bwp@ 29 - Dezember 2015

Beruf

Hrsg.: Martin Fischer, Karin Büchter & Tim Unger

Ein Modell zur Beschreibung beruflicher Inhalte

Beitrag von Robert Helmrich & Michael Tiemann
bwp@-Format: Forschungsbeiträge

Der Wandel beruflicher Inhalte ist empirisch schwer zu fassen. Der Beitrag stellt ein dreidimensionales Modell vor, mit dem auf Grundlage von Individualdaten genau das erreicht wird. Es ermöglicht, einzelne Berufe, Tätigkeiten und Anforderungen sowohl im Laufe der Zeit in ihrer Entwicklung darzustellen, wie auch zu einem Zeitpunkt im Vergleich zu anderen Berufen/Tätigkeiten/Anforderungen.

Das Modell basiert auf Vorarbeiten von Autor et al. (2003) zum task-approach, um die Routineanteile eines Berufes oder einer Tätigkeit zu beschreiben, die durch ihre Programmierbarkeit gekennzeichnet sind. Die Objektdimension ist angelehnt an die „people vs. things“ Dimension der amerikanischen World-of-Work-Map (Prediger/Swaney 2004). Anforderungen an Wissensarbeit, also die kognitiven Aspekte des Berufes, werden mit Hilfe des Ansatzes zur Typisierung von Wissensarbeitern von Volkholz/Köchling (2001) und Tiemann (2015) dargestellt.

Den Anforderungen der Operationalisierung der Dimensionen entsprechend kann das Modell auch auf die Anforderungen von Betrieben an Bewerberinnen und Bewerber sowie Erwerbstätigen auf berufliche(n) Positionen angewendet werden. So kann die betriebliche Sicht der Erwerbstätigensicht gegenübergestellt werden.

Damit können die Routine-, kognitiven und interaktiven Inhalte beruflicher Tätigkeiten analysiert werden. Im Beitrag geschieht dies am Beispiel von Berufen der chemischen Industrie, im Bereich der erneuerbaren Energien (jeweils auch auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus) sowie von Tätigkeiten in den nicht akademischen Gesundheitsberufen, um das breite Einsatzspektrum des Modells zu zeigen.

A model for describing occupational content

English Abstract

The change in occupational content is difficult to define in empirical terms. The article presents a three-dimensional model that accomplishes this very goal on the basis of individual data. The model permits the presentation of the development in specific occupations, activities and requirements both over time and at a certain point in time in comparison with other occupations/activities/requirements.

The model is based on previous research papers by Autor et al. (2003) on the subject of task approach, the aim being to define those routine components of an occupation or activity that are programmable. The object dimension draws on the "people vs. things" dimension of the American World-of-Work Map (Prediger/Swaney 2004). Requirements concerning knowledge work, i.e. the cognitive aspects of an occupation, are illustrated by means of the approach developed by Volkholz/Köchling (2001) and Tiemann (2015) to classify knowledge workers by type.

In keeping with the requirements to operationalise the dimensions, the model can also be applied to what companies require from applicants and employees from their (occupational) positions. This makes it possible to draw a comparison between the company view and the employee view.

This allows the routine, cognitive and interactive contents of occupational activities to be analysed. This is done in the article with the aid of examples of occupations in the chemical industry and in the field of renewable energies (also on different requirement levels) and of activities in non-academic health occupations in order to illustrate the model's broad application spectrum.

1 Die Suche nach neuen beruflichen Anforderungen, Tätigkeiten und Fertigkeiten

Betriebliche Anforderungen[1] sind einem ständigen Wandel unterworfen. Auch das Bildungssystem und die Bildungs- und Berufsentscheidungen junger Menschen verändern sich laufend. Sie folgen einer Vielzahl von Megatrends. Zu den langfristig wirkenden Megatrends (Helmrich/Hummel/Neuber-Pohl 2015) gehören die Globalisierung, der technologische Fortschritt, die Digitalisierung der Produktion, der demografische Wandel (national und international) und die internationale Migration, der starke Anstieg an akademischen Abschlüssen, die Ressourcenknappheit oder auch der Klimawandel.

Andere Megatrends, wie die Ökologisierung, die Work-Life-Balance, Gesundheitsvorsorge, Urbanisierung und Mobilität, aber auch die veränderten Beschäftigungsverhältnisse, zeigen ihre Wirkungen bei den beruflichen Anforderungen nur mittelbar, aber dafür nicht minder bedeutsam.

Das Suchen nach neuen Anforderungen und Tätigkeiten folgt dem Ziel, die Fragen zu beantworten, ob eine (curriculare) Anpassung beruflicher Inhalte notwendig ist und wenn ja, welche.

Veränderungen können Ungleichgewichte hinsichtlich der quantitativen (es stehen nicht mehr genügend qualifizierte Erwerbspersonen zur Verfügung oder der Bedarf an entsprechend qualifizierten Fachkräften sinkt schneller als das Angebot an qualifizierten Fachkräften) als auch qualitativen Passung (die Fachkräfte sind den Anforderungen nicht gewachsen, ihre erlernten Kompetenzen reichen dafür nicht aus) auf dem beruflichen Arbeitsmarkt verursachen.

Für die Berufsbildung sind dabei zwei Größen bedeutsam:

1. Welcher Art ist die Veränderung der beruflichen Anforderung?

2. Können die neuen Anforderungen quantitativ und/oder qualitativ durch die bestehenden Berufsbilder und den in ihnen vermittelten Kompetenzen gedeckt werden?

Die gesuchten Unterschiede oder Veränderungen werden sichtbar gemacht mit Hilfe eines Modells zur Beschreibung beruflicher Inhalte nach drei Dimensionen. In diesem Modell können Unterschiede zwischen Berufen oder Branchen gezeigt werden, aber auch Veränderungen über die Zeit innerhalb von Berufen (oder Branchen oder Tätigkeiten). Außerdem erlaubt es, bei entsprechender Datenlage, die Perspektive von Erwerbstätigen der von Betrieben gegenüberzustellen. Je nachdem, wie die Antworten ausfallen, ist ein anderer Handlungsdruck für die Berufsbildung gegeben.

Anhand von drei Beispielen, nämlich Gesundheitsberufen ohne Approbation (Entwicklungen über die Zeit innerhalb eines Berufsfeldes), Berufen in der Chemiebranche (Entwicklungen über die Zeit in einer Reihe von Berufen einer Branche) und den Tätigkeiten im Bereich Erneuerbarer Energien (Unterschiede in Berufen in unterschiedlichen Branchenkontexten zum gleichen Zeitpunkt), soll dies exemplarisch dargestellt werden.

2 Quantitative Engpässe auf dem Arbeitsmarkt: Hinweise aus den Qualifikations- und Berufsfeldprognosen

Die zukünftigen Entwicklungen sind nicht monokausal. Die Vielzahl von Trends und eine fast unendlich große Anzahl an Einflussfaktoren bedingen sie. Es ist schier unmöglich, einzelne Faktoren in ihren zukünftigen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt isoliert zu betrachten und erst recht die Wechselwirkungen verschiedener Faktoren simultan mit in die Betrachtung einzubeziehen. Doch gerade diese Wirkungen und Wechselwirkungen sind wichtig, um politische und ökonomische Entscheidungen und die daraus entstehenden Prozesse und deren Wirkungen bewerten zu können.

Die Veränderung im Bildungsverhalten junger Menschen, die Bevölkerungsentwicklung, die ersten Stufen der Digitalisierung der Wirtschaft, die Energiewende usw., alle diese Faktoren bedingen den Bedarf nach Fach- und Arbeitskräften sowie das entsprechende Angebot auf dem Arbeitsmarkt.

In der aktuellen 3. Welle der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen (Maier et al. 2014) zeigt sich, dass unter Berücksichtigung des Arbeitszeitvolumens sich insgesamt eine aus der Sicht der Unternehmen entspannte Lage des Arbeitsmarktes im Jahre 2030 (Abbildung 1) einstellt. Gerade in den Berufshauptfeldern „Gastronomie- und Reinigungsberufe“ aber auch in den „Verkehrs-, Lager-, Transport, Sicherheits-, Wachberufen“ ist noch ein durchaus ausreichendes Arbeitsangebot nach Stunden vorhanden auch wenn andererseits die Zahl der dort beschäftigten Personen knapp wird.

Quelle: Mikrozensen und Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes. Berechnungen und Darstellungen QuBe-Projekt, dritte Welle vgl. Maier et al.. 2014, 11.

Abbildung 1: Differenzen von Angebot und Bedarf auf der Berufshauptfeldebene nach Personen und StundenAbbildung 1: Differenzen von Angebot und Bedarf auf der Berufshauptfeldebene nach Personen und Stunden

Auch bei den „Medien-, Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Berufen“ (10), aber auch im verarbeitenden Gewerbe und den entsprechenden Berufen dieser Branche und vor allem bei den „Gesundheits- und Sozialberufen, Körperpflegern“ (11) wäre dies rein rechnerisch der Fall. Bei Letzteren ist das vorhandene Stundenangebot aber vor allem in den Sozialberufen vorzufinden. Bei den „Gesundheitsberufen ohne Approbation“ (vgl. Abbildung 2) liegt die relative Differenz in Stunden im Jahre 2030 bei -1 Prozent. Bedenkt man, dass beispielsweise unter den Berufshauptfeldern die „Rechts-, Management- und Wirtschaftswissenschaftlichen Berufe“ im Jahre 2010 mit 9 Prozent den geringsten Angebotsüberhang in Stunden aufwiesen, so wird deutlich, dass Rekrutierungsschwierigkeiten nicht erst dann entstehen, wenn das Arbeitsvolumenpotential nicht ausreicht, sondern bereits dann, wenn die relative Differenz weniger als 10 Prozent beträgt. Dies gilt auch für die Kernberufe in der Chemiebranche, die vor allem im Berufshauptfeld 3 „Maschinen und Anlagen steuernde und wartende Berufe“ und im Berufshauptfeld 8 „Technisch-naturwissenschaftliche Berufe“ ihren Schwerpunkt haben.

Die Entwicklungen im Berufsfeld „Gesundheitsberufe ohne Approbation“lassen sich dagegen nicht alleine über die beschriebenen Marktmechanismen erklären. Dieses Berufsfeld beinhaltet Kranken- und Altenpflegekräfte sowie Arzthelferinnen und -helfer und stellt knapp über die Hälfte der Erwerbstätigen im Berufshauptfeld 11 „Gesundheits- und Sozialberufe, Körperpfleger“. Hier konnten trotz Arbeitskräfteengpässen bereits in der Vergangenheit keine starken Lohnreaktionen festgestellt werden. Aufgrund der zunehmenden Engpässe in alternativen Berufsfeldern verschlechtert sich deshalb das Verhältnis des Eigenlohns im Vergleich zum alternativen Referenzlohn. Da aber gleichzeitig in der Vergangenheit auch keine Reaktion der Erwerbspersonen auf die Lohnentwicklung feststellbar war, hat dies im Gegensatz zu den „Bauberufen, Holz-, Kunststoffbe- und -verarbeitung“ keine Auswirkungen auf den Stayer-Anteil (vgl. Hall 2012). Dieser geht lediglich altersbedingt bis zum Jahre 2030 leicht zurück.

Abbildung 2: Entwicklung im Berufsfeld 48: „Gesundheitsberufe ohne Approbation“. Quelle: Maier et al. (2014, 9)Abbildung 2: Entwicklung im Berufsfeld 48: „Gesundheitsberufe ohne Approbation“. Quelle: Maier et al. (2014, 9)

Aber es handelt sich hier nicht nur um einen quantitativen Engpass. Ist das Problem der Gesundheitsberufe nur ein drohender quantitativer Engpass oder aber haben sich die Anforderungen so geändert, dass die beruflichen Inhalte sich verändert haben und wenn ja, welcher Art? Die quantitativen Veränderungen in diesen Arbeitsmarktsegmenten sind relativ gut abbildbar, für die inhaltliche Betrachtung benötigt man aber sowohl die Sicht der Beschäftigten als auch die der Arbeitgeber.

Auch geändertes Bildungsverhalten lässt sich ebenfalls relativ leicht beobachten und in seinen mittel- und langfristigen Wirkungen in Modellen projizieren (QuBe-Szenarien). Andere Veränderungen sind jedoch nicht immer so leicht beobachtbar und messbar, da für sie keine statistische Abgrenzung vorliegt. Dies ist z. B. bei der Energiewende in Deutschland und dem Ausbau der Erneuerbaren Energie der Fall.

Während z. B. der Gesundheitsbereich in den amtlichen Daten genau spezifiziert wird, wird die regenerative Energiegewinnung bislang nicht differenziert ausgewiesen sondern z. B. in der Branchenstatistik und der VGR gemeinsam mit der konventionellen Energiegewinnung aufgeführt.

Die Frage, die aber die Berufsbildung interessiert, lautet: Werden durch die Energiewende in Deutschland an Beschäftigte in diesem Tätigkeitsfeld neue und nicht in der Ausbildung vermittelte Anforderungen gestellt? Sind hier etwa neue Berufe notwendig?

3 Passung von Qualifikationen und Anforderungen am Arbeitsplatz und Beschreibung beruflicher Inhalte

3.1 Daten und Erhebungskonzepte

Die Untersuchung der quantitativen Passung, der qualifikatorischen Passung und der Anforderungen am Arbeitsplatz setzt eine Vielzahl an Merkmalen und Daten voraus.

Zum einen sind für eine hinreichende Analyse Informationen beider Marktseiten (Betrieb und Erwerbstätiger) notwendig. Zum zweiten sind Daten zum quantitativen Bedarf an Erwerbstätigkeit als auch zu den qualifikatorischen Anforderungen und den beruflichen Tätigkeiten notwendig. Auf der Angebotsseite werden vor allem Daten zu den spezifischen beruflichen Qualifikationen benötigt. Weitere Anforderungen an die Daten sind Repräsentativität sowohl im Quer- als auch im Längsschnitt und eine hinreichende berufliche Differenzierung.

Für die quantitative berufliche Arbeitsmarktbetrachtung bietet der Mikrozensus in Deutschland eine differenzierte Datengrundlage. Ergänzt mit Daten der beruflichen und tätigkeitsbezogenen Differenzierung aus der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung können die benannten Datenanforderungen gedeckt werden.

Der Mikrozensus ist eine gesetzlich geregelte Haushaltsstichprobe. Aufgrund der Stichprobengröße ist er geeignet, den Datenanforderungen hinsichtlich Repräsentativität und beruflicher Differenzierung gerecht zu werden. Zur Erhebung der Daten werden jährlich ein Prozent der deutschen Bevölkerung befragt, wobei die befragten Personen für vier Jahre in der Hauptstichprobe verbleiben (vgl. ausführlicher Lüttinger/Riede 1997).

Bei der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 (Hall et al. 2015) handelt es sich um eine Repräsentativbefragung von 20.000 Erwerbstätigen in Deutschland, die gemeinsam vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführt wurde. Ziel der Erhebung ist es, differenzierte, repräsentative Informationen über Erwerbstätige und Arbeitsplätze in Deutschland für Forschungsfragen der quantitativen Berufs- und Qualifikationsforschung und der Arbeitsschutzberichterstattung bereit zu stellen. Im Mittelpunkt der Befragung stehen daher zum einen Fragen zum Arbeitsplatz (Tätigkeitsschwerpunkte, Anforderungsniveau, Kenntnisanforderungen, Arbeitsanforderungen, Weiterbildungsbedarf, Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen etc.), zum anderen wird der Zusammenhang zwischen Bildung und Beschäftigung thematisiert (Schul-, Aus- und Weiterbildung, Berufsverlauf, ausbildungsadäquate Beschäftigung, Berufswechsel, Verwertbarkeit beruflicher Qualifikationen, etc.). Verschiedene Berufssystematiken erlauben dabei eine differenzierte Darstellung nach Erwerbs- und Ausbildungsberufen. Für Vergleiche über die Zeit werden außerdem Daten der BIBB/BAuA-Erwerbtstätigenbefragung 2006 (Hall/Tiemann 2009) genutzt.

Die Vergleichbarkeit setzt aber zudem einheitliche Systematiken voraus. Für die qualifikatorische Passung wird dabei zumeist auf die ISCED 2006 zurückgegriffen. Daten müssen auch einheitlichen Branchen- (WZ 08) und Berufssystematiken (KldB 1998, 2010, BIBB-Berufsfelder) folgen. 

Für die Erhebung der betrieblichen Sicht und die Erfassung betrieblicher Veränderungen sind i. d. R, Betriebsbefragungen angezeigt. Hierzu kann auf bestehende Betriebspanels zurückgegriffen werden oder aber es können z. B. über Stellenanzeigenanalysen relevante Branchen und Berufe erfasst werden.

3.2 Passung von Qualifikation und Anforderungen am Arbeitsplatz

Die verfügbaren Daten erlauben, die Passungen zwischen Anforderungen und Qualifikationen auf der Ebene der individuellen Erwerbstätigen auf unterschiedliche Weise darzustellen. Die Messung und der Vergleich der Passung von Qualifikationen und Anforderungen am Arbeitsplatz kann so grundsätzlich über drei unterschiedliche Ansätze durchgeführt werden, und zwar:

  • formale Qualifikation im Vergleich zu dem üblichen Anforderungsniveau am Arbeitsplatz
  • Über- oder Unterforderung durch fachliche Anforderungen, den Inhalt der Tätigkeit
  • Über- oder Unterforderung durch das Arbeitspensum.

Neben diesen Aspekten ist es zusätzlich möglich, die vorherige Qualifikation genauer zu betrachten. So wurde gefragt, ob eine der vorherigen beruflichen Ausbildungen als hinreichende Qualifikation für die Ausübung der aktuellen Tätigkeit angesehen wird. Diese Ausbildung sollte im Hinblick darauf bewertet werden, wie gut sie als Vorbereitung gedient hat. Im Folgenden werden diese Dimensionen der Passung im Kontext bei allen Erwerbstätigen dargestellt.

In der Erwerbstätigenbefragung werden nicht nur Angaben zum höchsten (beruflichen) Ausbildungsabschluss erhoben. Es wird auch erfragt, welche Art von Ausbildung üblicherweise benötigt wird, um die aktuelle Tätigkeit auszuüben. Damit kann das qualifikatorische Anforderungsniveau am Arbeitsplatz abgebildet und den tatsächlichen Qualifikationen gegenübergestellt werden. Für alle Erwerbstätigen (hier und im Folgenden immer gewichtete Werte[2]) ergibt sich dabei das folgende Bild.

Tabelle 1:     Qualifikatorisches Anforderungsniveau am Arbeitsplatz 2006 und 2012 – alle Erwerbstätigen

Tabelle 1

Quelle: BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012, eigene Berechnungen

Beachtenswert ist unter anderem der Anteil von 4,4 Prozent der Erwerbstätigen, die eine Berufsausbildung absolviert haben, aber auf Arbeitsplätzen tätig sind, für die üblicherweise Fortbildungsabschlüsse vorausgesetzt werden. Dem stehen 47 Prozent (2012) bzw. 46,1 Prozent (2006) der Fortgebildeten gegenüber, die auf Arbeitsplätzen arbeiten, für die üblicherweise Berufsausbildungen verlangt werden. Ebenso arbeiten überdurchschnittlich oft beruflich Qualifizierte unterhalb ihres Ausbildungsniveaus auf Arbeitsplätzen, für die üblicherweise keine Ausbildung nötig ist (19,2% bzw. 19,4%). Im Zeitvergleich zeigt sich, dass bei Akademikerinnen und Akademikern sowie bei Ungelernten die Passung zwischen 2006 und 2012 zugenommen hat, während sie bei Fortgebildeten leicht abgenommen hat.

Die bisher dargestellten Merkmale verfolgen zwei Ziele: Erstens sollen mit ihnen mögliche Engpässe in den betrachteten Berufen, Berufsfeldern, Branchen oder Bereichen identifiziert werden. Zweitens sollen Gründe für und Reaktionen auf diese Engpässe beschrieben werden. Ein formales Mismatching kann verstanden werden als eine Reaktion der Betriebe, die über ein verändertes Rekrutierungsverhalten (beispielsweise mehr Überqualifizierte einzustellen) auf veränderte Anforderungen reagieren. Ein Mismatching hinsichtlich der Fertigkeiten oder des Arbeitspensums kann verstanden werden als ein Hinweis darauf, dass die Arbeit in den Betrieben so verteilt wird, dass die Erwerbstätigen anders eingesetzt werden, als sie könnten (oder sollten).

3.3 Modell zur Beschreibung beruflicher Inhalte

Gleichzeitig bleibt dabei offen, inwieweit diese Veränderungen mit inhaltlichen Veränderungen, also der Zuschnitte der beruflichen Inhalte im Sinne von Tätigkeiten und Anforderungen, korrespondieren. Genau diese Veränderungen können mit dem hier vorzustellenden dreidimensionalen Modell untersucht werden.

Hinsichtlich der Tätigkeiten und der hierfür zu leistenden Theorieentwicklung, sind drei Bezugsrahmen von Bedeutung. Alle drei Bezugsrahmen nähern sich den Inhalten beruflicher Tätigkeiten von unterschiedlicher Seite.

Die 1. Dimension ist angelehnt an den „task-approach“ (Autor et al. 2003) und untersucht die Substituierbarkeit von Tätigkeiten aufgrund ihrer Programmierbarkeit. Dabei werden solche Tätigkeiten, die leicht programmierbar sind, als „Routinetätigkeiten“ bezeichnet. Sie sind eher durch Substituierung (durch Maschinen) oder Auslagerung gefährdet als andere. Dabei hat die breitflächige Nutzung von Computern gleichzeitig den Effekt, bestimmte andere Tätigkeiten zu unterstützen. So kommt es zu einer Polarisierung dahingehend, dass Routinetätigkeiten an Bedeutung verlieren: Weniger Erwerbstätige üben sie aus und die, die das noch tun, verdienen weniger. Nichtroutinetätigkeiten hingegen gewinnen an Bedeutung: Mehr Erwerbstätige üben sie aus und werden besser dafür entlohnt – und zwar sowohl im Bereich hoher Qualifikationsanforderungen als auch im Bereich niedrigerer Qualifikationsanforderungen.

Die 2. Dimension dient einer allgemeineren Einordnung und In-Beziehung-Setzung von Arbeitstätigkeiten und bezieht sich auf die Unterscheidung von „people vs. things" und „data vs. ideas“. Dabei beinhalten people „interpersonal processes“, things „nonpersonal processes“, data „impersonal processes“ und ideas „intrapersonal processes“ (Prediger/Swaney 2004, 443). „Data vs. Ideas“ bezeichnet als Dimension die Anteile von Tätigkeiten, die sich auf die Verarbeitung von Daten und Informationen beziehen, die entweder eher technisch (im Sinne der Führung von Datenbanken und Kalkulation von Berechnungen) oder innovativ (im Sinne des Entwickelns von Ideen, sowohl durch Einzelne als auch in Kommunikation und Auseinandersetzung mit anderen) stattfindet. Die 2. Dimension von „people vs. things“ stellt einen Objektbezug der Tätigkeiten dar, in dem es darum geht, ob mit Menschen (Kunden, Beratungssuchende oder Lernende) oder mit Objekten (wie in der Herstellung von (Teil-) Produkten) gearbeitet wird.

Die 3. Dimension bezieht sich auf die kognitiven Anforderungen der Tätigkeit. Die Innovativität einer Berufstätigkeit korreliert mit der in ihr zu erbringenden Wissensarbeit. Erwerbstätige, die innovativ tätig sind, sind auch häufig Lern- und Kreativitätsanforderungen ausgesetzt. Volkholz/Köchling (2001) beschreiben diese Zusammenhänge und entwickeln eine Typologie von Wissensarbeitern. Durch diesen Bezugsrahmen der Anforderung an Wissensarbeit kann also auch der innovative Umgang mit Ideen abgebildet werden und greift damit auch die Unterscheidung zwischen „data vs. ideas“ von Prediger/Swaney (ibid.) auf.

Der Bezugsrahmen der Anforderungen an Wissensarbeit ordnet Tätigkeiten danach, wie sehr Erwerbstätige dabei bestimmten Wissensanforderungen ausgesetzt sind: Muss ausschließlich Gelerntes angewendet werden (Routinearbeiter) oder muss auch immer wieder Neues gelernt und in Bezug zu Bekanntem gesetzt werden (Aufgabenflexible) oder muss neues Wissen generiert werden (Innovateure)? Dies ist eine Dimension, die die kognitive Seite von Arbeitstätigkeiten in den Vordergrund stellt.

3.4 Operationalisierung

Um die drei Dimensionen abzubilden, werden mit den Daten der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragungen drei Indizes errechnet. Für die erste Dimension der Routinehaltigkeit werden für den entsprechenden Index zwei Merkmale kombiniert. Dies sind die Fragen danach, wie häufig es vorkommt, dass die einzelnen Arbeitsgänge bis in kleinste Detail vorgeschrieben sind (F411_03) und danach, wie häufig es vorkommt, dass die Arbeitsdurchführung vorgeschrieben ist (F411_02). Die Erwerbstätigen hatten die Möglichkeit, die Häufigkeiten als „nie“, „selten“, „manchmal“ oder „häufig“ anzugeben. Der Index ist additiv und an der höchsten möglichen Ausprägung gewichtet, so dass sein Wertebereich zwischen 0 und 1 liegt, wobei stärker routinisierte berufliche Tätigkeiten höhere Indexwerte erreichen.

Die Dimension der Kognition wird durch einen Index abgebildet, der die Antworten auf die Fragen kombiniert, wie häufig a) Neues ausprobiert und bestehende Verfahren verbessert werden müssen (Kreativität, F411_05) und b) man vor neue Aufgaben gestellt wird, in die man sich erst hineindenken muss (Lernen, F411_04). Je häufiger Lern- und Kreativitätsanforderungen erfüllt werden müssen, umso höher der Indexwert.

Die Dimension des Objektbezugs der Tätigkeit wird über eine additive Kombination von einzelnen Tätigkeiten abgebildet. Zu den Tätigkeiten wurde ebenfalls die Häufigkeit der Ausübung erfragt. Zusammengefasst werden für den Index die vier Tätigkeiten des Überwachens und Steuerns von Maschinen, Anlagen und technischen Prozessen (F305); Reparieren und Instandsetzen (F306); Transportieren, Lagern und Versenden (F308); und Reinigens, Abfall beseitigen, Recyceln (F320). Auch dieser Index ist auf einen Bereich von 0 bis 1 normiert und wird größer, je stärker der Objektbezug ist.

Damit lassen sich berufliche Inhalte  ausgewählter Berufen oder auch Branchen sowohl im Längs- als auch im Querschnitt darstellen und beschreiben. Vergleiche sind möglich zwischen (unterschiedlichen) Berufen (zum gleichen Zeitpunkt), innerhalb von Berufen (zu verschiedenen Zeitpunkten) wie auch für berufliche Tätigkeiten in Branchen. Dies soll im Folgenden an drei Beispielen dargestellt werden: bei Gesundheitsberufen ohne Approbation sind es Vergleiche von Berufen über die Zeit, bei Berufen in der Chemiebranche berufliche Tätigkeiten in einer Branche über die Zeit und bei Berufen im Bereich erneuerbarer Energien berufliche Tätigkeiten im Vergleich zu vergleichbaren Tätigkeiten in anderen Zusammenhängen zum gleichen Zeitpunkt.

3.5 Das Modell in der Anwendung

3.5.1 Passung und Beschreibung beruflichen Wandels in Gesundheitsberufen ohne Approbation

Der Fachkräfteengpass in den Gesundheitsberufen ist kein neues Problem (Afentakis/Maier 2010). Hinsichtlich der Passung zeigt sich bei den Gesundheitsberufen ohne Approbation gegenüber der Passung bei allen Erwerbstätigen (siehe Abschnitt 3.2) ein anderes Bild.[3]

Hinsichtlich des Qualifikationsniveaus ist die Passung bei beruflichen Abschlüssen bedeutsam höher (83,9 % bzw. 84,9 % gegenüber 72,3 % bzw. 72,6 %) als bei allen Erwerbstätigen. Fortgebildete in Gesundheitsberufen arbeiten hingegen auf erheblich niedrigerem Anforderungsniveau, während Ungelernte häufig Tätigkeiten ausüben, die auf einem höheren Qualifikationsniveau angesiedelt sind.

Tabelle 2:     Qualifikatorisches Anforderungsniveau am Arbeitsplatz in Gesundheitsberufen ohne Approbation

Tabelle 2

Quelle: BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012, eigene Berechnungen, kursiv: n<30

Durch zwei weitere Merkmale kann ebenfalls die Passung spezifiziert werden. Zum einen geht es um die Frage der fachlichen Über- oder Unterforderung und zum anderen um die Frage, ob das Arbeitspensum erfüllbar erscheint.

In den Gesundheitsberufen ohne Approbation sagen die Erwerbstätigen von sich, dass sie sich der Tätigkeit gewachsen fühlen, wobei aber eher eine leichte Tendenz zu einer Überforderung besteht, die im Zeitvergleich leicht ansteigt. Wenn es um das Arbeitspensum geht, so ist bei Gesundheitsberufen ohne Approbation eine klare Tendenz zu einer Überforderung erkennbar, die zudem im Zeitvergleich erkennbar zugenommen hat.

Tabelle 3:     Passung bei Kenntnissen und Arbeitspensum in Gesundheitsberufen ohne Approbation

Tabelle 3

Quelle: BIBB BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012, eigene Berechnungen

Aber der Gesundheitsbereich ist einem ständigen Wandel unterworfen. Neben der technischen und medizinischen Entwicklung im Gesundheitswesen, sind neue Dokumentationspflichten und veränderte Prozessabläufe hinzugekommen. Auch hier müssten Veränderungen bei den Anforderungen sichtbar werden.

Die Veränderung der Dimensionen im Berufsfeld der Pflege- und Gesundheitsberufe ohne Approbation stellt sich wie folgt dar (Abbildung 3): In dieser Gruppe betrug der Routineanteil dieses Berufsfelds im Jahr 2006 0,7528 vs. im Jahr 2012 0,7539, der Wissensanteil (Kognition) betrug im Jahr 2006 0,6628 vs. im Jahr 2012 0,6645 und der Objektbezug hatte eine Größe von 0,6513 (Jahr 2006) und 0,5731 (Jahr 2012).

Somit ist der Wissensanteil (0,0017) deutlicher gestiegen als der Routineanteil (0,0011) und der Objektbezug hat sich verringert (-0,0782).

Abbildung 3: Gesundheitsberufe (ohne Approbation) und sonstige Berufe im Jahr 2006 und 2012. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012Abbildung 3: Gesundheitsberufe (ohne Approbation) und sonstige Berufe im Jahr 2006 und 2012. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012

Im Berufsfeld der Gesundheitsberufe ohne Approbation sind die Inhalte aller drei Dimensionen stärker ausgeprägt als im Durchschnitt über alle übrigen Berufe. Zwischen 2006 und 2012 geht allerdings der Objektbezug leicht zurück. Die Antwort auf die eingangs genannte zweite Frage lautet daher, dass die bestehende Berufe und beruflichen Qualifikationen ausreichen, um den inhaltlichen Bedarf dieser Tätigkeiten abzudecken.

3.5.2 Passung und Beschreibung beruflichen Wandels bei Berufen in der Chemiebranche

Die Chemiebranche ist durch eine konstante Beschäftigungsentwicklung gekennzeichnet, die derzeit keinen drohenden Fachkräftemangel aufweist. Die überwiegend beruflich qualifizierten Fachkräfte des Berufsfeldes 4 „Chemie- und Kunststoffberufe“ sowie die Techniker/-innen (23), die technischen Sonderkräfte (26) und die verwaltende und kaufmännische Berufe in dieser Branche (Berufsfelder 30 und 39) finden überwiegend eine stabile Beschäftigungssituation vor.

Tabelle 4:     Qualifikatorisches Anforderungsniveau am Arbeitsplatz in Berufen in der Chemiebranche

Tabelle 4

Quelle: BIBB BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012, eigene Berechnungen, kursiv: n<30

In Chemieberufen fällt aber zum einen auf, dass Akademiker, aber auch Fortgebildete, häufig Tätigkeiten ausüben, die eigentlich ein niedrigeres Qualifikationsniveau erfordern, während Ungelernte zumindest im Jahr 2006 auch höherwertige Tätigkeiten ausgeübt haben.

Hinsichtlich der fachlichen Anforderungen (Tabelle 5) zeigt sich bei den Chemieberufen eine im Zeitvergleich zunehmende Tendenz zur Überforderung. Zugleich liegt aber der Anteil derjenigen, die sich unterfordert sehen, konstant über dem allgemeinen Durchschnitt (15,0 % bzw. 14,9 % zu 13,8 % bzw. 12,7 %).

Die Über- oder Unterforderung durch das Arbeitspensum ist in den Chemieberufen vergleichbar mit der bei allen Erwerbstätigen. Allenfalls eine etwas stärke Überforderung im Jahr 2012 gegenüber 2006 ist auffallend.

Tabelle 5:     Passung bei Kenntnissen und Arbeitspensum in Chemieberufen

Tabelle 5

Quelle: BIBB BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012, eigene Berechnungen, kursiv: n<30

Ausgehend von Veränderungen, die im Großen und Ganzen handhabbar und leicht zu beschreiben sind, können die Entwicklungen im Bereich der Chemieberufe als ein erstes, tentatives Beispiel für eine Implementierung tiefgreifender Prozessoptimierungen und datentechnischer Verzahnung der Produktion gesehen werden:

„In der chemischen Industrie geht es – wie dargestellt – darum, die Prozesse von der Bestellung und Lieferung der Rohstoffe über die Fertigstellung und Auslieferung kontinuierlich und möglichst störungsfrei zu fahren. Zudem sollen die Produktionsanlagen bei wechselnden Kundenaufträgen und Mengen optimal und effizient genutzt werden. Die anvisierten Prozessinnovationen laufen in der chemischen Industrie unter Begriffen wie z. B. „Intelligente Fabrik“, „Optimierung bzw. Flexibilisierung der Produktion“, „Modularisierung der Produktion“ oder „Digitalisierung der Produktion“.“ (Malanowski/Brandt 2014, 43)

Abbildung 4: Anforderungsniveaus in Berufen der Chemiebranche in 2006 und 2012. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012Abbildung 4: Anforderungsniveaus in Berufen der Chemiebranche in 2006 und 2012. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012

Zwischen 2006 (Abbildung 4: Ziffer) und 2012 (Abbildung 4: grüner Punkt) zeigt sich in der chemischen Industrie[4] in Bezug auf die Qualifikationsniveaus der Beschäftigten vor allem für diejenigen mit beruflicher Ausbildung (Ziffer 2) ein Anstieg in allen drei Dimensionen. Für Personen mit Fortbildungsabschluss (3) hat sich hingegen nur der Anteil an Routineinhalten erhöht. Für Personen mit akademischer Qualifikation (4) ergaben sich Rückgänge bei der Kognition und dem Objektbezug. Für nicht-formal Qualifizierte (1) ist ein Anstieg bei der Kognition zu sehen. Insgesamt hat sich also die Produktion routinisiert, (höhere Technologieeinsatz, mehr Routineinhalte und also eine stärkere „Toyotisierung“).

Abbildung 5: Berufsfelder in der Chemiebranche in 2006 und 2012. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012Abbildung 5: Berufsfelder in der Chemiebranche in 2006 und 2012. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB/BAuA Erwerbstätigenbefragung 2006, 2012

Im benannten Zeitraum haben Chemieberufe (Abbildung 5: Ziffer 4) Anstiege auf allen drei Dimensionen erfahren. Für Techniker/-innen (23) ist in dieser Branche der Objektbezug zurückgegangen, bei gleichbleibenden Routine- und Kognitionsanteilen. Für Technische Sonderkräfte (26) ist ein Anstieg bei Routine und Objektbezug erkennbar, sowie ein Rückgang an Kognition. Für verwaltende und kaufmännische Berufe in dieser Branche (Berufsfelder 30 und 39) ist ein leichter Anstieg beim Objektbezug, sowie ein Rückgang bei Routine und eine Zunahme bei Kognition (39) auszumachen. Insgesamt sind hier Produktionsberufe technisch anspruchsvoller geworden, während gleichzeitig Techniker/-innen kaum Veränderungen sahen. Für Spezialisten ergab sich eine Routinisierung der Inhalte. So ist auch hier mit dem dreidimensionalen Modell erkennbar, dass die chemische Industrie insgesamt noch nicht sehr weit in ihrer Entwicklung zu stärker vernetzter Produktion oder weitergehenden Innovationen aus dem Bereich „Industrie 4.0“ ist.

Auch hier kann die Antwort auf die zweite eingangs genannte Frage nach dem Bedarf neuer Berufe verneint werden. Allerdings deutet sich, insbesondere für produzierende und Berufe mit niedrigeren Anforderungsniveaus als Fortbildungen ein Wandel der inhaltlichen Ausgestaltung und Anforderungen an.

3.5.3 Passung und Vergleich beruflicher Inhalte bei Berufen für erneuerbare Energien

Der Energiesektor in Deutschland erlebt derzeit einen massiven Wandel, welcher insbesondere durch exogene Faktoren (Reaktionen auf einen drohenden Klimawandel und zunehmend unsichere Energieversorgung) getrieben wird. Über die Art des Ausbaus und des Energiemixes, den sich ergebenden personellen Bedarf und den betrieblichen Anforderungen der Betriebe, liegen bislang nur Schätzungen vor, aber keine hinreichend fundierten empirischen Erkenntnisse. Insbesondere hinsichtlich der Frage, ob dieser Wachstumssektor Auswirkungen auf die Tätigkeitsstruktur der Erwerbstätigen und auf die qualifikatorischen Anforderungen hat, ist bislang nicht hinreichend untersucht worden.

3.5.3.1 Erhebungskonzept am Beispiel Erneuerbare Energien

Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse (vgl. Zwischenbericht zum BIBB-Projekt 2.1.308) beziehen sich sowohl auf die der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung (ETB 2012) nachgelagerten Nachbefragung bzw. auf die Kernerhebung der ETB selbst als auch auf die in diesem Projekt durchgeführten Betriebsbefragungen. Es werden also die Perspektiven von Erwerbstätigen und Betrieben betrachtet. Die Betriebsbefragungen, konzipiert als Nachbefragungen zu Stellenausschreibungen bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) und einer qualitativen Betriebsbefragung mit eigener Stichprobe wurden genutzt, um die Perspektive der Betriebe auf die möglichen Veränderungen in beruflichen Anforderungen im Bereich erneuerbarer Energien abzubilden.

Für die Nachbefragung fanden Interviews mit Personen statt, die im Rahmen der Kernerhebung (BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012) schon einmal befragt wurden und die sich am Ende bereit erklärt hatten (F1603), erneut an einer Befragung teilzunehmen. In der Hauptuntersuchung hatten diese Personen geantwortet (F322), dass ihre Tätigkeit etwas mit erneuerbarer bzw. regenerativen Energien zu tun hat oder (wenn nicht) der Betrieb (F323) mit diesen Energiearten zu tun hat. Die Interviewer hatten dazu erläutert: Erneuerbare (EE) bzw. regenerative Energien sind dauerhaft zur Verfügung stehende Energieressourcen. Hierzu zählen Windenergie, Bioenergie, Sonnenenergie, Wasserkraft und Erdwärme.

Für die telefonische Befragung (CATI) stand somit eine Gesamtstichprobe von 2.638 Probanden zur Verfügung. Neben stichprobenneutralen und systematischen Ausfällen konnte eine Ausschöpfungsquote von 74,6 Prozent erreicht und 1750 Interviews realisiert werden. Von diesen 1750 Befragten haben 607 aktuell eine Tätigkeit in EE und 454 haben vorher in EE gearbeitet. Damit können 1061 Personen Auskunft über EE-Tätigkeiten geben, die sie zum Zeitpunkt der Kernerhebung im Jahr 2012 ausgeübt haben bzw. heute noch ausüben. Hinzu kommen noch 689 Personen, die in Betrieben arbeiten, die einen Schwerpunkt im Bereich erneuerbare Energien haben.

Die Betriebsbefragung war eine Inserentennachbefragung von Unternehmen, die Stellen im Bereich erneuerbarer Energien ausgeschrieben hatten. Die Anzeigen liefen (mitunter) über die Bundesagentur für Arbeit, von deren Stellenanzeigenpool das BIBB einen Spiegel hat. Aus diesem wurden die zu befragenden Betriebe gezogen. Sie wurden ermittelt über einen Thesaurus an einschlägigen und relevanten Begriffen, die in den von ihnen geschalteten Anzeigen vorkommen mussten. Von den angeschriebenen Unternehmen kamen letztlich 520 verwertbare Fragebögen zurück.

3.5.3.2 Passung bei Berufen im Bereich Erneuerbare Energie

Zunächst werden auf der Grundlage der Nachbefragung mit rund 1750 Erwerbstätige die qualifikatorischen Anforderungen und ihre Passungen dargestellt. Ein Vergleich der Werte für diese Erwerbstätigen in Tabelle 6 mit den Werten für alle Erwerbstätige (Tabelle 1) zeigt, dass die Passungen zwischen Ausbildungs- und Anforderungsniveau immer genauer werden. Man kann davon ausgehen, dass Erwerbstätige im Bereich der erneuerbaren Energien häufiger auf passenden Arbeitsplätzen arbeiten, als allgemein üblich (was besonders für Meister gilt).

Tabelle 6:     Qualifikatorische Anforderungen und ihre Passungen im Bereich erneuerbare Energien

Tabelle 6

Quelle: BIBB Projekt 2.1.308

Gerade die Verteilung derjenigen mit einem Fortbildungsabschluss ist interessant. Betrachtet man die Befragten getrennt nach der Art, wie sie mit erneuerbaren Energien im Zusammenhang stehen (über die Tätigkeit, die Tätigkeit und den Betrieb oder nur den Betrieb oder in keinem Zusammenhang), dann sind es gerade die, die in Betrieben arbeiten, die etwas mit erneuerbaren Energien zu tun haben, die passend eingesetzt sind. Wenn hingegen die Tätigkeit alleine (oder Tätigkeit und Betrieb) mit erneuerbaren Energien im Zusammenhang steht, dann zeigt sich das gleiche Bild wie für alle Erwerbstätigen, nämlich, dass gerade Fortgebildete eher auf Arbeitsplätzen unterhalb ihres Ausbildungsniveaus eingesetzt sind. Das ist insofern bemerkenswert, als dass man hätte annehmen können, dass Betriebe in diesem Bereich eher überqualifiziert einstellen, damit die hohen (technologischen und kognitiven) Anforderungen erfüllt werden.

Passung bezüglich Inhalt und Arbeitspensum

Für die Befragten, die aktuell im Bereich erneuerbarer Energien tätig sind, ergibt sich die folgende Verteilung hinsichtlich der Frage, ob sie sich den fachlichen Anforderungen ihrer Tätigkeiten gewachsen fühlen (Tabelle 7). Unterscheidet man hier nach den Gruppen der Art des Bezuges zu erneuerbaren Energien, zeigt sich, dass die Passung dann am höchsten ist, wenn die Tätigkeit mit erneuerbaren Energien zu tun hat. Am ehesten unterfordert fühlen sich die Erwerbstätigen, deren Betrieb mit erneuerbaren Energien im Zusammenhang steht.

Tabelle 7:     Anforderungen an die fachlichen Kenntnisse (Über- oder Unterforderung)

Tabelle 7

Quelle: BIBB Projekt 2.1.308

Ob das Arbeitspensum erfüllbar erscheint (Tabelle 8), ist ein anderer Aspekt der Passung zwischen Anforderungen und Fähigkeiten. Der Anteil derer, die sich vom Arbeitspensum überfordert fühlen, ist am stärksten in der Gruppe der Befragten ausgeprägt, deren Tätigkeit mit erneuerbaren Energien zu tun hat.

Tabelle 8:     Anforderungen durch Arbeitsmenge bzw. Arbeitspensum (Über- oder Unterforderung)

Tabelle 8

Quelle: BIBB Projekt 2.1.308

Qualifikation durch vorherige Ausbildung

Ein Drittel der Befragten gab an durch eine ihrer vorherigen beruflichen Ausbildungen auf ihre derzeitige Tätigkeit vorbereitet worden zu sein.

Tabelle 9:     Qualifizierung durch beruflichen Abschluss

Tabelle 9

Quelle: BIBB Projekt 2.1.308

Von diesen (gewichtet) 557 Personen gaben 132 an, nur ihre Tätigkeit habe mit erneuerbaren Energien zu tun und weitere 425 gaben an, das treffe für die Tätigkeit und den Betrieb zu. Von allen, deren Tätigkeit mit erneuerbaren Energien zu tun hat, sehen sich drei Viertel (74,5%) durch eine ihrer Ausbildungen vorbereitet. Von denjenigen, bei denen sowohl Tätigkeit als auch Betrieb in diesem Zusammenhang stehen, mehr als vier Fünftel (83,3%).

Über drei Viertel (77,2%) dieser 557 Personen gaben dabei der entsprechenden Ausbildung eine Schulnote zwischen 1 und 3, wobei die 2 mit 34,3% am häufigsten vergeben wurde (s. hierzu S. 24 des Zwischenberichtes zum Projekt 2.1.308).

Erwerbstätige in einschlägigen Berufsfeldern Erneuerbarer Energien

Vielleicht zeigen sich in den Berufsfeldern, in denen die meisten Erwerbstätigen arbeiten, deren Tätigkeit im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien steht (also die sog. Kernberufe, zu denen die Berufsfelder 21 „Ingenieure/-innen“, 23 „Techniker/-innen“, 11 „Elektroberufe“ und 7 „Metall-, Anlagenbau, Blechkonstruktion, Installation, Montierer/-innen“ gehören), unterschiedliche Verteilungen. Zunächst einmal fällt auf, dass in diesen Berufsfeldern überdurchschnittlich viele Erwerbstätige auf Arbeitsplätzen eingesetzt sind, für die mindestens eine berufliche Ausbildung üblicherweise vorausgesetzt wird (Berufsausbildung: 52,9% zu: 55,6%; Fortbildung: 6,7% zu 8,9%; akademische Ausbildung: 21,8% zu 25,5%). Bezogen auf diejenigen, die aktuell im Bereich erneuerbarer Energien tätig sind, fallen die Arbeitsplätze für akademisch Ausgebildete heraus (Berufsausbildung: 45,6%, Fortbildung: 15,4%, akademische Ausbildung: 35,0%).

Ebenso fällt auf, dass sich diese Erwerbstätigen eher überfordert von den inhaltlichen Arbeitsanforderungen fühlen (91,3 % (gewichtet 21 Fälle) zu 72,0% im Durchschnitt) und auch vom Arbeitspensum sehen sie sich eher überfordert (75,7% zu 72,2%). Bezogen auf das qualifikatorische Matching kann man eher von einer insgesamt guten Passung sprechen, einzig beruflich Qualifizierte sind überdurchschnittlich häufig auf Arbeitsplätzen mit geringeren Anforderungen tätig (51,3% zu 41,8%).

Tabelle 10:      Anforderungen am Arbeitsplatz und Ausbildungsabschluss in einschlägigen Berufsfeldern im Bereich erneuerbarer Energien

Tabelle 10

Quelle: BIBB Projekt 2.1.308

Aus Sicht der Erwerbstätigen kann festgehalten werden, dass weder bei denjenigen, deren Tätigkeitsschwerpunkt erneuerbare Energien ist, noch bei denjenigen, die in einem Betrieb arbeiten, der seinen Schwerpunkt dort hat, eine Überforderung oder ungeeignete Passung ihrer Qualifikation und den Anforderungen am Arbeitsplatz äußern, die gegenüber anderen Erwerbstätigen in anderen Kontexten abweicht. Selbst in den sogenannten Kernberufen der erneuerbaren Energien ist keine signifikante Auffälligkeit erkennbar. Nur die höhere Überforderung in Bezug auf das Arbeitspensum bei denen, deren Tätigkeit im Kontext von erneuerbaren Energien steht, sticht hier heraus.

3.5.3.3 Beschreibung beruflicher Inhalte in einschlägigen Berufsfeldern innerhalb und außerhalb Erneuerbarer Energien

Eine Kombination der drei Dimensionen kann dabei helfen, einzelne Tätigkeiten besser zu verstehen. Eine Tätigkeit wie „Messen, Prüfen, Qualität kontrollieren“ kann je nach Arbeitsbezug und Anforderungen am Arbeitsplatz Unterschiedliches bedeuten. Stellt man diese Tätigkeit ihren Kontexten gemäß in einem Raum dar, der auf einer Ebene die Routineartigkeit (im Sinne der oben genannten Programmierbarkeit), auf einer zweiten Ebene ihren Objektbezug (im Sinne von „people vs. things“) und auf einer dritten Ebene ihre Anforderungen an Wissensarbeit darstellt, dann ergibt sich durch die Lage der Tätigkeit in den jeweiligen Arbeitsbezügen ein „Bedeutungsraum“. So wird verständlich, was Erwerbstätige mit einzelnen Tätigkeiten verbinden und wie sich Tätigkeiten in bestimmten Kontexten entwickeln.

Welche Unterschiede lassen sich zwischen den beruflichen Inhalten von Tätigkeiten mit und ohne Bezug zu erneuerbaren Energien feststellen? Einen grafischen Überblick gibt Abbildung 6. Die dabei zugrunde liegenden Analysen zeigen, dass es nur wenige Berufsfelder gibt, in denen kein Unterschied zwischen Tätigkeiten mit und ohne Bezug zu erneuerbaren Energien besteht. Beispielhaft seien hier die „Ingenieur(e/innen)“ genannt. Eine weitere Gruppe von Berufsfeldern zeigt zwar deutliche Unterschiede, aber eher auf der Dimension der Routineinhalte. Der Anteil dieser Inhalte ist bei den Berufen mit Bezug zu erneuerbaren Energien geringer, während mit Blick auf die Wissensanforderungen oder den Objektbezug keine oder kaum Unterschiede bestehen. Ein Beispiel hier sind die „Elektroberufe“. Die derzeit größte Gruppe von Berufsfeldern allerdings zeigt Unterschiede auf zwei Dimensionen: Routine und Wissen. Hier ist es so, dass im Vergleich von Tätigkeiten ohne Bezug zu erneuerbaren Energien zu Tätigkeiten mit einem solchen Bezug die Routineinhalte abnehmen und die Wissensanforderungen steigen. Das zeigt sich auch in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen, wie die Beispiele der „Metall-, Anlagenbau, Blechkonstruktion, Installation, Montierer/innen“ und „Bank-, Versicherungsfachleute“ zeigen.

Abbildung 6: Auswirkungen des Arbeitsschwerpunktes Erneuerbarer Energien auf den Dimensionen Routine, Wissen und Objektbezug für ausgewählte Berufe. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB Projekt 2.1.308:Abbildung 6: Auswirkungen des Arbeitsschwerpunktes Erneuerbarer Energien auf den Dimensionen Routine, Wissen und Objektbezug für ausgewählte Berufe. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB Projekt 2.1.308:

 Abbildung 7: Anforderungsniveaus innerhalb und außerhalb erneuerbarer Energien aus Sicht der Erwerbstätigen und der Betriebe. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB Projekt 2.1.308: Abbildung 7: Anforderungsniveaus innerhalb und außerhalb erneuerbarer Energien aus Sicht der Erwerbstätigen und der Betriebe. Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB Projekt 2.1.308:

Tabelle 11:   Veränderungen in den Anforderungsniveaus innerhalb und außerhalb erneuerbarer Energien aus Sicht der Erwerbstätigen und der Betriebe

Tabelle 11

Quelle: eigene Berechnungen nach BIBB Projekt 2.1.308:

Nimmt man die Anforderungsniveaus der Tätigkeiten in den Blick, also die üblicherweise für die Ausübung einer Tätigkeit geforderte Qualifikation, zeigen sich interessante Unterschiede im Vergleich der Sicht der Betriebe zu der Sicht der Erwerbstätigen. Abbildung 7 (mit Tabelle 11) macht das deutlich.

In der Perspektive der Betriebe (in grün dargestellt) sind Unterschiede zwischen Tätigkeiten innerhalb und außerhalb erneuerbarer Energien für die Anforderungsniveaus der keine formale Qualifizierung und der berufliche Qualifizierungen voraussetzenden Tätigkeiten durchaus größer als in der Perspektive der Erwerbstätigen (in blau dargestellt). Hier zeigt sich die üblicherweise eher pessimistischere Einschätzung von Betrieben im Blick auf die Fähigkeiten von Erwerbstätigen. Für die höheren Anforderungsniveaus ist das eher umgekehrt: Vor allem für das Anforderungsniveau akademischer Qualifikationen scheinen die Betriebe hier eher vorauszusetzen, dass alle nötigen Kenntnisse von entsprechend qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schon mitgebracht werden, trotzdem schätzen die Betriebe die Anteile der Routine-, Kognitions- und Objektbezugsinhalte als höher ein als die Erwerbstätigen.

Im Vergleich zwischen den Bereichen erneuerbare Energien und außerhalb zeigt sich, dass innerhalb erneuerbarer Energien weniger Routineinhalte gefordert sind und Kognitionsanforderungen höher sind. Tätigkeiten im Bereich erneuerbarer Energien erscheinen damit anspruchsvoller und abwechslungsreicher als außerhalb, wobei sich diese Unterschiede mit steigendem Anforderungsniveau und auch über die Zeit angleichen.

4 Ausblick

Die hier vorgestellte dreidimensionale Beschreibung der Entwicklung und des Vergleichs beruflicher Inhalte steht derzeit noch am Beginn ihrer Anwendung. Schon jetzt wird deutlich, dass es mit ihr möglich ist, Veränderungen und Unterschiede zu erkennen, die Einordnung – auch ihrer Relevanz – kann jedoch erst in Zukunft, wenn weitere Vergleichszeitpunkte vorliegen, gesichert erfolgen. Aber die Zuhilfenahme weiterer Aspekte beruflicher Tätigkeiten, wie die unterschiedlichen Indikatoren zur Passung von Qualifikationen und individuellen Fähigkeiten, kann genutzt werden, um die entdeckten Unterschiede und Veränderungen zu erklären. Perspektivisch ist neben diesen Indikatoren vorstellbar, erklärende multivariate Modelle für die gefundenen Entwicklungen zu analysieren, in denen weitere Individual- oder Betriebsmerkmale in ihrem Einfluss auf die Veränderungen hin untersucht werden.

Alle drei Beispiele haben gezeigt, dass die Erwerbstätigen und im Fall der Erneuerbaren Energie auch die Betriebe davon ausgehen, dass die gegenwärtigen Anforderungen von den Beschäftigten im entsprechenden Berufsfeld geleitstet werden können. Insofern sind neue Berufsbilder nicht angezeigt.

Dennoch können aber auch weitere Faktoren zu einer Unzufriedenheit und ggf. zu Anpassungsnotwendigkeiten beitragen. Im Falle der Gesundheitsberufe sind dies z. B. körperliche Belastungen und die Unzufriedenheit über berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und die schlechte Bezahlung.

Hier führen also nicht neue inhaltliche Anforderungen, sondern die betrieblichen Rahmenbedingungen zu einem Mismatch. Es ist anzunehmen, dass, um dem Engpass in diesem Berufsfeld begegnen zu können, zukünftig auch diese Rahmenbedingungen angegangen werden müssen. Sie sind ein zentraler Schlüssel für die Attraktivität der Berufsfelder. Dies ist aber keine Aufgabe der Berufsbildung sondern der Sozialpartner.

Literatur

Afentakis, A./Maier, T. (2010): Projektionen des Personalbedarfs und -angebots in Pflegeberufen bis 2025, Statistisches Bundesamt • Wirtschaft und Statistik 11/2010, 990-1002.

Autor, D./Levy, F./Murnane R. J. (2003): The Skill Content of Recent Technological Change: An Empirical Exploration. Quarterly Journal of Economics, 118(4), 1279-1334.

BIBB Projekt 2.1.308. Ausbau erneuerbarer Energien und die Auswirkungen auf die deutsche Berufsbildung und den deutschen Arbeitsmarkt (QEF-EE – Qualifikationsentwicklungsforschung Erneuerbare Energien). Online: http://www2.bibb.de/bibbtools/de/ssl/dapro.php?proj=2.1.308 (28.08.2015).

Hall, A. (2012): Kranken- und Altenpflege was ist dran am Mythos vom Ausstiegs- und Sackgassenberuf? In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 41, 6, 16-19.

Hall, A./Tiemann, M. (2009): BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2006 – Arbeit und Beruf im Wandel. Erwerb und Verwertung beruflicher Qualifikationen. suf_1.0; Forschungsdatenzentrum im BIBB (Hrsg.); GESIS Köln, (Datenzugang); Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung. doi:10.4232/1.11072

Hall, A./Siefer, A./Tiemann, M. (2015): BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 - Arbeit und Beruf im Wandel, Erwerb und Verwertung beruflicher Qualifikationen. suf_4.0; Forschungsdatenzentrum im BIBB (Hrsg.); GESIS Köln (Datenzugang); Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung. doi:10.7803/501.12.1.1.40.

Helmrich, R./Hummel, M./Neuber-Pohl C. (Hrsg.): Megatrends. Relevanz und Umsetzbarkeit in den BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen. Online: http://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/download/id/7666 (26.08.2015).

Lüttinger, P./Riede, T. (1997): der Mikrozensus. Amtliche Daten für die Sozialforschung. In: ZUMA-Nachrichten 41. Mannheim.

Maier T. et al. (2014): Engpässe im mittleren Qualifikationsbereich trotz erhöhter Zuwanderung. Aktuelle Ergebnisse der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen bis zum Jahr 2030 unter Berücksichtigung von Lohnentwicklungen und beruflicher Flexibilität. BIBB Report 23/14.

Malanowski, N./Brandt, J. C. (2014): Innovations- und Effizienzsprünge in der chemischen Industrie? Wirkungen und Herausforderungen von Industrie 4.0 und Co., Kurzexpertise im Auftrag der IG BCE. Online: https://www.igbce.de/vanity/renderDownloadLink/8204/84774 (25.08.2015).

Prediger, D. J/Swaney, K. B. (2004). Work task dimensions underlying the World of Work. Research results for diverse occupational databases. Journal of Career Assessment, 12(4), 440-459.

Rohrbach-Schmidt, D./Hall, A. (2013): BIBB/BAuAErwerbstätigenbefragung 2012. Bonn.

Tiemann, M. (2015): Inwertsetzung von Wissensarbeit. Wissensintensität von Berufen und ihre Auswirkungen auf die Ausübenden. In: Welches Wissen ist was wert? Bildungssoziologische Beiträge, 281-289.

Volkholz, V./Köchling, A. (2001): Lernen und Arbeiten. In: Arbeitsgemeinschaft Qualifikations- Entwicklungs-Management (Hrsg.): Kompetenzentwicklung. Münster/New York, 375-415.

 


[1] Betriebliche und berufliche Anforderungen sind im Beitrag etwas anderes als das Anforderungsniveau von Tätigkeiten. Bei ersteren geht es allgemein um die Summe der an Erwerbstätige gestellten Anforderungen, die zwischen Betrieben und Berufen unterschiedlich sein können. Das Anforderungsniveau hingegen beschreibt eine Einschätzung von Erwerbstätigen oder Betrieben, welches Qualifikationsniveau üblicherweise gebraucht wird, um eine spezifische Tätigkeit auf einem spezifischen Arbeitsplatz auszuüben, also die üblicherweise geforderte Qualifikation.

[2] Die Verteilungen entsprechen damit den Verteilungen innerhalb der Grundgesamtheit aller Kernerwerbstätigen in Deutschland, die 2012 hochgerechnet ca. 36. Mio. Personen umfassen.

[3] Hierbei ist aber zu beachten, dass bei den Gesundheitsberufen ohne Approbation akademische Abschlüsse als Anforderungsniveau eher selten sind. Bei Berufen wie Physiotherapeuten oder Logopäden ist dies teilweise anders.

[4] Hier betrachtet werden stark besetzte Berufsfelder innerhalb der Branche der chemischen Industrie (diese sind in Abbildung 5 aufgeführt.

Zitieren des Beitrags

Helmrich, R./Tiemann, M. (2015): Ein Modell zur Beschreibung beruflicher Inhalte.In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 29, 1-27. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe29/helmrich_tiemann_bwpat29.pdf (15-12-2015).