine Beschäftigung zu finden).

(T6) Furcht vor konkreten Nachteilen in der zukünftigen beruflichen Situation

Die Personen bewerten bestimmte Aspekte ihrer künftigen Beschäftigungssituation als nicht günstiger oder sogar nachteilig im Vergleich zu ihrer heutigen. Das neue Umfeld wird einen höheren Arbeitseinsatz und -anspruch erfordern („Ich muss 100% Leistung erbringen“), mit weniger Freiräumen einhergehen („Ich verliere meine Eigenständigkeit“), weniger Weiterentwicklungsmöglichkeiten bieten sowie mit zeitlichen, finanziellen und räumlichen Nachteilen bzw. Restriktionen verbunden sein („Der neue Job erfordert lange Strecken, Reisen oder Umzug“,„In der Probezeit bekomme ich keinen Kredit (z. B. für eine Küche)“).

(T7) Pauschale Abwertung zukünftiger beruflicher Situationen durch Vergleich

Es wird ein Vergleich zwischen der momentanen und einer künftigen Situation vorgenommen. Die Bilanz daraus fällt zu Ungunsten einer Um- und Neuorientierung aus. Typische Denkmuster sind: „Woanders ist es auch nicht besser“ oder „Ich kann mich nur verschlechtern“.

(T8) Furcht vor Verlust bisheriger sozialer Kontakte

Menschen in beruflichen Umbrüchen befürchten, durch einen Umzug und das Verlassen des bisherigen beruflichen und persönlichen Umfeldes soziale Kontakte zu verlieren („Ich verliere Freunde“, „… meine netten Kollegen“, „Ich gebe viele soziale Kontakte auf“). Der Verlust wird absolut wahrgenommen, ein Kontinuum zwischen Haben und Nichthaben oder verschiedene Beziehungsqualitäten von Bekanntschaften über Freundschaften bis hin zu Partnerschaften gibt es im Denken nicht.

2. Negative Zukunftsaussichten

(T9) Angst vor einer ungewissen Zukunft

In den Denkmustern drücken sich unbestimmte Ängste vor der Zukunft aus („Ich weiß nicht, was auf mich zukommt. Risiko!“).

3. Geringe Frustrationstoleranz: Scheu vor Veränderungen und den damit verbundenen Anstrengungen

(T10) Angst vor Veränderung

Veränderungen werden als bedrohlich bewertet („Veränderung ist gefährlich“), „Experimente“ werden abgelehnt.

(T11) Festhalten an konkreten Vorteilen der aktuellen beruflichen Situation

In den Denkmustern werden konkrete Vorteile der aktuellen beruflichen Situation betont: Das Gehalt, die Sicherheit, der erreichte Status („Du hast eine tolle Position“), im Beruf erfahrene fachliche und soziale Anerkennung („Ich habe gerade tolle Kollegen und ein tolles Team“) und das damit einhergehende persönliche Wohlbefinden („Eigentlich bin ich doch ganz zufrieden“).

(T12) Festhalten am Erreichten

Hinderliche Denkmuster nehmen hier Bezug auf alte „Weisheiten“, nach denen „Ein Spatz in der Hand (…) besser als die Taube auf dem Dach“ ist. Etwas, das gut ist und gut läuft, gibt man nicht auf. So heißt es: „Du kannst doch so einen tollen Job nicht aufgeben“ oder „Sei nicht undankbar“.

(T13) Scheu vor Aufgabe von Gewohnheiten

Denkmuster in dieser Kategorie beinhalten Überzeugungen, dass mit beruflichen Veränderungen aktuelle Gewohnheiten, Bequemlichkeiten oder vertraute Situationen verlassen werden oder nur noch beschränkt vorhanden sind: „Alles hat sich gut eingespielt: Ich bin wohl behütet, habe viele Routinen/Privilegien“ oder „Es ist schön bequem“.

(T14) Furcht vor physischer und psychischer Überlastung bei Veränderung

Berufliche Veränderungen werden mit körperlichen und seelischen Belastungen assoziiert. In einem Teil der Überzeugungen kommt der anzunehmende erhöhte Energie- bzw. Kraftaufwand zum Ausdruck („Ich muss meine Komfortzone verlassen“), was durchaus realistisch ist. Ein anderer Teil der Überzeugungen geht soweit, dass sich die Person diese Anstrengung nicht zutraut, sondern als Überlastung wertet („Habe ich die Energie?“, Ich weiß nicht, ob ich das schaffe“).

(T15) Furcht vor physischer und psychischer Überlastung durch Bewerbungsprozess

Eine spezielle Form von Anstrengung, die mit beruflichen Umbrüchen einhergeht, ergibt sich aus dem Bewerbungsprozess: Stellen suchen, Bewerbungsunterlagen anfertigen und verschicken, sich einem Auswahlverfahren und Vorstellungsgesprächen stellen, setzen Zeit und Energie voraus. Sich bewerben wird als „Schwerstarbeit“ bezeichnet.

(T16) Skepsis gegenüber neuen beruflichen und sozialen Kontakten

Mit einer beruflichen Um- und Neuorientierung wird die Anforderung einer sozialen Anpassung an das neue Umfeld verbunden („Ich muss mich auf neue Kollegen einlassen“). Dies beinhaltet auch das Risiko, mit den neuen Menschen nicht zurechtzukommen („Werde ich akzeptiert?“).

(T17) Furcht vor Trauer und Enttäuschung beim Verlassen des jetzigen Arbeitsplatzes

Berufliche Umbrüche bergen die Gefahr, Enttäuschungen und Trauer auf sich zu nehmen, die durch den Abschied von bisherigen Inhalten und Menschen hervorgerufen werden („Die Kündigung und der Abschied vom alten Arbeitgeber werden sehr traurig“ oder „Am Schluss bin ich enttäuscht“).

4. Selbstabwertung/Be- und Abwertung durch Andere

4.1 Selbstabwertung

(T18) Furcht vor Absagen im Bewerbungsprozess

Bewerbungsverfahren können zur Folge haben, dass Menschen Absagen erhalten. Diese werden von einem Teil der Personen negativ, aber als zu bewältigen angesehen („Ich werde auch mit Absagen leben müssen“). Für einen anderen Teil sind Absagen schwer erträglich und werden als persönliche Ablehnung gewertet („Ich riskiere (…), dass ich mich blamiere“).

(T19) Furcht vor Versagen/Inkompetenz der eigenen Person

Absagen im Bewerbungsverfahren bedeuten Konfrontation mit den eigenen Schwächen. Dies wird als persönliches Versagen und mit Inkompetenz der eigenen Person erklärt („Du bist nicht gut genug“).

(T20) Angst, den neuen Anforderungen nicht zu genügen

Wenn Menschen neue berufliche Wege gehen, fragen sie sich oft, ob sie den künftigen Anforderungen gewachsen sind. Hierbei wird nicht nur an die Arbeitsinhalte gedacht, sondern auch an die Voraussetzungen hinsichtlich der Qualifikation („Ich bin nicht fähig, mir fehlen Fach- und Schlüsselkompetenzen“). Schließlich stellen die Personen mitunter in Frage, das richtige Alter („Ich bin zu jung, zu alt“) oder Geschlecht („Als Frau habe ich weniger Chancen“) zu haben.

(T21) Fehlendes Selbstvertrauen in persönliche Fähigkeiten/Selbstentmutigung

„Das traust Du Dir nicht zu“, „Das, was ich will, bekomme ich ohnehin nicht“ oder „Ich misstraue dem Wechsel“ sind Aussagen mangelnden Selbstvertrauens in die eigenen Fähigkeiten. Sie können als Zeichen von Selbstentmutigung gewertet werden.

(T22) Entscheidungsunsicherheit/Furcht vor Übernahme der Verantwortung für eigene Entscheidungen

Zweifel resultieren aus Denkmustern, in denen Entscheidungsunsicherheit („Entscheide ich mich richtig?“, „Lohnt es sich überhaupt?“) und Furcht vor Übernahme der Verantwortung für eigene Entscheidungen („Ich könnte meine Entscheidung bereuen“) zu erkennen sind.

(T23) Furcht vor Selbstreflexion

Unter der Furcht vor Selbstreflexion wurde u. a. das Denkmuster „Ich muss mich mit mir selbst auseinandersetzen“ genannt.

(T24) Skepsis gegenüber eigenen Motiven

Wenige Personen verbalisieren Denkmuster, in denen sie ihren eigenen Motiven bzw. Beweggründen misstrauen: „Bin ich ruhelos? Fliehe ich vor was?“, „Du hast überzogene Ansprüche“ und „Ist es wirklich der Job?“ sind einige hier genannte Punkte.

4.2 Be- und Abwertung durch Andere

(T25) Furcht vor Status-, Rollen- und Qualifikationsverlust

Berufliche Veränderung steht im Denken von Menschen in Zusammenhang mit Status-, Rollen-, Image- und Qualifikationsverlusten. Denkmuster, in denen sich dieser Verlustgedanke widerspiegelt, sind zum Beispiel: „Ich muss wieder bei Null anfangen und meine Rolle neu erkämpfen“ oder „Ich muss wieder lernen, ganz unten anfangen und Kritik einstecken“.

(T26) Furcht vor negativen Reaktionen des sozialen Umfeldes

Ablehnungen durch Andere sind Befürchtungen, welche in Denkmustern wie „Was wird meine Familie dazu sagen?“ und „Ich verletze Menschen in meinem Umfeld“ oder sogar „Die Anderen halten mich für bekloppt“ zum Ausdruck gebracht werden. Die negativen Reaktionen des sozialen Umfeldes werden absolut gedacht. Unterscheidungen nach unterstützenden und nicht unterstützenden Personen bzw. mehr oder weniger stark entgegen gebrachtem Verständnis werden nicht vorgenommen.

(T27) Furcht, der Verantwortung gegenüber der Familie nicht gerecht zu werden

Eine soziale Bezugsgruppe großer Bedeutung stellt die Familie dar. Menschen in beruflicher Veränderung zeigen Denkmuster, in denen sie anzweifeln, ihrer Verantwortung für die Familie gerecht zu werden („Zieht die Familie mit? Will ich eine Fernbeziehung? Leidet die Familie? Kinderbetreuung?“, „(…) du bist der Ernährer, hast eine große Verantwortung“).

(T28) Furcht, der Verantwortung gegenüber dem jetzigem Vorgesetzten und Team nicht gerecht zu werden

Weiterhin empfinden Menschen in beruflichen Umbrüchen Verantwortung gegenüber ihren Vorgesetzten und ihrem Team. Denkmuster wie „Ich muss meinen jetzigen Chef und meine Kollegen enttäuschen“ oder „Ich kann doch die Anderen nicht im Stich lassen!“ können den Veränderungsprozess hemmen oder diesem entgegenstehen.

3.3.3 Disputation von Blockaden - Aktivierung motivierender Denkmuster (DE)

Disputieren (D)

Durch das Disputieren dysfunktionaler Gedanken werden kognitive Blockaden in Frage gestellt. Ziel ist eine Veränderung der Einstellung oder Überzeugung und damit eine Neubewertung der Situation.

Leitfragen der Disputation können zum Beispiel sein:

  • Was motiviert mich?
  • Was ist das Schlimmste, das passieren könnte? Wie wahrscheinlich ist das?
  • Wären die negativen Folgen wirklich so schrecklich?
  • Könnten wir diesen Sachverhalt auch anders betrachten?
  • Was ist gut daran? Was würde dies im positiven Sinne bedeuten?
  • Inwiefern könnte dieser Schritt meine Lebenssituation verändern?

Neben dem Disputieren können Satzanfänge genutzt werden, um neue, konstruktive Denkmuster zu generieren und einen Perspektivwechsel anzuregen. Anstelle des dysfunktionalen „Ich muss…“ kann ein Satz beispielsweise mit „Ich darf…, Ich habe die Chance..., Es ist interessant…, Ich gewinne…“ eingeleitet werden.

Effekte (E)

Als Ergebnis des Disputierens stehen für berufliche Umbrüche konstruktive Einstellungen und zielgerichtete Verhaltensweisen. Hemmende Denkmuster werden relativiert, neutralisiert oder eliminiert, wobei letzteres eher selten ist. Es geht darum, einen dem Wohlbefinden förderlichen Umgang mit den dysfunktionalen Haltungen zu gewinnen und sich neue, funktionale und motivierende Denkmuster anzueignen.

Unter den Kategorien motivierender Denkmuster bei beruflicher Um- und Neuorientierung sind lediglich drei, die mit einem Gefühlsbegriff bezeichnet wurden (E15: Freude auf neue Lernmöglichkeiten/Erfahrungsgewinn, E16: Freude auf neue Kontakte und neues soziales Umfeld, E27: Stolz/Zufriedenheit aufgrund des Ausprobierens). In den Kategoriennamen der motivierenden Denkmuster drückt sich sehr stark Rationalisierung aus.

Die „Engelchen“ bewirken eine gefühlsmäßige Neubewertung der Situation: Fortan überwiegen Sicherheit, Selbstvertrauen, Mut, Motivation, Entschlossenheit, Gelassenheit, Erfolgserleben und unter Umständen sogar Freude auf die zu erwartende soziale Unterstützung. Verhaltensänderungen in Richtung einer beruflichen Um- und Neuorientierung werden in Gang gesetzt.

3.3.4 Beispiele motivierender Denkmuster

Die motivierenden Denkmuster konnten übergeordneten Kategorien zugeordnet werden, die als Gegenpole zu den aus der REVT bekannten Derivaten gebildet wurden (Ellis/Hoellen, 2004, 94f.). Innerhalb der übergeordneten Kategorien wurden verschiedene Unterkategorien gebildet.

Nachfolgend eine Auflistung der motivierenden Überzeugungen bzw. „Engelchen“ (E). Zu jeder Unterkategorie werden exemplarisch ein paar Kognitionen aufgeführt.

1. Realistische Einschätzung der Wahrscheinlichkeit und Folgen/Erkennen einer realistischen Strategie/Rationalisierung

(E1) Relativieren/Hinterfragen von Katastrophendenken

Katastrophenphantasien können mit Fragen wie „Was ist das Schlimmste, das passieren könnte? Wie realistisch ist das?“ im Hinblick auf ihren Realitätsgehalt relativiert werden.

(E2) Bewusstmachen/Bekräftigen von Nachteilen der jetzigen beruflichen Situation

Motivierend für eine berufliche Um- und Neuorientierung kann es sein, sich die Nachteile der jetzigen beruflichen Situation vor Augen zu führen. Dies stärkt den Willen, ungünstig erlebte Aspekte in der aktuellen Beschäftigungssituation hinter sich zu lassen („Ich kann mich einer Konfliktsituation entziehen“, „Die jetzige Aufgabe macht mich nicht zufrieden“). Bei einem Teil besonders vorausschauender Denkmuster wird die Länge des Berufslebens in Betracht gezogen („Noch 10, 20, 30 Jahre diesen Job? Nein!“) oder die Sicherheit in Frage gestellt („Die Sicherheit trügt“).

(E3) Bewusstmachen/Bekräftigen von unspezifischen Vorteilen der zukünftigen beruflichen Situation

Die künftige Arbeit wird gegenüber der jetzigen als vorteilhafter bewertet, ohne dass dies im Detail erklärt wird. „Ich kann nur gewinnen“ oder „Es öffnen sich neue Türen“ sind typische Denkmuster in dieser Kategorie genauso wie die zum Titel dieses Artikels gemachte Aussage „Das Gras auf der anderen Seite des Hügels ist immer grüner“.

(E4) Bewusstmachen/Bekräftigen von konkreten Vorteilen der zukünftigen beruflichen Situation

Hier werden einer Beschäftigung in der Zukunft verschiedene Vorteile zugeschrieben. Arbeitsinhalte, Arbeitsweisen, Arbeitsbedingungen, Zeitfaktoren und Betriebsklima werden als günstiger angesehen im Vergleich zum aktuellen Stand („Ich habe eine Arbeit, die mich erfüllt“, „Ich kann interessantere Dinge tun“, „Ich habe mehr Gestaltungsspielraum“). Berufliche Umbrüche bergen die Chance auf Statusgewinn/Rollenwechsel sowie auf Gehaltserhöhung („Ich kann meine Rolle neu definieren“, „Die Stelle ist besser bezahlt“). Letztlich erhoffen sich die Personen auch eine verstärkte Umsetzung ihrer Qualifikationen und Talente, durch die ihre persönliche Flexibilität gefördert wird („Ich kann mehr, als ich bisher zeigen konnte“, „Ich werde viel lernen und erfahren“, „Du beweist Flexibilität“). Der Aufbau oder die Beibehaltung von Sicherungen („Ich verringere mein Lebensrisiko“ – Purser bei einer Fluggesellschaft in Anspielung auf Aufenthalte in Ländern mit hoher Kriminalitätsrate) runden das Spektrum der Vorteile ab.

(E5) Vertrauen in den passenden Zeitpunkt

In dieser Kategorie finden sich Überzeugungen, die dafür sprechen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel ist: „Wenn nicht jetzt, wann sonst?“ und „Es ist nie zu spät das zu sein, was du sein hättest können“ sind entsprechende Denkmuster.

(E6) Akzeptanz von Risiken/Zuversicht durch Sicherheiten/Schritt-für-Schritt-Vorgehen

Risiken werden überschau- und annehmbarer, wenn eine Person in kleinen Schritten und zielgerichtet vorgeht („Ich baue mir eine Treppe, gehe Schritt für Schritt“). In einigen Denkmustern drückt sich eine allgemeine Akzeptanz von Risiken aus, zum Beispiel „Ohne Risiko kein Gewinn“ und „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, der hat schon verloren“.

2. Optimistische Grundhaltung

(E7) Wille zur Umsetzung von Zielen

Hier wurden die Denkmuster „Ich habe ein Ziel vor Augen“ und „Ich habe eine sinnvolle Idee“ genannt.

(E8) Bewusstmachen des Erfolgs anderer

„Andere haben es auch geschafft“ ist eine Erkenntnis, bei der durch Bezugnahme auf die Erfahrungen anderer Motivation geschaffen werden kann.

(E9) Gelassenheit gegenüber gescheiterten Versuchen/Zuversicht

In Denkmustern wie „Ich habe es versucht und muss verpassten Gelegenheiten nicht nachtrauern“ spiegelt sich eine optimistische Grundhaltung par excellence wieder. Den Personen ist es wichtig, die berufliche Um- und Neuorientierung versucht zu haben und sie sind überzeugt, im Falle des Nichtgelingens Unterstützung zu bekommen und über Bewältigungskompetenzen zu verfügen („Krisen können überbrückt werden“).

(E10) Erkennen von Alternativen und Auswegen bei Nichtgelingen

„Es gibt immer Plan B“, „Es gibt eine weitere Chance“ und sogar „[Nach einer Absage] kommt noch was Besseres“ sind Denkmuster, welche die Überzeugung beinhalten, im Fall des Nichtgelingens des beruflichen Umbruchs einen alternativen Weg gehen zu können („Ich finde immer irgendwas“).

3. Hohe Frustrationstoleranz

(E11) Akzeptanz von Veränderungsprozessen/Selbststeuerung

Veränderungen werden allgemein akzeptiert („Das Leben ist Veränderung“) oder sind sogar positiv konnotiert („Veränderungen sind aufregend“). Sie werden antizipiert, und zwar auch dann, wenn die Person nichts tut („Die Veränderung kommt ohnehin“). Mit dem Einleiten der Veränderung gewinnt die Person an Selbststeuerung. Sie wehrt damit Entwicklungen ab, bei denen es „mit ihr geschieht“.

(E12) Bereitschaft/Freude zur Annahme neuer Herausforderungen

Berufliche Umbrüche werden als „Herausforderung“ statt als ein bedrohliches Geschehen bezeichnet („Ich freue mich auf die Herausforderungen“).

(E13) Freude auf Neues/Mut zum Neuanfang

Der Neuanfang wird grundsätzlich positiv bewertet („Auf zu neuen Ufern“, „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, „Tapetenwechsel tut gut“, „Raus aus der Routine“).

(E14) Interesse an neuen Aufgaben/Erfahrungen/Erkenntnissen

Neue Aufgaben und Erfahrungen werden als Chance zum Erkenntnisgewinn und sinnstiftend erlebt („Ich gewinne neue Impulse“, „Ich habe neue, interessantere und sinnvolle Aufgaben“, „Ich mag den Blick über den Tellerrand“).

(E15) Freude auf neue Lernmöglichkeiten/Erfahrungsgewinn

Die Option, Neues zu lernen, wird als berufliche („Ich darf Neues lernen“) bzw. persönliche Weiterentwicklung („Ich habe die Chance, mich persönlich weiterzuentwickeln“) wahrgenommen und durch Gewinn an zusätzlichen Erfahrungen aufgewertet („Ich gewinne an Erfahrung“, „Ich bekomme neue Sichtweisen von Dingen“).

(E16) Freude auf neue Kontakte und neues soziales Umfeld

Neuen Kontakten im beruflichen und privaten Umfeld sowie einer neuen Umgebung wird positiv entgegen gesehen („Ich lerne neue Menschen kennen“, „Ich freue mich auf eine neue Stadt“).

(E17) Wahrnehmen der eigenen Energieressourcen

Der Gedanke an die eigenen Energieressourcen („Ich habe viel Energie und bin bereit, diese zu nutzen“) fördert die Motivation für Veränderungen („Im Tun erwächst mir Kraft“).

(E18) Bereitschaft und Engagement zum Beibehalten bisheriger sozialer Kontakte

Bisherige Kontakte müssen nicht aufgegeben, sondern können weiter gepflegt werden („Mit den alten Kollegen kann ich auch so in Kontakt bleiben“) oder sie werden in absehbarer Zeit ohnehin bei der Arbeit nicht mehr gegeben sein („Die gehen in zwei Jahren in den Ruhestand“).

4. Positive Bewertung eigener Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse/Hoffnung auf Anerkennung durch relevante Andere

4.1 Positive Selbstbewertung

(E19) Vertrauen in eigene Fähigkeiten

In dieser Kategorie stehen Denkmuster, in denen ein allgemeines Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Selbststeuerung zum Ausdruck kommt, z. B. „Du kannst es“ oder „Du bist deines eigenes Glückes Schmied“).

(E20) Bewusstmachen eigener Fähigkeiten

Hier werden die eigenen Fähigkeiten aktualisiert und konkretisiert, z. B. „Ich habe Lebens- und Berufserfahrung“, „Ich habe die Voraussetzungen und kann mich einarbeiten oder „Ich habe auch schon andere Situationen gemeistert“.

(E21) Erkunden weiterer Fähigkeiten

Berufliche Um- und Neuorientierung kann von einer Person als Chance genutzt werden, weitere Fähigkeiten in sich zu entdecken („Erprobe das, was in dir steckt“, „Ich lerne viel über mich selbst“).

(E22) Bedürfnis nach beruflicher Selbstverwirklichung/Spaß und Freude an einer anderen Tätigkeit

Eine neue Tätigkeit wird aus einem Bedürfnis nach beruflicher Selbstverwirklichung sowie in der Hoffnung auf Spaß und Freude in einer anderen Tätigkeit angestrebt. Denkmuster wie „Ich kann mich selbst verwirklichen“, „Ich bekomme mehr Spaß und Sinn“, „Das wollte ich schon immer machen, das war mein Traum“ und „Ich wachse und werde stärker“ stützen diese Motive.

(E23) Aufwertung der Selbstbestimmung

Personen mit diesen Überzeugungen machen sich Selbstbestimmung als maßgeblichen, ihr Leben leitenden Wert bewusst. Zwei entsprechende Denkmuster lauten: „Ich kann (…) mein Leben selbstbestimmt führen“ oder „Ich gewinne Unabhängigkeit“.

(E24) Vertrauen in eigene Entscheidungen

In den Denkmustern „Ich stehe zu meiner Entscheidung“ und „Ich übernehme Verantwortung für meine Entscheidungen“ drückt sich Vertrauen in die eigenen Entscheidungen sowie die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für getroffene Entscheidungen aus.

(E25) Wahrnehmen der Möglichkeit persönlichen Wachstums/Selbstüberwindung

Aufgaben, Erfahrungen und Herausforderungen sind Gelegenheiten, persönliches Wachstum zu fördern („Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben“, „Ich werde als Mensch noch interessanter“). Selbstüberwindung kann dadurch angespornt werden („Ich kann meine Ängste überwinden und daran wachsen“, „Wachstum gibt es nur außerhalb der Komfortzone“).

(E26) Neugierde auf den Bewerbungsprozess

Personen mit entsprechenden Denkmustern gewinnen Bewerbungsverfahren positive Aspekte ab, zum Beispiel kann der eigenen Marktwert sondiert werden („Ich teste meinen Marktwert“) und es werden Rückmeldungen über das eigene Profil eingeholt („Ich bekomme Feedback über Stärken und Lernfelder“).

(E27) Stolz/Zufriedenheit aufgrund des Ausprobierens

Die Veränderung probiert zu haben, wird mit Stolz und Zufriedenheit assoziiert. „Ich bin stolz, es probiert zu haben“, „Wenn ich es nicht versuche, werde ich es nie wissen“ und „Es ist ein tolles Gefühl zu sagen: ‚Wow, ich habe es geschafft‘“ sind entsprechende Denkmuster.

(E28) Positives Reframing

Potenzielle Schwächen werden positiv umgedeutet („Meine Schwächen sind meine Stärken“, „Alter ist Erfahrung“, „Einfach kann jeder“).

4.2 Anerkennung durch relevante Andere

(E29) Zuversicht bei der Integration in ein neues Team

Die Personen sind zuversichtlich, sich in neue Arbeitsgruppen integrieren zu können („Es gibt Teams, die meine Art mögen“, „Ich habe vielleicht mehr Harmonie“).

(E30) Bewunderung/Anerkennung durch Andere

Andere werden die Veränderungen annehmen oder sogar bewundern („Familie und Umfeld können der Veränderung zustimmen und es bewundern“).

3.4 Interventionen zur Verinnerlichung motivierender Gedanken und zur Distanzierung von blockierenden Denkmustern

Um die Identifikation mit den neuen, produktiven Denkmustern zu fördern und sicherzustellen, dass sie ihre positive Wirkung entfalten können, bedarf es einer Einübung. Von beruflichen Umbrüchen betroffene Menschen können sich die motivierenden Denkmuster regelmäßig aufsagen, sie auf Zettel schreiben und sich immer wieder (z. B. auch durch Ankern mit positiv besetzten Gegenständen) vor Augen führen.

In Seminaren und Beratungen werden sog. Engelchen-Teufelchen-Dialoge praktiziert, bei denen die Person, die berät, die Ratsuchenden mit ihren Blockaden konfrontiert. In der Anleitung der Übung kann davon gesprochen werden, dass die Beratungsfachkraft in die Rolle des „schlechten Gewissens“ hineingeht. Die Ratsuchenden haben die Aufgabe, mit einem „Engelchen“ auf das von der Beratungsfachkraft genannte „Teufelchen“ zu kontern. In Tabelle 4 sind zu einigen „Teufelchen“ passende „Engelchen“ exemplarisch gegenübergestellt.

Der Prozess der Verinnerlichung wird ferner von sog. „Engelchentagen“ gestützt, das sind Tage oder Zeitschienen an einem bestimmten Wochentag, während der eine Person die motivierenden Denkmuster besonders präsent hat und aus diesen heraus handelt.

Eine ähnliche Zielrichtung verfolgt die „So-tun-als-ob-Strategie“, bei der eine Person so tut, als hätte sie ihr berufliches Ziel bereits erreicht und sie auf diese Weise Probehandlungen in Gedanken oder mitunter sogar in der Realität durchführt.

Tabelle 4: Gegenüberstellung blockierender Kognitionen und motivierender Denkmuster

Blockierende Denkmuster („Teufelchen“) Motivierende Denkmuster („Engelchen“)
(T1) Angst vor der Aufgabe
von Sicherheiten
  • Ich riskiere alles, was ich aufgebaut habe.

(E1) Relativieren/Hinterfragen
von Katastrophendenken

Was ist das Schlimmste, das passieren könnte? Wie realistisch ist das?

(T9) Angst vor einer ungewissen Zukunft
  • Was kommt dann?
  • Ich weiß nicht, was auf mich zukommt. Risiko!
  • Vorsicht!
(E9) Gelassenheit gegenüber gescheiterten Versuchen/Zuversicht
  • Ich habe es versucht und muss verpassten Gelegenheiten nicht nachtrauern.
  • Die meisten bereuen, was sie nicht gemacht haben, nicht, was schief ging.
  • Krisen können überbrückt werden.
(T8) Furcht vor Verlust bisheriger sozialer Kontakte
  • Ich verliere meine netten Kollegen.
  • Ich verliere Freunde, gewohntes Umfeld, vertraute Rolle.

(E29) Zuversicht bei der Integration in ein neues Team

  • Es gibt Teams, die meine Art mögen.
  • Ich habe bessere Arbeitskollegen.
  • Ich habe vielleicht mehr Harmonie.

(E30) Bewunderung/Anerkennung durch Andere

  • Familie und Umfeld können der Veränderung zustimmen und es bewundern.

(T10) Angst vor Veränderung

  • Veränderung ist gefährlich! Was könnte alles passieren!
  • Bloß keine Veränderung/Experimente.
(E11) Akzeptanz von Veränderungsprozessen/Selbststeuerung
  • Irgendwann kommt ohnehin eine Veränderung. Noch 10/20/30 Jahre kann ich hier nicht bleiben.
  • Nimm die Dinge selbst in die Hand. Irgendwann kommt ohnehin die Veränderung.
(T19) Furcht vor Versagen/Inkompetenz der eigenen Person
  • Du bist nicht gut genug.
  • Ich schaffe das nicht.
  • Werde ich die Erwartungen erfüllen?
(E27) Stolz/Zufriedenheit aufgrund des Ausprobierens
  • Ich bin stolz, es probiert zu haben.
  • Der Versuch ist Gold wert.

Doch motivierende Denkmuster wirken nicht für sich allein; entscheidend ist, dass sie stets an eine individuelle und realistische berufliche Strategie/Karriereplanung („Treppe“) gekoppelt sind. Sie haben keinen Selbstzweck, sondern sind stets im Kontext eines bestimmten Ziel und Zwecks zu verstehen.

4 Diskussion und Fazit

Die Analyse der Kognitionen zeigt, dass berufliche Veränderungen hochgradig ambivalent besetzt sind: Einerseits möchten die Betroffenen am Status Quo festhalten, andererseits streben sie nach einer Optimierung ihrer aktuellen Erwerbssituation.

Die hier vorgestellten konzeptionellen Ansätze und empirischen Befunde verdeutlichen, dass ein Verständnis von Kognitionen und die beraterische Arbeit mit diesen im Zuge beruflicher Umbrüche unerlässlich sind. Die Relativierung blockierender Gedanken und die Stärkung motivierender Denkmuster bilden einen Schlüssel zur Umsetzung beruflicher Strategien. Daneben ist es entscheidend, eine allgemeine Übergangskompetenz auszubauen, die Menschen befähigt, Lösungen zu konkreten Handlungsaufforderungen und Rollenerwartungen zu entwickeln und sie auf künftige Veränderungen vorzubereiten.

Die Biografie- und Bildungsforschung kann die hier ermittelten Befunde als Anregung nehmen, die Denkmuster in beruflichen Umbrüchen näher zu beleuchten und dabei die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlich konstruierten Erwartungen und eigenen Ansprüchen des Individuums sowie dem Zusammenspiel mit dem Anlass der Neuorientierung (z. B. aktuell Flucht und Migrationsbewegung) nachzugehen. Es ist anzunehmen, dass Kognitionen auch Ergebnis biografischer Erfahrungen sind und sie sich im Laufe des Lebens wandeln. Eine engere Verflechtung pädagogischer Übergangsforschung mit kognitionspsychologischen Ansätzen wäre ebenso hinsichtlich der Weiterentwicklung praktischer Beratungsansätze wünschenswert, denn die Stärkung individueller Übergangskompetenzen als zentrales Arbeitsfeld ist sowohl in institutionellen (Jobcenter, Arbeitsagentur, Träger usw.) als auch außerinstitutionellen Einrichtungen (Therapie, Coaching, Alltagsberatung) nicht nur sehr verbreitet, sondern auch mit hohen staatlichen und privaten Investitionen verbunden.

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Zitieren des Beitrags

Franzke B./Böhnke, K./Diaz, M. (2015): Erwachsene im beruflichen Umbruch – eine Analyse funktionaler und dysfunktionaler Denkmuster. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 29, 1-24. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe29/franzke_etal_bwpat29.pdf (15-12-2015).