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bwp@ Profil 9 - August 2024
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Profil 9: Digitale Festschrift für Franz Gramlinger
Hrsg.:
, , , &Lachen als pädagogische Qualität – einem genialen Lacher gewidmet
1 Homerisches Gelächter im alltäglichen Gebrauch
Als Aphrodite ihren Mann – den Gott Hephaistos – mit Ares betrog, spannte Hephaistos ein Netz aus unsichtbaren Blitzen um das Bett der Ehebrecher, sodass diese gefangen waren. Der Betrogene rief die anderen Götter hinzu, damit diese sich alle mit ihm am Unglück der Betrüger erfreuen konnten. Und es erklang ihr göttliches Lachen, welches die Sphären füllte und allgegenwärtig war: das rire homérique – das homerische Gelächter.
Dieses Lachen der Götter scheint über der Szene zu stehen und von allen Seiten zu kommen. Es übertönt das Geschehen. Ich denke immer an diesen Topos des Lachens, wenn ich in einer Veranstaltung bin und plötzlich aus der Menge der Teilnehmer Franz Gramlingers Lachen ertönt, oft begleitet von einem vorausgehenden oder nachfolgenden Kommentar in diesem besonderen Klang der Oberösterreicher. Und ich kenne dieses Lachen auch aus kleinen gemeinsamen, sehr persönlichen Gesprächsrunden. Es ist besonders und es fokussiert die Situation.
Es ist m. E. lohnenswert, dieses Lachen als Ausgangspunkt für einige wenige theoretische Überlegungen zu nehmen. Die Assoziation des homerischen Lachens ist dabei nur und ausschließlich dem Augenblick und dem Erleben dieses spezifischen Lachens in einer Situation geschuldet. Denn nichts wäre falscher als die Gleichsetzung von Franz‘ Lachen mit jenem der Götter. Deren Lachen zielt in der Odyssee, aber auch in der Ilias, auf das Missgeschick. Es ist ein Verlachen von anderen, macht diese letztlich zum Gegenstand von Spott und Hohn und hat seinen Ursprung in der Freude am Unglück. Es findet sich in vielen literarischen Formaten: im Volkstheater des Mittelalters, im Verhalten des dummen August und in modernen Formaten des Vorführens von Fehlschlägen in so genannten real-life settings. Der Zuschauer weidet sich voyeuristisch an jemandes Unglück, in einer Balance von Schäbigkeit und Fremdschämen.
Spätestens seit Lessings Hamburger Dramaturgie und seiner Betonung der shakespeareschen Dramen sowie seiner Überlegungen zur Komödie wurde das Prinzip des Verlachens ersetzt durch eine intellektuelle Vorstellung des Witzes, der raffinierten Verwechselung und des Wortspiels, welches sich bis in die screwball comedy hinein fortsetzt. Lachen ist hier dann Erheiterung und zuweilen Erleichterung.
Lachen wird so von einem Verlachen des anderen zu einem Mitlachen und schafft Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit.
2 Lachen als didaktisch-kommunikatives Mittel
Lachen hat im Kommunikationsprozess und somit auch in didaktischen Situationen unterschiedliche Bedeutung: Es variiert von einem freundlichen Lächeln bis hin zum oben erwähnten Verlachen, das Missfallen, Ablehnung, Spott usw. ausdrücken kann. Will man auf die Bedeutung der verschiedenen Formen des Lachens im didaktischen Prozess eingehen, so empfiehlt es sich, im ersten Schritt vom Rezeptionshorizont auszugehen, also danach zu fragen, wie der Empfänger das Lachen wahrnimmt. Im zweiten Schritt kann sich dann der Inszenierung gewidmet werden, also der Produzentensicht.
2.1 Rezeptionssicht auf das Lachen
Rezeptionssicht bedeutet, von der Wahrnehmung und Interpretation der Lernenden in didaktischen Situationen auszugehen. Dabei sollen im Folgenden drei spezifische Situationen in den Blick genommen werden:
- die Anfangssituation eines didaktischen Geschehens
- die Schlusssituation eines didaktischen Geschehens
- die Problemsituation eines didaktischen Geschehens
Es ist unschwer zu erkennen, dass ich mich hier an die Strukturierungen von Karlheinz Geißler (2005; 2016) anlehne.
Ad (1) – Anfangssituationen
Die Erstbegegnung mit einem anderen Menschen ist immer sehr entscheidend, gilt doch letztlich berechtigt nach dem Volksmund: Der erste Eindruck ist entscheidend! Für Pädagogen geht es hier um den Einstieg in einen neuen Kurs, um die erste Begegnung mit einer neuen Klasse, letztlich um den Beginn einer pädagogischen Beziehung. Dies gilt auch für Vortragende; auch wenn deren Begegnung mit einer Zielgruppe oft nur von kurzer Dauer ist. Auch hier geht es um Beziehungen.
Lachen in Form eines Lächelns, gleichsam der zurückgenommenen Variante des (An-) Lächelns signalisiert einen Beginn. Karlheinz Geißler hat eine Vielzahl von Beispielen aus dem Alltag und verschiedenen pädagogischen Zusammenhängen aufgezeigt, die darlegen, wie man als Dozent, Lehrer, Vortragender usw. den Anfang einer gemeinsamen Situation markiert. Lächeln ist eine stille Variante. Es gibt aber auch raubeinigere Formen, die jeder wohl auch kennt – etwa die Lehrkraft, die sich vorstellt und zur Begrüßung sagt: „Schauen Sie doch nach rechts und schauen sie nach links, in drei Monaten ist einer von den beiden nicht mehr da, denn hier gelten harte Maßstäbe!“. Dies begleitet von einem lauten Lachen, aber auch einem spöttischen Grinsen verweist auf das Verlachen, produziert Ängste und führt interessanterweise oft dazu, dass das Publikum mitlacht.
Eine spezifische Variante ist der Witz. Das Beispiel des raubeinigen Einstiegs ist ein Grenzfall, z. B. wenn der Dozent, der Lehrende die Härte der Ankündigung durch ein mildes Lächeln anstatt eines spöttischen Grinsens relativiert. Aber es bleibt ein Witz auf Kosten der Lernenden und ein Spiel mit ihrer Angst. Deren Mitlachen ist dann oft nur ein Kurzschließen der Angst über das gemeinsame Lachen, welches einem zuweilen im Halse stecken bleibt. Letztlich ist es verführerisch, sich auf Kosten der Lernenden lustig zu machen, ihre Schwächen zu thematisieren, ihre Ängste durch Ansprache zu fokussieren und auf diese Weise zu verstärken. Vielleicht gibt dies manchen Lehrenden das Gefühl von Macht und Bedeutung.
Eine ganz andere Vorgehensweise ist es für den Lehrenden, sich selbst zum Gegenstand des Witzes zu machen und sich selbst ironisierend in den Mittelpunkt zu stellen, auf eigene Schwächen zu verweisen, Fehler zu machen, usw. Dies wird wohl dann zur Stärke, wenn die subtile Inszenierung erkannt und vom Lernenden als solche goutiert wird.
Darum geht es dann letztlich immer: um eine Inszenierung, die stets etwas mit dem Menschenbild des Lehrenden zu tun hat und dieses in letzter Konsequenz sichtbar macht.
Ad (2) - Schlusssituationen
Schlusssituationen markieren das Ende einer Veranstaltung, eines Kurses, ggf. eines Lebensabschnitts und sind dabei zugleich auch Übergänge in – zumeist für die Lernenden – neue Situationen. Sie beenden vielleicht eine Beziehung oder weisen darauf hin, wie es weitergeht. Sie sind nicht trivial. Auch hier gilt der Volksmund: Der erste Eindruck zählt, aber der letzte bleibt. Ein Ende nicht richtig zu inszenieren, führt zur Unsicherheit bei den Rezipienten; etwa bei einem Theaterstück, bei dem das Publikum nicht weiß, ob das aufgeführte Stück tatsächlich zu Ende ist oder ob es weitergeht. Ein unsicheres Schweigen ist die Folge, was dann nach und nach durch das Einsetzen von anfänglich noch zögerlichem Applaus, gleichsam einer Frage „Ist jetzt Schluss?“, beendet wird.
Anders als am Anfang, als Lachen und Lächeln gleichsam die Richtung weisen, die die Kommunikation nehmen kann, zielt dieses Lachen und Lächeln auf die Beendigung eines Geschehens. Es kann sentimental sein, je nachdem wie sich die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden, aber auch zwischen den Lernenden, entwickelt hat.
Das gemeinsame Lachen kann in Schlusssituationen auch insbesondere durch die Erinnerung an gemeinsam erlebte erfreuliche oder schwierige Situationen erzeugt werden, die der Versicherung der entstandenen Beziehung und der gemeinsamen Bewertung des Erlebten dienen. Das ist schon wichtig, gerade dafür wie nach einem gewissen zeitlichen Abschied darauf zurückgeblickt wird und ggf. für eine Vorbereitung auf eine Prüfung. Oder auch wenn nach einer Pause, bspw. Ferien oder einem neuen Modul in der Hochschule, die Beziehung wieder aufgenommen wird. Wenn die Beziehung schwierig war, kann das Lachen auch ein Versöhnliches sein, dass aussagt: „Es war zwar nicht leicht zwischen uns, aber Du bist in Ordnung und ich bin in Ordnung“.
Ad (3) – Problemsituationen
Pädagogische Prozesse sind keine Abfolge von Inputs und deren Verarbeitung durch die Lernenden. Es sei denn, es handelt sich um einen vollkommen langweiligen inhaltlichen Vortrag. M. E. sind pädagogische Prozesse komplexe Geschehen, in denen sich Beziehungen zwischen Menschen aufbauen, Veränderungen angestoßen und vollzogen werden. Dies gilt wechselseitig: Auch Lehrende verändern sich in diesen Prozessen.
Diese Prozesse sind durch Krisen gekennzeichnet. Veränderungen vollziehen sich nicht einfach; vielmehr sind sie mit Konflikten, Widersprüchen und deren Überwindung, Trauer, Freude, Angst, Zuversicht und vielen weiteren Emotionen, sowohl von Lernenden als auch von Lehrenden, verbunden.
Lernen ist letztlich immer Problemüberwindung, umfasst das Erkennen von Schwierigkeiten/Problemen, ein Tasten und Suchen bei der Entwicklung von Problemlösungen und ein Stabilisieren möglicher erfolgreicher Lösungen. Während die Arbeit an der Problemlösung i. d. R. situativ ist, sich also auf konkrete Kontexte bezieht, in die eine Problembearbeitung eingebunden ist, zielt die Stabilisierung und Festigung des Lösungsweges auf eine De-Kontextualisierung und weiterführend auf Re-Kontextualisierungen in veränderten Anwendungssituationen, also auf den Transfer der Lösung auf variierende Problemsituationen ab.
Lächeln und Lachen der Lehrenden sind dabei eine para- und nonverbale Aktionsform zur Verstärkung des Handelns der Lernenden. Sie können i. S. des Lernprozesses förderlich, aber auch kontraproduktiv sein. Damit kann eine Hinwendung zum Lerner ausgedrückt werden, aber auch ein Verspotten seines Bemühens. Letztlich stellt sich also ebenfalls die Frage, wie der Lehrende das Lachen inszeniert. Anders gewendet: Es geht um den Produktionshorizont des Lachens.
2.2 Produktionssicht auf das Lachen
Hier geht es also um die Frage, was ein Lehrender oder Vortragender mit seinem Lachen und Lächeln beabsichtigt. Geht es um den Aufbau einer Beziehung, um Zuwendung, oder geht es um das Herausstellen von Fehlern und Schwächen? So bleibt es bei der eingangs erwähnten Ambivalenz zwischen Verlachen, das ausgrenzend ist, und Mitlachen, also um Beziehungsaufbau.
Schließlich verweist der skizzierte Zusammenhang auf die alten Fragen nach den Menschenbildern, die den Handlungen der Lehrenden zugrunde liegen, und den Fähigkeiten der Lehrenden, sich in den Dienst der Lernenden zu stellen und sich dann zurückzunehmen, wenn es um die Entwicklung von Problemlösungen durch die Lernenden geht.
Das ist leider leichter gesagt als getan, hat es doch viel mit der emotionalen Kontrolle der Lehrenden zu tun. Allzu oft wird dann doch ein Witz auf Kosten des Lernenden gemacht, wenn Fehler allzu offensichtlich sind. Auch ist es oft vielleicht nicht wirklich möglich, zu lächeln, wenn ein aufmunterndes Lächeln nötig ist. Lachen und Lächeln sind letztlich affirmativ und können nicht immer einer kognitiven Gestaltungsabsicht unterworfen werden. So weiß man zuweilen als Lehrkraft, was man tun sollte, und kann es dann aber doch nicht unbedingt umsetzen. Lachen und Lächeln kontrolliert einzusetzen, wie ein Schauspieler oder eine Schauspielerin, gelingt nicht jedem, kann aufgesetzt wirken und ist dann eben nicht authentisch. Authentizität ist aber eine Voraussetzung für den Erfolg.
So stellt sich letztlich die Frage nach der Identität der Lehrkraft.
3 Mitlachen können
Lachen scheint mir grundlegend wichtig für jede Art der Kommunikation. Narrativ würde ich es als ‚Schmierstoff‘ des Gesprächs bezeichnen. Leider ist es mit solchen Phänomenen oft so, dass sie – wenn man versucht, sie theoretisch, also sprachlich-kognitiv zu erfassen – schwer festzuhalten sind, weil etwas aus einem affirmativen Lebenszusammenhang in ein kognitives Beschreibungsmuster gepresst wird.
Erleben ist eben doch etwas anderes als Erklären. Die Kernidee des Beitrages ist, dass Lachen fokussiert und hilft, didaktische Prozesse zu gestalten. Es lässt sich aber schwer instrumentalisieren, denn es entfaltet seine Wirkung affirmativ und ist von Wahrnehmungen und Interpretationen der Rezipienten und Gestaltungsversuchen der Produzenten abhängig.
Es ist für jeden Lehrenden wohl wichtig, zumindest für sich zu klären, wie sein Lachen und Lächeln im pädagogischen Prozess Wirkung entfaltet und jeder sollte sich prüfen, ob er es verlachend oder mitlachend einsetzt.
Dass ich eine Präferenz für ein Mitlachen habe, was einbeziehend und nicht ausgrenzend ist, wurde wohl deutlich. Ob ich das selbst beherzige, muss ich in meiner eigenen Praxis kritisch prüfen. Was bleibt? Die doch immer wieder sehr interessante Erfahrung, in einem Vortrag zu sitzen und ein explosives Lachen im Mit-Publikum zu hören und spontan festzustellen: Franz ist auch da!
Literatur
Geißler, K. (2005). Schlusssituationen. Die Suche nach dem guten Ende. 4. Aufl. Beltz
Geißler, K. (2016). Anfangssituationen. Was man tun und besser lassen sollte. 11. Aufl. Beltz.
Zitieren des Beitrags
Sloane, P. F. E. (2024). Lachen als pädagogische Qualität – einem genialen Lacher gewidmet. In K. Büchter, H.-H. Kremer, N. Naeve-Stoß, K. Wilbers & L. Windelband (Hrsg.), bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online. Profil 9 (S. 1–6). https://www.bwpat.de/profil9_gramlinger/sloane_profil9.pdf (04.08.2024)