Titel:
Übergänge gestalten – Konzepte, Erfahrungen und Perspektiven in den Fachrichtungen Bautechnik, Holztechnik sowie Farbtechnik und Raumgestaltung
Beitrag von Werner KUHLMEIER & Gerhard SYBEN (Universität Hamburg & BAQ Forschungsinstitut Bremen)
Im Rahmen der Pilotinitiative des BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (BMBF) „Entwicklung eines Leistungspunktesystems für die berufliche Bildung (DECVET)“ wird gegenwärtig ein Projekt durchgeführt, das die Möglichkeiten der Einführung eines Leistungspunktesystems in der beruflichen Fortbildung der Bauwirtschaft untersucht. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Erfassung von Kompetenz, die bereits beim Eintritt in die Fortbildung vorliegt und hauptsächlich über Berufserfahrung erworben wurde. Bislang wird Berufserfahrung als Voraussetzung für eine Meister- oder Polierprüfung lediglich nach der Dauer der Berufstätigkeit, nicht aber nach deren Inhalt und Qualität bemessen. In verschiedenen Studien hat sich gezeigt, dass die „Dauer der Berufstätigkeit“ eine sehr unzureichende Größe zur Bestimmung der erworbenen Kompetenzen ist. Daher wird nach neuen Wegen gesucht, Berufserfahrung sichtbar zu machen.
Im Herbst 2007 wurde vom BMBF die Pilotinitiative „DECVET – Entwicklung eines Leistungspunktesystems in der beruflichen Bildung“ gestartet. Im Mittelpunkt der Initiative steht die Erprobung von Modellen zur Anrechnung von Kompetenzen an Schnittstellen des deutschen Berufsbildungssystems. Dabei geht es um die Frage, wie man Lernergebnisse erfassen und bewerten kann, um eine bessere Durchlässigkeit bei den Zu- und Übergängen beruflicher Bildungswege zu erreichen. Es sollen Anrechnungsverfahren entwickelt werden, die eine Übertragung von Lernergebnissen aus einem Bildungsgang in einen anderen ermöglichen, um Redundanzen zu vermeiden, die Bildungswege besser miteinander zu verknüpfen und die erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten transparenter zu machen (vgl. BMBF 2010).
In der DECVET-Initiative wird betont, dass es sich hier nicht um eine direkte Umsetzung des Europäischen Leistungspunktesystems für die Berufsbildung (ECVET) handelt, sondern, dass die Besonderheiten des nationalen Berufsbildungssystems erhalten und gestärkt werden sollen. Gleichzeitig werden jedoch zentrale Elemente des ECVET aufgegriffen, wie zum Beispiel die Orientierung an Lernergebnissen („Outcome-Orientierung“) und die explizite Einbeziehung und Anerkennung informell und non-formal erworbener Kompetenz. Damit soll es für die Anrechenbarkeit von Lernleistungen gleichgültig sein, in welchem Bildungsgang und in welchem zeitlichen Umfang gelernt wurde; entscheidend ist die nachgewiesene Kompetenz.
Im Rahmen der Pilotinitiative werden zehn Projekte durchgeführt, die sich mit Anrechnungsmöglichkeiten beruflicher Lernergebnisse an vier Schnittstellen des Berufsbildungssystems beschäftigen (siehe Abb. 1). An der Schnittstelle zwischen Berufsausbildung und Berufsfortbildung ist das Projekt „ECVET-D-Bau“ angesiedelt, über dessen Aktivitäten im Folgenden berichtet wird.
Abb. 1: Organigramm der Pilotinitiative DECVET (Quelle: www.decvet.net)
Das Projekt ECVET-D-Bau zielt darauf, den Übergang in eine berufliche Fortbildung in der Bauwirtschaft zu fördern. Im Mittelpunkt steht dabei der Fortbildungsberuf „Geprüfter Polier“. Es wird untersucht, wie bei den Personen, die diese Laufbahn anstreben, bereits vorhandene Lernergebnisse sichtbar gemacht und anerkannt werden können. Der Begriff „Lernergebnis“ verweist darauf, dass es nicht darum geht, den Besuch von Kursen oder Lehrgängen zu belegen, sondern es besteht der Anspruch, zu ermitteln, inwieweit jemand in der Lage ist, berufliche Anforderungssituationen auch tatsächlich zu bewältigen. Hierfür erscheint das Vorhandensein von beruflicher Erfahrung von besonderer Bedeutung. Es gilt also, ein Verfahren zu entwickeln, das valide Aussagen über die berufliche Handlungskompetenz eines angehenden Poliers ermöglicht. Auf der Grundlage dieser Kompetenzfeststellung werden Empfehlungen für die anschließende Fortbildungspraxis gegeben. Dadurch sollen redundante Lernprozesse vermieden werden. So ist es zum Beispiel wenig sinnvoll, dass sich jemand in den – zwar nicht verbindlichen, aber doch obligatorischen - Vorbereitungslehrgängen auf die Polierprüfung mit Inhalten auseinandersetzen muss, die er in der Praxis längst beherrscht. In der Bauwirtschaft ist es durchaus nicht unüblich, dass Personen einen Polierlehrgang durchlaufen, um die formale Qualifikation eines Poliers zu erwerben, obgleich sie eine entsprechende Tätigkeit in der Praxis bereits seit längerer Zeit ausüben. Gelingt es, die tatsächlichen Fähigkeiten transparent zu machen, können die Fortbildungsangebote adressatengerechter konzipiert und kann die Lehrgangsdauer möglicherweise verkürzt werden. Außerdem ergeben sich für die Personalentwicklung in den Unternehmen zusätzliche Anreize, Arbeitsprozesse lernförderlich zu gestalten, da die am Arbeitsplatz erworbene Kompetenz bereits als Bestandteil der beruflichen Aufstiegsfortbildung gewertet wird.
Mit einer lernergebnisorientierten Kompetenzfeststellung, die explizit die über Berufserfahrung erworbenen Fähigkeiten erfasst, wird in der Fortbildung der Bauwirtschaft gegenwärtig Neuland betreten. Um diesen Ansatz zu verbreiten, ist es auch notwendig, die Personen, die diese Aufgabe zukünftig ausführen sollen, zu schulen.
In der gegenwärtigen zweiten Phase des Projekts werden die folgenden Ziele angestrebt:
• Entwicklung eines Modells der Kompetenz von Polieren
• Entwicklung eines validen Verfahrens zur Feststellung der Kompetenz vor dem Einstieg in die Fortbildung
• Erprobung dieses Verfahrens
• Schulung von Prüfern zur Erstellung und Auswertung von Aufgaben zur Kompetenzfeststellung
• Synchronisation mit Europa.
Der Ausgangspunkt der Arbeit im Projekt ist die Analyse der Kompetenzbereiche eines Poliers. Hier kann an Ergebnisse eines vorausgegangenen Forschungsprojekts zur Weiterbildung in der Bauwirtschaft angeknüpft werden, in dem unter anderem differenzierte Untersuchungen zu den Tätigkeiten von Polieren durchgeführt wurden (vgl. SYBEN et. al. 2005). Auf dieser Grundlage wurde ein Kompetenzstrukturmodell entworfen, das drei Kompetenzdimensionen unterscheidet:
• eine bautechnologische Kompetenz, die auf die Beurteilung konstruktiver Baulösungen gerichtet ist,
• eine organisatorisch-dispositive Kompetenz, die vor allem die Umsetzung von Planungen und die Organisation der dazu notwendigen Arbeitsprozesse beinhaltet,
• eine Kompetenz zur Führung von Personal und zum Umgang mit anderen Baubeteiligten.
Diesen drei Kompetenzdimensionen lassen sich verschiedene berufliche Handlungsfelder eines Poliers zuordnen (siehe Abb. 2).
Kompetenzdimensionen und Handlungsfelder der Poliertätigkeit | ||
Bautechnologische Kompetenz | Organisatorisch – dispositive Kompetenz | Personalführungskompetenz |
Baupläne erfassen und beurteilen | Qualität sichern | Mitarbeiter führen und anweisen |
Maschinen und Geräte auswählen und einsetzen | Kostenrahmen einhalten | Auszubildende anleiten |
bautechnische Verfahren anwenden | Termine einhalten | an der Personalentwicklung mitwirken |
bautechnische Konstruktionen umsetzen | Material disponieren | mit anderen Gewerken abstimmen |
technische Regelwerke beachten | Personal disponieren | Lösungsvorschläge präsentieren |
| Maschinen und Geräte disponieren | mit Baubeteiligten kommunizieren |
| Bauabläufe dokumentieren |
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| Arbeitsausführung organisieren |
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| Arbeitssicherheit gewährleisten |
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| Nachunternehmen einsetzen |
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Abb. 2: Strukturmodell der Kompetenz von Polieren
Im beruflichen Handeln der Poliere kommen diese Kompetenzdimensionen miteinander verschränkt und integriert zur Anwendung; die hier vorgenommene Aufteilung dient vor allem analytischen Zwecken und soll verschiedene Ansatzpunkte für die Feststellung und Bewertung der Kompetenz liefern. Mit Hilfe des Kompetenzstrukturmodells soll vor allem ermittelt werden, in welchen Kompetenzdimensionen bereits berufliche Erfahrungen bestehen und Fähigkeiten vorliegen.
Berufserfahrung hat zumindest implizit schon immer eine große Rolle in der Aufstiegsfortbildung gespielt. Sowohl für die Zulassung zu Polier-, Meister- oder Technikerprüfungen ist eine einschlägige Berufserfahrung Voraussetzung. In der Regel wird einschließlich einer bauberuflichen Erstausbildung eine fünfjährige Berufspraxis verlangt, bevor jemand den Abschluss in einem Fortbildungsberuf machen kann. Interessanterweise wird der Berufserfahrung sogar ein höherer Stellenwert zugemessen, als der Berufsausbildung, da eine Berufsausbildung im Gegensatz zur Berufserfahrung nicht verpflichtend ist. Sie kann vielmehr durch eine entsprechend längere Praxisdauer ersetzt werden.
Die Berufserfahrung wird in der gegenwärtigen Verordnungspraxis jedoch ausschließlich quantitativ bestimmt; es wird nur die Dauer in Jahren angegeben, die jemand in der Bauwirtschaft gearbeitet hat. Welche Tätigkeiten diese Person dort ausgeübt hat und welches Niveau der Aufgabenbereich hatte, wird nicht bestimmt. Diese Praxis, Berufserfahrung ausschließlich nach Zeit zu definieren und nicht nach Inhalt oder Qualität ist – wie zahlreiche empirische Befunde zeigen – nicht angemessen (vgl. z. B. GEITHNER/ MOSER 2009). Der Erwerb von Berufserfahrung hängt vor allem von den erlebten Anforderungssituationen und der individuellen Verarbeitung dieser Situationen ab. Die Dauer einer Tätigkeit allein ist offensichtlich kein geeigneter Maßstab. Daher stellt sich die Aufgabe, ein Verfahren zur Erfassung von Berufserfahrung zu entwickeln, das auch qualitative Aussagen zulässt.
Recherchiert man in arbeitspsychologischen oder pädagogischen Schriften zum Konstrukt „Berufserfahrung“, ist man erstaunt, wie wenig systematische Untersuchungen es hierzu gibt. Einige allgemeine Befunde zur Berufserfahrung werden im Folgenden aufgeführt (vgl. GRUBER 1999 und 2001, GRUBER/ MANDL 1995):
• Der Aufbau von Berufserfahrung ist ein aktiver Akt des lernenden Subjekts, der nicht „en passant“ erfolgt, sondern durch eine intensive Reflexion von erlebten Situationen. Dieses lässt sich auf die einfache Formel bringen: „Erlebnisse hat man, Erfahrungen macht man.“ Je problemhaltiger und herausfordernder die erlebten Situationen sind, desto stärker wird darüber Berufserfahrung aufgebaut und verankert.
• Berufserfahrungen werden nicht semantisch, wie etwa ein auswendig gelernter Lehrsatz, gespeichert, sondern im episodischen Gedächtnis abgelegt. Das bedeutet, dass auch die Umgebungsbedingungen und die Geschehensabfolgen gespeichert werden.
• Berufserfahrung erweist sich vor allem in der Fähigkeit, unvorhergesehene Problemstellungen zu bewältigen. Sie geht daher weit über Arbeitsroutinen hinaus. Die Problembewältigung gelingt vorwiegend über die Erinnerung ähnlicher Situationen in der bisherigen Arbeitspraxis. Erst eine Abfolge mehrerer ähnlicher Situationen führt zum Aufbau von Erfahrung im Sinne verallgemeinerter Erkenntnisse.
• Die Berufserfahrung bleibt auf das spezifische berufliche Tätigkeitsfeld beschränkt, in dem sie gewonnen wurde, mit anderen Worten: Berufserfahrung ist „domänenspezifisch“. Jemand, der zum Beispiel gelernt hat, eine Baustelle zu organisieren, verfügt nicht zwangsläufig auch über eine Organisationsfähigkeit in anderen Kontexten.
• Da die Berufserfahrung überwiegend in informellen Kontexten erworben und implizit gespeichert wird, fällt es schwer, diese Lernergebnisse verbal zu explizieren. Um auf Berufserfahrung schließen zu können, bedarf es berufstypischer Situationen, in denen sie sich erweisen kann.
Eine Kompetenzfeststellung, welche die Erfassung von Berufserfahrung mit einschließt, muss daher entweder direkt in der Arbeitssituation stattfinden, oder aber - weil dieses selten praktikabel ist – es sind Situationen zu kreieren, die dem beruflichen Alltag so weit wie möglich entsprechen. Die Bewältigung von solchen Anforderungssituationen lässt dann Rückschlüsse auf die Ausprägung der Kompetenz zu. Dabei ist zwischen der „Kompetenz“, als der im Inneren eines Individuums angelegten Verhaltensmöglichkeit und der „Performanz“, als der äußeren, sichtbaren Realisierung dieser Disposition zu unterscheiden (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Die Unterscheidung von Kompetenz und Performanz
Die Kompetenzfeststellung im Projekt ECVET-D-Bau erfolgt vor allem durch die Bearbeitung handlungsorientierter Situationsaufgaben. Diese Aufgaben sollen die Anforderungen der beruflichen Praxis möglichst authentisch abbilden. Dabei stellt sich jedoch das Problem, dass gerade im Bereich der Bauwirtschaft die möglichen Tätigkeitsfelder enorm vielfältig sind. Daher bestand im Projekt zunächst die Herausforderung, eine systematische Übersicht über die Handlungsfelder zu erstellen, in denen ein Polier in der Bauwirtschaft tätig sein kann. Als Ergebnis eines ausführlichen Diskussionsprozesses mit Experten entstand eine Matrix, die einerseits für den Hoch- und den Tiefbau jeweils abgrenzbare Geschäftsfelder unterscheidet und andererseits die Handlungsfelder nach den typischen Phasen eines Bauablaufs gliedert. Die Schneidung der Geschäftsfelder entspricht der in der Praxis üblichen Einsatzbreite von Polieren. Dabei gibt es zwischen den Geschäftsfeldern teilweise auch inhaltliche Überschneidungen. So erfolgt zum Beispiel die Einrichtung einer Baustelle in den verschiedenen Bereichen des Hochbaus stets nach ähnlichen Grundprinzipien. Die folgende Abbildung zeigt die Systematik der Tätigkeitsfelder von Polieren in der Bauwirtschaft. Die Grundlage für die Struktur bilden hier nicht die Kompetenzdimensionen, sondern die Arbeits- und Geschäftsprozesse der Bauwirtschaft. Die einzelnen Felder dieser Matrix bildeten in der ersten Projektphase den Rahmen für die Situationsaufgaben zur Kompetenzfeststellung, das heißt, dass es mit einem Set von 23 Situationsaufgaben möglich sein musste, die Anforderungen an Poliere in der Bauwirtschaft abzubilden. Dabei ist natürlich die im Detail ausgearbeitete Situation immer nur eine spezifische Konkretisierung aus einer nahezu unendlichen Vielfalt an möglichen Situationen. Wenn beispielsweise im Geschäftsfeld „Bauen im Bestand“ die Aufgabe lautet, ein Wohngebäude energetisch zu sanieren, gibt es sehr viele Varianten, den situativen Kontext zu bestimmen (Alter und Konstruktionsart des Gebäudes, Art des Wärmeschutzes etc.). Für die Auswahl der Situationen bietet diese Matrix den Rahmen.
Geschäfts-felder
Bauprozess | Hochbau | Tiefbau | ||||
Allgemeiner Hochbau | Ingenieur- hochbau | Bauen im Bestand | Allgemeiner Tiefbau | Leitungs- tiefbau | Verkehrs- wegebau | |
Arbeiten vorbereiten und planen | An der Arbeitsvorbereitung und -planung im Hochbau mitwirken | an der Arbeitsvorbereitung und -planung im Tiefbau mitwirken | ||||
Baustellen einrichten | eine Baustelle im Hochbau einrichten | eine Baustelle im Tiefbau einrichten | ||||
Bauwerke vermessen | ein Gebäude einmessen | Geländemessungen im Tiefbau vornehmen | ||||
Bauteile herstellen | ein Wohnhaus einschl. Ver-/ Entsorgungs-leitungen gründen | einen Gewerbebau gründen | ein Wohn-gebäude energetisch sanieren | eine Baugrube verbauen | eine Asphaltstraße herstellen | |
Erdbauarbeiten (gr. Baugrube) durchführen | Druckleitungen verlegen | |||||
den Rohbau eines Wohn-hauses her-stellen(Mauer-werksbau) | die Beton-/ Stahlbeton-konstruktion eines Gewerbebaus herstellen | ein Wohnhaus umbauen/ modernisieren | Tiefgründungen durchführen mit Betonpfählen |
drucklose Leitungen verlegen | eine Pflasterdecke herstellen | |
Kabel einbauen | eine Gleisanlage herstellen | |||||
Bauwerke aufmessen und abnehmen |
einen Wohnungsausbau aufmessen und abnehmen |
Ein Bauwerk im Tiefbau aufmessen und abnehmen |
Abb. 4: Geschäftsfelder und Arbeitsprozesse der Poliertätigkeit
Um den Aufwand der Kompetenzfeststellung zu begrenzen, wird aktuell angestrebt, Situationsaufgaben so zu konzipieren, dass der vollständige Bauablauf, das bedeutet, einschließlich aller Phasen des Bauprozesses, in einer Aufgabe abgebildet wird. Der Aufbau der Situationsaufgaben wird im Folgenden dargestellt.
Jede Aufgabe enthält eine möglichst exakte und authentische Darstellung einer Bausituation. Dazu gehören neben der Beschreibung der relevanten Rahmenbedingungen (zum Beispiel Jahreszeit, Verkehrssituation) auch die üblichen Bauunterlagen. Dieses sind in der Regel Ausschnitte aus Originaldokumenten, wie Zeichnungen, Lagepläne, Leistungsverzeichnisse u.Ä. (siehe Abb. 5).
Abb. 5: Originalunterlagen als Grundlage der Situationsaufgabe
Die Aufgabenstellung orientiert sich zunächst an den üblichen Tätigkeiten des Poliers zum Baubeginn. Die Unterlagen müssen gesichtet und erfasst, auf Vollständigkeit geprüft und geordnet werden. Das Bauprojekt ist danach in sinnvolle Bauphasen zu gliedern und die Baustelleneinrichtung ist zu planen. In diesem ersten Schritt erfolgt eine Makroplanung zum Bauablauf, die zeigt, inwieweit der angehende Polier das Bauprojekt in seiner Gesamtheit erfasst hat.
Abb. 6: Beispiel für die Aufgabenstellungen zur Makroplanung
Im weiteren Verlauf der Aufgabenbearbeitung ist anschließend zu einem inhaltlichen Schwerpunkt eine Mikroplanung durchzuführen. Es sind zum Beispiel Detailzeichnungen oder -skizzen anzufertigen, Teilprozesse zu organisieren (u.a. Bestimmung von Material-, Geräte-, und Personalbedarf) oder Leistungsverzeichnisse zu ergänzen. Der Schwerpunkt kann dabei aus dem bisherigen Erfahrungsbereich selbst gewählt werden.
Abb. 7: Beispiel für die Aufgabenstellungen zur Mikroplanung
Die Aufgabenstellungen sind bewusst sehr offen gehalten, um zu erkennen, wie sich ein angehender Polier in einer solchen Situation verhält, denn auch in der beruflichen Praxis gibt es keine weiteren Anleitungen. Die Fähigkeit des Poliers liegt gerade darin, selbst die Strukturen zur Umsetzung eines Bauprojekts zu schaffen. Die Offenheit der Aufgabenstellung stellt jedoch andererseits hohe Anforderungen an die Auswertung der Aufgabenbearbeitung. Es gibt in der Regel keine Standardlösungen, sondern die vorgeschlagenen Lösungen müssen im Einzelfall auf ihre Plausibilität geprüft werden. Um dennoch Anhaltspunkte für die Aufgabenbewertung zu haben, werden „Lösungsräume“ definiert, die als Orientierung dienen.
Abb. 8: „Lösungsräume“ als Hilfestellung für die Auswertung
Schließlich werden die angehenden Poliere im Rahmen der Kompetenzfeststellung auch mit unvorhergesehenen Problemstellungen konfrontiert. Gerade in solchen Situationen erweist sich die Kompetenz eines Poliers, da maßgeblich von ihm Entscheidungen getroffen werden müssen. Diese problemhaltigen Ergänzungen sind vor allem Gegenstand eines Fachgesprächs, das im Anschluss an die schriftliche Bearbeitung der Situationsaufgaben erfolgt.
Abb. 9: Beispiel für eine problemhaltige Situation als Gegenstand eines Fachgesprächs
In der gegenwärtigen Phase des Projekts werden weitere Situationsaufgaben entwickelt, die demnächst einer Erprobung unterzogen werden. Abschließend ist noch einmal festzuhalten, welche positiven Effekte ein solches Verfahren zur Kompetenzfeststellung haben kann:
BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (BMBF) (2010): Die Pilotinitiative DECVET. Kompetenzen anrechnen – Durchlässigkeit verbessern. Bonn, Berlin.
GEITHNER, E./ MOSER, K. (2009): Die Messung herausforderungsbasierter Berufserfahrung. In: MÜNK, D./ SEVERING, E. (Hrsg.): Theorie und Praxis der Kompetenzfeststellung im Betrieb – Status quo und Entwicklungsbedarf. Bielefeld, 71-90.
GRUBER, H. (1999): Erfahrung als Grundlage kompetenten Handelns. Bern.
GRUBER, H. (2001): Die Entwicklung von Expertise. In: FRANKE, G. (Hrsg.): Komplexität und Kompetenz. Bonn, 309-326.
GRUBER, H./ MANDL, H. (1995): Auswirkungen von Erfahrung auf die Entwicklung von Expertise. Forschungsbericht Nr. 45, LMU München.
SYBEN, G./ GROSS, E./ KUHLMEIER, W./ MEYSER, J./ UHE, E. (2005): Weiterbildung als Innovationsfaktor. Berlin.
www.decvet.de (18-5-2011)
KUHLMEIER, W./ SYBEN, G. (2011): Die Feststellung und Anerkennung von Berufserfahrung im Rahmen der Fortbildung in der Bauwirtschaft. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 03, hrsg. v. BAABE-MEIJER, S./ KUHLMEIER, W./ MEYSER, J., 1-12. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft03/kuhlmeier_syben_ft03-ht2011.pdf (26-09-2011).