bwp@ Profil 9 - August 2024

Vernetzt mit Franz

Profil 9: Digitale Festschrift für Franz Gramlinger

Hrsg.: Karin Büchter, H.-Hugo Kremer, Nicole Naeve-Stoß, Karl Wilbers & Lars Windelband

Franz Gramlinger – ein Mensch, der Nahtstellen

Franz Gramlinger, der Wirtschaftspädagoge aus Linz, der mit den Übungsfirmen und der sogar einen eigenen Markt für Übungsfirmen, dem Übungsfirmenring mit aufgebaut hat, so habe ich Franz Gramlinger kennengelernt. Dies, auf einer Exkursion nach Linz in meiner eigenen wirtschaftspädagogischen Ausbildung. Es war auch der Moment, wo ich als Wirtschaftspädagogik-Novizin feststellen konnte, es gibt solche und solche Wirtschaftspädagogen und -pädagoginnen und es gibt sicherlich keine Unité de doctrine, nicht an einem Standort und nicht zwischen den verschiedenen Standorten. Es gibt aber gerade in der Wirtschaftspädagogik viele passionierte und faszinierende Menschen, die sich so stark für die Weiterentwicklungen in der beruflichen Bildung in ihren vielen Facetten engagieren. Und dies hat mich selbst fasziniert und mich für dieses Fach weiter begeistert.

Für mich war es damals eine eher seltsame Vorstellung, dass man die Arbeits- und Geschäftsprozesse in einer Simulation so detailliert nachbaut, dass sich Schülerinnen und Schüler – damals noch mit Briefen – «Produkte» auf Zetteln zugeschickt haben. Erst später habe ich die Einsicht gewonnen, dass gerade über diese Modellierung ein vertieftes Verständnis von kaufmännischen Prozessen und deren Steuerung entwickelbar ist. Und erst, wenn eine möglichst gute Modellierung des Handlungsrahmens gestaltet ist, können die Lernenden die dahinterliegenden Entwicklungsaufgaben und Entwicklungsschritte strukturiert durchlaufen. Eine gezielte und explizite Steuerung ist dabei in sehr unterschiedlichen Graden möglich.

Ich war fasziniert von einem Menschen, der so fasziniert war, von der Gestaltung von Lernumgebungen und Blended Learning oder E-Learning Einheiten, die einen dahingehend «nudgen», dass man gar nicht anders kann als den Handlungsanforderungen und den Aufgaben nachzugehen und darüber zu lernen. Ich war fasziniert von dieser Modellierung der Realität oder von diesem «Realitäten-Design». Das war fast wie ein Theater-Regisseur, mit ganz viel Kreativität und Intention, förderliche Aufgabenstellungen für die Ausbildung zu entwickeln.

Und dann war Franz Gramlinger auch ein Name auf einer Liste, für die in England für das COST A11 Projekt Hotelzimmer zu buchen war. Dies war eine meiner ersten Aufgaben als neue wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Peter F. E. Sloane, an der ich fast aufgrund der sozialen Komplexität gescheitert bin. In diesem Kontext ist auch immer wieder die Frage diskutiert, ob komplexe Lehr-/Lernarrangements der richtige Ausdruck ist, für das, was hier vorgenommen wird. Und die Position von Franz Gramlinger habe ich damals wahrgenommen als v. a. das Entwickeln und die Gestaltungstätigkeit in den Mittelpunkt zu stellen, ohne sich lang an der «korrekten» Bezeichnung aufzuhalten. Die Diskussion ging weiter: Ist es das Design handlungsorientierter Lernsettings, ist es fächer- und lernortübergreifender Unterricht, ist es die Gestaltung von Lernumgebungen, und wenn es dann noch auf Englisch übersetzt wird, ... Complex Learning and Teaching Arrangements, ... geht es doch ganz in die falsche Richtung?!

Das war auch der erste Impuls als dann plötzlich Hamburg als Standort bei Franz Gramlinger erschien, ein Österreicher, der sich auf Schiffen und im Norden wohlfühlt? – kaum vorstellbar. Und sich dann noch nach Thessaloniki begibt, um für die Weiterentwicklung der europäischen Berufsbildung zu arbeiten? Räumliche Flexibilität und das Einfinden an Orte, welche so im ersten Augenblick nicht zur Person passen, aber dann irgendwie sehr passend ausgestaltet werden, das ist auch Franz Gramlinger. Diese Fähigkeit von Franz sich immer in dem aktuellen Kontext nicht nur einzufinden, sondern diesen mit- und auszugestalten, das fasziniert mich ebenso: Diese Neugierde, Transferfähigkeit und dieser Gestaltungswille. Da war es dann fast schon ein wenig beruhigend oder dann doch eher beunruhigend zu sehen, dass dann doch für die vergangenen mehr als fünfzehn Arbeitsjahre Wien Franz Gramlingers Heimatort ist. Wobei vielleicht bei Franz Gramlinger doch eher Europa die Heimat ist.

Die verschiedenen Zielgruppen, mit denen und für die Franz Gramlinger in der beruflichen Bildung gemeinsam arbeitet und für diese Entwicklungsarbeiten vorgenommen hat, sind enorm: Die Studierenden an den Standorten in Linz und Hamburg und auch die Schülerinnen und Schüler der Handelsakademien, die in den Übungsfirmen handeln und lernen konnten. Und dann waren es plötzlich auch die medizinischen Fachangestellten, die im Blickpunkt der Arbeit von Franz standen. Parallel dazu waren es mehr die wirtschafts- und berufspädagogischen Fachkolleginnen und -kollegen, die mit der bwp@ und dem sozialen Netzwerk rund um die erste Online-Fachzeitschrift in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik im Fokus standen. Die Akteure, die in der Governance der beruflichen Bildung aktiv sind und dann die Akteure im österreichischen Berufsbildungssystem und deren Unterstützung zur Qualitätsentwicklung und -sicherung, die in den letzten Jahren verstärkt der Mittelpunkt der Arbeit von Franz Gramlinger sind. Darin zeigt sich eine der tollen Stärken von Franz Gramlinger, als Vernetzer und als aktiver Netzwerk-Knoten zu agieren. Er sieht dabei keine Hürden zwischen den Kontexten und den verschiedenen Sphären, sondern macht es sich zur Aufgabe, eher immer die verschiedenen Perspektiven aufeinander zu beziehen, verschiedene Anliegen wahrzunehmen und möglichst an einer guten Verbindung zu arbeiten.

Für mich ist Franz Gramlinger von daher ein Vertreter der «seam-aware» Berufs- und Wirtschaftspädagogik, oder einer der sich um die «Nahtstellen» zwischen den verschiedenen Kontexten bemüht. Ein Mensch, der sich egal, ob im digitalen oder analogen Raum, synchron oder asynchron vernetzt, ob in Linz, Hamburg, Thessaloniki oder Wien oder von überall her engagiert, dass die Kernfragen der Beruflichen Bildung aktiv gestaltend bearbeitet werden. Ein Mensch, der sich unabhängig von der Art des Wissens, ob mehr wissenschaftlich systematisch oder für die politischen Arenen entwickelt, ob für Novizen oder für Experten erarbeitet, sich um die Ermöglichung von Lern- und Entwicklungserfahrung bemüht und hier alle möglichen Quellen und Kontexte möglichst zu verbinden versucht. Ein Mensch, der sich in verschiedene Lehr-/Lernkontexte so einfinden kann, dass er sie als Mitglied der jeweiligen Lebenswelt heraus mitgestaltet. Und dies in so vielfältigen Ausdrucksformen und Formaten, also eine wirkliche «Nahtstelle». Diese Kompetenz – im Sinne von einer sich in dem jeweiligen Kontext spezifisch aktualisierenden Kombination aus Wissen, Können und Einstellungen – das ist für mich die Person Franz Gramlinger. Und dabei habe ich jetzt fast nur auf die äußeren Passungen und sichtbaren «Nähte» rekurriert. Die persönlichen Elemente wie sein Humor, seine Herzlichkeit, sein Aktionslevel und vieles mehr, macht für mich den Menschen Franz aus, mit dem es so viel Freude macht, sich zu treffen, zu diskutieren, Dinge zu verknüpfen, gemeinsam am epistemologischen, sozialen und physischen Raum der Berufs- und Wirtschaftspädagogik zu arbeiten. Ich freue mich sehr auf die nächsten Begegnungen und auf noch weitere, gemeinsame Anschlussstellen beim gemeinsamen «Nähen» weiterer «Säume».

Zitieren des Beitrags

Dilger, D. (2024). Franz Gramlinger – ein Mensch, der Nahtstellen. In K. Büchter, H.-H. Kremer, N. Naeve-Stoß, K. Wilbers & L. Windelband (Hrsg.), bwp@ Berufs- und Wirt­schaftspädagogik – online. Profil 9 (S. 1–3). https://www.bwpat.de/profil9_gramlinger/dilger_profil9.pdf (04.08.2024)