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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT03 - Bau, Holz, Farbe und Raumgestaltung
Herausgeber: Sabine Baabe-Meijer, Werner Kuhlmeier & Johannes Meyser

Titel:
Übergänge gestalten – Konzepte, Erfahrungen und Perspektiven in den Fachrichtungen Bautechnik, Holztechnik sowie Farbtechnik und Raumgestaltung


Lernen durch Lehren – Förderung von beruflichem Verantwortungsbewusstsein bei Lernenden im Übergangssystem

Beitrag von Frauke GÖTTSCHE & Doreen LANGE (Regionales Bildungsbüro Rheinisch-Bergischer Kreis & Carl-Reuther-Berufskolleg in Hennef)

Abstract

Wann wachsen Jugendliche über sich hinaus und zeigen berufliche Kompetenz und Engagement? Vor allem dann, wenn sie ihre erworbenen Fähigkeiten vor einer wertschätzenden Öffentlichkeit präsentieren können. Dieser Effekt lässt sich zum Beispiel an den Tagen der offenen Tür beobachten, die viele Schulen veranstalten. Schülerinnen und Schüler des Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) Farbtechnik, die im „normalen“ Unterricht nur mühsam zu motivieren sind, halten qualifizierte Fachvorträge zum Thema Beschichtungsaufbau auf Holzuntergründen vor Haupt- und Realschülerinnen der Klassen 9 und 10 und leiten diese bei praktischen Arbeiten fachkundig an. Der Mut, den die Lernenden in solchen Situationen entwickeln, ist ein wichtiger Schritt für die Übernahme von Verantwortung für ihr zukünftiges Berufsleben und für ihre Ausbildungsfähigkeit. Frei nach SENECA: „Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer“. Im Beitrag soll das Konzept "Lernen durch Lehren" vorgestellt werden, bei dem der beschriebene Effekt in Projekten genutzt und in der didaktischen Jahresplanung des BGJ Farbtechnik systematisch umgesetzt wird. Ziel ist es, Lernenden mit eindeutiger Eignung im Bereich Farbtechnik und Raumgestaltung die Entscheidung gegen unnötige „Warteschleifen" in verschiedenen vollzeitschulischen Bildungsgängen des Berufskollegs (zum Beispiel Wiederholung des BGJ) zu erleichtern und sie für den möglichst schnellen Wechsel in eine Berufsausbildung im Dualen System zu motivieren und zu qualifizieren.

1 Einleitung

Elternabend in der Klasse 10 unserer Tochter an der integrierten Gesamtschule in Hennef. Die Mutter eines Klassenkameraden spricht mich an, sie habe gehört, ich sei Berufsschullehrerin und unterrichte im BGJ Farbe, und da habe sie mal eine Frage: Ihr Sohn Martin (Name geändert), der nun mit einem Hauptschulabschluss nach Klasse 10 (10A-Abschluss) die Schule verlasse, wolle gern Maler und Lackierer werden. Er habe auch schon eine Lehrstelle sicher, beabsichtige aber, vorher das BGJ zu absolvieren. Ob ich ihn im kommenden Schuljahr aufnehmen könne? Auf meine Frage, warum er denn nicht direkt nach seinem Schulabschluss in die Ausbildung gehen wolle, antwortet die Mutter, dass sie es für klüger halte, dass Martin einen höheren Abschluss erreiche, denn das sei „besser für die Ausbildung“. Auch meine Beteuerungen, dass für eine Ausbildung ein 10A-Abschluss vollkommen ausreicht und im Maler- und Lackiererhandwerk nicht selten sogar Jugendliche ohne allgemeinbildenden Schulabschluss ausgebildet werden, führen nicht zu einem Umdenken. Martin wird angemeldet, im BGJ Farbtechnik und Raumgestaltung aufgenommen und macht sich seitdem prächtig. Er fühlt sich wohl, zeigt gute Leistungen, hat einen hervorragenden Umgangston, ist pünktlich, absolut zuverlässig und – aus meiner Sicht und der des Werkstattlehrers – in jedem Sinne ausbildungsreif. Wenn er in Kürze in die betriebliche Ausbildung geht, wird er in der Berufsschule voraussichtlich die Inhalte des ersten Ausbildungsjahres, die bereits im BGJ vermittelt werden, wiederholen; denn die theoretisch mögliche Übernahme von BGJ-Absolventen in das zweite Ausbildungsjahr durch den Betriebsinhaber ist in der Praxis äußerst selten;  rechtlich gesehen ist "der erfolgreiche Besuch eines schulischen Berufsgrundbildungsjahrs […], soweit in den Absätzen 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist, als erstes Jahr der Berufsausbildung auf die Ausbildungszeit in einem anerkannten Ausbildungsberuf anzurechnen“ (BGBI, BGJAnrV §2).

Es ist offenkundig, dass Martin schon nach dem (erfolgreichen) Abschluss der zehnten Klasse in eine Ausbildung hätte gehen können. Dies bestätigt auch einer der Koordinatoren für Studien- und Berufsorientierung (StuBO) an der Gesamtschule, der ihn aus mehreren Beratungsgesprächen kennt: „Der Junge könnte schon längst in einer Ausbildung sein, der bringt doch alle Voraussetzungen mit!“

Der geschilderte Fall, auch wenn er möglicherweise nicht exemplarisch (allerdings auch nicht gerade selten) ist, zeigt, dass Eltern und Jugendliche häufig die Auffassung vertreten, allein die Existenz eines höheren Schulabschlusses würde die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt verbessern. Die Vorstellung, sich direkt nach dem allgemeinbildenden Schulabschluss um einen Ausbildungsplatz zu bemühen, beinhaltet für viele Schulabgänger Gefühle des Schreckens und der Angst, etwas falsch zu machen. Schule fühlt sich da sicherer an. So  werden vielfach ein, zwei, manchmal sogar drei Versuche unternommen, einen höheren Abschluss an einem Berufskolleg zu erwerben, auch wenn damit nicht unbedingt eine Verbesserung der beruflichen Perspektiven verbunden ist.

Die mangelnde Zielorientierung charakterisiert die Haltung vieler Jugendlicher im System des beruflichen Übergangs, zum Beispiel in den vollzeitschulischen Bildungsgängen des einjährigen Berufsgrundbildungsjahres. Auch wenn offensichtlich ist, dass sie durchaus die Voraussetzungen für eine Berufsausbildung mitbringen, halten viele es für sicherer, weiterhin im System Schule zu verbleiben. Erst im dreiwöchigen Pflichtpraktikum nach dem Halbjahreszeugnis wird bei vielen die Hemmschwelle geringer: „Arbeiten ist viel schöner als Schule!“ Warum? „Weil man da was Sinnvolles tun kann!“ Trotz der vielfältigen Hilfestellungen durch Schule, Bundesagentur für Arbeit (zum Beispiel individuelle Berufsberatung in der Schule) und externe Unterstützung, zum Beispiel durch die Stiftung Partner für Schule Nordrhein-Westfalen, unternehmen aber viele Schüler/innen dann doch zu wenig ernsthafte Anstrengungen, im Anschluss an das Berufsgrundbildungsjahr einen Ausbildungsplatz in einem Betrieb zu bekommen und werden dann oft in Maßnahmen des zweiten Ausbildungsmarktes vermittelt.

Ein breites Angebot an Informationen und Beratung allein reicht offenbar nicht aus, um Jugendliche dazu zu motivieren, sich eigenverantwortlich und mit Nachdruck um einen Ausbildungsplatz in einem „echten“ Betrieb zu bemühen. Was den Jugendlichen fehlt, um den Schritt in den Ausbildungsmarkt zu riskieren, ist in der Regel kein Schulabschluss, sondern es sind vor allem die für das Selbstvertrauen notwendigen Voraussetzungen, sich erstens in einem beruflichen Rahmen (also in der „Welt der Erwachsenen“) fachlich kompetent zu präsentieren und zweitens die eigenen beruflichen Ziele klar zu definieren. Hier setzt das unterrichtsimmanente Arbeitsprinzip „Lernen durch Lehren“ an, durch das eine Stärkung des Eigenengagements angestrebt wird. Im Rahmen der Berufsgrundbildungsjahre Farbtechnik und Raumgestaltung sowie Holz- und Kunststofftechnik am Carl-Reuther-Berufskolleg in Hennef lernen die Jugendlichen, wie sie mit ihrem fachkompetenten Urteil in einer „Öffentlichkeit“ außerhalb des Unterrichts auftreten und überzeugend agieren. Sie werden dadurch angeregt, etwas zu wagen, was ihnen schwer fällt, nämlich ihren Einstieg ins Berufsleben aktiv zu initiieren.

Im vorliegenden Artikel werden die Hintergründe des Verweilens von Jugendlichen an der Schule thematisiert, um die Notwendigkeit ihrer Aktivierung deutlich zu machen.  Am Beispiel eines Kooperationsprojektes mit der Gesamtschule Hennef wird dargestellt, wie „Öffentlichkeit“ als Handlungsfeld für Lernen durch Lehren erzeugt werden kann und damit ein Entwicklungsrahmen für Eigenengagement geschaffen wird.

2  „Schule fühlt sich sicher an“

Zwischen 2004 und 2009 herrschte, abgesehen von einer euphorischen Phase in der Mitte des Jahres 2008, auf dem Ausbildungsmarkt tendenziell eine Stimmung der Stagnation und der Angst vor der drohenden Aushöhlung des dualen Ausbildungssystems. Die Informationen und Pressemitteilungen von Bund, Ländern, Wirtschafts- und Lehrerverbänden waren insgesamt widersprüchlich, ein eindeutiger Trend zur Besserung kaum erkennbar (vgl. Pressemitteilungen des BMBF 2004 - 2011). Noch im März 2009 gab es eine bundesweite Telefonaktion, durchgeführt  vom Bundespresseamt, die Arbeitgeber dazu bewegen sollte, Jugendliche in ihrem Betrieb auszubilden (PRESSE- UND INFORMATIONSDIENST DER BUNDESREGIERUNG 2009). Diese Situation hatte auch Einfluss auf das Bildungsangebot der Berufskollegs: Um Jugendlichen nach ihrem allgemeinbildenden Schulabschluss sichere Perspektiven zu bieten, wenn sie keinen betrieblichen Ausbildungsplatz erhielten, wurden vermehrt vollzeitschulische Bildungsgänge eingerichtet, vor allem für die Schulabgänger mit dem Mittleren Abschluss in den zweijährigen Höheren Berufsfachschulen (HBFS), in denen sie die Fachhochschulreife (FHR) mit beruflichem Schwerpunkt erwerben können. Auch die Beratung der Absolventen an allgemeinbildenden Schulen, am Berufskolleg einen höheren Schulabschluss zu erwerben, hat zunehmend an Attraktivität gewonnen. In der Folge halten es sowohl Eltern als auch Jugendliche für „sinnvoll“, im Anschluss an die zehn Pflichtschuljahre einen möglichst hohen Schulabschluss zu erwerben, um bessere Chancen auf dem Ausbildungsmarkt zu haben.

Der Trend, der in NRW in den Großstädten und Ballungsgebieten schon vorher deutlich sichtbar war, kam ab 2006 auch in den ländlicheren Regionen an, in denen die berufliche Ausbildung im Dualen System bis dahin noch der „Regelfall" gewesen war. So richtete das Carl-Reuther-Berufskolleg des Rhein-Sieg-Kreises in Hennef zwischen 2005 und 2010 vier neue Bildungsgänge der Höheren Berufsfachschule zum Erwerb der Fachhochschulreife ein, Tendenz steigend. Auch für die Schülerinnen und Schüler aus dem eigenen Hause eröffnen sich hiermit neue Perspektiven: Theoretisch ist es nun möglich, die allgemeinbildenden Schulabschlüsse vom Hauptschulabschluss der Klasse 9 (H9) nach dem Besuch des Berufsorientierungsjahres (BOJ) über den Mittleren Abschluss nach dem Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) bis zur Fachhochschulreife in der zweijährigen HBFS in insgesamt vier Jahren innerhalb eines Berufsfeldes zu erwerben. War es bislang für die meisten Jugendlichen nach dem Abschluss im BOJ und nachfolgendem BGJ an der Zeit, sich um einen Ausbildungsplatz im Betrieb oder in einer Ausbildungsmaßnahme zu kümmern, gibt es für die Absolventen des Mittleren Abschlusses nun die Möglichkeit sich an der HBFS im eigenen Fachgebiet weiterzubilden. So können die Teilnehmer des BGJ Farbtechnik sich seit dem Schuljahr 2010/11 für die HBFS Bau- und Holztechnik bewerben. Noch ein Jahr zuvor gab es lediglich die Möglichkeit, diesen Bildungsgang im Bereich Informationstechnik oder Elektrotechnik zu wählen, was bislang für kaum einen der eher handwerklich-kreativ interessierten Jugendlichen attraktiv war. Damit ist ein nahtloser schulischer Durchstieg bis zur Studierfähigkeit möglich. Die Motivation vieler Schülerinnen und Schüler, den begehrten Mittleren Abschluss zu erwerben, ist nun häufig auch darin begründet, sich am selben Berufskolleg schulisch weiterbilden zu können.

Die Reaktion der Ausbilder auf die Einrichtung der neuen HBFS-Bildungsgänge am Carl-Reuther-Berufskolleg folgte im Sommer 2010 auf einer feierlichen Schulveranstaltung: Ein Vertreter der Kreishandwerkerschaft äußerte seine Besorgnis darüber, dass durch die Neueröffnung der vollzeitschulischen Weiterbildungsmöglichkeiten vor Ort ausbildungsfähige Jugendliche vom Arbeitsmarkt ferngehalten würden. Inzwischen ist die demographische Wende spürbar, der Fachkräftemangel droht, der die Arbeitgeber mit Sorge erfüllt und auch im Tenor der Pressemitteilungen einen grundlegenden Wandel bewirkt hat. Allgemein wird nun befürchtet, dass dem Arbeitsmarkt der Nachwuchs ausgehe (DPA 2010). Die Handwerkskammer Hamburg warb 2010 sogar massiv für „Migranten im Handwerk“ (HWK HAMBURG 2010).

Auch die Regierungskoalition aus SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, das Problem des Fachkräftemangels in Angriff zu nehmen. Am 10.2.2011 teilte das Schulministerium NRW in einer Pressemitteilung mit, dass zur Förderung des direkten Einstiegs von Jugendlichen nach dem allgemeinbildenden Schulabschluss in eine Berufsausbildung zum einen die vielfältigen Übergangsmaßnahmen deutlich reduziert werden sollten und zum anderen der Berufsabschluss durch verbesserte Angebote zum Erwerb der Fachhochschulreife aufgewertet werden solle. Dies würde zum Beispiel die Attraktivität des Besuchs einer HBFS deutlich senken.

Mitten in dieser für sie undurchsichtigen und sich ständig ändernden Situation auf dem Aus- und Weiterbildungsmarkt werden die Jugendlichen von Vertretern folgender Institutionen mit ihrem jeweiligen Schwerpunkt beraten:

 

Tabelle 1:    Berufsberatung durch verschiedene Anbieter

Institution

Kontakt/Beratung durch

Schwerpunkt der Beratung

Abgebende Schulen (z.B. Hauptschule)

ausgebildete Beratungslehrer (Koordinatoren für Studien- und Berufsorientierung = StuBOs)

gesicherter Übergang der Jugendlichen in eine Ausbildung, Maßnahme im Übergangssystem oder an das Berufskolleg (Motto: „Keiner darf verloren gehen!“)

Bundesagentur für Arbeit

Berufsberater

Vermittlung in eine duale Ausbildung oder in eine berufsorientierende bzw. -qualifizierende Maßnahme, Sensibilisierung für Ausbildungsportale der BA (z.B. www.planet-beruf.de)

Arbeitgeberverbände (Kreishandwerkerschaft, IHK)

Informationsveranstaltungen an den abgebenden Schulen, Berufsbildungsmessen, Projektförderung, Kooperationen

Rekrutierung von geeignetem Nachwuchs für eine duale Ausbildung in einem Betrieb der Region

Berufskollegs

Informationsveranstaltungen an den abgebenden Schulen, Infotage, Laufbahnberatung durch StuBOs

Vermittlung in einen vollzeitschulischen Bildungsgang (z.B. BOJ, BGJ oder HBFS), Förderung der Ausbildungsreife

Träger von berufsorientierenden
oder -qualifizie-renden Maßnahmen

spezialisierte Sozialpädagogen (Infostände auf Berufsbildungsmessen und Infotagen der Berufskollegs)

Vermittlung in eine berufsvorbereitende oder -qualifizierende Maßnahme (z.B. Werkstattjahr, EQJ, Ausbildungen im 2. und 3. Ausbildungsmarkt...)

Bundesregierung

Berufseinstiegsbegleiter an Hauptschulen

Übergangsbegleitung der Jugendlichen vom 9. Schuljahr bis ins 1. Ausbildungsjahr (nur 2011 bis 2013)

Gewerbliche und ehrenamtliche Anbieter

z.B. „Berufswahlcoach“/
„Berufswahlpaten“

individuelle Hilfestellung und Übergangsbegleitung

 

Auch wenn die Interessen der einzelnen Anbieter von Berufsberatung durchaus sinnvoll und nachvollziehbar sind, bilden sie in der Summe für die Betroffenen (die Jugendlichen und ihre Eltern) das Bild eines undurchdringlichen „Beratungsdschungels“, der für die klare Entscheidungsfindung nur bedingt zielführend ist. In vielen Fällen kann sogar von einer „Beratung in die Unsicherheit“ gesprochen werden, in der viele Jugendliche sich für das entscheiden, was ihnen bekannt vorkommt, die Fortführung der Schule. Wie bereits oben ausgeführt, haben auch die Eltern daran großes Interesse, vor allem weil sie ihre Kinder „versorgt“ wissen wollen. Die emotionale Grundlage der sicherheitsorientierten Entscheidung von Schulabgängern und ihren Eltern ist daher verständlich und generell nicht als „schlecht“ zu bewerten. Betriebsinhaber äußern sich regelmäßig positiv über die Ausbildungsreife und die Selbstständigkeit der BGJ-Schüler/innen, die bei ihnen ihr Praktikum absolvieren.

Häufig werden dabei aber folgende Faktoren stark unterschätzt:

  • Viele Jugendliche sind schulmüde und täten gut daran, nach dem allgemeinbildenden Schulabschluss in die Ausbildung zu gehen.
  • Der Erwerb eines höheren Schulabschlusses setzt verstärkte Anstrengungen der Lernenden und folglich ein engagiertes
  • Jeder Schulwechsel ist ein „Bruch“ im Lebenslauf, vor allem wenn er mit Frustration und im Extremfall mit dem Abbruch der Schule verbunden ist.
  • Der berufliche Schwerpunkt in den vollzeitschulischen Bildungsgängen der Berufskollegs setzt das Interesse am Berufsfeld voraus. Dies wird vor allem für solche Jugendlichen zum Problem, die „nur“ den höheren allgemeinbildenden Schulabschluss erwerben wollen und den Bildungsgang gewählt haben, den sie „halt gekriegt“ haben. An dieser Stelle ist anzumerken, dass gerade in dieser Haltung die mangelnde Zielorientierung vieler Jugendlicher nach dem allgemeinbildenden Abschluss deutlich wird.
  • Um für die Jugendlichen einen koordinierten und vor allem schnelleren Übergang von der Schule in die Ausbildung zu schaffen, sind in der dargestellten Situation hohe Anstrengungen zur Förderung der Ausbildungsreife zu leisten. Einen detaillierten Überblick zu den Begriffen „Ausbildungsreife“, „Ausbildungseignung“, „Berufsreife“ und „Vermittelbarkeit“ bietet die Handreichung „Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife“ (NATIONALER PAKT FÜR AUSBILDUNG UND FACHKRÄFTENACHWUCHS 2006). Unter Ausbildungsreife wird in diesem Zusammenhang die Erfüllung der allgemeinen Merkmale der Bildungs- und Arbeitsfähigkeit und der Mindestvoraussetzungen für den Einstieg in die berufliche Ausbildung verstanden. „Dabei wird von den spezifischen Anforderungen einzelner Berufe abgesehen, die zur Beurteilung der Eignung für den jeweiligen Beruf herangezogen werden (Berufseignung). Fehlende Ausbildungsreife zu einem gegebenen Zeitpunkt schließt nicht aus, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt erreicht werden kann“ (ebenda).

Häufig geht es in erster Linie darum, den jungen Leuten Mut zu machen und ihre Bereitschaft zu stärken, sich für den als unübersichtlich und bedrohlich empfundenen Ausbildungsmarkt stärker zu interessieren als für ein weiteres Verbleiben im „sicheren“ System Schule. Hierbei muss unterschieden werden zwischen folgenden Angeboten:

  • Angebote für alle Schüler (zum Beispiel Vermittlung von Präsentationstechniken, Selbstmanagement, Berufsberatung durch Berater der Bundesagentur für Arbeit, Besuch von Berufsmessen, Einladung von und Gespräche mit Experten usw.),
  • Angebote für Schüler mit besonderem Förderbedarf (zum Beispiel Förderunterricht, Intensivberatung, Zusammenarbeit mit Experten, wie schulpsychologischem Dienst, Jugendhilfe usw.),
  • Angebote für Schüler mit besonderen Fähigkeiten.

Das unterrichtsimmanente Arbeitsprinzip „Lernen durch Lehren“ richtet sich vor allem an die letztgenannte Gruppe. Dabei wird unter „besonderen Fähigkeiten“ vor allem das ausgeprägte Interesse bzw. der Mut verstanden, das eigene berufsbezogene Fachwissen vor fremden Schülerinnen, Schülern und Erwachsenen mit bestimmten Funktionen (Lehrern, Direktoren, Eltern, Politikern) auch außerhalb des Unterrichts zu präsentieren. Es handelt sich also um allgemeine Fähigkeiten, die zunächst im Unterricht eingeübt werden, um dann über den Unterricht hinaus zu besonderen Fähigkeiten weiterentwickelt zu werden. Ziel ist es dabei, dass die Lernenden möglichst viele Anlässe erhalten, sich selbst als „kompetent“ darzustellen und dies von der „Außenwelt“ auch so zurückgespiegelt zu bekommen. Dass ein Reifeprozess stattfindet, wenn die Lernenden diese Möglichkeit für sich entdecken und sie regelmäßig nutzen, ist aus meiner Sicht einleuchtend.

Der Bildungsgang des Berufsgrundbildungsjahres ist gut geeignet um Lernen durch Lehren einzuführen und zu verankern, weil:

  • die Lerninhalte durch den beruflichen Bezug für die Schülerinnen und Schüler einen hohen „Ernstcharakter“ haben und
  • er nur einjährig stattfindet, d.h. die Jugendlichen in einem kurzen Zeitraum zum Ziel geführt werden.

Erste Schritte zum Lernen durch Lehren

Nur wenige Jugendliche, die von der Sekundarstufe I ins Berufsgrundbildungsjahr eintreten, präsentieren ihr Wissen freiwillig vor einer großen Gruppe oder vor Fremden. Meist halten sie es für „unnötig“, strukturiert über Fachwissen zu sprechen. Sie sind es eher gewohnt, auf Fragen der Lehrkraft (also in einem vorstrukturierten Ablauf) zu antworten. In einem dreiwöchigen Methodentraining werden die Schülerinnen und Schüler deshalb zu Beginn des Schuljahres an die freie Präsentation herangeführt. Erste Schritte unternehmen sie in Partnerarbeit oder Kleingruppen, in denen sie sich zum Beispiel gegenseitig mit Hilfe von Lernkarten abfragen und für die dort verzeichneten Lernbegriffe Strukturen finden (WELL-Methode nach: WAHL 2000, 162f.). Erste Präsentationen vor dem Plenum finden in einem zunächst stark formalisierten Ablauf statt. Mit Hilfe von vorgegebenen Satzanfängen („In dem Text steht ...“, „Besonders wichtig ist ...“, „Unter ... versteht man ...“ usw.) werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, je einen wahren Satz zu einem Fachtext zu sagen. Auf diese Weise wird nicht nur der Inhalt vollständig wiedergegeben, sondern es können auch Verständnisschwierigkeiten reflektiert und behoben werden (ohne die fehlerhaften Äußerungen der Lernenden können diese normalerweise gar nicht erkannt werden, da kaum jemand zugeben mag, dass er etwas nicht verstanden hat). Sobald die Jugendlichen anfangen, mehr Vertrauen in ihr eigenes Fachwissen zu entwickeln, können sie dann, zum Beispiel anhand selbst entworfener (beschrifteter) Zeichnungen, Mind Maps oder Struktogramme, komplexere Zusammenhänge vor dem Plenum darstellen. Wichtig in dieser Phase ist, dass fachliche Fehler oder fehlende Inhalte vor allem durch die Mitschüler reflektiert werden (zum Beispiel mit Hilfe einer vorab ausgewählten „Jury“, die einen Lösungsbogen verwaltet), weil die Lernenden dann eine entspanntere Haltung zur Fehlerkorrektur entwickeln. Dadurch erfahren sie zum einen, dass Fehler vorkommen dürfen („Scheitern ist erlaubt“), dass diese aber dann regulär korrigiert und Wissenslücken geschlossen werden müssen, damit das Fachwissen auf einem sicheren Fundament steht.

3.1 Beispiele für aktivierende Unterrichtsmethoden zur Vorbereitung der freien Präsentation

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Schon nach den ersten Wochen lässt sich meist bei einigen Schülerinnen und Schülern eine Vorliebe für die Präsentation erkennen. Diese werden gezielt angesprochen, wenn besondere Präsentationen, zum Beispiel vor anderen Klassen, Austauschschülern oder Lehrern anderer Schulbereiche anstehen. Die Präsentation außerhalb des Unterrichts ist in der Regel sehr beliebt, weil sie zum einen Abwechslung bietet und die Lernenden auf eine Weise fordert, die sie gut bewältigen können. Noch kein/e Schüler/in hat in einer solchen Situation jemals „dumm dagestanden“. Vielmehr ist bei allen Beteiligten ein hohes Maß an Wertschätzung und bei den Vortragenden hohe Konzentration und fundiertes Fachwissen erkennbar. Zudem ist das Interesse eines fachfremden Publikums, das nachfragt und fachliche Erklärungen fordert real und damit dem Berufsalltag sehr nah. Die Schüler erkennen so den eigenen Wissensstand/Fachkompetenz gegenüber den Zuhörern. Die Motivation einem Laien sein Können zu zeigen, ist somit um einiges höher, als es den Mitschülern, die sehr kritisch sind, zu präsentieren. In der Regel interessieren sich nach den ersten externen Präsentationen auch solche Schüler/innen dafür, die im Klassenraum eher zurückhaltend sind, wenn es darum geht, vor anderen zu sprechen. Besonders deutlich wird dies regelmäßig an den Infotagen des Carl-Reuther-Berufskollegs, wenn die BGJ-Schüler/innen ihre Tätigkeiten in der Werkstatt präsentieren und die Besucher aus den Klassen 9 und 10 fachkundig anleiten.

3.2 Beispiel für die Präsentation vor externen Beteiligten

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Es ist daher äußerst sinnvoll, Anlässe für externe Präsentationen bereits in der didaktischen Jahresplanung der Fachpraxis zu verankern. Zum hohen Lerneffekt auf der Ebene der Fachkompetenz kommt das höhere Selbstvertrauen auf der Ebene der Selbstkompetenz. Für mich steht außer Frage, dass dieses, durch lehrendes Lernen erzeugte, gesteigerte Selbstbewusstsein unmittelbar positive Folgen für den Lernerfolg hat.

Die nachstehende Tabelle zeigt einen Auszug aus der didaktischen Jahresplanung der Fachpraxis im BGJ Farbtechnik und Raumgestaltung. Neu eingefügt wurde die Spalte „Dokumentation/ Präsentation“. Die hierfür erforderlichen Techniken werden im Fach Deutsch/Kommunikation eingeübt.

 

Tabelle 2:   Didaktische Jahresplanung der Fachpraxis im BGJ Farbtechnik und Raumgestaltung (Auszug), Schuljahr 2010/11

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4 Projektidee

Die Idee, ein Kooperationsprojekt mit der Gesamtschule Hennef im Bereich der Berufsvorbereitung und -orientierung zu initiieren, kam während einer schulformübergreifenden Fortbildung, auf der ich einen Studien- und Berufsorientierungskoordinator (StuBO) der Gesamtschule traf, den ich auch vorher schon aus verschiedenen Zusammenhängen kannte. Der Kollege ist ein ausgewiesener Fan des BGJ und hält den Bildungsgang für eine gute Möglichkeit, die Ausbildungsreife der Jugendlichen zielgerichtet zu verbessern. Auch die Gesamtschule Hennef mit ihren sechs ausgebildeten StuBOs geht im Bereich der Berufsorientierung einen sehr engagierten Weg und führt hierzu zahlreiche kollektive und individuelle Projekte ab der Klasse 6 durch.

Diesem Kollegen erzählte ich von dem integrativen Unterrichtsprinzip Lernen durch Lehren und unserem generellen Interesse, Lernorte außerhalb der Klasse zu finden, um die Lernenden in die Verantwortung zu nehmen. Daraus entwickelte sich schnell die Projektidee: Ausgewählte Schüler/innen des BGJ leiten ausgewählte Schüler/innen der Klassen 8 und 9 (voraussichtliche Hauptschulabsolventen mit dem Berufswunsch Handwerk) bei einem in der Gesamtschule durchgeführten Arbeitsauftrag theoretisch und praktisch an. Dabei werden folgende Ziele durch die Projektbeteiligten des BGJ verfolgt:

  • wenden ihre Fachkompetenz und ihre Präsentationsfähigkeit an, um Jugendlichen in der Berufsorientierungsphase ein umfassendes Bild von ihrem Berufsfeld zu vermitteln,
  • informieren sich selbstständig, planen und strukturieren das Projekt so, dass es an einer fremden Schule durchführbar ist,
  • bereiten die fachlichen Inhalte so auf, dass sie für die Jugendlichen ohne Vorkenntnisse verständlich und durchführbar sind,
  • übernehmen die Verantwortung für die Vorbereitung des Projekts (zum Beispiel Planung des Arbeitsablaufs, Bereitstellung der Materialien).

Die Projektbeteiligten der Gesamtschule:

  • nutzen die Gelegenheit, sich anhand eines praktisch durchgeführten Arbeitsauftrags in ihrer Schule über ein Berufsfeld als mögliche zukünftige Wirkungsstätte zu informieren,
  • werden in den Planungsprozess des Projekts eingebunden (Blick hinter die Kulissen),
  • führen ihnen übertragene Arbeitsaufträge möglichst selbstständig durch,
  • nehmen ihre Schule als „Baustelle“ und Gestaltungsraum wahr.

5   Von der Idee zur Durchführung

So zügig eine erste Idee entworfen ist, so umfassend und komplex ist deren konkrete Umsetzung, zumal wenn die Idee „von unten“ („bottom up“) und nicht von der Schulleitung („top down“) initiiert wird. Grundsätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass die Kooperation zwischen mehreren Schulen zuerst von beiden Schulleitungen genehmigt werden muss, weil sie direkte Auswirkungen auf die Geschäftsprozesse beider Schulen hat. So müssen zunächst folgende Fragen geklärt werden:

  • Wie viele und welche Schüler/innen nehmen an dem Projekt teil?
  • Wie wird das Projekt im Stundenplan verankert (Wochentage, Vertretungsregelung)?
  • Was machen die Schüler/innen, die nicht an dem Projekt teilnehmen (reguläre Lernsituation)? Der Entwurf einer regulären Lernsituation, die „im Normalfall“ durchgeführt wird, ist unbedingt erforderlich, weil der Unterricht gesichert sein muss, auch wenn das Projekt nicht stattfinden kann.
  • An welchen Baustellen können die Jugendlichen aktiv werden? Welches Projekt soll konkret durchgeführt werden? 
  • Wie wird der Transport der Projektbeteiligten geregelt (Rechts- und Sicherheitsvorschriften!)?
  • Wer muss informiert und eingebunden werden?
  • Wer ist wofür zuständig (Aktionen, Vorbereitungen usw.)?
  • Wer ist wofür verantwortlich?

5.1  Personalfragen

Besonders die beiden letzten Fragen sollten gründlich und vor allen anderen geklärt werden, damit es nicht mitten im Projekt zu Ausfällen kommt, weil sich keiner für diesen oder jenen besonderen Part zuständig fühlt. So übergab der Kollege, mit dem ich die Projektidee entwickelt hatte, die Verantwortung an einen weiteren StuBO der Gesamtschule, der vorrangig für die Projektentwicklung in den Klassen 8 und 9 zuständig war. Mit diesem entwickelte ich gemeinsam eine konkrete Ablaufplanung für das Projekt (siehe Tabelle 3a). Diese wurde beiden Schulleitungen vorgelegt und genehmigt. Kurz vor dem ersten Einsatz der Schüler in der Gesamtschule gab dieser Kollege die Verantwortung wiederum an den Schulsozialpädagogen weiter, ohne aber sicherzustellen, dass dieser auch tatsächlich die notwendigen Schritte zur konkreten Umsetzung der Planung organisierte. Die ungünstigen Folgen liegen auf der Hand. So scheiterte das Projekt im ersten Anlauf, weil die Baustellenbegehung in der Gesamtschule zusammen mit dem Hausmeister durchgeführt werden sollte, dieser aber zum vereinbarten Zeitpunkt einen wichtigen Handwerkertermin hatte und daraufhin die gesamte Aktion abgebrochen werden musste. In der zweiten Planung ist der Hausmeister daher nicht als Akteur des Projektteams, sondern lediglich im Beraterkreis eingeplant (siehe Abb. 7). Sämtliche Absprachen werden außerhalb der Termine, an denen die Schüler/innen in der Durchführung des Projektes aktiv sein sollen, abgesprochen. Außerdem sorgen die Verantwortlichen der Gesamtschule für die Organisation der ggf. notwendigen Schlüssel und Räume.

Dennoch ist ein Scheitern im ersten Anlauf nicht als Scheitern des gesamten Projekts zu werten, wie dies vermutlich in der Wirtschaft der Fall wäre. Zum einen lohnt es sich, für enttäuschte Schüler/innen einen neuen Anlauf zu wagen, zum anderen ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Vertreter der kooperierenden Schulen nicht unbedingt über dieselbe schulübergreifende Projekterfahrung verfügen. Sofern beide Partner offen und wertschätzend miteinander umgehen, sollten die ungünstigen Faktoren reflektiert und Lösungsansätze für einen Neubeginn gefunden werden. Dabei ist festzuhalten, dass es besonders in der Entwicklung eines Pilotprojektes sinnvoll ist, eine schriftliche Vereinbarung  (niederschwelliger ist eine Grafik) zur Sicherung der Zuständigkeiten (Wer macht was?) und der Verantwortung (Wer entscheidet worüber?) aufzusetzen. Das Ergebnis sieht im zweiten Anlauf folgende Struktur vor:

 

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Abb. 7:   Entscheidungs- und Aktionsebenen der „Projektmannschaft“. (Quelle: SCHEURER 2010, 107)
Verwendete Kürzel: CRBK = Carl-Reuther-Berufskolleg des Rhein-Sieg-Kreises in Hennef; GE Hennef = Gesamtschule Hennef

 

Die Kooperation erfolgt in Form der Synchronisierung (HARAZD/ DROSSEL 2011, 35), in der jeder Projektschritt zwischen den Kooperationspartnern exakt abgestimmt wird. Wichtig ist, dass an jeder Schule eine Projektleitung benannt wird, die in einem festen Zeitplan und nach festen Regeln nach innen und außen kommuniziert (vgl. SCHEURER 2010, 106ff). Formal sind persönliche Treffen mit Protokoll, E-Mail-Verkehr mit festgelegtem Verteiler und protokollierte Telefonate sinnvoll. SCHEURER (ebd., 134) empfiehlt die Dokumentation in einem Projektordner, in dem alle Pläne, Unterlagen, Protokolle, E-Mails, Notizen usw. in Printform strukturiert abgelegt werden. Da der Lehrerberuf nur zu einem relativ geringen Teil aus der Organisation und Durchführung von Projekten besteht, lässt sich dies nur bedingt umsetzen. Bedauerlicherweise, muss man hinzufügen, denn für die anschließende Evaluation oder die Wiederaufnahme von Projektelementen für nachfolgende Projekte kann ein solcher Ordner eine große Hilfe sein. Daraus wird zum Beispiel ersichtlich, an welchen Punkten mit wem Rücksprache zu halten ist, wer in welcher Phase worüber informiert wird und wer wann welche Aufgabe übernehmen muss.

5.2 Projektinhalte

Grundsätzlich ist es ein heikles Anliegen, in einer fremden Schule mit Schüler/innen handwerklich tätig werden zu wollen. Für die Partnerschule (Gesamtschule) herrscht eine ähnliche Gefühlslage vor wie bei einem Privatkunden, der den Handwerker in seine Wohnung lässt. Das Angebot ist attraktiv, aber man befürchtet das „Eindringen von außen“. Daher sollten die Projektinhalte in der großen Runde (Schulleitung, Projektteam, Beraterkreis) im Konsens abgesprochen und „Kundenwünsche“ berücksichtigt werden. Auf diese Weise wird die Akzeptanz des Projekts für beide Seiten erhöht. Auf der anderen Seite muss das Planungsteam des Berufskollegs bereits in diesem Gespräch ständig die Machbarkeit (Zeitkontingent, Aufwand, Materialkosten, handwerkliches Können der Schüler/innen, Transport usw.) im Auge behalten. Hier sind auch fachliche Erklärungen und Begründungen notwendig, da z.B. die Schulleitung der Gesamtschule vor allem die Probleme der konkreten Umsetzung mit den Schüler/innen nicht kennen kann. Des Weiteren geben die Festlegungen der Rahmenlehrpläne beider beteiligten Schulformen zum Zeitpunkt des Projektes einen inhaltlichen Rahmen vor, der zu wahren ist.

In diesem Abstimmungsgespräch wurden mit dem Team der Gesamtschule folgende Arbeitsaufträge festgelegt:

  • BGJ Farbtechnik: Graffiti im Eingangsbereich zu den Technikräumen entfernen und die Wände dekorativ gestalten sowie beschriften,
  • BGJ Holztechnik: lagerfähige Holzfiguren (zusammenklappbar aus schichtverleimten Platten) für ein Schachspiel im Außenbereich herstellen und Oberfläche behandeln.

Die ursprüngliche Idee, ein gewerkeübergreifendes Projekt durchzuführen, ließ sich für die Pilotphase nicht realisieren. Dieses Vorhaben kann ggf. in zukünftigen Kooperationen weiter verfolgt werden, wenn sich die Zusammenarbeit positiv entwickelt und beide Seiten daran ein fortgesetztes Interesse haben. Ergebnisse hierzu wird die Evaluation durch die Schüler/innen und die Lehrkräfte bringen.

5.3 Projektablaufplanung

Die Ablaufplanung wird für die Synchronisierung der gemeinsamen Aktivitäten mit dem Kooperationspartner als Grundlage für die Umsetzung im Unterricht erstellt:

 

Tabelle 3a:  Synchronisationsplanung

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Verwendete Kürzel: SuS = Schülerinnen und Schüler; LuL = Lehrerinnen und Lehrer; SL = Schulleitung;  CRBK = Carl-Reuther-Berufskolleg; GE Hennef = Gesamtschule Hennef ; UG-Vorbereitung = Untergrundvorbereitung

 

Tabelle 3b:      Übersicht der Projektschritte im Ablaufplan, Schuljahr 2010/11.

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Unterrichtsplanung

Die konkrete Unterrichtsplanung erfolgt durch die am Projekt beteiligten Schülergruppen selbst. Die Lernenden erstellen die Bauaufnahme in Form einer kommentierten Fotodokumentation (diese wird in vorangegangenen Lernsituationen im Unterricht eingeübt) und leiten daraus einen Kundenauftrag und eine Leistungsbeschreibung ab. Da sie zuvor das Arbeiten mit Leittexten nach den Phasen der vollständigen Handlung gelernt haben und die „typischen“ Aufgabenstellungen jeder Phase kennen, welche sich am realen Ablauf eines komplexen Arbeitsauftrages orientieren, führen sie die vollständige Planung des Projekts mit Hilfe digitaler Vorlagen durch, die nach demselben Prinzip wie die im Unterricht verwendeten Unterlagen formatiert sind. Sie dokumentieren ihre Aufgaben und Ergebnisse in der eingeübten Weise und präsentieren ihre Ausarbeitungen zu festgelegten Terminen dem Lehrerteam (Kurzkonferenzen). Vor der praktischen Durchführung erläutern sie ihre Ergebnisse noch einmal den Schüler/innen der Gesamtschule und schließlich deren Schulleitung (siehe Tabelle 3a, Punkte 6 und 7).

Die Aufgabe, eine vollständige und verständliche Präsentation für Fachfremde (Kunden) vorzubereiten, stellt dabei die eigentliche Herausforderung dar. Hierbei werden, wie auch im Berufsleben, fundierte Fachkenntnisse, aber auch kommunikative Professionalität und ein angemessenes Auftreten erwartet. In diesem Sinne leistet das Kooperationsprojekt außerhalb der Schule, das nach dem immanenten Arbeitsprinzip Lernen durch Lehren durchgeführt wird, einen noch intensiveren Beitrag, um Ausbildungsreife zu fördern und zu festigen als ein Projekt innerhalb der „eigenen vier Wände“.

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Abb. 8:  Präsentation der Ausarbeitungen zur Planung des Projektes im BGJ Holztech

6 Fazit

Insgesamt ist das immanente Arbeitsprinzip Lernen durch Lehren sowohl im Unterricht als auch in kleineren und größeren Projekten und Präsentationssituationen einfach und ohne großen zusätzlichen Aufwand umzusetzen. Es bringt für die Jugendlichen sichtbare und erfahrbare Erfolge in der individuellen Förderung ihrer Ausbildungsreife. Folgende Faktoren sind für eine erfolgreiche Implementierung entscheidend:

·         Klassenlehrerprinzip: Klassenlehrer/innen unterrichten in der Regel viele Stunden, über mehrere Tage verteilt, in der Klasse und bereiten mit den Lernenden viele kleine und größere Präsentationen vor. Sie halten auch den ständigen Kontakt zu anderen Fachlehrer/innen des Bildungsgangteams und synchronisieren die Inhalte zwischen Theorie- und Praxisunterricht zusammen mit den Werkstattlehrer/innen.

·          Verankerung in der didaktischen Jahresplanung: Sowohl im Theorie- als auch im Praxisunterricht werden Möglichkeiten der schriftlichen (Fotodokumentation, formatierte Arbeitsablaufbeschreibung usw.) und mündlichen Präsentation in der didaktischen Jahresplanung vorgesehen und im Unterricht umgesetzt. So werden zum Beispiel im Gestaltungsunterricht Entwürfe mit einer schriftlichen Begründung aus dem Fach Deutsch/Kommunikation vorbereitet, die dann als Grundlage für das Fachgespräch mit dem Werkstattlehrer vor der Umsetzung in die Praxis dienen. Im beschriebenen Projekt wird dieses Prinzip dann ebenfalls außerhalb der eigenen Schule vor einem „realen Kunden“ angewandt.

·         Verzahnung mit Formen des sozialen Lernens: Besonders am Anfang fällt vielen Jugendlichen der faire und aufmerksame Umgang mit präsentierenden Mitschüler/innen schwer. Deshalb erlernen sie zu Beginn des Schuljahres parallel zur Einführung des Arbeitsprinzips Lernen durch Lehren verschiedene Formen demokratischen Verhaltens nach einem institutionalisierten Ablaufschema (zum Beispiel das Fünf-Minuten-Feedback im Vier-Augen-Gespräch oder der ca. 30-minütige Klassenrat im Plenum. Zum sozialen Lernen bietet die Literatur zahlreiche Anregungen, beispielsweise bieten EDELSTEIN  u.a. (2009) exemplarisch eine interessante Auswahl.). Die Reflexion eigener Verhaltensweisen während und außerhalb der Unterrichtszeiten in einem vorgegebenen Rahmen und zu festen Zeiten wird über das gesamte Schuljahr durchgeführt.

·         Freiwilligkeit: Außerhalb der vorgegebenen Situationen im Unterricht sollte die Teilnahme an Präsentationen freiwillig sein. Die Lernenden nehmen dann das Arbeitsprinzip Lernen durch Lehren als individuelle Förderung ihrer Fach- und Selbstkompetenz wahr und fordern es bewusst ein.

Das immanente Arbeitsprinzip Lernen durch Lehren macht nicht nur den Jugendlichen, sondern auch ihren Lehrer/innen Mut. Wir haben festgestellt, dass man sich auf die Schüler/innen auch im alltäglichen Unterricht stärker verlassen kann, wenn man ihnen mehr zutraut und in der Folge mehr Verantwortung überträgt. Dies gelingt zwar nicht in jedem einzelnen Fall, da sich nicht alle auf das Arbeitsprinzip einlassen. Trotzdem kann die Lehrkraft insgesamt freier agieren. Dies zeigt sich u.a. in Vertretungssituationen, zum Beispiel wenn mehrtägige Fortbildungen anstehen. Es finden sich immer kooperative Schüler/innen, die den Vertretungslehrkräften nach vorheriger Absprache (Kurzkonferenz) die anstehenden Unterrichtsaufgaben aus der Lernsituation erklären und der Vertretung helfen, ihren Lernprozess zu begleiten. Dies sind, wie gesagt, nicht immer Schüler/innen mit guten Noten, sondern auch diejenigen, die in solchen Situationen Freude daran haben, dass sie beweisen können, was sie „drauf haben“. Das Problem, dass während der Abwesenheit der Lehrkraft „nichts läuft“, ist damit obsolet. Hier zeigen die Lernenden, dass sie sich aktiv am Lernprozess beteiligen und verantwortungsvoll handeln. Das in diesem Prozess erworbene Selbstvertrauen ist unumkehrbar und das resultierende Verantwortungsbewusstsein nachhaltig. So hat auch Martin im Januar seinen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Und? War das nun so schwer? „Nö. War eigentlich viel leichter, als ich dachte.“

Literatur

a) Pressemitteilungen (Auswahl, sortiert nach Aktualität):

MINISTERIUM FÜR SCHULE UND WEITERBILDUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN (MSW) (2011): Spitzengespräch im Ausbildungskonsens: Minister Schneider und Ministerin Löhrmann: „Wir schaffen einen systematischen Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf". Online: http://www.schulministerium.nrw.de/BP/ Presse/Meldungen/Pressemitteilungen/ pm_10_02_2011.html  (10-02-2011).

BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (BMBF) (2004 - 2011): Pressemitteilungen zum Thema „Lehrstellenmangel“. Online: http://bildungsklick.de/topic/lehrstellenmangel  (10-02-2011).  

Hieraus folgende Auswahl:

BMBF (2010): Ausbildungsmarkt weiter im Aufwind. Online: http://bildungsklick.de/pm/76429/ausbildungsmarkt-weiter-im-aufwind/  (15-12-2010).

DPA (2010): Studie: Dem Arbeitsmarkt gehen die jungen Leute aus. Online: http://bildungsklick.de/a/73726/studie-dem-arbeitsmarkt-gehen-die-jungen-leute-aus/  (07-06-2010).

HANDWERKSKAMMER HAMBURG (2010): Migranten im Handwerk dringend erwünscht. Online: http://bildungsklick.de/pm/72962/migranten-im-handwerk-dringend-erwuenscht/  (16-04-2010).

DIHK - DEUSCHER INDUSTRIE- UND HANDELSKAMMERTAG E.V. (2009): DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann: Abwärtstrend bei Ausbildungsverträgen gestoppt. Online: http://bildungsklick.de/pm/69349/dihk-praesident-hans-heinrich-driftmann-abwaertstrend-bei-ausbildungsvertraegen-gestoppt/  (05-08-2009).

BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG (BIBB) (2009): BIBB-Präsident Manfred Kremer: „Es muss keine Krise auf dem Lehrstellenmarkt geben, wenn alle gemeinsam handeln". Online: http://bildungsklick.de/pm/67860/bibb-praesident-manfred-kremer-es-muss-keine-krise-auf-dem-lehrstellenmarkt-geben-wenn-alle-gemeinsam-handeln/  (23-04-2009).

PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (2009): Berufsausbildung: Weitere Telefonaktionen zum Thema Ausbildung. Online: http://bildungsklick.de/pm/67364/berufsausbildung-telefonieren-zum-thema-ausbildung/  (25-03-2009).

DIHK (2008): Noch gute Ausbildungschancen für Jugendliche. Online: http://bildungsklick.de/a/62167/noch-gute-ausbildungschancen-fuer-jugendliche/  (04-08-2008).

BAYERISCHER LEHRER- UND LEHRERINNENVERBAND (BLLV) E.V. (2007): Desaster am Ausbildungsmarkt nicht schön reden. Online: http://bildungsklick.de/pm/56090/desaster-am-ausbildungsmarkt-nicht-schoen-reden/  (18-10-2007).

DEUTSCHER BUNDESTAG (BT) (2007): Im Bundestag notiert: fehlende Ausbildungsplätze für Jugendliche. Online: http://bildungsklick.de/pm/52943/im-bundestag-notiert-fehlende-ausbildungsplaetze-fuer-jugendliche/  (14-05-2007).

GEW SCHLESWIG-HOLSTEIN (2006): Mangelnde Chancengleichheit: Auch in Schleswig-Holstein gilt Köhlers „Beschämender Befund". Online: http://bildungsklick.de/pm/33352/mangelnde-chancengleichheit/  (22-09-2006).

DEUTSCHER LEHRERVERBAND (DL) (2006): Lehrstellenmisere ist ein Skandal erster Ordnung. Online: http://bildungsklick.de/pm/50881/lehrstellenmisere-ist-ein-skandal-erster-ordnung/  (12-06-2006).

b) Literatur und Links

BGBL (BUNDESGESETZBLATT) (Hrsg.) (2011): Berufsgrundbildungsjahr-Anrechnungsverordnung (BGJAnrV) §2. Online: http://www.buzer.de/gesetz/77/a861.htm  (03-02-2011).

EDELSTEIN, W./ FRANK, S./SLIWKA, A. (Hrsg.) (2009): Praxisbuch Demokratiepädagogik. Weinheim.

HARAZD, B./ DROSSEL, K. (2011): Wie das Kollegium zur Zusammenarbeit angeregt werden kann. Schulleitungshandeln und Lehrerkooperation. In: SchulVerwaltung, H. 2/2011, 34-36.

KOCH, B./ KORTENBUSCH, J. (Hrsg.) (2009): Berufs- und Studienorientierung in Nordrhein-Westfalen. Ein Überblick. In: Partner für Schule und Beruf (Hrsg.): Handreichung zur Berufs- und Studienorientierung in NRW. Heft 1. Online: http://www.partner-fuer-schule.nrw.de/dev/t3/fileadmin/redaktion/pdf/stubo/Materialien/ Handreichung/ Heft_1/Heft_1_01.pdf  (20-05-2011).

NATIONALER PAKT FÜR AUSBILDUNG UND FACHKRÄFTENACHWUCHS (Hrsg.) (2006): Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife. Online: http://www.bibb.de/dokumente/pdf/a21_PaktfAusb-Kriterienkatalog-AusbReife.pdf  (22-09-2006).

PARTNER FÜR SCHULE NRW (2011): StuBO-Plattform für Studien- und Berufskoordinatoren. Online: http://www.partner-fuer-schule.nrw.de/dev/t3/stubo/aktuelles/  (21-02-2011).

SCHEURER, B. (2010): Projektherz. Das Handwerk der Inspiration. Münster.

SCHOBER, K. (Bundesagentur für Arbeit) (2008): Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife. Orientierung für Akteure im Übergang Schule – Beruf ? (Vortrag bei der Fachtagung „Übergänge für Benachteiligte erfolgreich gestalten – Fachkräfte regional und langfristig entwickeln!“ des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit und der Jugendberufshilfe Thüringen e.V. am 1. Juli 2008 in Erfurt. Übersichtliche und hilfreiche Zusammenfassung als Powerpoint-Präsentation). Online: http://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/abteilung4/ref34/fachtagung_01_07_08/karenschober_ba_ag_2.pdf  (20.05.11).

WAHL, D. (2000): Das große und das kleine Sandwich: Ein theoretisch wie empirisch begründetes Konzept zur Veränderung handlungsleitender Kognitionen. In: DALBERT, C./ BRUNNER, E. J.(Hrsg.): Handlungsleitende Kognitionen in der pädagogischen Praxis. Baltmannsweiler, 155-168.

c) Fotonachweise:

Abb. 1 – 6: GÖTTSCHE, F., mit freundlicher Genehmigung der abgebildeten Personen

Abb. 8: LANGE, D., mit freundlicher Genehmigung der abgebildeten Personen


Zitieren dieses Beitrages

GÖTTSCHE, F./ LANGE, D. (2011): Lernen durch Lehren – Förderung von beruflichem Verantwortungsbewusstsein bei Lernenden im Übergangssystem. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 03, hrsg. v. BAABE-MEIJER, S./ KUHLMEIER, W./ MEYSER, J., 1-21. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft03/goettsche_lange_ft03-ht2011.pdf  (26-09-2011).



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http://www.hochschultage-2011.de/